Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Sechstes Kapitel

1. Schwierige Stellung Johanns VIII. zu Lambert und zum Kaiser. Er bestätigt noch einmal die Kaiserwürde Karls des Kahlen. Die Synoden von Rom und Ravenna im Jahre 877. Dekrete Johanns wegen der Patrimonien. Die päpstlichen Kammergüter. Fruchtlose Versuche, das Lehnswesen abzuwehren. Tod Karls des Kahlen. Triumph der deutschen Partei. Drohende Haltung Lamberts und der Exilierten. Überfall Roms durch Lambert und Gefangennahme des Papsts. Johann VIII. flieht nach Frankreich.

Die Sarazenen und die Verwicklungen in Unteritalien haben uns eine Weile von den Ereignissen abgezogen, die aus dem Verhältnis der Stadt zum Reich entsprangen. Die Bedrängnisse Roms wurden aber noch von dieser Seite vermehrt. Lambert, in sein Herzogtum Spoleto wieder eingesetzt, tat alles, die Verwirrung Italiens zu vergrößern, weil sie seine auf Unabhängigkeit und noch größere Macht gerichteten Hoffnungen förderte. Rom hatte schon einmal seine Hand gefühlt; die von Johann verdammten Großen hatten bei ihm Zuflucht gesucht und bestürmten ihn, wie Flüchtlinge tun, mit Bitten, sie zurückzuführen. Zwischen Kaiser und Papst säte man Verdacht aus, welcher an den Absichten der Söhne Ludwigs des Deutschen Nahrung fand; denn diese Fürsten waren ihrerseits nach dem Besitze Italiens begierig. Selbst die freundlichen Beziehungen Roms zum griechischen Kaiser, dessen Generale wieder in Unteritalien und oft siegreich auftraten, bestärkten das Mißtrauen Karls des Kahlen, während das Bewußtsein seiner Schwäche den Argwohn schärfte. Er hatte den Römern Grund genug gegeben, ihre Kaiserwahl zu beklagen und einen andern Imperator an seiner Statt zu wünschen. Die Briefe Karls an Johann besitzen wir nicht, aber ein Schreiben des Papsts macht die Dinge klar. Lambert hatte im Namen des Kaisers Geiseln von den Römern verlangt, Johann sie verweigert. Nimmer, so erklärte er, könne er glauben, daß dies der Wille des Kaisers sei; er schrieb Lambert, der römische Adel werde eher den Tod wählen als in dieses unerhörte Begehren willigen; er bat ihn, sich nicht nach Rom zu bemühen, und versicherte, daß die Unzufriedenheit der Römer mit dem Kaiser auch ohne ihn wie ein Spinngewebe verschwinden werde.

Der Papst rechtfertigte sich gegen den Zweifel an seiner Treue auf dem merkwürdigen Konzil, welches er im Februar 877 zu Rom versammelte. Hier wurde die Kaiserwürde Karls neu bestätigt, wodurch der Anspruch der Söhne des am 28. August 876 gestorbenen Ludwigs von Deutschland niedergeschlagen und eine Spaltung im Reich vermieden werden sollte. Die Angst vor den Sarazenen und den Exilierten, die Hoffnung auf kaiserliche Hilfe, die Furcht vor Lambert, auch vor den deutschen Fürsten, gaben der Rede des Papsts vor den versammelten Bischöfen den Ausdruck völlig schamloser Schmeichelei. Karl der Kahle durfte für seine Pflege der Wissenschaften einiges Lob beanspruchen, die römische Kirche konnte ihn preisen, weil sie ihm manche Vorteile verdankte, aber die Lobsprüche Johanns mußten das kaiserliche Phantom in aller Augen lächerlich machen. Er nannte ihn das heilbringende Gestirn, welches der Menschheit aufgegangen sei, behauptete, Gott habe seine Kaiserwahl bereits vor Erschaffung der Welt vorherbestimmt, und bekleidete den elenden Monarchen mit einer Fülle glänzender Tugenden, die selbst für einen Karl den Großen eine Last würden gewesen sein. Er sagte endlich, um dieser Tugenden willen habe er Karl erwählt und bestätigt, im Einverständnis mit den Bischöfen, dem erlauchten Senat, allen Römern und dem togatragenden Volk, worauf die Bischöfe die Kaiserwahl auch ihrerseits von neuem anerkannten. So tief war das Imperium des großen Karl hinabgesunken.

Karl der Kahle kam, von seiner Gemahlin begleitet, mit einem Heer wirklich nach Italien. Bei Orba empfing er die Abschrift der römischen Synodalakten und die Meldung, daß der Papst ihm bis Pavia entgegenreisen wolle. Johann befand sich nämlich in Ravenna, wo er im August 877 eine Synode hielt. Unter den Beschlüssen derselben betrafen einige die Patrimonien der Kirche, gegen deren Veräußerung durch irgendwelche Titel feudaler Natur ein Dekret erlassen ward. Der Begriff des Feudum, welches Wort damals noch nicht im Gebrauch war, wurde im allgemeinen durch beneficium ausgedrückt. Ländereien wurden als beneficia verliehen, andere infolge eines schriftlichen Gesuchs ( precarium) als sogenannte praestaria zur Nutznießung gegeben, und von dem Instrument der Verleihung, welches libellum genannt ward, hießen diese Grundstücke libellaria. Die immer größere Verwirrung aller Verhältnisse, da Habsucht und Raubgier, Gewalt und Betrug jeder Art nach dem Güterbesitz strebten und unzählige Titel für ihn erfanden, erleichterte die Entfremdung des Eigentums, und die Benefizien verwandelten sich in Erbgüter dessen, der sie empfangen hatte. Die Großen Roms, aus deren Mitte die Päpste emporkamen, streckten ihre Hände gierig nach den Patrimonien aus, und die Päpste sahen sich bald genötigt, die Güter St. Peters an ihre Parteimänner unter Pachttiteln zu verschleudern, weil sie damit ihre Erhebung bezahlten oder einen Anhang sich sicherten. Gegen diese Zersplitterung des Kirchenguts richtete sich Johann VIII. auf der Synode von Ravenna im August 877. Unter den Karolingern war es Gebrauch geworden, Klöster oder Kirchen auf Grund des Patronats der Großen an Bischöfe, Grafen, selbst an edle Frauen zu Lehen zu geben; Johann verbot, die Klöster und Güter in Ravenna, in der Pentapolis und Aemilia, im römischen und langobardischen Tuszien als Benefizien zu verleihen, und nahm nur solche aus, die zum besondern Gebrauch der römischen Kirche entweder im Dukat Rom Angesessenen vergeben oder der päpstlichen Kammer zugewiesen waren. Die unmittelbar dem päpstlichen Fiskus gehörenden Güter wurden namentlich so bezeichnet: das Patrimonium Appiae, Labicanense oder Campaninum, Tiburtinum, Theatinum, beide sabinische Landschaften, das Patrimonium Tusciae, der Porticus des St. Peter (die Leostadt), die römische Münze, alle öffentlichen Abgaben, die Ufergefälle, der Hafen (Portus) und Ostia. Ausdrücklich wurde bestimmt, daß diese Patrimonien nicht unter Lehnstiteln ausgegeben werden sollten. Die römische Kirche wollte ihr Gut wie bisher verpachten, aber sie sträubte sich vergebens gegen das Eindringen des germanischen Feudalprinzips, aus welchem mit der Zeit die völlige Entfremdung des verliehenen Besitzes und eine Menge gefährlicher Erbtyrannen hervorgehen mußte.

Nach jener Synode eilte Johann VIII. dem Kaiser entgegen, den er bei Vercelli traf; er reiste mit ihm nach Pavia, aber die Botschaft, Karlmann sei von Deutschland mit einem starken Heer im Anzuge, erschreckte den feigherzigen Karl. Er verließ eilig Pavia; nachdem er in Dortona seine Gemahlin vom Papst hatte krönen lassen, floh er nach Frankreich zurück, während Johann, bekümmert, daß der versprochene Kriegszug gegen die Sarazenen nunmehr in nichts zerronnen sei, nach Rom heimkehrte. Dort hörte er bald darauf, Karl sei auf der Flucht am 13. Oktober gestorben; ein Pulver, welches ihm sein jüdischer Leibarzt gegen das Fieber gemischt hatte, beförderte ihn, so sagte man, schnell in die andere Welt. Er hatte sich sterbend ein Grab in St. Denis gewünscht, aber der Kaiser Roms wurde in einem verpichten, mit Leder überzogenen Faß in einer Einsiedelei bei Lyon in die Erde versenkt.

Der Tod Karls des Kahlen brachte eine augenblickliche Veränderung in den politischen Verhältnissen hervor. Die französische Partei unterlag mit ihm, die deutsche triumphierte. Karlmann, der mit Kriegsvolk in Oberitalien stand, gewann die Stimmen der Bischöfe und Grafen für seine italienische Königswahl; er forderte vom Papst die Kaiserkrone, und Johann VIII. konnte nichts anderes tun, als seine wahre Absicht hinter Unterhandlungen verbergen. Das Emporkommen der deutschen Partei schreckte ihn; seine Feinde in Rom, die Verbannten in Spoleto jubelten, und Lambert nahm eine drohende Haltung an. Der Papst schrieb ihm jetzt aus Furcht schmeichlerische Briefe, in denen er ihn den einzigen Beschirmer der Kirche und ihren treuesten Verteidiger nannte. Er habe gehört, daß er seine Feinde, die bereits dreimal exkommunizierten Römer, in die Stadt zurückführen wolle; er wundere sich dessen, da er doch mit ihm in Frieden lebe. Er verbat sich seine Ankunft in Rom wie jene des Markgrafen Adalbert von Tuszien, den er seinen offenbaren Widersacher nannte. Lambert antwortete mit Geringschätzung; er verletzte sogar die dem Papst schuldigen Formen der Ehrerbietung so weit, daß er ihm wie einem weltlichen Manne nur den Titel »Ew. Edeln« gab, worüber sich Johann beschwerte; er verlangte, der Papst solle, sooft er ihm Legaten schicke, erst seine Erlaubnis dazu einholen. Johann erklärte endlich, daß er nach Frankreich gehen wolle, um von dort aus mit Karlmann wegen der Abhilfe seiner Bedrängnisse zu unterhandeln. Er gab außerdem als Grund dieser Reise die schon zwei Jahre lange Bedrückung durch die Sarazenen an sowie die fortdauernden Angriffe durch die inneren Feinde des Apostolischen Stuhls, welche ihm ein längeres Bleiben in Rom nicht mehr möglich machten; unter Androhung des Bannes ermahnte er Lambert, während seiner Abwesenheit das Gebiet St. Peters und die »priesterliche und kaiserliche Stadt« nicht zu beschädigen.

Die unkluge Ankündigung einer Reise nach Frankreich, die doch keinen anderen Zweck haben konnte als diesen, Ludwig, den Sohn Karls des Kahlen, gegen Karlmann in Waffen zu rufen und vielleicht ihm die Kaiserkrone zu geben, ferner Unterhandlungen des Papsts, welche laut geworden waren, trieben Karlmann zu einem schnellen Entschluß. Die in seinem Heer ausgebrochene Pest hatte auch ihn ergriffen, zur Untätigkeit in Bayern verdammt und seinen Zug nach Rom unmöglich gemacht; aber der Herzog von Spoleto und die römischen Vertriebenen warteten nur auf seinen Wink, sich des Papsts zu versichern. Im Februar oder März 878 erschien Lambert plötzlich vor Rom. Mit ihm war Adalbert, Markgraf von Tuszien, des Grafen Bonifatius Sohn, Gemahl seiner Schwester Rothilda, und in ihrem Gefolge befanden sich die römischen Exilierten. Ohne eine feindliche Absicht zu verraten, begehrte er mit dem Papst im Namen Karlmanns zu reden, und Johann war gezwungen, ihn im Palast am St. Peter zu empfangen. Die Spoletiner besetzten indes die Leostadt und stellten eine Wache am St.-Peterstor auf, den Römern den Zugang dorthin zu verwehren. So sah sich der Papst gefangen. Während die Kriegsknechte, um ihn zu schrecken, Gewalttaten verübten, forderte Lambert die Zusicherung der Kaiserwahl Karlmanns, worauf er die römischen Großen zu einem eidlichen Versprechen in diesem Sinne zwang. Aber Johann selbst ließ sich weder diese Zusage noch die Herstellung der Exilierten abzwingen, denn dreißig Tage lang blieb er in Haft, welche, wie er sich beklagte, so enge war, daß nur auf inständiges Bitten römische Große und Bischöfe oder seine Diener zu ihm gelassen wurden, ja daß man ihn Mangel an Nahrung leiden ließ. Lambert zog endlich mit der Drohung ab, wiederzukehren, ohne freilich mehr erreicht zu haben, als daß er die Rache des Papsts entflammt und seine Reise nach Frankreich beschleunigt hatte. Nach dem Abmarsch der Spoletiner begab sich Johann in den St. Peter. Er ließ die Schätze der Kirche nach dem Lateran schaffen, verhüllte den Hauptaltar mit einer härenen Decke, verschloß die Basilika, gab keinem Pilger Einlaß und versetzte alles in Bestürzung. Nachdem er an die Könige in Frankreich und Deutschland, an den Erzbischof von Mailand, an Berengar und Engelberga Klagebriefe geschrieben und in St. Paul den Fluch über Lambert ausgesprochen hatte, wenn er zum zweitenmal Rom überfallen sollte, verließ er im April die Stadt, warf sich in ein Schiff und floh nach Frankreich.


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