Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Sechstes Kapitel

1. Johann XXIII. und die Synode in Rom. Sigismund in Italien. Johann XXIII. sagt das Konzil an. Ladislaus erscheint vor Rom. Die Neapolitaner dringen in die Stadt. Flucht und Verfolgung Johanns. Ladislaus Herr von Rom 1413. Plünderung Roms. Ladislaus besetzt den Kirchenstaat. Johann XXIII. in Florenz. Konstanz als Ort des Konzils gewählt. Zusammenkunft des Papsts und Königs der Römer in Lodi. Das Konzil wird nach Konstanz ausgeschrieben. Johann XXIII. kehrt nach Bologna zurück.

Noch zu Pisa war die Fortsetzung des Konzils innerhalb dreier Jahre beschlossen worden; die grenzenlose Verderbnis der Kirche, deren dogmatische Einheit durch die immer mächtiger werdende Ketzerei Wiclifs bedroht wurde, forderte eine gründliche Reform, und diese konnte nur das Werk einer ökumenischen Kirchenversammlung sein. Johann XXIII. hatte die ersten Jahre seines Pontifikats nur mit seinen weltlichen Angelegenheiten hingebracht. Zwar hatte er im April 1412 ein Konzil nach Rom berufen, aber diese Synode war zu seiner eigenen Genugtuung so sparsam besucht, daß sie nicht als Kirchenversammlung gelten konnte. Es zeichnet nichts besser die Ansicht der Zeit über das frevelvolle Wesen dieses Mannes als die Erzählung von einem komischen Zufall, der sich bei jener Synode zutrug. Während Johann in der Kapelle des Vatikan die Vesper hielt und der Gesang Veni creator spiritus angestimmt wurde, erschien statt des heiligen Geistes eine struppige Nachteule, welche mit feurigen Augen den Papst ansah. Sie kam bei einer zweiten Sitzung wieder, und die bestürzten oder lachenden Kardinäle erschlugen sie mit Stöcken. Viele Geschichtschreiber haben diesen Vorfall bemerkt.

Johann wurde indes unablässig bestürmt, ein Konzil zu berufen. Gesandte der Pariser Universität forderten ihn selbst in Rom dazu auf. Unter den Königen, die ihn an seine Pflicht gemahnten, war niemand eifriger als Sigismund, welcher die seit langem unterbrochene Beziehung des Reichs zu Italien wiederherzustellen beschloß und hier schon am Ende des Jahres 1411 aufgetreten war, da er die Venezianer wegen Zaras mit Krieg überzog und anfangs unglücklich, dann siegreich eine gebietende Stellung in der Lombardei einnahm. Der von allen Seiten gedrängte Johann zeigte endlich der Christenheit am 3. März 1413 an, daß er Rom beruhigt, Gregor XII. aus Neapel entfernt und mit diesem Königreich Frieden geschlossen habe und verkündigte zugleich für den Dezember des kommenden Jahrs ein allgemeines Konzil an einen noch zu bestimmenden Ort. Sein Entschluß war heuchlerisch, aber eine seltsame Verkettung von Ereignissen, die zunächst von Neapel ausgingen, zwang ihn, dasjenige auszuführen, was er vermeiden wollte.

Ladislaus hatte Gregor abgeschworen und mit Johann Frieden gemacht, nur um ihn zu täuschen. Er brannte vor Verlangen, den Kriegszug Anjous zu bestrafen, wodurch ihn dieser Papst an den Rand des Verderbens gebracht hatte. Seine Gedanken waren unablässig auf das Königtum Italiens gerichtet, welches er zunächst durch die Vereinigung des Kirchenstaats mit Neapel zu erlangen hoffte. Aber die italienische Einheit konnte nicht, wie es einen Augenblick lang erschien, vom Süden her durch Neapel bewirkt werden, sondern Ladislaus, der unternehmendste Monarch dieses Königreichs, wurde nur ein wichtiges Werkzeug der Zeit in einer andern Richtung, da sein Angriff auf Rom und sein baldiger Tod das große Konzil beschleunigen halfen, durch welches das Schisma sein Ende fand.

Als Johann seine Absicht kundgegeben hatte, eine Kirchenversammlung außerhalb Rom zu berufen, nahm dies der König zum Vorwand des Bruchs seiner Verträge. Er erklärte, daß er während der Entfernung des Papsts Rom vor Unruhen schützen müsse. Verbannte Römer reizten ihn, sich der Stadt wieder zu bemächtigen. Zwar sein alter Verbündeter Johann Colonna war am 6. März 1413 gestorben, doch fand er noch Anhänger genug. Die Römer selbst haßten den Papst und verlangten ungeduldig nach einer Veränderung ihres Zustandes. Mit der schamlosesten Treulosigkeit brach Ladislaus seine kaum beschworenen Verpflichtungen. Im Mai ließ er ein Heer in die Marken einrücken, wo Sforza seinen Nebenbuhler Paul Orsini, den Kapitän der Kirche, in Rocca Contrada durch Belagerung verhinderte, nach Rom zu eilen. Schon am Ende desselben Monats segelte eine neapolitanische Flotte in die Tibermündung, und Ladislaus selbst brach nach Rom auf. Der Widerstand des Grafen Orsini von Tagliacozzo, welcher eine Nichte Johanns XXIII. zum Weibe hatte, wurde schnell überwältigt, und der König zog von Grottaferrata unaufgehalten gegen die Stadt. Hier frohlockten die einen und waren die andern bestürzt. Der Treubruch des Königs erschien dem Klerus so rätselhaft, daß man ein geheimes Einverständnis mit dem Papst argwöhnte. Und so tief waren die Päpste in der öffentlichen Meinung herabgesetzt, daß man sie für Verräter an ihrer eigenen Stadt hielt, welche ihre Vorgänger so oft und so hartnäckig wider Könige und Kaiser verteidigt hatten. Wenn ein frevelvoller Mensch wie Cossa wirklich zu diesem Mittel griff, um durch den Umsturz Roms und des Kirchenstaats ihm selbst förderliche Verwirrungen zu erregen, so konnte dies nach dem Vorgange Gregors XII. nicht mehr befremdend sein; aber dennoch würde sich Johann XXIII. in solchem Falle als den unverständigsten aller Menschen gezeigt haben. Die Tatsachen widersprechen nicht gerade einem anfänglichen Einverständnis mit Ladislaus, doch sie lehren, daß Johann sich von dem König auf das gröblichste täuschen ließ.

Als sich Ladislaus den Toren Roms näherte, ergriff der Papst Verteidigungsmaßregeln. Um das Volk zu beschwichtigen, hob er die drückende Weinsteuer auf und gab den Römern sogar ihre Freiheit zurück. Am 5. Juni legte er das Stadtregiment in die Hände der Konservatoren und Regionenkapitäne und ermahnte sie mit pomphaften Reden, sich vor dem Könige nicht zu fürchten, da er selbst bereit sei, mit ihnen in den Tod zu gehen. Unter dem Vorsitz des Senators Felcino de Hermannis, Grafen von Monte Giuliano, versammelte sich am folgenden Tage das Volk auf dem Kapitol. Dies Parlament schwor in gleicher Übertreibung, eher zu sterben, als sich Neapel zu unterwerfen. Wir wollen, so schrien diese Römer, erst unsere eigenen Kinder verzehren, ehe wir uns dem Drachen Ladislaus ergeben. Jeder verständige Mann wußte nun, was diese Komödie zu sagen habe. Das römische Volk, in welchem die letzte republikanische Bürgertugend erloschen war, stand dem Könige feil. Argwohn, daß Ladislaus mit dem Willen des Papsts gekommen sei, und Verrat lähmten auch solche, in denen noch patriotisches Ehrgefühl sich regen mochte.

Am 7. Juni begab sich der Papst mit seiner ganzen Kurie aus dem Vatikan in den Palast des Grafen Orsini von Manupello diesseits des Tiber, wo er nächtigte, um dem Volk zu zeigen, daß er in dasselbe Vertrauen setze. Schon standen die Neapolitaner vor den Toren. Man erwartete einen Sturm. Aber statt dessen erscholl am Morgen des 8. Juni der Ruf, daß der Feind bereits in Rom sei. Ladislaus hatte in der Nacht die Mauer bei S. Croce durchbrechen lassen, und sein Feldhauptmann Tartaglia war durch diese Öffnung eingedrungen. Er stand dort unschlüssig am Lateran bis zum Morgen. Als er nicht angegriffen ward, als die wenigen Milizen, welche ihm entgegenrückten, furchtsam wieder umkehrten, zog Tartaglia mit klingendem Spiele mitten in die Stadt. Nie war eine Eroberung schneller vollbracht worden. Johann XXIII. setzte sich sofort mit seinem Hof zu Pferd und floh aus Rom, während Ladislaus einzog und im Lateran Wohnung nahm. Seine Reiter verfolgten den flüchtigen Schwarm neun Meilen weit auf der Via Cassia; manche Prälaten starben vor Erschöpfung auf dem Wege; die eigenen Soldknechte des Papsts plünderten die Kurialen aus. Mit Mühe entrann dieser nach Sutri und von dort in derselben Nacht nach Viterbo, wie einst Innocenz VII.

Unterdes behandelte Ladislaus Rom mit dem Übermut des Eroberers. Seine Kriegsknechte plünderten und steckten Häuser in Brand; Archive wurden zerstört, Kirchen ausgeraubt; mit den Heiligtümern ward frecher Spott getrieben; trunkene Soldaten zechten mit ihren Dirnen aus goldenen Kirchenpokalen; der Kardinal von Bari wurde in den Kerker fortgeschleppt, die Sakristei des St. Peter ausgeleert; im heiligen Dom stellte man Pferde ein. Der König konfiszierte wider sein gegebenes Wort alle Güter der Florentiner Kaufleute, und viele Römer schickte er gefangen ins Königreich. Er ernannte eine neue Regierung unter Nicolaus de Diano, den er zum Senator machte. Er ließ eine Münze mit seinem Namen prägen und fügte zu seinen Titeln den seltsamen hinzu: »Erlauchter Erleuchter der Stadt«. Die darbenden Römer versorgte er mit Getreide, welches er verteilen ließ. Die Stadt war in so tiefe Armut gesunken, daß sie von einem Volk von Bettlern bewohnt zu sein schien; in Wahrheit konnte sie unter den Trümmern ihrer mittelalterlichen Geschichte dasselbe Mitleid erregen wie zur Zeit des Totila.

Alle Orte im Stadtgebiet huldigten wieder dem Könige, und Ostia ergab sich schon am 24. Juni. Auch im Patrimonium Petri setzte er seine Beamten ein, den Römer Cristoforo Capo di Ferro machte er daselbst zum Thesaurar. Er überließ seinen Kapitänen das Heer, ernannte Giulio Cesare von Capua zum Obersten im Vatikan, den Grafen von Troja zum Befehlshaber in Trastevere, Dominico Astalli, den Bischof von Fundi, zum Vikar und kehrte dann am 1. Juli über Ostia nach Neapel zurück, Die Engelsburg, welche sich noch allein für den Papst hielt, ergab sich erst am 23. Oktober. Man feierte Feste; man ging mit Fackeln durch die Straßen und rief: »Es lebe König Ladislaus«!

Johann XXIII. irrte jetzt als Flüchtling wie Gregor XII. umher. Die Eroberung Roms war der Schlag gewesen, welcher ihn entwurzelt hatte und wie ein dürres Blatt im Winde weitertrieb. Er wagte sich nicht nach Florenz, wo die Meinung geteilt war und man die Rache des Königs fürchtete; wie ein Verbannter mußte er bei S. Antonio in einer Vorstadt Wohnung suchen, bis ihn die Florentiner widerwillig aufnahmen. Er blieb dort bis zum Beginne des Winters, während die Neapolitaner alles Land bis gegen Siena hin eroberten. Er schrieb Klagebriefe an die Christenheit und forderte die Könige zur Hilfe auf. An Sigismund, der sich in der Lombardei befand, schickte er den Kardinal Chalant und bat auch ihn um Unterstützung. Die Boten des Königs der Römer kamen nach Florenz, sie forderten vom Papst das Konzil. Man verabredete eine Zusammenkunft in Lodi.

So trieb der König von Neapel Johann XXIII. geradezu in die Arme des Königs der Römer, und nach einer langen Unterbrechung stellte sich die Reichsgewalt dem Papsttum gegenüber her. In einer Zeit, wo das Reich selbst alle seine Rechte verloren hatte, sah sich Sigismund berufen, in Kraft eben dieser alten Kaiserrechte der Wiederhersteller der Kirche zu werden. Nach einem Umwege von 150 Jahren, die seit dem denkwürdigen Konzil in Lyon verflossen waren, lenkte die Geschichte des Papsttums wieder in ihre alten Bahnen zurück; und dieses selbst fand sich bald vor einem Konzil in einer deutschen Stadt, welches die Kehrseite zu jenem in Lyon werden sollte. Nachdem das Papsttum seinen Schwerpunkt nach Frankreich gelegt und dann durch das Schisma seine moralische und politische Kraft verloren hatte, sah es sich in jene Anfänge zurückversetzt, wo die deutschen Kaiser Synoden versammelten, unwürdige und hadernde Päpste zu richten.

Es kam dem arglistigen Cossa viel darauf an, daß ein Ort für das Konzil gewählt wurde, der ihn nicht in die Gewalt des Kaisers gab. Er hatte keinen andern Gedanken als diesen, die Tiara um jeden Preis festzuhalten, doch seine Künste waren aufgebraucht. Die Geschichte Johanns XXIII. ist eins der merkwürdigsten Beispiele von der Macht der Verhältnisse, welche den Willen des einzelnen durch Verschuldung umstricken, so daß er sich in selbstgesponnenen Netzen rettungslos verfängt. Seinen Legaten an Sigismund, den Kardinälen Antonius Chalant von S. Cecilia und Franciscus Zabarella von SS. Cosma und Damiano, welche der berühmte Grieche Manuel Chrysoloras begleitete, hatte er Vorschriften in Beziehung auf die Wahl einer italienischen Stadt gegeben, diese jedoch zurückgenommen und ihnen Vollmacht erteilt, sich mit dem Könige der Römer zu vereinbaren. Er rechnete darauf, daß sie in seinem Sinne handeln würden; aber als diese Bevollmächtigten in Lodi vor Sigismund erschienen, forderte der römische König das deutsche Konstanz als den geeignetsten Ort des Konzils, und sie gaben nach einigem Sträuben nach. Sie meldeten dies dem Papst. Er klagte über Verrat und unterwarf sich dem Willen Sigismunds.

Am 12. November ging er nach Bologna. Diese Stadt hatte sich infolge einer Revolution des Adels unter den Pepoli, Bentivogli und Isolani am 22. September 1413 der Kirche wieder unterworfen und nahm ihren ehemaligen Tyrannen jetzt mit Widerwillen auf. Johann hoffte dort festen Fuß zu fassen und sich aus den Schlingen des drohenden Konzils zu befreien; doch dies war eitle Hoffnung. Sigismund rief ihn zu sich; die Kardinäle forderten seine Abreise; er ernannte am 25. November Petrus Stefaneschi Annibaldi zu seinem Generalvikar in Rom, verließ an demselben Tage Bologna und ging dem Könige der Römer mit unsicherem Schritt entgegen. Beide trafen sich in Lodi. Der obwohl ehrenvolle, doch zurückhaltende Empfang weissagte Johann seine Zukunft. Vergebens suchte er den König für eine italienische Stadt zu gewinnen. Sigismund blieb fest, und der Papst mußte von Lodi aus am 10. Dezember der Christenheit kundtun, daß nach Übereinkommen mit dem Könige der Römer das Konzil am 1. November in Konstanz zusammentreten sollte. Das Konzil hatte Sigismund bereits am 30. Oktober durch kaiserlichen Brief angesagt und unter Gewähr der Sicherheit alle Fürsten, Herren, Prälaten, Doktoren und wem immer es zustand, dort Sitz zu haben, nach Konstanz eingeladen. Er forderte jetzt auch Benedikt XIII. und Gregor XII. auf, sich daselbst einzufinden; er schrieb auch den Königen von Aragon und von Frankreich, und zum erstenmal wurde nach langer Zeit die Stimme des Königs der Römer als des Haupts der Christenheit und des gesetzmäßigen Schirmvogts der Kirche vernommen.

Nach dem Weihnachtsfest gingen Sigismund und Johann nach Cremona, wo Gabrino Fondalo, der Tyrann dieser Stadt, es später bereut haben soll, daß er nicht diese seine Gäste von der Höhe des Cremoner Turms, auf welche er sie geführt, herabgestürzt hatte, denn so würde er in einem und demselben Augenblick die beiden Häupter der Christenheit vertilgt haben – eine teuflische Anwandlung, welche, wenn wahr, Licht genug auf die Verwilderung der Geister in jener Zeit wirft, wo jede ehemalige Weltgröße entwürdigt worden war. Nachdem sich Sigismund und Johann in Cremona getrennt hatten, ging dieser über Mantua und Ferrara nach Bologna zurück, wo er im Februar 1414 eintraf, das Regiment dieser Stadt mit gewohnter Kunst ergriff und nach Mitteln ausspähte, dem Verderben zu entrinnen, welches in Konstanz seiner wartete.


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