Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2. Zivilverwaltung der Stadt Rom. Nichtexistenz des Senats. Die Konsuln. Die Beamten der Stadt. Der Adel. Justizwesen. Stadtpräfekt. Der päpstliche Hof. Die sieben Palastminister und andere Hausoffizianten.

Wenn sich unsere Kenntnis vom Zustande des römischen Volks jener Zeit im allgemeinen nur darauf beschränkt, eine militische wie bürgerliche Organisation auf Grundlage der Zünfte zu erkennen, so ist sie noch viel unsicherer, was die Munizipalverfassung und Zivilverwaltung der Stadt betrifft. Aus dem ersten Jahrhundert seit Gregor dem Großen haben sich nur wenige Urkunden erhalten, und was sich aus ihnen und aus Bemerkungen der Chronisten zusammenstellen läßt, gibt Resultate mehr negativer als positiver Natur.

Der alte römische Senat bestand nicht mehr. Kein griechischer oder römischer Autor gedenkt seiner seit 579, und dies Stillschweigen lehrt, daß er so erloschen war, wie Agnellus von Ravenna es gesagt hat. Erst seit 757 taucht der alte Name Senatus mehrmals wieder auf. Wir bemerkten ihn zuerst im Schreiben des römischen Volks an Pippin nach der Papstwahl Pauls I. Es sind die Römer selbst, die sich darin als Senat unterzeichnen, ja wir haben offenbar die alte Formel Senatus Populusq. Romanus, nur in anderer Fassung vor uns. Aber die Verteidiger der Fortdauer des Senats in jenen Jahrhunderten werden durch diese Stelle nur scheinbar unterstützt. Allerdings war bisher keine Zeit geeigneter, die Erinnerung an die alten Institutionen der Römer zu beleben, als diese, wo die Stadt der byzantinischen Herrschaft sich entzog und wieder als Haupt einiger Provinzen sich zu betrachten begann. So lebte der Senat wieder auf, doch nur als Name und Erinnerung. Die mächtigen Adelsgeschlechter, im Besitze der ersten Stellen in Kirche, Heer und städtischer Verwaltung und mit den Titeln Dux, Comes, Tribun und Konsul bekleidet, traten jetzt entschieden als eine Aristokratie in Rom auf, welche den Päpsten gefährlich wurde. Es waren nur diese Optimaten oder Judices de Militia, welche den erhabenen Namen des Senatus für sich in Anspruch nahmen.

Hätte der Senat noch als ein Kollegium Fortbestand gehabt, so würden wir unzweifelhaft den Titel Senator im Gebrauche jener Zeit finden, aber er läßt sich in keiner Urkunde entdecken; die Briefe der Päpste sprechen von Optimaten, doch niemals von Senatoren. Wenn ferner ein Senat entweder als Ausschuß die Aristokratie im ganzen vertreten oder dem Papst als beratende Körperschaft in politischen Dingen gedient hätte, so würden wir Senatoren überall da auftreten sehen, wo es die wichtigsten Beziehungen Roms galt, bei der Papstwahl und in Geschäften mit den Höfen in Pavia, Franzien und Konstantinopel. Allein wie zur Zeit Gregors, so ist auch im VIII. Jahrhundert nirgend davon die Rede. Unter den Gesandten der Päpste an die Höfe, unter ihren Bevollmächtigten zur Empfangnahme von Städten oder zur Feststellung der Grenzen finden wir Äbte und Bischöfe, die ersten Palastbeamten, wie den Primicerius der Notare, den Saccellarius und Nomenculator oder hie und da einen Dux; unter ihren Begleitern endlich auf den wichtigsten Reisen neben Klerikern nur Optimaten der Miliz, und auch bei ihren Hilfegesuchen im Namen aller Klassen Roms wird nie ein Senat erwähnt.

Der römische Senat ist demnach in seiner antiken Gestalt als völlig erloschen zu betrachten, und auch die Meinung derjenigen, welche ihn wenigstens als städtische Kurie oder als Gesamtheit der Dekurionen noch im VIII. Jahrhundert erhalten glauben, läßt sich nicht erweisen. Die große Anzahl von Konsuln, die sich schon im VIII. Säkulum und noch weit mehr in späteren Jahrhunderten in Urkunden Roms findet, hat ausgezeichnete Forscher bewogen, in ihnen die Dekurionen oder die Vorstände des Senats zu sehen und sich so ein städtisches Kollegium zu erfinden, welchem sie den Namen Consulare gaben. Aber in dem Titel Konsul läßt sich keineswegs für diese Zeit ein solcher Wirkungskreis entdecken; allgemein in Gebrauch nicht allein in Rom, sondern in Ravenna, Neapel und Venedig, selbst in Istrien, wurde er noch im VI. und VII. Jahrhundert vom Kaiser aus Gunst oder um Geld verliehen und nach der Mitte des VIII. Säkulum wahrscheinlich auch vom Papst ausgeteilt. In dem Maße, als der Titel Patricius seltener ward, wurde der des Konsul allgemeiner und endlich auch wertloser. Jenen bemerkten wir zum letztenmal im Jahre 743 am Dux Stephanus, welchem Zacharias das Regiment der Stadt übergab, als er zu Luitprand reiste; er wurde endlich ausschließlich von Pippin und Karl geführt, ihre schutzherrliche und oberrichterliche Stellung zu bezeichnen. Aber den Konsultitel bewahrten sich die Römer als Tradition der Väter; die Großen schmückten sich mit ihm unter dem üblichen Zusatz Eminentissimus; ihre Söhne erbten ihn vielleicht fort wie die Würde des Dux, ja einmal findet er sich sogar allgemein für den römischen Adel gebraucht. Mehrmals erscheint er in Rom wie in Neapel in der Verbindung mit Dux, und dieser letzte, nicht der erste Titel gibt dann der Person den ausgezeichneten Rang. Indes wurde er so häufig, daß ihn im IX. Jahrhundert Personen jedes, namentlich richterlichen Amts zu führen begannen. Er wurde zu einer Beamtentitulatur, und so gibt es consul et tabellio, consul et magister censi, consul ex memorialis, und im IX. Jahrhundert sogar consul et negotiator.

Während der byzantinischen Epoche wurden in Rom die höchsten Gerichtsstellen und die obersten Verwaltungsbehörden vom Exarchen eingesetzt; er schickte einen Dux oder auch einen Magister Militum als General des Heers und Regenten Roms und des Dukats, ferner seine Judices, »die Stadt zu verwalten«, und unter ihnen haben wir sowohl eigentliche Richter als Finanzbeamte zu verstehen, welche dem Dux oder in letzter Instanz dem Präfekten Italiens untergeben waren. Als aber später die Päpste zu Herren des Exarchats und Roms wurden, ernannten sie selbst diese Verwaltungsbeamten; sie schickten nach Ravenna und in die Pentapolis ihre Actores, das heißt wesentlich Beamte der Administration, denen unter verschiedenen Titeln auch die Richtergewalt zustand. Nicht minder bestellten sie in Rom die obersten Magistrate, die Judices, den Präfekten der Stadt, die Führer des Heers, wie das zweifellos angenommen werden muß. Seitdem das Amt eines Dux in Rom, welches wir noch im Jahre 743 vorfanden, eingegangen war, betrachtete sich der Papst selbst als den Rector der Stadt. Wir finden daher nur Duces, nicht einen Dux mehr dort, und diese Beamten (im VIII. Jahrhundert einigemal genannt) sind oft, doch nicht immer auch als städtische Behörden anzusehen. Im allgemeinen wurde das Zivilregiment seit Pippin durch Richter und Beamte ausgeübt, welche dem Papst huldigten, wie sie vorher dem Exarchen für den Kaiser gehuldigt hatten. Aber wir bemerken nochmals, daß unter dieser landesherrlichen Autorität des Papsts die Stadt Rom als eine wenn auch nicht politisch selbständige, so doch sich selbst verwaltende Gemeinde fortbestand. Aus Elementen der Städteverfassung, die im Verfalle des Reichs in Trümmer ging, hatten sich zukunftsvolle Keime in der Miliz, den Scholen und Zünften erhalten, den wichtigsten Einrichtungen der Übergangszeit in die mittelalterliche Munizipalverfassung.

Die durch Ämter, Geschlecht und Reichtum ausgezeichneten Vornehmen beherrschten als Patrone, Richter und Offiziere Heer wie Populus. In ihren Händen befand sich aller Einfluß in Rom, so daß die Geschichte der Stadt deutlicher als alles andere eine Aristokratenherrschaft zeigt, die mit der Miliz und der Beamtenhierarchie zusammenfällt. Die Klasse der Optimaten tritt nämlich nicht als eine Korporation erblicher Patrizierfamilien auf; obwohl mancher Römer ein Geschlecht von Konsuln und Duces mit Stolz nachweisen mochte, so findet sich doch keine Spur adliger Familiengruppen des späteren Mittelalters. Die alten Senatoren- und Konsulargeschlechter waren ausgestorben, und neue bildeten sich erst; und wo wir Optimaten bemerken, erscheinen sie nur durch ihre Ämter in Kirche und Republik bedeutend, nicht durch ihre Familie an sich. Ihre Macht als solche Judices de Militia wurde freilich verstärkt, wenn sie, wie der Dux Toto, auch reiche Grundherren und Gebieter vieler Kolonen waren. Indem sie alle wichtigen Stellen, am Hofe des Papsts als seine Minister, in der Miliz als Patrone, Duces und Tribune, in der Justiz als Judices an sich genommen hatten, leiteten sie wohl auch die städtische Verwaltung, vielleicht unter dem Vorsitz des Stadtpräfekten. Denn die Stadt kann, trotz des Erlöschens des Senats, nicht ohne Magistrate gedacht werden, die den Kommunalgeschäften oblagen und das städtische Vermögen aus Gütern und Zöllen verwalteten; noch läßt es sich denken, daß Rom ohne einen Gemeinderat bestand, der sich durch Wahlen ergänzte. Da nun aber schon seit dem VII. Jahrhundert die Erhaltung der Selbständigkeit Roms durchaus auf der städtischen Miliz beruhte und deren Organisation allein den Stadtbürgern das Gefühl der Kraft und das Bewußtsein eines politischen Gemeinwesens und seiner Rechte gab, so werden die Führer dieses Heers auch die Häupter der Bürgerschaft überhaupt gewesen sein und den Stadtrat gebildet haben. Die Munizipalverfassung Roms in jener Epoche kann daher nur als eine militisch-oligarchische betrachtet werden.

Wie aber die städtischen Magistrate beschaffen waren, wissen wir nicht; die Verwaltung des Census und der Kommunalgüter bleibt so gänzlich dunkel wie die Einrichtung des ädilizischen Wesens, und dieses gehörte wohl immer in den amtlichen Bereich der Stadtpräfektur. Namen wie Defensor, Curator, Principalis, Pater Civitatis werden in Rom nicht gehört, und nur einzelne Bezeichnungen in Urkunden geben städtische Notare und Kanzler zu erkennen. Diese altrömischen Titel sind: chartularius et magister, auch consul et magister censi urbis, exmemorialis urbis Romae, scriniarius et tabellio, consul et tabellio urbis Romae. Die Chartularii werden, wie es scheint, mit Auszeichnung im Schreiben Stephans an Pippin nach den Duces und vor den Comites und Tribuni genannt; sie waren städtische Verwaltungsbeamte, welche bisweilen auch als Richter im Dienst des Papsts gebraucht wurden. Zur Zeit Stephans III. war einer der einflußreichsten Männer Roms Gratiosus, »damals Chartularius und dann Dux«, woraus erkannt wird, daß er von einem geringeren städtischen Amt zu einem höheren emporstieg. Was endlich die Verteilung der ordentlichen Gerichte in dieser Periode betrifft, so ist sie nicht minder ungewiß, weil Verwaltung und Justiz ineinander eingriffen und die verschiedenartigsten Beamten vom Papst willkürlich gewählt werden konnten, um beim Gericht als Schöffen zu sitzen. Das Justizwesen erscheint daher völlig verworren; nur dies erkennen wir, daß der Stadtpräfekt noch die oberste Kriminalbehörde Roms war, ähnlich dem Consularis in Ravenna, und daß vor seinen Richterstuhl die schwersten Verbrechen vom Papst selbst gewiesen wurden. Sonst finden sich Consules und Duces, Chartularii, Judices des Palatium bei Gerichten hie und da vom Papst beauftragt; doch alles übrige ist dunkel, da wir spätere Anstalten der Justiz, namentlich jene von doppelter Natur des kaiserlichen und päpstlichen Palasts nicht in das VIII. Jahrhundert hineinziehen können. Unbezweifelt ist dies: die frühere Zusammensetzung der Gerichte war mit der antiken Stadtverfassung gefallen, die richterlichen Ämter, oft mit denen der Administration vereinigt, wurden vom Papst eingesetzt; es floß aber die Richtergewalt aus gewissen Würden und Stellungen, so daß der Dux, Comes oder Tribun zugleich wirklicher Judex in seinem Kreise war.

Viel deutlichere Vorstellungen haben wir von der Verwaltung des päpstlichen Hofes, welche tief in die Angelegenheiten der Stadt eingriff. Der Lateranische Palast war im Laufe der Zeit der eigentliche Mittelpunkt Roms und der Sitz der gesamten geistlichen Administration geworden. Er war das Abbild der Kontraste im Papsttum selbst: in demselben Bezirk zusammengehäufter Gebäude wurden die kirchlichen Angelegenheiten aller Provinzen der Christenheit besorgt, Bettler genährt, Gerichte gehalten und Tribute einkassiert. Begriff und Regel des kaiserlichen Palastes ging auf den Lateran über, und von dem byzantinischen Hof wurde die strenge Rangordnung der Beamten und das Zeremoniell entlehnt, doch geistlich modifiziert. Der Papst war im VIII. Jahrhundert von einem förmlichen Ministerium umgeben. Die Anfänge desselben lassen sich bis ins VI. Jahrhundert verfolgen, aber seine Bedeutung trat erst mit der Gründung des Kirchenstaats hervor. Ähnlich den Notaren und Diakonen, die seit alters in die sieben kirchlichen Regionen verteilt waren, erscheint auch in ihnen die Siebenzahl. Sie waren: der Primicerius und Secundicerius der Notare, der Arcarius, Saccellarius, Protoscriniarius, der Primus Defensor und der Nomenculator. Obwohl Kleriker, durften diese Beamten ihrer weltlichen Beziehungen wegen doch zu keinem kirchlichen Grade aufsteigen, sondern sie blieben im Range der Subdiakonen stehen. Ihr Ansehen überragte indes weit dasjenige aller Bischöfe und Kardinäle, weil sie die höchsten Minister des Papsts waren, alle vollziehende Gewalt ihnen zukam und auch die Papstwahl hauptsächlich von ihnen abhing. Ihre Einwirkung auf alle Schichten des Volks gab ihnen allmächtigen Einfluß.

Nach dem System des byzantinischen Palasts, wo alle Hofbeamten in Schulen gegliedert waren, erscheinen auch sie zunächst als Häupter von Zünften der Notare. Die erste Stelle unter ihnen nahm der Primicerius Notariorum ein, dessen Amt sich bereits um die Mitte des IV. Jahrhunderts genannt findet. Er war ursprünglich das Haupt der sieben Regionarnotare, die nach der Zeit Constantins die Aufsicht über das Scrinium oder die Kanzlei führten. Seinem Wesen nach war er der Premierminister oder Staatssekretär des Papsts; er vertrat ihn nicht nur bei der Vakanz neben dem Archipresbyter und Archidiaconus, sondern er stand in diesem Fall eigentlich an der Spitze der Verwaltung. Neben sich hatte er den Secundicerius oder Unterstaatssekretär, und diese beiden Minister galten als die einflußreichsten Würdenträger Roms. Bei allen feierlichen Gelegenheiten, wie bei Prozessionen, führten sie den Papst an der Hand, sie hatten den Vortritt vor den Bischöfen. »Sie scheinen«, so sagt ein späteres Fragment über die Judices des Palasts, »mit dem Kaiser selbst zu regieren, da er ohne sie nichts Wichtiges erlassen kann.« Daher begehrten die angesehensten Optimaten, auch Nepoten der Päpste, den Glanz dieser Ämter; wir finden Konsuln und Duces zum Primizeriat als höherer oder höchster Würde emporsteigen.

Der Arcarius oder Kassierer kann als Minister der Finanzen überhaupt betrachtet werden; der Saccellarius oder Zahlmeister bezahlte aus dem öffentlichen Schatz die Löhnung für die Truppen, die Almosen an die Armen, die Geschenke (Presbyteria) an den Klerus. Diese Finanzbeamten griffen natürlich hie und da in die Verwaltung des städtischen Vermögens ein, da sämtliche Abgaben an den Fiskus, Zölle der Tore und Brücken und Betriebssteuern vom Arcarius geordnet und in den päpstlichen Schatz gefordert wurden.

Der Protoscriniar führte diese Benennung vom Scrinium oder Archiv im Lateran, bei welchem die Scriniarii angestellt waren, das heißt die päpstlichen Kanzleisekretäre oder Tabelliones, denen es oblag, die Episteln und Dekrete der Päpste zu schreiben und die Akten der Synoden vorzulegen. Das Haupt ihrer Schule war der Protoscriniar, an welchen die Dekrete gingen, bevor sie dem Primicerius zur Bekräftigung vorgelegt wurden.

Hierauf folgte im Range der Primus Defensor oder Primicerius der Defensoren, deren Vorstand er war. Auch diese Kleriker bildeten seit Gregor dem Großen ein Regionarkollegium; ursprünglich Anwälte der Armen, wurden sie Advokaten der Kirche, und wir haben sie schon zu Gregors Zeit neben Notaren und Subdiakonen als Verwalter von Kirchengütern oder Rectores verwendet gesehen. In den Händen ihres Präsidenten lag also die Administration der Patrimonien; er konnte als Minister der Agrikultur betrachtet werden, aber dies nicht allein, da durch die Defensoren alles an ihn kam, was sich auf die Rechte der Kirche gegenüber dem Staat, den Bischöfen und Privaten und auf die Verhältnisse der Kolonen bezog.

Der letzte in dieser Reihe ist der Nomenculator oder Adminiculator, der eigentliche Anwalt der Pupillen, Witwen, Bedrängten und Gefangenen, oder Minister in Gnadensachen. An ihn wandten sich alle, die vom Papst etwas zu bitten hatten.

Der allgemeine Name dieser sieben höchsten Beamten des geistlichen Staates war im VIII. Jahrhundert Judices de Clero, zum Unterschied von den Judices de Militia, den Duces, Konsuln, Chartularii, Magistri Militum, Comites und Tribunen. Als aber nach der Erneuerung des Kaisertums das päpstliche Palatium auch eine kaiserliche Pfalz wurde, erscheinen jene in der doppelten Eigenschaft von päpstlichen und kaiserlichen Beamten zugleich, und sie führen den Titel Judices Palatini, Pfalzrichter, auch Judices Ordinarii, weil ihre Jurisdiktion mit ihrem Wirkungskreis verbunden war; als Kleriker durften sie jedoch nicht Kriminalrichter sein. Im VIII. Jahrhundert besaßen sie nicht nur Gerichtsbarkeit in ihren betreffenden Abteilungen, sondern sie wurden vom Papst bei verschiedenen Rechtsfällen zugezogen. Hauptsächlich dienten sie ihm als Diplomaten und Boten, wir haben namentlich so verwendet gefunden den Primicerius und Secundicerius der Notare, den Primus Defensor, den Nomenculator und den Saccellarius, doch niemals unseres Wissens den Arcarius und Protoscriniarius.

Außer diesen sieben Ministern gab es noch andere angesehene Palastbeamte, die eigentlichen Hausoffizianten des Papsts, welche wiederum zahlreiche Unterbeamte in Scholen vereinigten, so der Vicedominus oder Haushofmeister, der Kämmerer oder Cubicularius, der Vestiarius und der Bibliothekar. Der Vestiarius war nächst den sieben der einflußreichste, so daß Optimaten mit dem Titel Konsul und Dux dies Hofamt nicht verschmähten. Nicht allein hatte er als Haupt einer sehr zahlreichen Schole die Aufsicht über die kostbaren Gewänder, sondern auch über den Schatz von Kleinodien, welcher im Vestiarium oder der Sakristei niedergelegt war. Daß aber auch er ein wirklicher Judex war, geht aus der Bulle Hadrians vom Jahre 772 hervor, womit er dem Prior des Vestiarium für alle Zeit die Jurisdiktion in Streitigkeiten des Klosters Farfa mit Einsassen »der Römischen Republik« übergab, mochten sie Bewohner Roms oder anderer Städte, Freie oder Knechte, Geistliche oder Milites sein. Es findet sich ferner der Titel eines Superista des Palatium, zur Zeit Hadrians mit dem Amt des Cubicularius, zur Zeit Leos IV. sogar mit dem eines Magister Militum verbunden, so daß es scheint, es sei ein durchaus weltliches Amt, vielleicht eines Curopalata im alten Sinne oder eines Sakristan gewesen, welches, mit anderen Würden vereinbar, die Oberaufsicht über die Hausoffizianten in sich begriff.

Alle solche Beamte des Palasts wurden neben jenen sieben Ministern nicht allein als Judices, sondern auch als Primates und Proceres Cleri (was heute die Prälatur ist) zusammengefaßt, wozu wir indes auch die Defensoren, Subdiakonen und die Regionarnotare rechnen. Wenn diese Männer aus den fernen Patrimonien Sardiniens und Korsikas, von den Cottischen Alpen und ehedem aus Kalabrien und Sizilien nach Rom zurückkehrten, so traten sie hier mit nicht geringerem Ansehen auf als die Prätoren und Praesides, welche einst das alte Rom zur Verwaltung der Provinzen abgeschickt hatte. Sie mischten sich dann mit Recht unter die Primaten der Kirche und erwarteten ihren Lohn in der Beförderung zu einem der Palastministerien. Sonst aber gehörten weder Kardinäle noch Bischöfe zu den Judices de Clero, sondern diese Titel bezeichneten nur die genannten Palastämter. Wir sehen demnach einen klerikalen Adel vor uns von zwitterhafter Natur, da er sich mit der Kirche wie mit dem Stande weltlicher Optimaten berührte. Und auch hier wie bei den rein weltlich Großen läßt sich erkennen, daß der Einfluß des Adels aus seinem hierarchischen Beamtentum floß.


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