Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2. Aufbruch Karls aus Rom. Er dringt siegreich über die Verteidigungslinie des Liris. Schlacht bei Benevent. Glorreicher Fall Manfreds. Depeschen Karls an den Papst. Charakter Manfreds. Ursachen seines schnellen Sturzes. Das Schicksal seiner Gemahlin Helena und seiner Kinder. Karl von Anjou zieht in Neapel ein.

Die unerträgliche Not trieb Karl, sein ungelöhntes Heer so schnell als möglich gegen den Feind zu führen und in dessen reichem Lande zu sättigen. Man brach von Rom auf, schon am 20. Januar 1266. Viele italienische Guelfen, viele Exilierte Apuliens, manche Römer, unter denen der abtrünnige Petrus von Vico sich am eifrigsten zeigte, schlossen sich dem Zuge an; die Kardinäle erteilten den Truppen die Absolution und begleiteten Karl bis an die Wasserleitungen vor der Porta Maggiore; der Kardinal Richard Annibaldi gab ihm das Geleit bis zur Burg Molaria an den Abhängen des Lateinergebirgs, und es folgte ihm bis zur Grenze der Kardinal Oktavian als päpstlicher Legat.

Von den drei Straßen, die aus Rom in das Königreich führen, der Valerischen, Lateinischen und Appischen, wählte Karl, wie im Mittelalter fast alle Heerführer, die zweite. Sie geht zwischen dem Apennin und den Volskerbergen Anagni, Ferentino und Frosinone vorbei und erreicht die Grenze an der Lirisbrücke bei Ceprano. Dann berührt sie Rocca Secca, Aquino und S. Germano, durchbricht die Bergreihen von Cervara und mündet in Capua. Das Hauptquartier Manfreds befand sich in dieser Stadt, welche sein Vater neu befestigt und mit Türmen an der Brücke des Volturnus versehen hatte. Er eilte von dort bald nach Ceprano, bald nach S. Germano und Benevent, Anordnungen zu treffen; denn offenbar hatte ihn der Aufbruch Karls überrascht. So blühend auch sein Königreich erschien, es war nur Schein; sein Heer hatten, außer den Deutschen und Sarazenen, Verrat und Furcht bereits untergraben. Der Eroberungszug Karls von Anjou bietet daher nur Szenen von Abfall, Unglück und jähem Untergange dar. Der Ungestüm jener Franzosen, die sich auf Kampanien stürzten, Flüsse und betürmte Felsen erstürmten, zeichnet ihn durch die im ersten Anlauf unwiderstehliche Energie aus, welche dieser ritterlichen Nation bis auf die heutige Zeit eigen geblieben ist, und nur der heldenmütige Fall Manfreds gibt diesem berühmten Trauerspiel einen versöhnenden Schluß.

Der vorzeitige Frühling trocknete die Wege und erleichterte den Marsch Karls durch das Saccotal; seine Scharen drangen unaufgehalten über den Liris durch den Paß von Ceprano, welcher nicht durch Verrat, sondern durch Sorglosigkeit in die Hände des Feindes fiel, zumal die Brücke selbst nicht abgebrochen war und überhaupt nicht verteidigt wurde. Die Franzosen bedrohten zunächst die steile Kyklopenburg Arce, die als unbezwingliche Festung galt; der bestürzte Hauptmann ergab sich. Dies schreckte weit und breit Kampanien: Aquino und andere Städte ergaben sich. Den unwiderstehlichen Stoß hielten selbst die Wälle S. Germanos nicht auf; diese Stadt, von hohen Bergen und den Sümpfen des Flusses Rapido gedeckt, wurde schon am 10. Februar mit Sturm genommen. Alles umliegende Land zitterte bei diesem unerwarteten Fall: 32 Kastelle ergaben sich Karl. Die Linie des Liris war in seiner Gewalt. Nun galt es, die stärkere des Volturnus zu stürmen, hinter welchem Manfred mit seiner Hauptmacht in Capua stand. Der unermüdliche Feind überschritt diesen Strom nordwärts am Tuliverno und erklomm die Gebirge von Alife, Piedemonte und Telesia, die Stellung des Gegners durch einen Flankenmarsch zu umgehen. Diese Krieger trieb Blutgier und Beutelust vorwärts; sie brannten vor Ungeduld, im Herzen Kampaniens sich schadlos zu halten, und obwohl Entbehrung und Anstrengung sie und ihre Pferde abgezehrt hatte, so überwand doch die Aussicht auf Sieg jedes Hindernis. Verräter stießen mit ihren Fahnen auf dem Marsch zu Karl; Boten brachten die Schlüssel übergegangener Städte; man zog ermutigt über Flüsse und steile Berge fort.

Am Donnerstag, dem 25. Februar, machten sie in einem Walde halt, 15 Millien vor Benevent; freitags auf den Höhen von Capraria. Karl zeigte dort seinen Kriegern eine ansehnliche Stadt, welche mit eingerissenen Mauern zwischen zwei Flüssen lag. Dies war Benevent, die Hauptstadt Samniums, einst berühmt in den Kriegen der Römer gegen Hannibal, dann der blühende Sitz der Langobardenherrscher Apuliens, darauf päpstlich, zuletzt durch Friedrich II. dem Reiche einverleibt. Man sah von der Höhe in die schöne Ebene der Flüsse Calore und Sabbato und auf ihr die langen Reihen von Fußvolk, schwer gepanzerte deutsche Reiterei und die Sarazenen Luceras in Schlachtordnung aufgestellt. Denn als der Feind die Stellung Manfreds bei Capua umgehen wollte, war dieser schnell nach Benevent geeilt, um Karl den Weg nach Neapel zu verlegen und ihm eine Schlacht zu bieten, welche beide Heerführer zu suchen dringende Gründe hatten. Unerträglicher Mangel spornte die Truppen Karls; mitten in Feindesland blieb ihnen nur die Wahl zwischen Sieg oder Tod. Manfred sah vor sich den Feind, vom Marsche geschwächt, ausgehungert, schlecht beritten, doch um sich her Verrätergesichter und hinter sich das schon abfallende Apulien. Manche Grafen verließen heimlich seine Reihen; andere weigerten die Vasallenpflicht, vorgebend, daß sie ihre Kastelle bewachen müßten; andere warteten den Augenblick des Kampfes ab, um ihren König preiszugeben. Er mußte schnell siegen oder untergehen.

Am Donnerstag in der Nacht waren 800 deutsche Reiter zu ihm gestoßen; dies belebte seinen Mut. Er versammelte die Generale zum Kriegsrat. Es waren um ihn die Grafen vom Geschlecht Lancia, welches an seinem Hof die höchsten Ehrenstellen einnahm, Brüder oder Verwandte seiner Mutter Blanca, Galvano und Jordan, Friedrich und Bartholomäus, Manfred Malecta; sodann ghibellinische Hauptleute aus Florenz und der hochherzige Römer Theobald von den Annibaldi. Man riet, den Kampf aufzuschieben, bis Verstärkungen herangezogen seien; denn Konrad von Antiochia, der Neffe Manfreds, stand noch in den Abruzzen, und anderes Volk sollte vom Süden her zuziehen. Wenn dieser Rat befolgt werden konnte, so würde das Heer Karls aus Mangel zugrunde gegangen sein; aber die Zeit, vielleicht auch die ritterliche Ehre drängte, zumal den Verrätern keinen Tag lang zu trauen war. Manfred beschloß daher die Schlacht – und diese war eine Tat der Verzweiflung so gut von Karls als von seiner Seite. Sein Astrolog hatte die Stunde für glückbedeutend erkannt; doch der Stern Manfreds streifte in Wahrheit schon den Horizont.

Er teilte sein Heer in drei Schlachthaufen; den ersten von 1200 deutschen Rittern führte Graf Jordan von Anglano; den zweiten, Toskaner, Lombarden und Deutsche, 1000 Ritter stark, befehligten Graf Galvano und Graf Bartholomäus; den dritten von apulischen Vasallen und Sarazenen, etwa 1400 Mann zu Roß, viele Bogenschützen und Fußvolk, befehligte Manfred selbst. In dieser Ordnung rückte sein Heer über den Calore und stellte sich nordwestlich von der Stadt bei S. Marco im Felde Grandella oder der »Rosen« auf, den herabziehenden Feind erwartend.

Im Lager Karls hatten sich unterdes nicht minder Stimmen für die Vertagung der Schlacht erhoben, da die Truppen erschöpft seien; doch sie waren durch den Connetable Gilles le Brun zum Schweigen gebracht. Man bildete ebenfalls drei Schlachthaufen. Provençalen, Franzosen, Picarden, Brabanter, italische und römische Truppen, die Vertriebenen Apuliens ordneten sich unter dem Befehle Philipps von Montfort, Guidos von Mirepoix, des Königs Karl, des Grafen Robert von Flandern, des Grafen von Vendôme, des Connetable und anderer bewährter Kapitäne. Die Florentiner Guelfen, begierig, den Tag von Montaperti zu rächen, bildeten ein viertes Treffen unter dem Grafen Guido Guerra. Als sie, 400 Ritter stark, in prachtvoller Rüstung, auf herrlichen Rossen und mit glänzenden Feldzeichen aufritten, fragte Manfred seine Begleiter, woher diese schöne Schar käme; es sind die Guelfen von Florenz, so antwortete man ihm; er rief seufzend aus: »Wo sind meine Ghibellinen, denen ich so große Dienste leistete und auf die ich so große Hoffnungen gesetzt hatte?« Der Bischof von Auxerre und Predigermönche durchwanderten die Scharen Karls, welche kniend die Absolution empfingen, und Karl selbst erteilte hie und da den Ritterschlag.

Das Ungestüm der Sarazenen eröffnete die Schlacht; mit lautem Kriegsgeschrei stürzten sie auf das geringere französische Fußvolk, die Ribaldi, und streckten dasselbe mit Pfeilen zu Boden. Französische Reiterei brach sofort auf und hieb die Sarazenen schwarmweis nieder. Der eherne Stoß der deutschen Ritterschaft unter Graf Jordan, welche mit dem Feldgeschrei: »Schwaben, Ritter!« heransprengte, zermalmte jene Schwadronen, bis sich die stärkste Legion Karls mit dem Schlachtruf »Montjoie!« ihnen entgegenwarf. Der Kampf dieser beiden Rittergeschwader entschied den Tag. Die berühmte Schlacht bei Benevent ward mit kaum 25 000 Mann auf jeder Seite ausgefochten. Der lange und furchtbare Krieg zwischen Kirche und Reich, zwischen Romanen und Germanen wurde auf einem engen Schlachtfelde, in wenig Stunden, durch wenig Volk, vielleicht durch einen Zufall zur Entscheidung gebracht. Die Franzosen stritten mit kurzen Schwertern, die Deutschen nach uralter Landesart mit langen Haudegen. Romanischer Stoß und Stich trugen den Sieg über die germanische Kampfweise davon, wie einstmals bei Civirate im XI. Jahrhundert. Fußsoldaten saßen hinter den Kavalieren Karls; wenn die deutschen Ritter von den erstochenen Pferden stürzten, warfen sich jene herab und erschlugen sie mit Keulen. Die Legion des tapferen Jordan sank. Galvano und Bartholomäus stellten zwar die Schlacht eine Weile lang wieder fest; doch es war umsonst. Die tapfern Deutschen kämpften und fielen mit Heldenmut gleich den alten Goten als die dem Tode geweihten Repräsentanten des germanischen Reichs, welches mit Friedrich II. zu Ende gegangen war.

Als König Manfred seine Schlachthaufen wanken und fallen sah, ließ er seine dritte Schar, Lehnsvasallen Apuliens und Siziliens, in den Kampf führen. Es ist unbegreiflich, daß er nicht statt ihrer eine deutsche Reserve für die Entscheidung aufbewahrt hatte; denn die Italiener flohen sofort; sogar Manfreds Schwager, Thomas von Acerra, eilte in verräterischer Flucht vondannen, worauf andere Barone diesem Beispiele folgten, indem sie sich nach Benevent warfen oder den Abruzzen zujagten. Als der König erkannte, daß sein Schicksal entschieden sei, beschloß er, als Held zu enden. Die noch um ihn geblieben waren, rieten ihm, sich in das Innere des Landes zu retten oder nach Epirus zu entfliehen, um dort an seines Schwiegervaters Hof eine bessere Stunde abzuwarten. Er verschmähte dies und rief seinem Waffenträger, ihm den Helm zu reichen. Indem er ihn aufs Haupt setzte, fiel der silberne Adler von ihm herab; da sagte er: Ecce, Signum Domini! Ohne königliche Abzeichen stürzte er sich unter die Feinde, den Tod zu suchen, begleitet von seinem edlen Gefährten Theobald Annibaldi, der mit ihm zu sterben entschlossen war.

Als sich die Nacht auf das Feld von Benevent gesenkt hatte, saß der finstere Sieger in seinem Zelt und diktierte diesen Brief an den Papst: »Nach heißem Streit von beiden Seiten brachten wir mit Gottes Hilfe die zwei ersten Schlachtreihen der Feinde zum Weichen, worauf die andern alle ihr Heil in der Flucht suchten. So groß war das Gemetzel auf dem Felde, daß die Leichen der Erschlagenen das Angesicht der Erde verhüllten. Nicht alle Flüchtigen sind entkommen; viele hat das Schwert der Nachsetzenden erreicht; viele hat man gefangen in unsere Kerker eingebracht; darunter Jordan und Bartholomäus, die sich bisher anmaßlich Grafen nannten; auch Pier Asino (degli Uberti), das verruchte Haupt der Florentiner Ghibellinen, ist gefangen. Wer sonst unter den Feinden zuvor erschlagen ward, wissen wir, zumal bei der Eile dieses Berichts, nicht genau anzugeben; doch viele sagen, die ehemaligen Grafen Galvano und Herrigeccus seien tot. Von Manfred verlautet bis jetzt nichts, ob er in der Schlacht gefallen oder gefangen oder entkommen sei. Das Streitroß, welches er ritt und das wir haben, möchte seinen Tod beweisen. Ich melde Eurer Heiligkeit diesen großen Sieg, damit Ihr dem Allmächtigen danket, der ihn verliehen hat und durch meinen Arm die Sache der Kirche verficht. Wenn ich aus Sizilien die Wurzel des Übels ausgerottet habe, so werde ich, seid dessen gewiß!, dies Königreich zur altgewohnten Vasallenpflicht gegen die Kirche zurückführen, zur Ehre und zum Ruhme Gottes, zur Erhebung seines Namens, zum Frieden der Kirche und zur Wohlfahrt jenes Königreichs. Gegeben zu Benevent, am 26. Februar in der neunten Indiktion, im Ersten Jahr unseres Königtums.«

Drei Tage später: »Der Triumph, welchen mir Gott über den öffentlichen Feind bei Benevent geschenkt hat, habe ich neulich Eurer Heiligkeit gemeldet. Mich von der Richtigkeit einer immer bestimmter werdenden Sage zu versichern, daß Manfred in der Schlacht gefallen sei, ließ ich unter den Toten auf dem Felde nachsuchen, um so mehr, als kein Gerücht laut ward, daß er sich irgendwohin durch die Flucht gerettet habe. Am Sonntag, dem 28. Februar, fand man seine nackte Leiche unter den Erschlagenen. Um in einer Sache von solcher Wichtigkeit jeden Irrtum zu entfernen, ließ ich dem Grafen Richard von Caserta, meinem Getreuen, den ehemaligen Grafen Jordan und Bartholomäus und ihren Brüdern, wie anderen Personen, die einst Manfred im Leben persönlich nahe standen, den Toten zeigen: sie anerkannten ihn und erklärten, daß dies unzweifelhaft die Leiche Manfreds sei. Vom Gefühle der Natur bewegt, habe ich hierauf den Toten mit Ehren, doch nicht in kirchlicher Weise zu Grabe bestatten lassen. Gegeben im Lager bei Benevent, am 1. März, im Ersten Jahr unseres Königtums.«

Als die gefangenen Grafen, in Ketten auf das Schlachtfeld geführt, die nackte Leiche des Königs fanden, sagten alle auf die Frage, ob dies Manfred sei, furchtsam: »Ja!«, nur der edle Jordan von Anglano schrie im heißen Schmerze auf: »O mein König!«, bedeckte sein Gesicht mit den Händen und weinte bitterlich. An der Seite Manfreds lag tot Theobald Annibaldi, sein Waffenbruder, ein des Römernamens würdiger Krieger, der sein eigenes Ghibellinengeschlecht mit schönem Ruhme geschmückt hat. Auf Befehl des Siegers ward Manfred an der Brücke des Calore bei Benevent in die Erde verscharrt; die französischen Krieger legten, seinen Heldensinn zu ehren, jeder einen Stein auf sein Grab und häuften so ein Hünenmal auf. Doch bald darauf ließ, mit Beistimmung des Papsts, der niedrig gesinnte Bischof Pignatelli von Cosenza, Manfreds geschworener Feind, den Toten aus seiner Gruft reißen und als einen von der Kirche Verfluchten an der Grenze Latiums, an die Ufer des Flusses Verde, das heißt des Liris, hinauswerfen.

Manfred war 34 Jahre alt, als er fiel, im Leben und Tode herrlich gleich Totila. Wie einst dieser gotische Held in jugendlicher Siegeslaufbahn das Reich Theoderichs hergestellt hatte, so hatte auch Manfred das Reich Friedrichs in Italien aus den Trümmern erhoben und einige Jahre lang glänzend behauptet; dann erlag auch er dem Glück eines aus der Fremde eingedrungenen, vom Papst bewaffneten Eroberers. Die Guelfen brandmarkten ihn aus Parteihaß als Vater- und Brudermörder und wälzten die abscheulichsten Verbrechen auf seinen Namen; die Päpste verfluchten ihn als giftige Natter und gottlosen Heiden, aber sein Schatten erschien dem edelsten Geiste des Mittelalters, welcher schon lebte, als er starb, nicht nach dem Wahne der Priester unter den Verdammten der Hölle, sondern in freundlicher Gestalt im Purgatorium, und er sagte ihm lächelnd, daß der Fluch der Priester über die versöhnende Liebe keine Gewalt besitze. Seine besten Zeitgenossen, selbst einige von der guelfischen Partei, priesen in ihm die Blume schöner Männlichkeit; sie rühmten seine freigebige Großmut, den milden Adel seiner Sitte, seine feine Bildung und seine Seelengüte, welche nur selten eine listige oder zornige Handlung entstellt hat.

Karl von Anjou stellt an der Leiche seines edlen Gegners einen jener moralischen Widersprüche in der Welt dar, worin das Böse über das Gute zu triumphieren scheint. Jedoch Manfreds Fall war in so hohem Sinne tragisch, daß die Macht des historischen Verhängnisses, welche mit überlebten Weltordnungen deren Erben stürzt, darin anzuerkennen ist. Die praktischen Ursachen seines Unterganges zeigt außerdem die Geschichte Süditaliens, des Landes ohne Nationalgefühl, ohne Treue und Bestand, wo niemals eine Dynastie Dauer gewann und wo bis auf den heutigen Tag jede Invasion und Eroberung gelungen ist. Die weisen Gesetze Friedrichs II. hatten dort eine monarchische Regierung, aber keinen nationalen Staat zu schaffen vermocht; der Thron Manfreds ruhte unsicher auf der Vasallenschaft des Adels, welcher, nach dem Ausspruch des Guelfen Saba Malaspina, erst mit ihm die Spolien Siziliens geteilt hatte und dann ihn treulos verriet. Deutsche Söldner und Sarazenen, also fremde Truppen, waren die einzigen zuverlässigen Stützen seiner Herrschaft; als sie bei S. Germano und Benevent brachen, konnte diese nicht mehr bestehen. Der Klerus, die größte Macht jenes abergläubischen Landes, war Manfreds Feind und die durch Steuern erschöpften Städte nicht seine Freunde. Sie folgten dem allgemeinen Drange nach bürgerlicher Selbstregierung, welchem die Hohenstaufen nicht Rechnung trugen. Beim Eintritt Karls in das Reich, so sagt ein guelfischer Geschichtschreiber, begannen die Gemüter des Volks zu wanken, sich gegen Manfred zu wenden und voll Freude zu sein. Denn nun glaubten alle, die ersehnte Ruhe werde zurückkehren und mit der Ankunft des Königs Karl die Freiheit überall wiederhergestellt werden.

Wie diese Hoffnung erfüllt ward, welches Glück Neapel und Sizilien unter den räuberischen Händen des Anjou genoß, steht in den Geschichten jener Länder geschrieben. Wir werfen nur einen flüchtigen Blick auf das schreckliche Blutbad in Benevent, der eigenen Stadt des Papsts, die Karl seinen Truppen zum Beutelohn hinzugeben genötigt war. Diese »Streiter Gottes« stürzten sich vom Schlachtfeld auf die ihnen freundliche Stadt, nicht achtend der flehentlichen Bitten der ihnen in Prozession entgegenziehenden Geistlichkeit, und sie mordeten dort mit derselben fanatischen Wut ihrer Vorfahren im Albigenserkriege acht Tage lang die schuldlosen Einwohner ohne Unterschied. Sie verübten so ruchlose Greuel, daß Clemens IV. einen Schrei der Verzweiflung ausstieß und voll Empörung die Gestalt betrachtete, welche Karl, der Athlet und Makkabäus der Kirche, sofort anzunehmen begann.

Der Sieger war ohne menschliches Gefühl, ein kalter, schweigender Tyrann. Helena, die junge, schöne Gemahlin Manfreds, von der ersten Botschaft seines Falles, welche sie in Lucera erhielt, fast getötet, hatte ihre Kinder zur Flucht aufgerafft. Im Unglück von den Großen verlassen, war sie in Begleitung einiger hochherziger Menschen nach demselben Trani geflohen, wo sie einst als Königsbraut im Juni 1259 mit glanzvoller Feier war empfangen worden. Sie wollte sich hier nach Epirus einschiffen, aber das stürmende Meer verhinderte die Flucht. Bettelmönche, im Lande als Spione schleichend, kundschafteten sie im Schloß zu Trani aus, quälten die Seele des Kastellans mit Schreckbildern ewiger Höllenpein und zwangen ihn, diese Opfer (am 6. März) den Reitern Karls auszuliefern. Helena starb nach fünf Jahren im Gefängnis zu Nocera im Februar oder März 1271, noch nicht 29 Jahre alt; ihre Tochter Beatrix schmachtete im Castel dell' Uovo zu Neapel achtzehn Jahre lang; ihre und Manfreds kleine Söhne, Heinrich, Friedrich und Enzius, wuchsen auf und verdarben in dreiunddreißig Jahre langer Kerkerqual, elender als ihr Oheim zu Bologna. Weder die Anjou, noch die Aragonen, als diese sich in Besitz der Insel Sizilien gesetzt hatten, fühlten sich veranlaßt, die echten Erben Manfreds dem Gefängnis zu entreißen. Der Untergang seines schuldlosen Geschlechts empört jedes edle Gefühl, aber hinter der Szene von Trani steht (eine fast einzige Erscheinung in der Geschichte) eine andere, deren verhängnisvoller Reflex sie war. Es ist jene vom Schloß Caltabellota in Sizilien. Dort hatte sich eine Königin, verwitwet und unglücklich wie Helena und wie diese mit vier Kindern, vor einem Eroberer geflüchtet: Sibylla, Gemahlin des letzten Normannenkönigs Tancred. Sie und ihre Kinder wurden grausam in Ketten gelegt; der meineidige Feind, welcher das Normannenhaus Siziliens unter Greueln vertilgte, die nur von den Taten Karls von Anjou erreicht werden konnten, war der Kaiser Heinrich VI., Manfreds Großvater, und die Zeit, wo Sibylla gefangen, wo die edelsten Männer von Palermo barbarisch erwürgt wurden, war genau dieselbe Weihnachtszeit, da die Kaiserin Konstanze den Vater Manfreds gebar.

Karl von Anjou hielt seinen Einzug in Neapel prachtvoll gerüstet, reitend auf dem Schlachtroß von Benevent, mit ihm die strahlenden Ritter Frankreichs und die siegreichen Krieger seines Heers, umjauchzt und mit Blumen bestreut vom feilen Volk, voll Demut begrüßt von den feilen Baronen Apuliens und der jubelnden Geistlichkeit; die hochmütige Königin Beatrix in einer offenen, mit blauem Samt ausgeschlagenen Kutsche, auf dem Gipfel ihrer ehrgeizigen Wünsche sich wiegend. So zog die französische Tyrannei in Neapel ein, und so empfing ein der Freiheit unfähiges Volk die Fremdherrschaft des ihm vom Papst bestellten Zwingherrn.

Das jahrelange Ziel der Päpste war erreicht; auf dem Throne Siziliens saß ein neuer Fürst, ihr Werkzeug und Vasall; die Herrschaft der Deutschen in Italien, ihr jahrhundertealter Einfluß auf dieses Land und das Papsttum war ausgelöscht; das Romanentum hatte über das germanische Wesen gesiegt. Das Deutsche Reich bestand nicht mehr; sein hohenstaufisches Heldengeschlecht war vertilgt: Heinrich VI., Friedrich II., Konrad IV., Manfred, andere dieses Stammes lagen in den Gräbern desselben Landes zu Palermo, zu Messina, zu Cosenza, unter dem Steinmal von Benevent; Enzius in Ketten zu Bologna; die Kinder Manfreds in Ketten; nur Konradin, der letzte Hohenstaufe, noch lebend und frei, doch arm, verachtet und von Italien ausgeschlossen. Clemens IV. empfing die Kunde von dem Glücke Karls mit Entzücken; alle Glocken Perugias läuteten; Dankgebete stiegen zum Himmel auf, denn die Reiter und die Türme Pharaos waren nicht mehr. Wenn aber die Gabe des Propheten den Blick jenes Papsts entschleiert hätte, so würde er mit Bestürzung die Folgen seines Tuns in schreckenden Erscheinungen erkannt haben: ein Papst, sein Nachfolger, nach 37 Jahren in seinem erstürmten Palast vom Minister eines französischen Königs gemißhandelt; der Heilige Stuhl St. Peters in einer Landstadt der Provence aufgestellt und siebzig Jahre lang von Franzosen, Geschöpfen und Dienern ihrer Könige, besetzt, während das verlassene Rom in Ruinen fiel!


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