Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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3. Der Ungarnkönig und Johanna von Neapel appellieren an das Urteil Colas. Der Tribun läßt sich am 15. August krönen. Krönungserlasse. Die Gaëtani unterwerfen sich. Cola kerkert die Häupter der Colonna und Orsini ein, verurteilt und begnadigt sie. Der Papst ergreift Maßregeln wider ihn. Colas Plan vom national-italienischen Kaisertum. Der Papst beginnt den Prozeß. Bertrand de Deus Kardinallegat. Der Tribun schickt seine Rechtfertigung an den Papst.

Italien glaubte noch eine Weile an die göttliche Sendung des Volkstribuns, und ihn selbst bestärkten bald nach den Festen des August die Huldigung Arezzos und feierliche Gesandtschaften großer Fürsten in seinem eigenen Wahn. Die Königin Johanna, die Mitschuldige an der Ermordung ihres Gemahls, welche sich in schamloser Eile mit ihrem Geliebten Ludwig von Tarent vermählt hatte, zitterte vor der Rache des Ungarnkönigs, dessen Heer schon in Aquila stand: sie empfahl sich der Huld des Tribuns und ließ sich herab, auch um die Gunst der Frau Tribunin zu werben, der sie Geschenke machte. So hoch stand das Ansehen Colas in der Welt, daß beide Parteien sein schiedsrichterliches Urteil nachsuchten; denn auch Ludwig von Ungarn forderte ihn auf, den Mord des Königs Andreas rächen zu helfen, und trug ihm ein Bündnis an. Eine Gesandtschaft des Prinzen von Tarent, von einem Erzbischof geführt, bat um sein Wohlwollen; in Briefen nannte ihn der Herzog von Durazzo seinen treuesten Freund. Cola konnte sich dazu Glück wünschen; denn ohne die Anarchie, welche über Neapel hereingebrochen war, hätte er in Rom nimmer die Stellung erlangt, die er jetzt einnahm. Der Tribun empfing alle diese Boten mit Großartigkeit, aber noch hinderte ihn die Rücksicht auf den Papst, welcher Johanna schützte, sich offen für den König von Ungarn zu entscheiden. Sein Lebensbeschreiber versichert, daß Ludwig von Bayern mehrmals Boten an ihn schickte, ihn um seine Vermittlung beim Papst zu ersuchen, und nichts hindert uns, dies für wahr zu halten. Nur Furcht hielt Cola davon ab, sich selbst zum Kaiser aufzuwerfen; er hatte diesen Plan in der Stille gefaßt, aber der Augenblick schien ihm noch nicht günstig zu sein. Zunächst führte er am 15. August, dem Tage der Himmelfahrt Marias, ein Vorspiel seines künftigen Kaisertums auf, seine feierliche Krönung als Tribun. Dies war der Reflex der Krönung Petrarcas, deren begeisterter Zeuge er einst gewesen war.

Sein erfinderischer Wahnsinn kam auf den Einfall, sich mit sechs Kronen krönen zu lassen, weil nach seiner Ansicht auch seine Vorgänger, die antiken Volkstribunen, gekrönt worden seien. Sicherlich verleitete ihn dazu jener Paragraph im Mirabilienbuche Roms, der von den mehrfachen Kronen der alten Cäsaren handelt. Die seltsame Vermischung des Antiken mit dem Christlichen, welche in Rom überall sonst bemerkt wird, hat im Tribunus Augustus und Kandidaten des heiligen Geistes die wahrhafte Charakterfigur gefunden. Wenn Cola mitten in einer Kirche stehend und von den ehrwürdigsten Geistlichen bei feierlichem Meßgesange bald mit diesem, bald mit jenem Blumenkranz gekrönt, als irrsinnig erscheint, so waren das nicht minder die ersten Priester, welche diese bizarre Handlung als einen religiösen Akt mit allem Ernst vollzogen, und nicht minder die Gesandten von Republiken und die Römer, die ihr ebenso ernsthaft zuschauten. Alle diese Menschen und tausend andere hervorragende Personen standen im Banne der Mystik ihres Zeitalters, und sie waren offenbar mehr von der magischen Gewalt eines Wahns als von der Macht einer Persönlichkeit bezaubert. Die Krönung Colas war die phantastische Karikatur, in welcher das Imperium Karls des Großen endete. Eine Welt, in der sich das politische Tun in solchem Gewande darstellte, mußte aber zum Untergange reif sein, oder sie konnte nur durch eine große Reformation der Geister gerettet werden.

Einige Kränze hatte Cola mit Absicht von den Gesträuchen flechten lassen, welche auf dem Triumphbogen Constantins wuchsen. Der Prior vom Lateran reichte ihm die erste Krone von Eichenlaub und sprach: »Nimm diesen Eichenkranz, weil du die Bürger vom Tode befreit hast.« Der Prior von St. Peter gab ihm die Efeukrone und sprach: »Nimm den Efeu, weil du die Religion liebst.« Die Myrtenkrone gab der Dekan von St. Paul mit dem Spruch: »Nimm die Myrte, weil du das Amt und die Wissenschaft geachtet und den Geiz verabscheut hast.« Der ehrwürdige Abt von S. Lorenzo setzte ihm die Lorbeerkrone auf mit ähnlichem Spruch. Die fünfte Krone von Olivenzweigen gab der Prior von S. Maria Maggiore und sprach: »Mann der Demut, nimm den Olivenkranz, weil du durch Demut den Stolz überwunden hast.« Kein unwahreres Wort ward je einem Mächtigen oder Toren gesagt. Die sechste Krone war silbern: sie und ein Zepter reichte der Prior von S. Spirito mit den Worten: »Erlauchter Tribun, nimm die Gaben des heiligen Geistes mit der Krone und dem Zepter und empfange auch die geistliche Krone.« Endlich gab ihm Goffredo Scotti, der Syndicus des Volks, den Weltapfel in die Hand und sprach: »Erlauchter Tribun, empfange und übe die Gerechtigkeit, gib Frieden und Freiheit«, worauf er ihn küßte. Der Vikar des Kardinals von Ostia stand bei dieser Zeremonie, welcher der Bischof Raimund sich klüglich entzogen hatte, mit feierlichem Gesicht als deren Ordner da, während ein als Bettler gekleideter Mensch, der Geist der Ironie, die Kronen dem Tribun wieder abnahm und nur die silberne nicht berühren durfte; denn der Erzbischof von Neapel hielt diese, ohne zu lachen, auf dem Haupt des Gekrönten fest. Cola erinnerte sich nämlich, daß es im Altertum Gebrauch gewesen war, Triumphatoren durch Hohn und Spott an die Eitelkeit aller irdischen Größe zu mahnen. Wir lächeln über den Wahnsinn des Tribuns; aber das romantische Wesen jener Zeit erklärt und die dichterische Genialität seiner Einbildung mildert ihn. Und gab es nicht unter den mystischen Krönungszeremonien der legitimen Könige genug solcher, welche des Lächelns eines Philosophen würdiger erscheinen als die unschuldigen Blumenkränze des Tribuns von Rom? Die Eitelkeit raubte Cola den Verstand; er erschien sich jetzt groß wie ein antiker Held; oder vielmehr er glaubte, ein Weltheiland zu sein; er scheute sich nicht, sich mit Christus zu vergleichen, da er wie dieser im 33. Jahre seine Taten vollbracht und Rom von den Tyrannen erlöst habe. Ein heiliger Mönch vernahm die frevelhafte Prahlerei des Mannes, den er selbst bisher als einen Sendboten des Himmels verehrt hatte, schaute ihm aus einer Ecke der Kirche bekümmert zu und weinte bitterlich.

Gleich wie Kaiser Krönungsedikte erließen, verkündigte auch der Tribun neue Gesetze vor seinem Krönungsparlament: er bestätigte das römische Bürgerrecht für ganz Italien; er verbot Kaisern und Fürsten den bewaffneten Eintritt in das Land ohne Erlaubnis des Papsts und des römischen Volks und untersagte den Gebrauch der fluchwürdigen Parteinamen der Guelfen und Ghibellinen. Diese Edikte mochten tadellos sein, aber womit konnte ihnen Cola Nachdruck geben? Wenn er statt der Kunst des Redners und Schauspielers die Talente eines einfachen Kriegskapitäns besessen hätte, so würde er den augenblicklichen Zauber seines Regiments in eine wirkliche Macht verwandelt haben. Nun mußte er im Waffenhandwerk geübte Aristokraten zu Heerführern ernennen, ohne ihnen trauen zu dürfen. Die Gaëtani, Johann und dessen Bruder Nicolaus, Graf von Fundi, welchen der Tribun als dreifachen Mörder des Vaters, Bruders und der Gattin angeklagt und geächtet hatte, trotzten noch und mußten bezwungen werden. Den Krieg gegen sie übertrug Cola passend dem Johann Colonna; die Gaëtani unterwarfen sich und leisteten am Anfange des September den Vasalleneid, um ihn bald wieder zu brechen.

Der Tribun wußte, daß sich der Adel gegen ihn verschwor und auch am Hofe des Papsts an seinem Sturze arbeitete. Er kam deshalb auf den Gedanken, sich der Vornehmsten mit einem Schlage zu bemächtigen, und diese gingen unbelehrt in dieselbe Falle, welche schon Don Arrigo von Kastilien und Heinrich VII. ihren Vätern gestellt hatten. Am 14. September aufs Kapitol zum Mahl geladen, kamen die edelsten Herren. Nach aufgehobener Tafel, bei welcher Stefan Colonna über die prachtvolle Kleidung des Tribuns sarkastische Bemerkungen gemacht hatte, wurden diese Gäste, fünf Orsini und zwei Colonna, verhaftet und ins Gefängnis geführt. Der greise Held Stefan ging bestürzt nachts im verschlossenen Saale auf und nieder, pochte an die Türen und bot den Wächtern große Summen; doch dies war vergebens. Am Morgen traten Mönche ein, die Gefangenen zum Tode vorzubereiten. Sie alle bebten und beichteten, nur Stefan weigerte sich, an seinen Tod durch den Plebejer zu glauben. Die Glocke der armen Sünder läutete; die Häscher des Gerichts führten die Edlen in den mit rotem und weißem Tuch bedeckten Saal. Das aufgeregte Volk erwartete die Hinrichtung der erlauchtesten Großen der Stadt, aber besonnene Bürger hielten Cola vom Äußersten zurück. Er selbst scheute den Namen, das Ansehen und die Freunde seiner Gegner; er fürchtete sich vielleicht ebenso sehr vor seinen eigenen Opfern als diese sich vor ihm. Der Träumer, von dessen Wink Leben und Tod der Colonna und Orsini abhingen, betrat mit phantastischem Lächeln die Bühne, hielt eine Rede auf den Text: vergib uns unsere Schuld, und erklärte dem versammelten Volk, daß er die reuevollen Barone begnadigt habe. Sie beschworen die Gesetze der Republik. Aus einem Extrem ins andere fallend, überhäufte sie jetzt der Tribun furchtsam mit Auszeichnungen, ernannte sie zu Konsuln und Patriziern, reichte jedem eine Fahne mit dareingestickten goldenen Ähren und ein Prachtgewand, lud sie zum Versöhnungsmahl und hielt mit ihnen einen Umzug zu Pferde. Am 17. September nahm er mit denselben Großen das Abendmahl in Aracoeli. Sie gingen in ihre Paläste oder ihre Burgen; alle betäubt von Todesangst und Scham und zitternd vor Verlangen, sich an dem Plebejer zu rächen, der dies fürchterliche Spiel mit ihnen getrieben hatte. Die Besonnenen waren unwillig. Man sagte, daß der Tribun ein Feuer entzündet habe, welches er nicht mehr löschen könne.

Die hinterlistige Tat erregte überall Aufsehen. Der längst erzürnte Papst war tief bestürzt; die Macht Colas erschien ihm im fernen Avignon furchtbarer, als sie es war; er bat ihn selbst um die Begnadigung der Edlen. Manche tadelten die Schwachheit des Tribuns. Er hatte in der Tat dargetan, daß er von der Natur nicht dazu bestimmt worden war, als Tyrann unter Tyrannen eine Rolle zu spielen. Ezzelin von Romano, Galeazzo Visconti, Castruccio Castracani würden sich von einem Menschen mit Verachtung abgewendet haben, der seine Feinde in der Schlinge fing, nicht um sie umzubringen, sondern sie zu entehren. Petrarca selbst, von Freiheitsideen trunken wie ein Jakobiner der französischen Revolution, würde den abgeschlagenen Köpfen der Colonna eine Elegie, aber dem Tyrannentöter Cola eine begeisterte Hymne gewidmet haben; noch im Jahre 1352 begriff er den Fehler desselben nicht, die gefangenen Edlen bewaffnet entlassen, statt sich ihrer entledigt zu haben. Der Tribun hatte sich nicht mit nutzlos vergossenem Blut befleckt, aber als Schauspieler den Marius gespielt und sich hier verhaßt, dort verächtlich gemacht.

Immer drohendere Wolken stiegen über ihm auf. Noch ehe die Nachricht von jenem Streich nach Avignon gelangt war, hatte der Papst gegen Cola einzuschreiten beschlossen. Der Titel Tribun, das Ritterbad, die Einladung an die Städte zum Krönungsfest, der von päpstlichen Orten erhobene Tribut, ferner alle jene in Bewegung gesetzten Ideen von der Einheit und Verbrüderung Italiens und von der Majestät des römischen Volkes brachten Clemens VI. auf. Er schrieb dem Kardinal Bertrand, dem Legaten für Sizilien, schon am 21. August, sich nach Rom zu begeben, wenn dies möglich sei. Die feindselige Stimmung in Avignon wurde auch durch die Mißhandlung eines Sendboten Colas offenbar; man überfiel ihn an den Ufern der Durance, zerbrach seinen Stab, zerriß seine Briefschaften, verwundete ihn und verbot ihm den Eintritt in jene Stadt. Dies geschah am Ende August, worauf Petrarca in einem Brief an den Tribun seinen Zorn über diese Schändung des Völkerrechts aussprach. Als der Papst die Vorgänge des 15. August vernommen und die Meldung Colas erhalten hatte, daß fast alle Städte der Sabina und des Patrimonium, über die Bedrückung durch die Rektoren der Kirche erbittert, ihm am 1. September die Signorie übertragen hätten, befahl er am 19. dem Vicerector des Patrimonium, den Anmaßungen des Tribuns entgegenzutreten und von den Rektoren der Campagna und Spoletos Hilfe zu fordern.

Die Handlungen Colas waren von solcher Art, daß er dem Papst, seinem wohlwollenden Gönner, als der gefährlichste aller Empörer erscheinen mußte. Wenn er nicht früher gegen ihn einschritt, so hatte dies seinen Grund in der allgemeinen Bewunderung, welche der Tribun fand, in der Furcht vor dem Aufschwunge, den das römische Volk nahm, und zum Teil in der Entfernung Avignons. Die Ausführung der Absichten des Tribuns würde nicht allein das Dominium Temporale vernichtet, sondern alle gesetzlichen Verhältnisse von Kirche und Reich umgestürzt haben. Er stützte sich auf keine Partei; er war nicht Guelfe noch Ghibelline; er appellierte vielmehr an die italienische Nation. Er sah vom deutschen Kaiser ab; er verlangte, daß der Papst seinen Sitz in Rom nehme und proklamierte doch zugleich Rom als die Hauptstadt des einigen Italiens, welcher alle übrigen Republiken, »die uralten Kinder« der Stadt, ihren Munizipalgeist zu opfern hätten. Er behauptete, daß Rom und die Kirche eins seien, wie nach seiner Ansicht auch das Reich und Rom eins waren. Er sprach damit aus, daß diese Stadt Quelle und Inbegriff der Universalmonarchie und der beiden Weltgewalten sei, und er protestierte offenbar gegen den Satz, daß die Kirche sei, wo der Papst ist. Nach dem Vorgange Ludwigs des Bayern würde er auch die Papstwahl wieder an das römische Volk gebracht haben, wenn er zur wirklichen Macht gelangte. Die Stimme Roms erschreckte den Papst zum erstenmal in den festen Mauern zu Avignon; er erkannte jetzt, daß es sich am Tiber um etwas anderes handelte als um die Demokratisierung des Stadtregiments; daß der Widerspruch Roms zu Avignon ein nationaler Gegensatz wurde und dieses Exil der Päpste eine Bewegung erzeugte, welche die Kirche mit dem Schisma und das Papsttum mit dem Verlust seiner historischen Stellung in Italien bedrohte.

In den wunderbaren Träumen Colas lag eine hohe Idee und in seinem Wahnsinn logische Methode. Wie es in seiner Zeit natürlich war, suchte er die rechtskräftigen Grundlagen für die Umgestaltung Italiens in dem Dogma von der Herrlichkeit des römischen Senats und Volks. Nachdem er diese durch sein Dekret vom 1. August verkündigt und die Einheit Italiens dadurch ausgesprochen hatte, daß er alle Italiener für freie römische Bürger erklärte, beschloß er das ganze Land zu seiner Wiederherstellung in Form eines nationalen Römerreichs aufzurufen. Nach seinem Plan sollten alle Italiener das Recht haben, ihren Kaiser durch Plebiszit zu wählen und dies durch 24 von ihnen ernannte Wahlherren in Rom ausüben. Der nach Pfingsten 1348 neu zu wählende Kaiser sollte ein italienischer Patriot sein; so würde die alte Einheit der Nation durch einen lateinischen Cäsar hergestellt, Italien aus seiner Zerrissenheit erlöst und von der schimpflichen Herrschaft »unwürdiger Fremdlinge« für immer befreit sein. Dieser Ansicht standen übrigens auch die Guelfen nicht fern; denn auch sie behaupteten, daß die Kaiserwahl dem römischen Volk und durch dieses allen Gemeinden Italiens gehöre, welche an dem römischen Bürgerrecht und der römischen Freiheit teilnähmen, und daß sie nur durch die Kirche im Namen des römischen Volks den deutschen Kurfürsten übertragen worden sei. Am 19. September ernannte Cola zwei Doktoren des Rechts, den Ritter Paul Vajani von Rom und den Cremoneser Bernard de Possolis, zu seinen Gesandten und schickte sie mit Vollmachten an die Städte und Herren Italiens, sie für diesen merkwürdigen Plan zu gewinnen. Der geniale Tribun hoffte ein erhabenes Ziel zu erreichen, welches er zuerst kühn und klar seinem Volk vor Augen stellte, ohne zu ahnen, daß erst durch die Labyrinthe, die Frevel und Leiden noch eines halben Jahrtausends der Weg dazu führen sollte. Er wollte die neuen Bundesartikel eines freien und einigen Italiens auf erzene Tafeln schreiben und alter Sitte gemäß im Kapitol aufstellen lassen, welches er sinnreich den »heiligen lateinischen Palast« nannte. Unter dem italienischen Vaterlandsfreunde, auf den die Kaiserwahl fallen sollte, dachte er ohne Frage sich selbst, und er träumte schon, den Titel Tribunus Augustus in den des Imperator Augustus verwandelt zu sehen. Seine Boten reisten durch Italien; eine große Frage wurde in den Städten wirklich erörtert, ein großer Gedanke bot sich der dafür unreifen Nation dar. Es bleibt gewiß der unzerstörbare Ruhm Cola di Rienzos, daß er diese nationale Idee in seiner Zeit auszusprechen vermochte; wie es ein Vorwurf für die Italiener bleibt, daß sie auch damals, wo das Papsttum in der Verbannung, das Kaisertum in Niedrigkeit lag, unfähig blieben, ihre politische Nation zu schaffen.

Unterdes beschloß der Papst gegen den kühnen Demagogen einzuschreiten. Die französischen Kardinäle fürchteten die Rückkehr der Kurie nach Rom, wenn diese Stadt frei und mächtig ward; jeder Prälat schreckte vor dem Gedanken der Einheit Italiens oder der Erneuerung eines italienischen Kaisertums zurück, wodurch die Unabhängigkeit des Papsttums in Gefahr kam. Alle Kardinäle, zumal die Verwandten der Orsini und Colonna, forderten die Prozesse gegen Cola, welcher bereits seinen Amtsgenossen, den päpstlichen Vikar Raimund, ganz verdrängt hatte. Schon am 7. Oktober gab der Papst dem Legaten Bertrand de Deus, der sich damals in Neapel befand, Vollmacht, Cola zu entsetzen und neue Senatoren zu ernennen. Am 12. Oktober schickte er dem Kardinal ein Schreiben; er zählte ihm darin alle Vergehen Colas auf und befahl ihm, diesen im Amt zu belassen, wenn er widerrufe, sich auf die Regierung der Stadt beschränke und der Kirche Gehorsam gelobe, im anderen Falle, ihn zu entsetzen und womöglich den Prozeß um Ketzerei gegen ihn zu erheben. Den Römern solle er eine Frist stellen, Cola abzuschwören, unter Androhung des Interdikts; er solle Geld und Getreide unter sie verteilen, ohne sie durch Fülle übermütig zu machen. Er halte die Jubiläumsbulle zurück, welche jedoch sofort abgehen solle, wenn die Römer sich unterwürfen. Den Sabinern sei anzubefehlen, Cola nicht zu gehorchen und jede Verbindung mit Rom einzustellen. Weil einige sagten, daß derselbe bereits im Banne sei, so habe er von dem an ihn gerichteten Brief Duplikate machen lassen, so daß in dem einen Cola als exkommuniziert, in dem andern noch als Mitglied der Kirche angeredet sei; je nach Umständen möge der Kardinal diesen oder jenen Brief abgeben. Dies Schreiben enthüllte die tiefe Beunruhigung des Papsts, seine Furcht vor der Macht des Tribuns oder der Römer, seine äußerste Vorsicht. Mehr als siebzig Edle Roms erhielten Briefe, worin sie aufgefordert wurden, dem Legaten in allem Folge zu leisten.

Als Cola von der feindseligen Stimmung in Avignon hörte, schrieb er Clemens VI. ausführlich, zählte alle seine Verdienste auf, rechtfertigte seine Handlungen und beklagte sich, daß der Papst seine guten Dienste mit Strafprozessen belohne, während doch ein Eilbote hinreichend sei, ihn zum Rücktritt von seinem Amt zu bewegen, wenn dies gefordert würde. Seine Feinde sammelten sich indes auf allen Seiten, und der Tribun hatte nun ihren Angriffen als Mann zu begegnen.


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