Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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3. Ursprung und Lebensgang Colas. Cola Notar der städtischen Kammer und Haupt einer Verschwörung. Er reizt das Volk durch allegorische Bilder auf. Seine geistvolle Erklärung der Lex Regia. Bedeutende Vorgänge in Neapel und Florenz wirken auf Rom. Allgemeines Aufstreben der Zünfte in den Städten zur Gewalt, mit Ausschluß des Adels. Die Zustände des Volks in Rom. Die Revolution vom 20. Mai 1347. Cola di Rienzo Diktator und Tribun.

Der Sohn des Laurentius oder Rienzo hatte damals noch nicht das Märchen erfunden, daß er ein Bastard des Kaisers Heinrich VII. sei, sondern man kannte ihn als das eheliche Kind eines Weinschenken in der Region Regola, wo seine Mutter Maddalena mit Wassertragen und Waschen das spärliche Brot verdienen half. Er war um das Jahr 1314 geboren. Die Dürftigkeit seiner Eltern bot ihm keine Mittel zur Ausbildung seiner glänzenden Anlagen; nach dem Tode seiner Mutter wuchs er bis zu seinem 20. Jahr bei einem Verwandten in Anagni auf, »als Bauer unter Bauern«, wie er selbst klagte. Um das Jahr 1333 oder 1334 war er nach seines Vaters Tode in die Stadt zurückgekehrt, und hier hatte er Gelegenheit, sich in Studien auszubilden. Der junge Römer lernte mehr durch Selbstunterricht von den Schriften der Alten und den Monumenten als von den Magistern seiner Vaterstadt, deren verkommene Universität er indes besuchen mochte. Seine Briefe zeigen, daß er mit der Bibel und den Kirchenvätern, selbst mit dem kanonischen Recht wohl bekannt war. Livius, Seneca und Cicero, Valerius Maximus und die alten Poeten waren ihm vertraut; sie bildeten seinen lateinischen Stil, machten ihn beredtsam, nährten seinen Geist mit pomphaften Bildern und erfüllten ihn mit Sehnsucht nach dem Ideal des Altertums. Man hörte ihn oft sagen: »Wo sind jene guten alten Römer? Wo ist ihre hohe Gerechtigkeit? Könnte ich mich in der Zeit wiederfinden, wo diese Männer blühten!« Das unwissende Volk seiner Region staunte den jungen Menschen an, der von schöner Gestalt war und um dessen Mund ein phantastisches Lächeln zu spiegeln pflegte, wenn er antike Statuen und Reliefs erklärte oder Inschriften von den Marmortafeln las, mit denen Rom überstreut war. Diese prunkvollen Inschriften, unter Ruinen geisterhafte Sprüche aus einer verschwundenen großen Welt, waren es, welche seine dichterische Phantasie reizten, sich selbst in die Stelle jener Helden und Konsuln hineinzudenken und sich mit ähnlichen Prädikaten oder Titeln zu schmücken, die er sich in der Stille seiner Träume schon längst mochte beigelegt haben. Es waren ferner die Geschichten der Alten, in die er sich lesend vertiefte, welche bei ihm, wie bei Petrarca, die Grenze zwischen Jetzt und Einst aufhoben und ihn so schwärmerisch begeisterten, daß er »was er lesend gelernt hatte, handelnd zu unternehmen beschloß«. Aus seiner tief träumerischen Natur erhob sich auf dem Boden des Altertums, in der tragischen Stille Roms, mitten unter dem Elend eines versklavten Volks ein wunderbares Genie, welches zu den merkwürdigsten Erzeugnissen des Mittelalters überhaupt gehört.

Daß Cola die einzige Laufbahn betrat, welche außer dem geistlichen Stande armen Plebejern eine Stellung verhieß, geht daraus hervor, daß er bereits öffentlicher Notar war, ehe er nach Avignon geschickt wurde. Als er nun nach Ostern des Jahrs 1344 in Rom wieder erschien, ein Günstling des Papsts, mit dem Ruhm seiner gut vollführten Sendung geschmückt und ausgezeichnet durch den Haß der Großen, gegen welchen ihn jedoch der Papst und sein Amt schützten, war er schon ein beim Volk angesehener Mann. Seine öffentliche Stellung gab ihm Gelegenheit, die Betrügereien der Richter und die Frevel der Barone kennenzulernen und in der Bürgerschaft Einfluß zu gewinnen. Er schrieb mit einer Feder von Silber, aus Achtung für sein hohes Amt, wie er sagte, und auch dieser kleine Zug bezeichnet seine Natur. Trunken von dem Gedanken an die Herrlichkeit des Altertums und an seinen Beruf, der Befreier der Stadt zu sein, begann er, mit Gleichgesinnten sich zu beraten, Freunde um sich zu sammeln, eine Revolution vorzubereiten. Sie war das Werk langer Pläne und geheimer Verschwörung.

Die Verwirrung in der Republik war damals so groß geworden, daß die Senatorwürde nur als eine Last erschien. Mattheus Orsini und Paul Conti im Jahre 1344 und ihre Nachfolger Jordan Orsini und Johann Colonna hatten den Papst gebeten, sie ihrer Stellung zu entheben. Seit dem 1. Juli 1345 waren Senatoren Rainald Orsini und Nicolaus Annibaldi, Herr des Kastells S. Pietro in Formis bei Nettuno; auch sie kamen wegen des Kardinallegaten Haimerich von St. Martin, welchem die Großen den Eintritt in die Stadt versagten, in solche Bedrängnis, daß sie ihr Amt anzutreten sich weigerten. Der Papst ermahnte sie, ihrer Pflicht zu gehorchen und schrieb auch an die angesehensten Edlen. Stadt und Campagna waren in der Gewalt des Adels. Trotz des Verbots, Barone als Podestaten in Städten anzunehmen, bemächtigen sich die Großen des Regiments in vielen Kommunen. Der Präfekt Johann von Vico, die Savelli und die Normanni rissen Toscanella, Bagnorea und Vetralla an sich, die Gaëtani besetzten Terracina, die Orsini und Colonna blieben nicht zurück. Der Papst würde einen jeden Mann mit Freuden begrüßt haben, welcher diesen räuberischen Adel zu zügeln vermochte.

Die Strafreden Colas vor den kapitolischen Richtern trugen ihm nur Mißhandlung und Hohn ein, aber seine sinnreichen Allegorien begeisterten die Bürgerschaft. Wenn Demagogen heute auf die Menge wirken wollen, so verbreiten sie Manifeste durch die Presse; im XIV. Jahrhundert erhitzten sie die Phantasie durch Gleichnisse in Bildern. Die Römer sahen eines Tags auf der Wand des Senatspalasts ein ausdrucksvolles Gemälde: ein Schiffswrack auf stürmendem Meer; eine Witwe in Tränen, kniend im Gebet; um das Wrack her vier im Wasser versunkene Schiffe mit vier ertrunkenen Frauen, Babylon, Karthago, Troja, Jerusalem, welche, wie eine Schrift besagte, um ihrer Ungerechtigkeit willen den Untergang gefunden hatten. Links zwei Inseln, auf der einen Italia als Matrone, voll Scham niedersitzend, mit dem Spruch: »Du nahmst jedem Lande die Gewalt, mich allein hieltest du als Schwester«; auf der andern die vier Kardinaltugenden als trauernde Weiber mit dem Spruch: »Du warst mit jeder Tugend bekleidet, jetzt findest du im Meer den Untergang.« Rechts auf einer dritten Insel eine weiße Frauengestalt auf Knien, der Glaube, mit zum Himmel erhobenen Händen: »O, großer Vater, Herzog und mein Herr, wo soll ich stehen, wenn Rom verdirbt?« Geflügelte Tiere oberhalb des Hauptgemäldes, Winden gleich aus Muscheln blasend: Löwen, Wölfe, Bären, die Barone, wie eine Schrift erklärte; andere Tiere, die bösen Räte und falschen Richter; andere die lasterhaften Plebejer. Über dem Ganzen endlich zwischen Petrus und Paulus der schreckliche Weltrichter, zwei Schwerter im Munde. Als das Volk dies apokalyptische Gleichnis sah, geriet es in tiefe Verwunderung. Im XIV. Jahrhundert war die Anstalt der Polizei entweder völlig unbekannt oder nur sehr mangelhaft eingerichtet. Manifesten solcher Art ließ man volle Freiheit; Bußprediger und Demagogen durften ungehindert Ansprachen an das Volk halten, wie heute Prediger oder Redner im freien England.

Dem Blick des jungen Antiquars war eine der berühmtesten Inschriften des alten Rom nicht entgangen, die Lex Regia, das Fragment des Senatsbeschlusses, welcher dem Kaiser Vespasian das Imperium übertrug. Cola hatte diese Bronzetafel im Lateran gefunden, wo sie zur Zeit Bonifatius' VIII. beim Bau eines Altars war verwendet und mit der Inschrift nach innen gelegt worden. Der Zusammensturz der Kirche infolge des Brandes oder ihr Umbau hatte sie wieder an den Tag gebracht. Die Anwendung, welche Cola von diesem Denkmal des Kaiserdespotismus machte, war seltsam und genial. Er ließ die Tafel hinter dem Chor des Lateran einmauern und ringsum in Malerei den Senat darstellen, wie er Vespasian die Kaisergewalt übertrug. Dann lud er Adel und Volk in die Basilika zu einer öffentlichen Ansprache. Voll Neugierde kamen selbst große Barone wie der jüngere Stefan Colonna und sein Sohn Johann und viele rechtskundige Männer. Cola bestieg eine schön bedeckte Tribüne; er trug ein weißes togaartiges Gewand und einen weißen Hut mit wunderlichen Symbolen von goldenen Kronen und Schwertern. »Die erhabene Roma«, so sagte der seltsame Redner, »liegt im Staube: sie kann nicht einmal ihren Fall sehen, denn ihre beiden Augen, der Kaiser und der Papst, sind ihr entrissen. Römer, sehet, wie groß einst die Herrlichkeit des Senats war, welcher dem Kaisertum die Autorität verlieh«; und ein Schreiber verlas den Inhalt der Lex Regia vor den staunenden und unwissenden Zuhörern. Cola sprach weiter von der geschwundenen Majestät des römischen Volks und von seinem gegenwärtigen Elend; im Angesicht des nahen Jubiläum, wo die Stadt an Lebensmitteln nicht Mangel haben dürfe, ermahnte er zum Frieden, und er verwahrte sich zum Schluß vor den Neidern, welche sein Reden und Tun entstellten. Die merkwürdige Szene im Lateran war mit ihrer sonderbaren Vermischung von Irrtum und Wahrheit einer der bewundernswürdigsten Augenblicke im Leben Colas. Unter seinen Zuhörern, selbst unter den rohen Baronen, befand sich niemand, der ihm nicht Beifall rief, und keiner, der nicht an die Fortdauer der Majestätsrechte des Volks der Römer glaubte, denn dies war ein nationaler Aberglaube. Petrarca würde den sinnreichen Redner mit Entzücken umarmt haben.

Cola di Rienzo war das Gespräch der ganzen Stadt. Aber die Barone sahen in dem wunderlichen Notar nur einen ungefährlichen Schwärmer. Johann Colonna vergnügte sich damit, ihn zur Tafel zu laden, wo er Reden halten mußte. Die vornehmen Herren brachen in Gelächter aus, als er einst sagte: »Wenn ich Herrscher oder Kaiser geworden bin, so will ich diesen Baron hängen und jenen köpfen lassen«, und er wies mit Fingern auf die Gäste. Er ging in Rom einher als ein Narr; man möchte sagen, wie Brutus, wenn er ein Mann seiner Art gewesen wäre. Niemand ahnte, daß dieser Narr sehr bald die furchtbare Macht besitzen sollte, die Köpfe der römischen Großen von ihren Schultern springen zu machen.

Eine zweite Allegorie erschien auf der Mauer von S. Angelo in Pescheria im Porticus der Octavia: Plebejer, Könige und eine Matrone im Feuer brennend; ein Engel mit nacktem Schwert aus einer Kirche tretend, die Matrone zu befreien; auf dem Kirchturm St. Peter und Paul mit dem Ruf: »Engel, Engel, rette unsere Herbergsmutter! » Eine Taube vom Himmel, die einem Sperling einen Myrtenkranz darbietet, während vor ihr flüchtige Falken in die Flamme stürzen; der kleine Vogel setzt die Myrtenkrone der Matrone aufs Haupt; eine Schrift: »Ich sehe die Zeit der großen Gerechtigkeit, und du erwarte die Zeit.« Manche Beschauer sagten, es sei anderes als Malereien not, um den Zustand Roms zu verbessern; andere meinten, das seien große Dinge und Zeichen. Man fand eines Tags an der Türe der Kirche St. Georg in Velabro einen Zettel, worauf geschrieben stand: »In kurzer Zeit werden die Römer zu ihrem alten guten Staat zurückkehren.«

Während man mit diesen aufreizenden Kundgebungen beschäftigt war, leitete Cola eine Verschwörung, an welcher Bürger vom zweiten Stande, zumal auch wohlhabende Kaufleute, eifrig teilnahmen. Man versammelte sich heimlich auf dem Aventin, jenem schon verödeten Hügel, welcher einst dem Demagogen Caius Gracchus auf seiner Flucht die letzte Rast gegeben hatte. Der Lebensbeschreiber Colas hat lebhaft den Eindruck geschildert, den eine seiner Reden auf die bis zu Tränen gerührten Verschworenen machte, die von schwärmerischem Patriotismus, aber auch von edlem Schmerz über die Zerrüttung Roms durchdrungen waren. Man entwarf den praktischen Plan zum Sturz der Barone, beschwor, was man beschlossen hatte, und nahm darüber eine Urkunde auf. Es kam den Absichten Colas sehr zustatten, daß er sich auf die Gunst des Papsts berufen und der Wahrheit gemäß behaupten konnte, Clemens VI. selbst sei über die Frevel des Adels aufgebracht. Die Umwälzung des Jahrs 1343 und ihre schnelle Anerkennung durch den Papst ließ die Verschworenen einen gleich glücklichen Ausgang hoffen.

Wichtige Vorgänge im übrigen Italien wirkten tief auf die Stimmung in Rom und machten die kommenden Ereignisse möglich. Am 18. September 1345 war der junge Andreas, Gemahl der Königin Johanna, in Aversa ermordet worden, und sein Bruder Ludwig von Ungarn rüstete sich zum Rachezug nach Neapel. Der Zusammensturz der Monarchie Anjou war folgenschwer. Dies Königreich war bisher die Grundlage für die weltliche Stellung des Papsttums in Italien und die Stütze der gesamten Guelfenpartei gewesen; das nationale Prinzip hatte auf seiner Macht geruht, wie dies noch in der Zeit Heinrichs VII. und Ludwigs des Bayern deutlich geworden war. Nun es in Anarchie fiel, verloren das Papsttum und das Guelfentum in Italien ihren Halt, erlosch eine Macht, welche zusammenhaltend und ordnend bis nach Rom und der Romagna gewirkt hatte, und wurde den Einfällen des Auslandes die Türe aufgetan. Während Italien beim Gedanken an den Einbruch der Ungarn zitterte, hatte sich bereits die große Kompanie des Deutschen Werner gebildet, welche plündernd und brandschatzend Toskana und die Lombardei durchzog. Zeiten voll schrecklichen Elends nahten sich, und die unglückliche Nation seufzte nach einem Retter wie in den Tagen Dantes und Heinrichs VII. Nur eine glänzende Tat der Freiheitsliebe erhob die Herzen der Patrioten; dies war der Aufstand des Florentiner Volks, welches im Jahre 1343 den Herzog von Athen vertrieben, bald darauf ein demokratisches Regiment eingesetzt, den Adel aus allen Staatsämtern entfernt und die Gewalt auf die Zünfte übertragen hatte. In jener Zeit löste sich überhaupt die alte patrizische Kommunalverfassung in den Städten auf; der Adel wurde von der Gemeinde ausgeschlossen, und selbst in kleineren Republiken erlangten die Zünfte mit ihren Prioren die ausschließliche Gewalt. Ein merkwürdiges Beispiel davon bietet Todi dar. Diese umbrische Stadt reformierte ihre Statuten am 6. Dezember 1337 und sprach dabei folgende Grundsätze aus: »Da die Gemeinde Todis in vergangenen Zeiten durch das Werk des Feindes des Menschengeschlechts, der unter den Bürgern Zwiespalt säete, durch Bürgerkrieg und viele Ausgaben fortdauernd gequält war, und da wir erkennen, daß jede Stadt, jedes Land, jeder Ort, die durch das Volk und Männer vom Volk und Handwerker regiert werden, Frieden und Ruhe bewahren, so beschließen wir unter Anrufung des Namens Jesu Christi und der glorreichen Jungfrau Maria und Sankt Fortunats durch dies gerechte, für alle Zeit dauernde Gesetz, daß die Stadt Todi und ihr Gebiet allgemein und im besondern regiert werden soll volksmäßig und durch das Volk, durch die Popolanen und die Handwerker und daß dies Volk und die Popolanen und Handwerker dieser Stadt alles Regiment, jede Jurisdiktion, Balie, Autorität und das volle freie und gemischte Imperium und die Schwertgewalt haben sollen.«

Der Zusammenbruch der Feudalität machte die Geister in Italien unruhig und neuerungssüchtig. Man suchte nach Staatsformen, erzeugte sie und wechselte sie wieder im Augenblick. Der republikanische Staat, fieberhaft lebendig, war ein beständiges Experiment eines künstlichen Gleichgewichts. Auch in Rom strebten die Handwerker, doch minder glücklich, zur Gewalt auf. Sie bildeten hier seit dem XIV. Jahrhundert dreizehn vom Staat anerkannte Zünfte unter Konsuln, welche als ein Konsilium bei jedem wichtigen Beschluß der Republik hinzugezogen wurden. Viele Briefe der Päpste in Avignon sind mit Auszeichnung an die Konsuln der Kaufleute, der Ackerbauern und der übrigen Zünfte ( artes) gerichtet. Sie mochten schon damals Lokale zu Versammlungen auf dem Kapitol haben. Bei jeder Umwälzung boten diese Gilden die Elemente für eine volksmäßige Regierung dar, aber noch war die Zeit des Popolanenregiments für Rom nicht gekommen. Noch behauptete der Erbadel das ausschließliche Recht der Wählbarkeit zum Senat, und es zeigte sich daher in Rom das unorganische Nebeneinanderbestehen zweier politischer Körper, des Volksregiments mit den »guten Männern« auf Grundlage der Zünfte und des Adels mit den zwei Senatoren an der Spitze des Staats. Wenn dieser Adel eine wirklich städtische Macht, namentlich eine Geldmacht, gewesen wäre, so würde er die Plebejer, wie in Venedig, aus der Republik gedrängt haben; aber die Verhältnisse seines Güterbesitzes in zum Teil fernen Landschaften, seine Familienkriege und endlich die Autorität des Papsts, bei welchem das Volk Schutz fand, zerteilten auch seine Kraft. Die Bürgerschaft stand in immer festeren Gliederungen gegen die Aristokratie. Außer den Innungen bot ihr die alte Verfassung der Regionen mit ihren Kapitänen einen dauernden Zusammenhalt, während in ihrer eigenen Mitte die Klasse der Cavalerotti, das heißt der reichen Bürger aus alten Popolanenhäusern, welche in der städtischen Miliz zu Pferde dienten, einen neuen Adel begründete. Die Zeit war nahe, wo auch in Rom wie in Florenz und andern Städten der Sieg der Volkspartei über die regierenden Familien entschieden werden mußte.

Als Cola di Rienzo an die Ausführung seines Planes zu deren Sturze ging, waren die Leiden des Volks unerträglich. »Die Stadt Rom war in der tiefsten Not. Regierer gab es nicht. Alle Tage ward gekämpft; überall geraubt. Man schändete Nonnen, selbst Kinder; man riß das Weib aus dem Bette des Mannes. Wenn die Arbeiter an ihr Werk gingen, beraubte man sie selbst vor den Toren der Stadt. Die Pilger plünderte und erwürgte man; die Priester waren Übeltäter; jede Ungerechtigkeit zügellos. Es gab kein Heilmittel mehr; allen drohte Untergang. Recht hatte nur das Schwert; keine andere Hilfe als Selbstverteidigung mit Sippen und Freunden. Täglich sah man Bewaffnete sich versammeln.«

Es war der Monat Mai 1347. Den Senat regierten damals Robert Orsini und Petrus, Sohn des Agapitus Colonna, welcher zuvor Propst von Marseille gewesen, dann in den weltlichen Stand zurückgetreten war. Die römischen Milizen befanden sich unter Stefan Colonna bei Corneto, der Kornkammer Roms, um Getreide herbeizuschaffen, und Cola eilte, die Abwesenheit des mächtigsten der Barone zu benutzen. In seinen Plan hatte er den geistlichen Vikar des Papsts, Raimund, Bischof von Orvieto, eingeweiht, denn so gerecht erschienen die Gründe einer Umwälzung, daß dieser Prälat ihr seine Teilnahme zusagte. So wurde die Revolution von vornherein unter die Autorität der Kirche gestellt.

Am 19. Mai gingen Herolde durch die Stadt und luden das Volk unbewaffnet zum Parlament aufs Kapitol, sobald die Glocke dazu das Zeichen geben würde. Nur die Eingeweihten wußten, was dies bedeute. Um Mitternacht hörte Cola die Pfingstmessen in S. Angelo in Pescheria, wo sich die Verschworenen sammelten; er stellte sich und sein Werk in den Schutz des heiligen Geistes, von dessen mystischer Kraft er beseelt zu sein wähnte. Am Morgen des Pfingsttages trat er aus jener Kirche, ganz geharnischt, nur das Haupt entblößt, von den Mitverschworenen umgeben. Vor ihm trug man drei große Fahnen, das rot und goldene Banner der Freiheit mit dem Bilde der Roma, das weiße Banner der Gerechtigkeit mit dem Schwertträger St. Paul, das Banner des Friedens mit St. Petrus; eine vierte Fahne. die von St. Georg, wurde, weil sie alt und zerfetzt war, in einem Kasten auf einer Lanze einhergetragen. Die Umwälzung begann in Form einer Prozession zum Kapitol; nur wenige Bewaffnete deckten den Zug. Der päpstliche Vikar ging mit unsicherem Schritt neben Cola einher, und beide, der Bischof und der Demagoge, stiegen zum kapitolischen Palast empor. Cola betrat die Rednerbühne; er sprach hinreißend von der Knechtschaft und der Befreiung Roms; er beteuerte, daß er aus Liebe zum Papst und für die Rettung des Volks sein Leben zu opfern bereit sei. Tausend Stimmen jauchzten ihm zu. Hierauf verlas einer der Verschworenen vom Geschlecht Mancini eine Reihe von Dekreten: daß jeder Totschläger mit dem Tod, jeder falsche Ankläger mit der Strafe des Angeklagten zu bestrafen sei; daß Prozesse in 15 Tagen erledigt sein müssen; daß kein verfemtes Haus niederzureißen, sondern zur Kammer zu bringen sei; daß jede Region der Stadt 100 Mann zu Fuß, 25 zu Pferd aufzustellen habe, von denen jeder einen Schild und Löhnung vom Staat erhalten werde; daß die Hinterlassenen der für das Vaterland Gefallenen ein Jahrgeld erhalten sollen; daß Witwen und Waisen, Klöster und fromme Orte vom Staat zu unterstützen seien; daß ein Wachtschiff an der römischen Küste die Kaufleute schützen solle; daß die öffentlichen Zölle der städtischen Kammer gehören sollen; daß alle Burgen, Brücken und Tore vom Rector des Volks zu bewachen seien; daß kein Aristokrat eine Festung besitzen dürfe; daß alle Orte im Stadtgebiet ihre Rektoren von Rom erhalten sollen; daß die Barone gehalten seien, die Straßen zu sichern, keinem Banditen Asyl zu geben und Getreide nach Rom zu liefern; daß in jeder Region ein Kornspeicher zu errichten sei. Das Parlament genehmigte diese guten Gesetze durch stürmischen Zuruf. Es übertrug Cola die volle Signorie der Stadt, die unumschränkte Gewalt als Reformator und Konservator der Republik, Krieg und Frieden zu machen, zu strafen, zu Ämtern zu ernennen und Gesetze zu erlassen.

Der neue Diktator verlangte alsbald mit Besonnenheit den päpstlichen Vikar zum Amtsgenossen, wodurch die Volksregierung der Anerkennung des Papsts versichert wurde. Ein überwältigender Zauber ergriff jetzt Rom; die Senatoren entflohen; viele Große verließen die Stadt; kein Tropfen Blutes ward vergossen. Das Volk tagte beständig in Versammlungen. In einem andern Parlament nahm Cola den Titel »Tribun« an, weil er ein Mann des Volkes sei und den Ruhm des alten Tribunats herstellen wolle. Eine weiße Taube schwebte zufällig über dem versammelten Volk, und Cola rühmte sich, daß sie seine Ernennung zum Tribun als himmlische Eingebung zu erkennen gab. Der Begriff des Tribunats war durch das Altertum geweiht und allen verständlich; Cola konnte sich daher diesen Titel beilegen, ohne Anstoß zu erregen, aber er vermehrte ihn durch pomphafte Prädikate, die seinen schwärmerischen Sinn offenbarten. Er nannte sich: Nicolaus, durch die Autorität unsers gnädigsten Herrn Jesus Christus der Gestrenge und Gnädige, der Tribun der Freiheit, des Friedens und der Gerechtigkeit und erlauchter Befreier der heiligen römischen Republik.

Schnell verbreitete sich über Italien und jenseits der Alpen die Kunde, daß die Republik Rom von den Tyrannen erlöst worden sei und durch einen wunderbaren Helden ihre alte Freiheit wiederhergestellt habe.


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