Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Drittes Kapitel

1. Einzug des Kaisers Honorius in Rom am Ende des Jahres 403. Seine Residenz im Cäsarenpalast. Die letzten Gladiatorenkämpfe im Amphitheater. Abreise des Honorius nach Ravenna. Einfall und Vernichtung der Barbaren des Radagaisus. Sturz Stilichos.

Der Leser kennt die Verfassung, in welcher sich das Römische Reich im Beginne des V. Jahrhunderts befunden hat. Seit der Teilung in eine westliche und östliche Hälfte und nachdem der unaufhaltsame Andrang der wandernden Barbarenvölker die Grenzen und die schwachen Legionen, welche sie verteidigten, durchbrochen hatte, fiel dieses große Reich mehr und mehr zusammen. Die Stadt Rom selbst war nicht mehr der Sitz der Kaiser des Abendlandes, welche ihre Residenz seit lange in Mailand aufgeschlagen hatten. Die Römer, vor den Invasionen der Sarmaten und Germanen zitternd und durch die Abwesenheit des cäsarischen Hofs um die reichsten Quellen ihres Wohlstandes gebracht, bestürmten ihre ohnmächtigen Kaiser mit Bitten um die Rückkehr in die verödete Stadt; so bestürmten ihre Enkel fast ein Jahrtausend später die Päpste, Avignon zu verlassen und ihren Sitz wieder in dem zerfallenden Rom einzunehmen.

Der junge Kaiser Honorius gab dem allgemeinen Rufe nach; er kam am Ende des Jahres 403 nach Rom, nachdem Oberitalien von den Goten befreit war, welche der furchtbare Alarich im Winter 400 aus Illyrien zum erstenmal in jenes Land geführt hatte. Denn Stilicho, der Minister, General und Schwiegervater des Honorius, hatte durch die mörderischen Schlachten bei Pollentia und Verona im Jahr 402 auch Rom von der Furcht vor einer gotischen Eroberung erlöst, und der Kaiser konnte von Ravenna herabkommen, seine Dezennalien, seinen sechsten Konsulat und die Triumphe zu feiern, welche er seinem großen Feldherrn verdankte. Stilicho war von Abkunft Vandale, am Hofe des Theodosius zur Macht gelangt und mit dieses Kaisers Nichte Serena vermählt: die erste Deutsche, welcher durch Kraft und Genie eine gebietende Stellung in Rom gewann.

Seit dem Triumphzuge Diokletians und Maximians im Jahre 303 hatte die Stadt keine Feste der Art mehr gesehen. Damals hatte sie noch im Gefühl ihrer Weltherrschaft Siege über ferne Völker in Persien, Afrika, Britannien und Deutschland gefeiert; jetzt beging sie das weniger stolze, aber glücklichere Fest der Erlösung von unmittelbarer Feindesnot. Es war überhaupt das letzte Schauspiel eines kaiserlichen Triumphs, welches Rom sehen sollte. Der Poet Claudian hat eine anziehende Schilderung von der Reise des Kaisers, von seinem Einzuge und den Huldigungen gemacht, mit denen man ihn empfing. Die geängstigte Roma schien sich wie eine Braut aufgeschmückt zu haben, welche dem lang erwarteten Freier entgegeneilt, aber die Braut war alt, und der Gemahl war ein Schwächling.

Honorius kam über die Milvische Brücke herein, auf seinem Siegeswagen Stilicho neben sich, und er bewegte sich durch die ihm erbauten Triumphpforten langsam fort unter dem Jubelruf des Volks, welches alle Straßen bis zum Kapitol und Palatin und selbst die Dächer der Häuser bedeckte, bald dem jungen Augustus, bald dem großen Helden zurief und mit kindischer Verwunderung das ungewohnte Aussehen der meist barbarischen Kriegerscharen, ihre fliegenden Drachenfahnen, ihre stählernen Harnische, ihre bunten, mit Pfauenschweifen geschmückten Helme betrachtete. Alle Körperschaften der Stadt hatten sich zu seinem Empfange aufgereiht, aber der herablassende Fürst gab nicht zu, daß der Senat seinem Wagen, wie herkömmlich, knechtisch zu Fuß vorausging. Man wird sich leicht vorstellen, mit welcher Trauer solche Senatoren, die noch Heiden waren, der Vergangenheit gedachten, als die Kaiser noch auf der Triumphalstraße nach dem Kapitol des Jupiter zogen, oder mit welchem Ingrimm sie die Christenpriester verwünschten, die, den Bischof Innocentius I. an der Spitze, mit Fahnen und Kreuzen Honorius entgegenkamen.

Der römische Bischof war schon damals ein durch seine Stellung angesehener Mann, doch nur ein Priester, vom Kaiser eingesetzt, sein demütiger Untertan. Noch war der Unterschied von Kirche und Reich, von geistlicher und weltlicher Gewalt unbekannt. Ein großer Teil des römischen Volkes war noch immer heidnisch; selbst in der Nähe des Kaisers, unter den höchstgestellten Beamten des Hofs mischten sich Altgläubige und Neugläubige, Heiden und Christen. Es gab außerdem Arianer in Rom. Die Germanen im kaiserlichen Dienst waren fast ohne Ausnahme dieses Glaubens.

Man würde irren, wenn man sich vorstellte, daß diese Weltstadt, weil sie vom kaiserlichen Hof verlassen und von der christlichen Religion durchdrungen war, überall den Anblick der Verkommenheit darbot. Wenn auch ihre Tempel verödet waren, so waren es doch ihre Theater und Rennbahnen noch nicht, und am wenigsten ihre unermeßlichen Prachtpaläste, welche ein in fürstlichem Luxus schwelgender Adel bewohnte.

Honorius nahm seine Wohnung im Palast der Cäsaren, und die bunten Schwärme des kaiserlichen Hofstaats erfüllten wieder die öden Marmorsäle des Palatin. Denn seit vollen hundert Jahren war das Palatium verlassen gewesen; in dieser langen Zeit hatte es nur zweimal als Absteigequartier für die Kaiser gedient, als sie aus ihren fernen Residenzen zum Besuche nach Rom kamen. Von Constantin einiger seiner schönsten Zierden beraubt, glich dieser unermeßliche Palast schon einem Herrschersitz, dessen Pracht zu veralten beginnt, weil seine Bewohner verarmten oder ausstarben. »Aber jetzt (es sind die Schmeicheleien des noch heidnischen Hofpoeten Claudian) erhielt der väterliche Cäsarenpalast sein angebornes Ansehen wieder; froh, daß ihn der Gott wieder bewohne, gab der Palatinische Berg flehenden Völkern mächtigere Orakel, als sie Delphi gegeben hatte, und um die Standbilder ließ er frische Lorbeeren grünen.«

Honorius blieb ein Jahr lang in Rom, und hier gab er dem Volk Spiele im Circus Maximus, Wagenrennen und Tierjagden und pyrrhische Waffentänze. Aber die Römer wurden in ihrer Erwartung von Säkularspielen in alter Form getäuscht; sie murrten, daß auch die Kämpfe der Gladiatoren unterdrückt wurden, was zu tun der christliche Dichter Prudentius den Kaiser kurz vor seinem Triumphe dringend aufgefordert hatte. Diese grausamen Blutschauspiele hatte schon Constantin durch sein Edikt vom Jahre 325 verdammt, aber nur zu beschränken vermocht, denn unter seinen Nachfolgern wurden sie immer wieder gegeben. Nach dem Zeugnis eines alten Kirchenschriftstellers gelang es jetzt der Aufopferung eines kühnen Mönchs, diesen Greueln ein Ende zu machen. Telemachus warf sich eines Tags mitten in die Arena des Amphitheaters unter die erhitzten und staunenden Gladiatoren und suchte sie, von einem edeln Fanatismus fortgerissen, an ihrem mörderischen Kampfe zu hindern; die erbitterten Zuschauer steinigten den frommen Eiferer. Honorius aber befahl, den Toten unter die Märtyrer aufzunehmen, und er verbot die Gladiatorenkämpfe für immer. Die Legende ist schön und verdient wahr zu sein, denn von allen antiken Spielen, welchen das Christentum ein Ende gemacht hat, gab es keins, dessen Unterdrückung der Menschheit mehr zur Ehre gereichen konnte. Indes wir haben keine bestimmten Nachrichten über die Zeit des völligen Aufhörens dieser heidnischen Lustbarkeit. Man weiß seither nichts mehr von Gladiatorengefechten im Amphitheater des Titus. Nur die Ringerspiele und die Kämpfe mit wilden Tieren dauerten noch mehr als hundert Jahre fort.

Honorius selbst fühlte sich in Rom, dessen steinerne Pracht ihn langweilen und bedrücken mochte, nicht heimisch. Wahrscheinlich vertrieb ihn schon am Ende des Jahres 404 die Nachricht vom Andrange neuer Barbarenschwärme. Er eilte in das feste, von Sümpfen umgebene Ravenna zurück. Hier nahm er fortan seine Residenz und blieb daselbst in Sicherheit, während eine Völkerwanderung von 200 000 Kelten und Germanen unter der Führung des Radagaisus die Alpen herabdrang und Oberitalien verheerte. Stilicho überfiel diese Horden bei Florenz, bis wohin sie unter schrecklichen Verwüstungen gelangt waren. Er vernichtete sie in kurzer Zeit und befreite Rom noch einmal von dem nahenden Verderben.

Die dankbaren Römer errichteten dem Helden eine Statue von Erz und Silber in den Rostra und den Kaisern Arcadius, Honorius und Theodosius einen Triumphbogen. Dies war die letzte Ehre, welche dem großen Stilicho widerfuhr; denn schon im August 408 fiel er als Opfer der Ränke des Palasts und seiner eigenen Unterhandlungen mit dem Westgotenkönig Alarich, über deren Charakter uns jedoch die Geschichte nur zweifelhafte Berichte gab. Alarich, ein kühner gotischer Häuptling aus angesehenem Stamm, hatte in seiner Jugend römische Sitte und Waffenkunst erlernt und sich durch seine Taten als Krieger den Ehrentitel »Balte« erworben, welcher seinem Geschlecht verblieb, dem ruhmvollsten unter dem Gotenvolk neben dem der Amaler. In der letzten Zeit des Kaisers Theodosius von seinem unruhigen Volk zum Könige ausgerufen, hatte er die Provinzen unterhalb der Donau überfallen und verheert, sich den Weg in den Peloponnes erzwungen und das unglückliche Griechenland in eine Wüste verwandelt. Manche Städte und ehrwürdige Tempel der Hellenen sanken in Schutt; doch Athen retteten die Schatten der Pallas und des Achill, wie eine schöne Legende erzählt hat. Von Stilicho in den Engpässen Arkadiens dem Untergange nahegebracht, vermochte sich Alarich aus seiner verzweifelten Lage glücklich zu befreien, und bald darauf war der Verderber Griechenlands durch die Ränke der Feinde jenes großen Feldherrn am byzantinischen Hof zum General von Illyrien und Bundesgenossen des östlichen Reichs ernannt worden. Sodann hatte er seine beutegierigen Kriegsvölker nach Italien geführt, wo er, wie schon bemerkt worden ist, in den Jahren 402 und 403 durch die Schlachten bei Pollentia und Verona zum Rückzuge nach den Donauländern genötigt worden war. Unterhandlungen mit Stilicho bewogen ihn, das Bündnis mit dem Oströmischen Reiche aufzugeben und in die Dienste Roms zu treten. Dem Vertrage gemäß war er in den Provinzen Illyriens geblieben, welche der römische General dem Byzantinischen Reiche ganz zu entreißen hoffte, aber plötzlich erschien er wieder an den Grenzen Italiens. Er forderte mit barbarischer Schlauheit von Honorius Entschädigung für seine Märsche und seinen Stillstand in Epirus. Der Kaiser befand sich damals in Rom, und Stilicho kam dorthin aus Ravenna, um diese schwierigen Unterhandlungen zu vermitteln. Der Senat, welchen der ehrgeizige Feldherr, um sich eine Stütze zu verschaffen, zu einigem Ansehen erhoben hatte, wurde in das Palatium berufen. Nachdem ihm Stilicho die Forderungen Alarichs vorgelegt und auf ihre Annahme gedrungen hatte, gewährte man dem Gotenkönige die Summe von 4000 Pfund Goldes. Hierauf erhob sich Lampadius, der angesehenste Mann im Senat, und rief voll Scham und Unwillen: »Dies ist kein Frieden, sondern ein Kauf der Knechtschaft!« Über seine eigene Kühnheit erschreckt, suchte der edle Senator in der christlichen Kirche ein Asyl. Der Vorfall aber wurde zum Ereignis; er gab den Feinden Stilichos gewonnenes Spiel. Die nationalrömische Partei, deren Streben es war, das eindringende Barbarentum vom römischen Hofe zu entfernen, brachte den gewaltigen Mann endlich zu Fall. Man sagte dem Kaiser, daß er sich mit Alarich, seinem Bundesgenossen, zum Umsturz des Thrones verschworen habe, um sich selbst oder seinem jungen Sohne Eucherius die Krone aufs Haupt zu setzen, und der Tod Stilichos wurde genehmigt und ausgeführt. Der letzte Held Roms umfaßte als schutzflehender Flüchtling den Altar einer Kirche in Ravenna; von dort verräterisch herausgelockt, bot er dann seinen Nacken ruhig dem Schwert des Henkers dar. Dies geschah im Jahr 408.

Die Römer vernahmen den Fall des großen Feldherrn, dem sie ihre Rettung von den Goten schuldig waren, zum Teil mit Befriedigung. Viele erinnerten sich jetzt, daß er ein germanischer Barbar gewesen war; die Helden hatten in ihm den Christen gehaßt, welcher die Sibyllinischen Bücher verbrannt hatte, und die Christen ihn trotzdem versteckter Neigungen für die Religion der Götzendiener beschuldigt. Die Standbilder Stilichos wurden umgestürzt, aber während die Eunuchen des Palasts den blutigen Kopf seines Sohnes den Römern zur Schau stellten, ahnten diese selbst schon ihr eigenes Schicksal.


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