Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4. Sitten und Gebräuche im XIV. Jahrhundert. Deren Umwandlung aus Einfachheit zur Üppigkeit. Florenz und Rom. Die Kleidertracht. Die Mode der Frauen. Luxusverbote. Festsinn und öffentliche Aufzüge. Das fragliche Stiergefecht im Colosseum 1332. Die Spiele am Testaccio und auf dem Platz Navona. Beschickung der öffentlichen Spiele Roms durch die Vasallenstädte. Dramatische Vorstellungen. Ludi Paschales im Colosseum.

Das dürftige Bild vorn geistigen Leben der Römer vervollständigen wir durch einige Nachrichten über ihre Sitten und Gebräuche im XIV. Jahrhundert. Wenn man einigen Chronisten glauben will, so lebten die Italiener noch im XIII. Jahrhundert in der rohen Einfalt patriarchalischer Zustände. Das Lob Cacciaguidas im Munde Dantes von der Einfachheit der Florentiner und Ricobalds von der aller Italiener zur Zeit Friedrichs II. mag übertrieben sein, aber es ist gewiß, daß die reichere Entfaltung der italienischen Gesellschaft erst mit der Zeit begann, wo sich in den Republiken ein mächtiges Staatsleben und an den Tyrannenhöfen fürstlicher Glanz entfaltete. Das Eindringen französischer Sitte in Italien wird schon seit Karl I. von Anjou bemerkt. Villani leitete die auffallende Üppigkeit der Kleidung in Florenz um 1342 von dem Einfluß der Franzosen her, die mit dem Herzog von Athen in diese Stadt gekommen waren. Die Umwandlung von Sitten und Moden ist aus geschichtlich sichtbaren Ursachen allein nicht zu erklären. Es gibt in jeder Nation einen sehr konservativen Bestand von Gebräuchen, zumal wo sie mit dem kirchlichen Kultus zusammenhängen, während sich andere Formen wie über Nacht verändern. Man müßte die Mischung aller dahin gehörigen Elemente deutlich verfolgen können, um die gesellschaftliche Metamorphose zu bestimmen. Da dies unmöglich ist, so stellt sich in der Regel nur das Jahrhundert überhaupt als ein Zeitgepräge dar.

Um dieselbe Zeit, als die Sitten in Florenz sich verwandelten, ist dies auch in Rom geschehen. Ein römischer Chronist sagt, daß die Menschen ihre Kleidung zu wechseln begannen, welche auf katalanische Weise enger ward; daß man Hüte über der Kapuze, an dem Gürtelriemen eine Tasche nach Pilgerweise zu tragen begann und daß der volle Bart, sonst nur die Eigenschaft von Eremiten und Spaniern, Mode wurde. Die weite Tracht, welche für anständig galt und von Villani die Mode der Toga genannt wird, machte im XIV. Jahrhundert der enge anliegenden und aus grellen Farben zusammengesetzten Kleidung Platz, wie man sie auf alten florentinischen Gemälden sieht. Man nannte sie die Mode von Cyprus. Selbst Frauen trugen sie. Ihre Kleider, unten sehr breit, wurden vom Gürtel aufwärts enge und so weit ausgeschnitten, daß man den Busen fast entblößt sah. Von den bürgerlichen Trachten der Römer geben uns nur die Grabplatten Abbilder. Nun aber gibt es unter diesen aus dem XIV. und XV. Jahrhundert auch nicht eine, welche ein bärtiges Gesicht zeigt, und dies lehrt, daß die für unanständig geltende Sitte des Barttragens entweder selten oder doch keinem Totenbildnis erlaubt war. Auch keine einzige Grabfigur stellt sich in der engen Tracht dar, jede im weiten, meist von oben bis unten zugeknöpften Gewande, welches keineswegs ein Totenhemd, sondern die wirkliche Tracht des Lebens ist, da das Barett bei keiner männlichen Figur fehlt.

Die Frauen trugen überreichen Schmuck von Gold, Edelsteinen und Perlen, womit selbst die Kleider besetzt wurden. Die Stoffe waren Tuch, Linnen, Seide und Samt; die Farben grell und bestimmt. Vergebens erließen Magistrate Luxusverbote, denn die Sitte ist eine Macht, welche Gesetze niemals bewältigen. Schon im XIII. Jahrhundert verbot der Kardinal Latinus als Legat der Romagna die langen Schleppen bei Verlust der Absolution. »Dies war den Weibern bitterer als der Tod.« Er befahl ihnen, sittsam sich zu verhalten. Sie erhoben ein Geschrei; dann erschienen sie in den feinsten, golddurchwirkten Schleiern, verführerischer als zuvor. Die Signorie von Florenz verbot den Frauen, falsche dicke Zöpfe von weißer und gelber Seide über das Gesicht hängen zu lassen, und sie bestürmten (im Jahre 1326) die Herzogin von Kalabrien so lange, bis auf ihre Fürbitte jenes Verbot zurückgenommen wurde. Um die republikanische Mäßigkeit zu erhalten und der Verarmung zu steuern, erließen die Florentiner und andere Republiken Gesetze wider den Aufwand überhaupt. Die Römer werden ihnen gefolgt sein, indem sie ihre Moden und Luxusverbote zugleich aufnahmen. Die Kleidung der vornehmen Frauen Roms war übrigens so prächtig, daß sie von der Ungarnkönigin, der Mutter Ludwigs, bewundert wurde, als sie im Jahr 1343 nach Rom kam. Der römische Luxus konnte indes nicht mit dem anderer Städte wetteifern, weil der Reichtum fehlte. Die schwelgerischen Feste, welche Cola dem Volke gab, waren sicherlich ungewohnte Dinge. Nur übertrafen die Römer alle andern Italiener an Sinn für Pomp und Pracht. Rom war auch im Mittelalter die einzige Stadt, wo es überhaupt eine große Festanschauung gab, und diese wurde durch die Krönungen von Kaisern und Päpsten und den Kultus der Kirche lebendig erhalten.

Selbst der römische Magistrat glänzte in Aufzügen, die schon durch den Nimbus Roms feierlicher waren als ähnliche in andern Republiken. Ein römischer Aufzug zur Zeit Colas würde in unserm Zeitalter militärischer Einförmigkeit ein prachtvolles Schauspiel darbieten. Wir haben die ausführliche Schilderung eines Pomps der römischen Magistrate aus der avignonesischen Zeit. Häufige Prozessionen der Behörden zu Pferd in Prachtgewändern von Purpur, Samt und Gold gaben noch dem Stadtbürger eine erhebende Anschauung von der Gesamtordnung seiner Republik. Sie fanden statt, wenn man Legaten des Papsts, den Kaiser oder andere Fürsten und Senatoren empfing oder wenn die öffentlichen Spiele gefeiert wurden.

Die Spiele der Römer im Mittelalter geben freilich keinen hohen Begriff weder von ihrer Kultur, noch von ihrer Macht. Turniere waren damals die schönsten Feste ritterlicher Natur. In Rom würden sie nicht gediehen sein, auch wenn sie nicht die Kirche mehrmals verboten hätte; sie gediehen überhaupt nicht in dem bürgerlich zivilisierten Italien. Wir besitzen die seltsame Schilderung eines Stiergefechts, welches der römische Adel am 3. September 1332 im Colosseum gegeben haben soll. Es heißt darin, daß man die Sitzreihen des Amphitheaters mit Holzwerk wiederherstellte und wie in antiken Zeiten dem Range gemäß verteilte. Die Edelfrauen saßen auf rotbedeckten Balkonen, von drei Damen regionenweise geführt. Die ritterlichen Kämpfer trugen die Farben ihrer Damen und Mottos an den Helmen wie folgende: »Ich allein, wie Horatius; ich bin Aeneas für Lavinia; ich bin der Sklave der römischen Lucrezia.« Sie traten zu Fuß in die Arena, ungepanzert, mit Degen und Speer. Ein jeder griff seinen Stier an. Die schönen Frauen konnten den törichten Heldenmut ihrer Anbeter bewundern und achtzehn edle Jünglinge beweinen, die von Stierhörnern durchbohrt auf der Arena lagen. Man bestattete sie feierlich in S. Maria Maggiore und im Lateran. Indes dieser Bericht trägt alle Spuren der Unechtheit an sich und mag eine Erfindung der Renaissance des XV. Jahrhunderts sein, als unter den Nepoten Sixtus' IV. vom Haus Rovere Stierjagden und Turniere in Rom gehalten wurden. Wir bezweifeln, daß im Jahr 1332 die Sitzreihen des Colosseum noch herstellbar waren und daß die mit Schutt und Trümmern überfüllte Arena für einen solchen Kampf gebraucht werden konnte. Kampfspiele anderer Art wurden in Rom jährlich aufgeführt, wie in Italien überhaupt. Man gab in derselben Zeit vor den Augen des Hofs in Neapel blutige Gladiatorenkämpfe, welche Petrarca mit Abscheu sah und schilderte. Bemerkenswert war am Anfange des XIII. Säkulum das purpurne Kastell zu Treviso, worin schöne Frauen ihren Schmuck und sich selbst frohlockend gegen Jünglinge verteidigten und ihnen ergaben, welche diese Schätze mit Blumensträußen, Konfekt, Balsamfläschchen und heitrer Lebenslust eroberten. Reizender waren die Festbrigaten der Florentiner mit Saitenspiel, Tanz und Schmäusen, wovon Villani und die Novellisten so oft erzählen.

Es gab in Rom jährliche Volksspiele. Man feierte sie zur Karnevalszeit am Monte Testaccio und auf dem Platz Navona, bisweilen auch bei andern Gelegenheiten. Der römische Karneval war im Mittelalter weit von dem Charakter entfernt, der dies Maskenfest so berühmt gemacht hat. Auch die alten Römer würden diese entsetzlich rohen Festlichkeiten, wozu ihre Circusspiele herabgesunken waren, mit Befremden angesehen und den Senat angestaunt haben, der sich im Pomp nach dem »Scherbenberg« begab, um auf einer Wiese das Banner Roms feierlich aufzupflanzen und das Zeichen zur Eröffnung solcher Spiele zu geben. Eine Schar Wachen zog vorauf mit dem Henker, welcher den Block und das Richtbeil mit sich führte, Frevler abzuschrecken. Auf vier mit Scharlach bedeckten Karren, welche die Juden liefern mußten, band man Schweine fest; man ließ sie den Testaccio herabrollen, worauf das schreiende Volk um diese Beute kämpfte. Jede Region führte einen bekränzten Stier herbei. Auch diese Tiere wurden erjagt; die römischen Frauen beschimpften ihre Männer und Liebhaber, wenn sie von dem Spiel ohne ein Stück erbeuteten Fleisches zurückkehrten. Es gab dann Lanzenspiele und Ringkämpfe, und die in ganz Italien üblichen Wettrennen um den Siegespreis ( bravium) eines Stückes Tuch ( pallium) machten den Beschluß. Der Monte Testaccio gehörte seit uralter Zeit dem Priorat von S. Maria auf dem Aventin, welchem das römische Volk für die Benutzung jährlich einen Goldfloren zahlte. Die Ebene umher war Viehweide; der Festplatz reichte bis zu einem alten Turm am Aventin.

Auch die Spiele auf der Navona, dem alten Circus Agonalis, bestanden in Lanzenstechen und besonders in Maskenzügen, welche später, im XV. und XVI. Jahrhundert, mit größerer Pracht gefeiert wurden, da die Regionen der Stadt Triumphwagen aufführten, auf denen mythologische und historische Szenen des Altertums zur Darstellung kamen.

Für beide Feste stellten die Regionen eingeübte Spieler. Ihre vorschriftsmäßige Zahl betrug nach den Statuten vom Jahr 1580 72. Dazu kamen Spieler aus andern Städten. Denn diese Feste hatten für Rom auch eine politische Bedeutung wie im Altertum. Abgeordnete der Vasallenstädte des Kapitols mit ihren Bannern und Pallien stellten den Römern noch ein Schattenbild der altlateinischen Herrschaft und der Tributbarkeit von Untertanen und Bundesgenossen dar. Unterworfene Orte mußten sich vertragsmäßig verpflichten, die römischen Spiele zu beschicken. So sandte Toscanella seit 1300 jährlich acht Spieler, und denselben Tribut forderte das Kapitol von Velletri, Tivoli, Corneto, Terracina und andern Gemeinden des römischen Gebiets. Sie sträubten sich gegen dies kostspielige Symbol der Untertänigkeit, und die Päpste verboten mehrmals den Senatoren, die Beschickung der Spiele Roms mit den Wagen zu erzwingen. Die Kosten des Fests waren beträchtlich; außer von den untertänigen Orten wurden sie regionenweise bestritten, und jährlich zahlten die Juden in Rom als Festtribut 1130 Goldgulden; die 30 ausdrücklich als strafende Erinnerung an den Judaslohn.

Bisweilen gab man bei diesen Spielen auch dramatische Vorstellungen geistlichen Charakters, sogenannte Repräsentationen. Ein römischer Chronist erzählt, daß am 18. Februar 1414 am Testaccio die Kreuzigung St. Peters und die Enthauptung St. Pauls von den Spielern ( Jocatores) der Region Monti vorgestellt wurde. Hier ist kaum an wirkliche Schauspieler zu denken, sondern es waren Bürger, welche sich auf solche Szenen einübten. Die römischen Ludi Paschales gingen von den Brüderschaften aus, namentlich von der Konfraternität del Gonfalone. Man nimmt an, daß schon 1250 dergleichen Passionsspiele im Colosseum gegeben wurden. Wenigstens geschah dies, seitdem jenes Amphitheater an die Brüderschaft gekommen war. Sie besaß dort eine der Maria della Pietà geweihte Kapelle, welche man in das antike Podium hineingebaut hatte. Ihr aus ehemaligen Sitzreihen bestehendes Dach diente zur Bühne, wo man lange Zeit an jedem Osterfeiertag die Passion darstellte. Der Zudrang dazu war so groß, daß dies Colosseum sich mit Menschenmassen anfüllte wie in antiker Zeit. In den Tagen, als Commodus oder Trajan dem üppigen Volk der Römer dort ihre glänzenden Feste gaben, stellte sich freilich niemand vor, daß einst eine Zeit kommen würde, wo Tausende den zertrümmerten Prachtbau erfüllten, um mit frommer Andacht die Kreuzigung des jüdischen Heilands darstellen zu sehen, deren Theater ein paar Sitzreihen bildeten.


 << zurück weiter >>