Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2. Belisar irrt in Süditalien umher und kehrt nach Konstantinopel zurück. Totila rückt zum drittenmal vor Rom 549. Zustände in der Stadt. Einzug der Goten. Die Griechen im Grabmal Hadrians. Rom wird wieder bevölkert. Die letzten Circusspiele, Totila verläßt die Stadt. Die Goten zur See. Narses übernimmt den Krieg. Ein römisches Omen. Gleichzeitige Bemerkungen über einige Monumente. Das Forum des Friedens. Myrons Kuh. Die Bildsäule Domitians. Das Schiff des Aeneas. Narses rückt an den Fuß des Apennin. Fall des Totila bei Taginas 552.

Als Belisar den Tiberhafen verlassen hatte, nahm er seinen Lauf gegen das alte Tarent; ein Seesturm warf ihn nach Kroton, wo er in der mauerlosen Stadt mit seinem Fußvolke blieb, während seine Reiterei an den berühmten Gestaden jenes Golfes hinzog, deren griechische Kolonien schon in Verödung zu versinken begonnen hatten. An dem alten Ankerplatz der Thurier, Ruscia (heute Rossano), überfiel und vernichtete sie jedoch Totila, und er zwang dadurch Belisar selbst, sich wieder aufs Meer zu begeben und nach Messina zu entweichen. Es war nach dem Berichte des Procopius das Ende des dreizehnten Jahres des gotischen Kriegs oder um den Frühling 548.

Das ganze folgende Jahr wurde durch Kämpfe in Unteritalien ausgefüllt, welche stets zum Nachteil der Griechen endeten. Der unglückliche Belisar sah ihnen mit tatenlosem Schmerze zu; die Truppensendungen von Byzanz waren spärlich und fruchtlos, und zuletzt war er froh, von Justinian die Zurückberufung nach dem Orient zu erhalten. Sein triumphloses Erscheinen in Konstantinopel, nachdem er fünf unselige Jahre in Italien zugebracht und dies Land in der Gewalt des siegreichen Feindes zurückgelassen hatte, war der tiefste Kummer seines Lebens. Der große Feldherr starb nach ruhmvollen Taten, die ihn antiken Helden vergleichbar machen, in Ungnade und in solchem Dunkel, daß die Sage ihn zum Bilde des Unbestandes alles menschlichen Glückes gemacht hat. Seine Entfernung erleichterte die Pläne Totilas; dieser unermüdliche Krieger, in Wahrheit ein zweiter Hannibal, hatte viele Städte Kalabriens bezwungen und brach nun, nach dem Falle des fortwährend von den Goten belagerten Perugia, zum drittenmal gegen Rom auf, in einem der ersten Monate des Jahres 549.

Die Stadt wurde nicht mehr von Konon befehligt; erbittert über seine Habsucht, hatte die meuterische Besatzung diesen General umgebracht und Justinian ihren Abgesandten, römischen Priestern, Verzeihung dieses Frevels gewähren müssen, weil sie sonst Rom den Goten würden überliefert haben. Es lag jetzt Diogenes in der Stadt mit 3000 Mann, ein tapferer und erfahrener Befehlshaber, der eine glückliche Verteidigung hoffen ließ. Er hatte die Speicher versorgt und sogar die weiten, öden Strecken innerhalb der Mauern mit Korn besäen lassen; ein schwermütiger Anblick für die Römer, die um die Trümmer ihrer Größe, vielleicht im Circus selbst, Getreide wie im freien Felde sprießen sahen. Schon stand Totila vor Rom, und schon machten die Goten aus ihrem Lager (es war wahrscheinlich das alte unterhalb St. Paul am Fluß) häufige Stürme gegen die Mauern; aber sie wurden mit Kraft zurückgewiesen, und selbst die Einnahme des wichtigen Portus hätte die Eroberung nicht geradezu beschleunigt, wenn nicht auch diesmal der Verrat Totila die Tore öffnete. Es lagen Isaurier im Tor St. Paul; über die langen Soldrückstände aufgebracht und von den Belohnungen ihrer Landsleute, die ehedem den Gotenkönig eingelassen hatten, zur Nachahmung gelockt, boten sie Totila ihre verräterischen Dienste an. In einer Nacht stellte er sein Heer in der Nähe jenes Tores auf; er ließ Musiker auf zwei Kähnen den Tiber hinaufrudern und befahl ihnen, an einer entfernten Stelle mit Macht in die Trompeten zu stoßen. Während nun die Truppen in Rom, von dem plötzlichen Kriegslärm aufgeschreckt, an die scheinbar bedrohte Stelle eilten, öffnete sich das Tor St. Paul, und die Goten stürzten in die Stadt. Was ihnen entgegenkam, wurde niedergehauen; die Griechen entflohen auf der Aurelischen Straße nach Centumcellae, aber sie fielen auch dort in den bereitgelegten Hinterhalt, so daß der verwundete General Diogenes nur mit wenigen entrinnen konnte.

Rom war zum zweitenmal in der Gewalt Totilas, bis auf das Grabmal Hadrians. In dieses Kastell hatte sich ein tapferer Hauptmann, der Kilikier Paulus, mit vierhundert Reitern hineingeworfen. Am Morgen von den Goten angegriffen, schlug er sie mit großem Verlust zurück. Sie beschlossen, ihn auszuhungern; zwei Tage lang dauerten diese Tapfern aus, verschmähend, ihre Pferde zu verzehren, dann beschlossen sie, als Helden zu sterben. Sie umarmten einander zum letzten Lebewohl, sie nahmen die Waffen, um hinauszustürzen und ihr Leben teuer zu verkaufen. Aber Totila, der von ihrem Vorhaben hörte, fürchtete oder ehrte den verzweifelten Todesmut dieser Männer und bot ihnen freien kriegerischen Abzug. Die dankbaren Reiter zogen es vor, mit den Waffen in der Hand unter der Fahne eines freigebigen Siegers weiterzudienen, als sich ohne sie der Armut und dem Spotte in Byzanz auszusetzen; sie ließen sich, mit Ausnahme ihrer beiden Anführer, unter die Goten reihen.

Totila, jetzt im Besitze Roms, dachte nicht mehr daran, weder die Stadt aufzubauen, noch viel weniger, sie zu zerstören. Es ist bei dieser Gelegenheit, daß Procopius erzählt, er sei durch jene höhnischen Vorwürfe des Frankenkönigs zu solcher Sinnesänderung bestimmt worden. Er fand Rom als eine Wüste von wenigem, elendem Volk bewohnt und arm wie die dürftigste Provinzialstadt. Um sie wieder zu bevölkern, rief er sowohl Goten als Römer und selbst Senatoren aus Kampanien, sorgte für Zufuhren und gab Befehl, alles, was nach seiner ersten Eroberung zerstört worden war, wiederherzustellen. Dann lud er das Volk in den Circus Maximus; die letzten Wettfahrten, welche die Römer sahen, gab ihnen zum Abschied ein Gotenkönig. Als die ärmlichen Reihen der Bürger und die wenigen Senatoren sich auf den altersgrauen Stufen des Circus niedergelassen hatten, werden sie vor dieser Versammlung von Schatten, vielleicht auch vor dem Spiele selbst wie vor einem höhnenden Gespenste sich entsetzt haben.

Der Krieg litt Totilas Anwesenheit in Rom nicht lange. Vergebens hatte er gehofft, der Fall der Hauptstadt und so viele Siege in allen Provinzen würden auf Justinian Eindruck machen; sein römischen Gesandter, welcher seinen aufrichtigen Wunsch nach einer friedlichen Ordnung Italiens vor den Thron des Kaisers bringen sollte, war in Byzanz nicht einmal vorgelassen worden; vielmehr hatten die dringenden Bitten des Papstes Vigilius, der sich seit dem Januar 547 dort befand, vereint mit den Mahnungen des Patriziers Cethegus (und beide, der Bischof und das Haupt des Senats, waren die Repräsentanten des national gesinnten Roms), den Kaiser bestimmt, eine größere Anstrengung zur Wiedereroberung Italiens zu machen.

Totila, unermüdet und in genialen Plänen unerschöpflich, verließ Rom noch im Jahre 549, zu derselben Zeit, als er das nahe Centumcellae mit einem Teil seiner Truppen belagert hielt. Mit vierhundert Schiffen, die er erbeutet oder sonst zusammengebracht hatte, trat er plötzlich als Beherrscher der See auf, fuhr von den Küsten Latiums wieder nach dem unteren Meer, das verhaßte Sizilien zu bestrafen und die in jenen Gewässern anlangenden Feinde zu vernichten. So trat dieser bewundernswürdige Mann in einer neuen, furchtbaren Gestalt auf. Aber es ist uns die Entsagung auferlegt, den glänzenden Taten Totilas nicht folgen zu dürfen, und weder die Eroberung Siziliens noch Korsikas oder Sardiniens, noch die kühnen Fahrten der Goten, welche mit einemmal Seemänner und Vorläufer der Normannen geworden waren, nach Griechenland selbst können uns zu weit von der Stadt Rom entfernen.

Im siebzehnten Jahre des Kriegs, gegen das Ende 551 oder am Anfang 552, erschien Narses auf dem Schauplatze und gab den Dingen eine plötzliche Wendung. Der Kampf eines Helden mit einem Eunuchen ist ein seltsames Schauspiel; aber das Glück, Totilas plötzlich überdrüssig, ließ diesen sinken und jenen steigen, und die hohen Tugenden des Bezwingers waren des Sieges nicht unwert.

Ein römisches Omen hatte ihn längst verkündigt. Ein Senator erzählte dem Geschichtschreiber darüber folgendes: als noch Athalarich König war, sei eines Tags eine Herde Ochsen über das Forum des Friedens getrieben worden; einer dieser verschnittenen Stiere habe plötzlich die eherne Figur eines Rindes bestiegen, welche dort an einer Fontäne aufgestellt war; darauf habe ein etrurischer Bauer, der zufällig vorüberkam, geweissagt, daß einst ein Eunuch den Gebieter Roms überwältigen werde. Wir hätten dieses Zeichens kaum erwähnt, wenn nicht die zufälligen Bemerkungen des Geschichtschreibers über die damals noch vorhandenen Kunstwerke Roms uns eingeladen hätten, dabei zu verweilen.

Procopius sah noch das Forum des Friedens und den vom Blitz getroffenen, nicht mehr hergestellten Tempel, dessen Spur seitdem so völlig verschwunden ist; er sah noch die Fontäne und das eherne Rind, welches er für ein Werk des Phidias oder des Lysippus hielt, und bemerkte, daß zu seiner Zeit noch viele Statuen, Werke beider Künstler, in Rom vorhanden gewesen seien. Ohne sie zu nennen, führt er eine andere Bildsäule von Phidias' Hand an, welche die Aufschrift seines Namens trage. »Dort«, so sagt er, »steht auch Myrons Kuh.« Vielleicht war dieses berühmte Kunstwerk von Augustus nach Rom gebracht, vielleicht verwechselte der Byzantiner die Kuh des Myron, welche Cicero einst in Athen gesehen hatte, mit andern ehernen Figuren von Rindern, deren es manche in Rom gab. Die Römer liebten Bilder von Tieren, und das köstlichste Werk in Rom war der bronzene Hund, der seine Wunde leckte, im Kapitolischen Tempel aufgestellt. Das Forum Boarium trug von dem Bilde eines Ochsen den Namen, und mit vier Stieren von Myrons Hand hatte Augustus einst den Vorhof des Tempels des Apollo Palatinus geschmückt. Bilder von Tieren standen auf dem römischen Forum und dessen Grenzen, so der Elephantus Herbarius auf der Seite des Kapitols gegen den Tiber hin, und die bronzenen Elefanten an der Via Sacra, welche Procopius ebenfalls noch sah, weil sie Theodahad kurz vorher hatte wiederherstellen lassen. Er erwähnt auch einmal eine eherne Bildsäule des Domitian, die er am Clivus Capitolinus, wenn man rechts aus dem Forum ging, stehen sah. Indem er bemerkt, daß sie die einzige Statue Domitians sei, ist es klar, daß unter ihr die berühmte Reiterfigur jenes Kaisers, welche Statius im ersten Gedicht seiner »Wälder« so genau beschrieben hat, nicht verstanden werden kann. Dieses große, ausgezeichnete Kunstwerk stand nach ihm auf dem Forum selbst und war demnach zu Procopius' Zeit nicht mehr vorhanden. Jene eherne Bildsäule wird ein Standbild gewesen sein, welches vor dem von Domitian gebauten Senatus aufgerichtet war.

Hätte der Geschichtschreiber des gotischen Kriegs einige seltene Kunstwerke in Rom beschrieben, so würde er der Nachwelt einen Dienst geleistet haben. Die damaligen Römer bezeichneten gewiß viele Statuen grundlos mit dem Namen der berühmtesten griechischen Meister, und vielleicht trugen die Basen der beiden Kolosse vor den Thermen Constantins schon die Namen Phidias und Praxiteles. Procopius beschrieb jedoch ein angeblich altes Werk mit Ausführlichkeit, die Liebe der Römer zu ihren Monumenten bewundernd, welche sie trotz so langer Herrschaft der Barbaren sorgsam erhalten hatten. Es war das fabelhafte Schiff des Aeneas, welches noch im Arsenal am Tiberufer bewahrt wurde. Er beschreibt es als einen 120 Fuß langen und 25 Fuß breiten Einruderer, dessen Planken künstlich ohne Klammern verbunden seien und dessen Kiel aus einem ungeheuren, sanft gebogenen Baumstamm bestehe. Der leichtgläubige Grieche bestaunte dieses »jeden Begriff übersteigende« Werk und versicherte zugleich, das Schiff sehe ganz neu aus und verrate nirgends eine Spur von Fäulnis.

Wir kehren nach diesem flüchtigen Blick der Teilnahme auf die Kunstwerke des schon tief gesunkenen Rom zu Totila und Narses zurück. Der neue Feldherr, mit ausgedehnter Vollmacht über den kaiserlichen Schatz versehen, freigebig, gewandt und beredsam, sammelte in Dalmatien ein großes Heer, dessen Gemisch das bunte Schauspiel eines Kreuzzuges darbot. Hunnen, Langobarden und Heruler, Griechen, Gepiden und selbst Perser, an Gestalt, Sprache, Waffen und Sitten voneinander verschieden, aber alle von gleicher Gier nach den Schätzen Italiens erfüllt, musterte Narses in Salona. Er führte hierauf diese Truppen geschickt längs den sumpfigen Gestaden des Adriatischen Meers nach Ravenna, und Totila wurde durch die unerwartete Nachricht aufgeschreckt, daß der Feind bereits gegen die Apenninen vorrücke.

Der Gotenkönig befand sich in Rom. Bald nachdem er Sizilien verlassen hatte, war er nach der Stadt zurückgegangen, um dort die Herüberkunft des Narses zu erwarten. Er rief wieder einige Senatoren herbei und übertrug ihnen die Sorge um die Wiederherstellung der Stadt, die übrigen ließ er in Kampanien bewachen. Den nach Rom Geholten fehlten jedoch alle Mittel, den öffentlichen Angelegenheiten dienstbar zu sein, während sie selbst von den argwöhnischen Goten wie Kriegssklaven behandelt wurden. Es scheint, daß Totila längere Zeit in der Stadt verweilte, von wo er auch zuvor die Unternehmung nach den griechischen Küsten betrieben haben mochte; wenigstens war er in Rom, als Narses von Ravenna heranzog, und er erwartete dort diejenigen Goten, welche bisher unter Teja bei Verona gestanden hatten, um den Feinden den Poübergang zu verschließen. Nachdem sie, mit Ausnahme von 2000 Reitern, angelangt waren, brach er auf, durchzog Tuszien und lagerte am Apennin, an einem Ort, welcher Taginas genannt wurde. Bald nachher kam Narses dort an und schlug ihm gegenüber, nur hundert Stadien entfernt, sein Lager auf, an den Gräbern der Gallier ( Busta Gallorum), wo einst Camillus, einer Sage nach, dieses Volk besiegt haben sollte. Es ist das Gefilde bei Gualdo Tadino.

Hier war es, wo die Heldengestalt des Totila zum letztenmal gesehen wurde. Procopius zeigt ihn uns vor dem Beginne des Kampfes zwischen beiden Heeren, und wir glauben das Bild eines Ritters des Mittelalters vor uns zu haben. Mit einer von Gold strahlenden Rüstung bekleidet, Helm und Lanze mit fliegenden Roßschweifen von königlichem Purpur geschmückt, saß er hoch auf herrlichem Streitroß und gab beiden Schlachtordnungen den Morgen über ein Schauspiel seiner ritterlichen Kunst. Er tummelte sein Pferd, Kreise um Kreise schlingend, auf dem Gefild, während er selbst sich bald überbog, bald hie und da mit jugendlicher Gewandtheit sich wendete oder den Speer in die Luft schleuderte, um ihn im gestreckten Ritte wieder aufzufangen. Die Nacht darauf war er tot. Seine Schlachtordnung wurde zerbrochen und in Flucht aufgelöst; er selber, durch einen Pfeil verwundet, floh; ein Gepide durchstieß ihn von rückwärts mit der Lanze: seine Gefährten geleiteten ihn mit Not bis zu dem Orte Capras, wo er starb und eilig auf der Flucht in die Erde verscharrt wurde. Es war im Sommer 552.

Der griechische Geschichtschreiber hat sich selbst durch seine Klage über das unwürdige Schicksal eines so ruhmvollen Feindes geehrt, und andere haben ihn voll Bewunderung unter die Heroen des Altertums versetzt. Wenn die Größe des Helden nach der Menge der Hindernisse, die er überwinden, oder nach der Widerwärtigkeit des Schicksals, welches er zu bekämpfen hat, gemessen wird, so ist Totila der Unsterblichkeit noch werter als Theoderich. Denn er stellte in seiner Jugend dessen zertrümmertes Reich mit Tatkraft und Genie nicht allein unter beispiellosen Kämpfen wieder her, sondern er behauptete es auch elf Jahre lang gegen Belisar und die Heere Justinians. Wird endlich der Wert eines Mannes nach den Tugenden bestimmt, die der Seele Adel verleihen, so gibt es unter den Heroen des Altertums wie der nachfolgenden Zeiten wenige, die diesem Goten an Großmut, Gerechtigkeit und Mäßigkeit gleich gewesen sind.


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