Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Drittes Kapitel

1. Wahl Leos X. Sein prachtvoller Umzug zum Lateran. Stellung des Papsts zu den Mächten. Krieg mit Frankreich und Venedig. Schlacht bei Novara 6. Juni 1513. Ludwig XII. entsagt dem Schisma. Leo X. und seine Nepoten. Portugiesische Gesandtschaft.

Am 4. März 1513 bezogen fünfundzwanzig Wähler das Konklave, geschieden in die Parteien der älteren und jüngeren. Der reiche Raffael Riario war das Haupt jener, ein mittelmäßiger Kopf, Erbe der Ansprüche des Hauses Rovere. Er hoffte gewiß, Papst zu werden. Zwar die Bulle Julius' II. wider simonistische Wahlen mußte man befolgen, doch wurde bestimmt, daß der neu Erwählte seine Benefizien unter die Wähler verteilen solle. Erst am 6. März kam Giovanni Medici, von Florenz her in einer Sänfte nach Rom getragen. Er war krank; sein unheilbares Übel, eine aufbrechende Fistel, machte ihn fast unnahbar. Noch im Konklave operierte ihn sein Wundarzt. In dieser Gestalt erschien der Sohn Lorenzos des Prächtigen, die Tiara zu nehmen, die ihm nicht fehlen konnte. Die Jüngeren, üppige und fürstliche Herren, Aragona, Gonzaga, Petrucci, Cornaro, de Saulis scharten sich um ihn, und sein Konklavist, der heiter beredte Bernardo Dovizi, wirkte für ihn mit Geschicklichkeit.

Hinter Medici standen seine jüngsten Schicksale, der Glanz seines Hauses, die Verbindung mit den Hilfsquellen von Florenz. Er war im Vertrauen der Rovere gewesen. Durch seine Wiederherstellung in Florenz nach langem Exil schien ihm Julius II. selbst den Weg zum Heiligen Stuhl gebahnt zu haben. Auch er war Feind Frankreichs, welches die Medici gestürzt, ihn selbst in Gefangenschaft gehalten hatte. Ihn empfahlen Eigenschaften, die einen glänzenden, aber friedlichen Pontifikat versprachen. Er war ein beliebter Kardinal von fürstlicher Freigebigkeit. Sanftmut, selbst Herzensgüte schrieb man ihm zu. Man hielt ihn für sittenrein; er verstand es, so zu scheinen. Er war eitel und genußsüchtig. Klugheit besaß er unzweifelhaft. Eines Tags hatte sein Vater gesagt: ich habe drei Söhne, einen guten, einen klugen und einen Narren: der gute war Julian, der kluge Giovanni, der Narr Piero. In einer beneidenswerten Atmosphäre von Geist, Glanz und Schönheit war er groß geworden. Seine Jugend hatten Pico, Ficinus, Politian, Chalkondylas und sein eigner großer Vater geleitet. Die klassische Schule, die er im Palast Medici begonnen, hatte er als Kardinal in Rom fortgesetzt. Hier war sein immer offenes Haus (der heutige Palast Madama) die Akademie aller edlen Geister. Hier hatte er Künste und Wissenschaften mit schöngeistiger Schwärmerei unterstützt. Die Summen, die er auch für seine Familie im Exil wie für die mediceische Partei aufbringen mußte, hatten ihn mit Schulden überhäuft. Nie schlug er jemand etwas ab: er versprach, auch wenn er nichts gab. Die stillversteckte, diplomatische Natur der Medici, aber auch das geistreiche Florentiner Wesen, Lebenslust und Gefühl für alles Schöne, waren im Kardinal Giovanni verkörpert. Er schmeichelte sich durch Stimme und Wort in die Seelen der Menschen ein. Er bezauberte sie. Liebenswürdigkeit ersetzte die Mängel seiner Gestalt, welche häßlich zu nennen war: der Kopf auffallend groß, der Hals kurz und dick, der Oberkörper massiv, die Schenkel schmächtig und kurz. Wenn er saß, glich er mit seinem fetten geröteten Gesicht und den vorquellenden Augen – er war kurzsichtig und brauchte ein Augenglas – durchaus den widerlichen Prälatenfiguren, wie man sie zu Hunderten sah. Ein weichliches Wesen, leicht in Gefühlen lösbar, spricht sich in dem berühmten Porträt Raffaels von ihm aus. Auch die weiße, weichliche Hand ist weder die des Denkers noch des Mannes der Tat.

Erst 37 Jahre alt war Medici. Als die Gegner diese Jugend beanstandeten, sagten ihnen die Jüngeren, daß der körperliche Zustand des Kardinals unrettbar sei. Dies stand im Konklave fest: kein Papst mehr von der »schrecklichen« Art Alexanders und Julius' II. dürfe gemacht werden. Der hoffnungslose Riario gab bald die Stimmen seiner Partei dem Nebenbuhler. Dasselbe tat sogar Soderini, der bitterste Feind der Medici; er ließ sich gewinnen durch das Versprechen der Herstellung seines Hauses und der ehrenvollen Rückberufung seines Bruders Piero aus dem Exil. Am II. März ging Medici mit großer Stimmenmehrheit aus der Urne hervor. Er selbst zählte als Archidiaconus die Wahlzettel, wobei er keine Aufregung sehen ließ. Alexander Farnese verkündigte die Wahl dem jubelnden Volk. Man löste die Kanonen der Engelsburg, und durch ganz Rom erscholl das Geschrei: »Palle! Palle! Medici!« Der Neuerwählte nahm den Namen Leo X. an. Groß waren die Leone im Papsttum gewesen; Byzanz hatten sie niedergekämpft, dann die Kirche emporgebracht. Doch von der Löwennatur lebte nichts in der epikureischen Seele Medicis; Julius II. würde wohl über die Kühnheit dieses Namens gelächelt haben. »Dieser Papst«, so schrieb der kaiserliche Botschafter Alberto Pio seinem Herrn, »wird eher sanft sein wie ein Lamm als wild wie ein Löwe und ein Mann des Friedens.«

Ganz Italien begrüßte seine Wahl mit Freude. Es war wie ein nationales Ereignis, daß aus dem hochberühmten Hause des Cosimo und Lorenzo ein Papst hervorging. In einem anmutigen Bilde verglich später Jovius den sich forterbenden Glanz dieser Medici mit dem festlichen Fackellauf der Athener, wobei die Vorderen das angezündete Licht dem Nachfolgenden in die Hände gaben. Seit Cosmus hatte sich der Ruhm der Medici der Welt unverlöschbar eingedrückt. Ihrer staatsmännischen, finanziellen und kulturgeschichtlichen Größe war kein andres Haus gleichgekommen. Als sie nun nach ihrem tiefen Fall unter Piero sich wieder so hoch aufrichteten, erwachten auch die überspanntesten Erwartungen von dem Papsttum Leos X. Man verglich ihn mit dem aufstrahlenden Sonnengott, mit Augustus, der auf Julius Caesar gefolgt sei. Noch im Konklave berief er Bembo und Sadoleto, schon gefeierte Gelehrte, zu seinen Sekretären: die Poeten Roms verkündigten den Anbruch des goldenen Zeitalters.

Erst wurde Leo X. zum Priester und Bischof geweiht, dann am 19. März von Farnese gekrönt. Bald darauf konnte er sich dem Volk am Osterfeste darstellen, im halbzerstörten Dom. Man bewunderte ihn, als er am Palmsonntag in der Prozession barfuß und jugendlich einherging; als er bei der Coena Domini den Armen die Füße wusch und küßte, nicht bloß zum Schein. Barfuß küßte er das Kreuz. An solche kirchliche Praxis (sie galt für Religion) war man nicht mehr gewöhnt.

Seinen Umzug zum Lateran setzte Leo auf den 11. April an, denn dies war der Tag, wo er vor nur einem Jahr bei Ravenna gefangen ward. Dazu berief er die Vasallen der Kirche von fern und nahe; selbst den Herzog von Ferrara lud er freundlich ein, in dasselbe Rom zurückzukehren, aus welchem er eben erst entronnen war. Vom Bann wollte er ihn dispensieren, ihm erlauben, die Zeichen seiner herzoglichen Würde wieder anzulegen. Am 4. April kam Alfonso mit Hannibal Bentivoglio, dessen Bruder Hermes bereits eingetroffen war. Die vertriebenen Bentivogli hofften, von dem neuen Papst, der ihrem Hause wie dem der Rangoni befreundet war, die Wiederherstellung in Bologna zu erlangen. Doch sie täuschten sich.

Leo liebte jede Art von theatralischem Pomp. Schauspiele entzückten ihn, Karneval-Szenen, plautinische Lustspiele, Prozessionen. Wie ein Trajan wollte er durch Rom ziehen, auf seinem weißen Pferde von Ravenna. Vom Schaugepränge seines Ehrentages sollte die Welt reden. Hunderttausend Dukaten verschwendete er für diesen einen Tag. Denn wozu nahm der Papst den höchsten Thron der Welt ein, als um seine Majestät in Pracht und Glanz zu entfalten! Es bezeichnet den weibisch eitlen Sinn Leos X., daß er das Zermoniell seines Possesso mit dem Zeremonienmeister Paris genau besprach.

Nie sah man gleiche Zurüstungen zu einem Papstumzuge in Rom. Tausend Künstler malten, machten Statuen, bauten Ehrenpforten, setzten die Wappen der Medici zusammen. Dies war das große Fest der Renaissance im klassischen Zeitalter Raffaels, eine Ausstellung der Künste zur Huldigung des mediceischen Papsts. Auf dem langen Wege vom St. Peter bis zum Lateran errichtete man Altäre und Triumphbogen. Der Palast Constantins am Lateran wurde hergestellt und für das päpstliche Festmahl dekoriert.

Der Umzug Leos X. war ein Triumph in den Formen der Prozession. Im Grunde war es noch das Ritual aus alter Zeit, doch prachtvoll entwickelt, so daß diese Schaudarstellung des weltlichen Papsttums im Jahre 1513 auch das reichste Gemälde seines Glanzes ist. Den Zug eröffneten zweihundert Lanzenreiter und Stradioten, dann folgten die Dienstleute der Kardinäle in ihren Livreen und das niedere Hofgesinde. Ein weißes Pferd mit einer kleinen Leiter, rosenrot bedeckt. Sodann die zwölf Banderarii mit roten Fahnen, jetzt päpstliche Kursoren, zu Pferd. Die dreizehn Regionenkapitäne mit ihren Bannern. Zwei Reiter mit den Cherubim in roten Fahnen. Der Reiterzug der fünf großen Bannerträger: der Gonfaloniere des römischen Volks Johann Georg Cesarini, Sohn Gabriels, ganz gewaffnet, im rotseidnen Mantel, das Banner Roms tragend; der Prokurator des Deutschordens von Preußen mit seiner Ordensfahne; der Bannerträger von Rhodos, Fra Giulio Medici, noch Prior von Capua, schon folgenden Tags Erzbischof von Florenz; die päpstliche Wappenfahne; das Banner der Kirche. Zwölf weiße Pferde und Maultiere, kostbar behängt und gezäumt, der Marstall des Papsts. Ehrenstallmeister, junge römische Edle. Sechsundfünfzig Paare von Kammerdienern, in Rosaseide mit Hermelin; hinter ihnen vier andere, die funkelnden Mitren und Kronen des Papsts in Händen. Nun der glänzende Reiterzug weltlicher Herren: mehr als hundert Barone Roms, die Colonna, Orsini, Conti, Caffarelli, Santa Croce, Savelli, Gaëtani und andere, scheinbar einträchtig beisammen, mit den Wappen ihrer Häuser. Musiker in des Papsts Devise, weiß, rot und grün, den Farben des heutigen Italiens. Zweihundert Signoren, Lehnsmannen der Kirche, darunter Baglioni von Perugia, Ritter von Ferrara und Urbino, der Varano von Camerino, alle im reichsten Schmuck mit großem Gefolge, sodann viele Verwandte von Kardinälen. Ein farbenglänzender Zug florentinischen Adels, die Tornabuoni, Soderini, Salviati, Ricasoli, die Medici, Strozzi, Pucci und andere. Die Kavalkaden der Botschafter, in fürstlicher Pracht der Nationalkostüme, ihrem Range gemäß geordnet: erst die Oratoren aus dem Kirchenstaat, von Bologna, Ravenna, Spoleto, vom Patrimonium; dann die fremde Diplomatie, die Gesandten der Schweizer, die von Florenz, Francesco Vettori und Matteo Strozzi; die von Venedig, Spanien, Frankreich; der Botschafter des Kaisers, Graf Alberto Pio von Carpi, reitend zwischen Jacopo Salviati und dem Senator Roms, Giulio Scorciati. Der Zug des Herzogs von Urbino: er reitet daher in schwarzem Samt mit schwarzgekleidetem Gefolge, denn er trauert um den Tod seines Oheims Julius II., ahnungslos, daß der neben ihm reitende Nepot Lorenzo Medici ihn in wenigen Jahren aus seinem Land vertreiben werde.

Sodann die Scharen der Geistlichkeit: erst die Ostiarii in rotem Samt, die Subdiakonen mit silbernen Stäben, die Sakristane zu Fuß. Ein weißes Pferd mit dem Sakraments-Tabernakel; römische Bürger halten über ihm einen Baldachin, Palafrenieri mit brennenden Kerzen umgeben dasselbe.

Die zwei Seepräfekten, altertümliche Erscheinungen, wie schon zur Zeit Innocenz' III. Der Zug der Konsistorialadvokaten und Schreiber, die Sängerschule, alle zu Pferd, in roten oder schwarzen Roben. Die Kleriker der Kammer, die Auditoren der Rota; dann der nichtrömische und der städtische Klerus, etwa 250 Äbte, Bischöfe, Erzbischöfe, Prälaten, Patriarchen, Kardinäle; ihre Pferde mit langen weißen Decken überhängt. Jeder der Kardinäle hat ein Gefolge von acht Kämmerern. Ihren Zug eröffnen Sigismondo Gonzaga und der junge Alfonso Petrucci von Siena. Nach nur vier Jahren wird der Papst Leo ihn in der Engelsburg erwürgen lassen, an welcher er jetzt hoch und stolz vorüberzieht. Neben dem letzten Kardinaldiaconus reitet der Herzog von Ferrara im goldbrokatenen Fürstenmantel; alle Blicke sind auf diesen berühmten Helden von Ravenna gerichtet, den Gemahl der Lucrezia Borgia, den Flüchtling vor dem Grimme Julius' II. Er ist in Rom zugelassen nur als Figurant dieser päpstlichen Huldigungsszene. Der von seinem Haupt genommene Bannfluch wird bald wieder auf ihn niederfallen. Die Konservatoren, Puppen der vergangenen Freiheit Roms, bescheiden zu Fuß einhergehend, wie die Senatoren in der letzten Kaiserzeit. Die Schweizergarde, zweihundert Mann großer schöner Leute, in gelb, grün und weißer Devise, mit Hellebarden auf den breiten Schultern. Dahinter endlich der Papst! Er reitet auf dem weißen türkischen Pferd von Ravenna.

Dies Pferd hat, ehe es der Papst bestieg, Alfonso von Este ein paar Schritte weit geritten, dann ihm zugeführt. Den Zügel halten bis zur Fontäne des Petersplatzes der Herzog von Urbino als Stadtpräfekt, der Nepot Lorenzo, der Dynast Giammaria Varano, dann römische Edle. Je acht Bürger tragen den gestickten Thronhimmel. Der Papst ist erdrückt von der Last der Tiara und der Gewänder; sein gerötetes Gesicht von Schweiß triefend, aber strahlend vom Gefühl seiner Herrlichkeit.

So zieht er segnend durch das ihn umjauchzende Rom. Hinter ihm ein einzelner Kammerherr, dann ein anderer, der aus mächtigen Börsen Gold und Silber unter das Volk wirft: Kämmerer, Sekretäre, Protonotare folgen; zuletzt der gewaffnete Macerius mit dem Schirm des Papsts und der abschließende Zug von Fußvolk und Reiterei.

Der Umzug Leos war demnach eine ritualmäßige Prozession, an welcher höchstens der Pomp heidnisch erscheinen konnte. Aber das Heidentum selbst gab aus der Anschauungsweise der Zeit die Stadt Rom hinzu. Gemälde, Embleme, Sinnsprüche, Inschriften, Statuen: alles atmete den klassischen Geist der Renaissance. Die wiedererstandenen Götterbilder der Alten begrüßten auf der weiten Via Triumphalis das vorüberziehende Oberhaupt des Christentums. Wer schöne Antiken besaß, stellte sie vor seinem Hause auf. Man sah Marmorfiguren vom höchsten Wert, Ganymedes, Apollo, Bacchus, Venus, Kaiser und Heroen; so am Hause der Valle, des Evangelista de Rossi und an vielen andern. Statuen des Heilands und der Jungfrau, der Apostel und Heiligen, wie zumal S. Cosma und Damian, der christlichen Hausgötter der Medici, gesellten sich zu antiken Göttergestalten. Durch prachtvolle Triumphbogen zog der Papst unter Sinnbildern des Heidentums fort. An der Engelsburg, wo ihm die Judensynagoge den Pentateuch darbot, hatte der Burgvogt Raffael Petrucci, Leos Freund und Begleiter im Exil, die Brücke mit Teppichen gedeckt und einen Triumphbogen aufgeführt. Fontänen ergossen dort Wasser und Wein aus den Kugeln der Medici; man sah Apollo in einer Nische, aber auch Malereien christlichen Inhalts. Die Florentiner, die Siener, die Genuesen, die reichsten Bankhäuser Roms wetteiferten, dem Papst zu huldigen. Vor seinem Palast in den Banken hatte Agostino Chigi einen Triumphbogen auf acht Säulen aufgeführt, ein wahres Kunstwerk durch Malereien und Plastik. Allegorische Figuren, Nymphen, Apollo mit der Lyra, der Handelsgott Merkur und Minerva waren dort aufgestellt. Die goldene Inschrift des Frieses sagte:

Venus hatte zuvor ihr Reich, und es hatte es Mars auch,
Jetzo aber besteigt Pallas Athene den Thron.

Diese Verse bedeuteten die Regierungen Alexanders, Julius' II. und die beginnende Leos. Der Papst mochte lächeln, noch mehr, wenn ihm gleich hinter diesem Bogen die Statue der Venus in die Augen fiel, welche der Goldschmied Antonio von S. Marco vor seiner Bude aufgestellt und mit dieser Inschrift versehen hatte:

Mars fuit: est Pallas; Cypria semper ero.

Nichts Heidnisches zeigte der prachtvolle Triumphbogen der Florentiner an der Via Julia. Er war mit den Emblemen der Medici, Kugeln, Joch, Diamant, Federn, mit allegorischen. und geschichtlichen Gemälden, mit den Figuren der Sibyllen und der Apostel, ausgestattet. Selbst das Lateranische Konzil war dort abgebildet und ein Triumphwagen mit Kaiser und Königen, die dem Papst huldigten. Die Inschrift sagte: Dem Papst Leo X., dem vom Himmel Gesandten, die Landsleute und Mitbürger, der Größe seines Namens huldigend. In der Nähe stand der Bogen, welchen Johann Zink, der Vorstand der Münze, errichtet hatte, mit Allegorien der Wissenschaften. So ging der Zug fort von Triumphbogen zu Triumphbogen, von Altar zu Altar, durch die mit Teppichen und Blumen geschmückten, vom Volk dicht erfüllten Straßen, über Parione, durch die Pellicceria, S. Marco vorbei, über das Forum, am Colosseum vorüber, bis er nach vielen Stunden den Lateran erreichte. Die Bewachung des dortigen Porticus, woran damals noch die Reiterstatue des Marc Aurel stand, war Johann Jordan Orsini, Fabrizio Colonna, Prospero und dem Grafen Lodovico von Pitigliano übertragen worden. Die Ordnung ward nicht gestört. Strenge Edikte hatten das Waffentragen verboten. Nach altem Ritual nahm Leo vom Lateran Besitz; selbst auf der Sella Stercoraria ließ er sich noch nieder.

Nach der Festtafel begann der Heimzug zum St. Peter. Als der Papst vom Palast Massimi auf Campo di Fiore einlenkte, ward es Nacht, und die Illumination der Stadt begann. Nur in der Kunst schöner Beleuchtungen und der Feuerwerke stand die Renaissance hinter der unsrigen zurück. An der Brücke entließ Leo die Kardinäle: er selbst übernachtete bei Petrucci in der Engelsburg. So sinnverwirrend war dieser Festtaumel seines Ehrentages, daß er kaum getadelt werden konnte, wenn er über diesen Huldigungen seine Selbsterkenntnis verlor. »Als ich«, so sagte ein Augenzeuge mit Ironie, »über all die gesehene Herrlichkeit nachdachte, ergriff mich die Begier, Papst zu sein, und ich konnte die Nacht keinen Schlaf finden. Ich wundre mich nicht, daß diese Prälaten so sehnlich nach dem Papsttum trachten.«

Leo schwelgte in dem Bewußtsein seines Glücks, seiner Größe und des Ruhms, den er bei seiner Jugend noch erreichen durfte. Unter den günstigsten Zeichen begann er seinen Pontifikat. Kaum war er vier Tage Papst, so ergaben sich ihm die schismatischen Kardinäle Carvajal und Sanseverino, welche, nach dem Tode Julius' II. mit dem französischen Gesandten nach Rom geeilt, seine Wahl in Livorno erfahren hatten. Er befahl ihnen, vorerst zu Florenz in Haft zu bleiben. Piero Soderini rief er aus dem Exil in Ragusa nach Rom, und der Gonfaloniere kam, sich mit den Medici auszusöhnen. Den Pompeo Colonna, welcher nach dem Tode Julius' II. trotzig nach Rom gekommen war, löste Leo von den Zensuren seines Vorgängers und gab ihm seine Ämter wieder. Nichts Feindliches wollte er dulden. Die Fürsten brachten ihm ihre Glückwünsche dar, nur die Obedienz Frankreichs fehlte. Er wußte den Reden der Botschafter hinreichend gut zu antworten. Alle entzückte seine Urbanität. Die Könige ermahnte er zur Eintracht und zum Bunde wider den Feind der Christenheit. Nur friedlicher Genuß des Papsttums war sein höchstes Ziel.

Er selbst fand sich als den Erben der Größe seines Vorgängers, aber dieser ließ ihm auch eine Welt zurück voll von politischen Leidenschaften, die er feindlich aufgeregt hatte. Er übernahm das Lateranische Konzil und den Kampf mit dem gallischen Schisma. Er übernahm den neugegründeten Kirchenstaat und brachte ihm Florenz gleichsam als Hausmacht hinzu; aber all dieser Besitz war unsicher, wie seine Stellung zu den Mächten überhaupt, obwohl diese ihm gegeben war. Gleich nach dem Tode Julius' II. hatte Cardona Parma und Piacenza für Mailand besetzt und der Herzog von Ferrara einige seiner Städte wieder genommen. Leo erlangte ohne Mühe die Rückgabe jener durch den Herzog Sforza, und den Streit mit Alfonso ließ er vorerst ruhen. Wie aber sollte er den rachedürstenden König Frankreichs von Italien fernhalten?

Seit Alexander VI. befand sich jeder Papst den Gegenströmungen der Mächte Frankreich und Spanien ausgesetzt, von denen die eine nur durch die andere bekämpft werden konnte, während Sieg wie Niederlage jeder dieser Mächte Italien und Rom mit Knechtschaft bedrohte. Dieser Zwiespalt erzeugte die päpstliche Politik des XVI. Jahrhunderts, eine Taktik des Hin- und Herlavierens voll Doppelsinn und Trug, verbunden mit dem rücksichtslosen Raubsystem der Borgia: ihr Hebel der Nepotismus, ihr gleitendes Schild zu passenden Zeiten die Freiheit Italiens. Die Mediceer auf dem Heiligen Stuhl waren die Meister dieser Staatskunst, woran Italien zugrunde ging, weil es den Päpsten den nationalen Gedanken anvertraute. Der Krieg mit Frankreich zunächst war unvermeidlich, denn Ludwig XII. brannte von Ungeduld, Mailand wieder zu erobern. Schon am 23. März 1513 hatte er mit den Venetianern, seinen früheren Feinden, die Liga zu Blois geschlossen, worin sich beide Teile gelobten, die Waffen nicht eher ruhen zu lassen, bis nicht der König die Lombardei eingenommen, die Republik aber in den Wiederbesitz alles dessen gelangt sei, was ihr vor dem letzten Kriege auf der Terra Firma gehört hatte. Die Zustände Mailands machten Ludwig Hoffnung: denn hier schalteten die Schweizer mit tyrannischer Gewalt. Das unselige Land seufzte unter der Einquartierungslast der Spanier und Eidgenossen und erlag dem Druck von Steuern zur Besoldung dieser rohen Kriegsknechte. Die Mailänder haßten den unfähigen, zügellosen Sforza, ja sie sehnten sich nach den Franzosen zurück, welche wenigstens ein starkes Regiment geführt hatten; Parteien zerrissen die gequälte Stadt.

Leo suchte Venedig und Frankreich vom Kriege abzuhalten und jene Republik wiederum, ihrer alten Verbindung mit den Medici eingedenk, ihn zur Liga hinüberzuziehen. Er aber wollte nicht dasselbe Frankreich, welches Julius eben erst überwunden hatte, nach Italien zurückführen. Der Politik seines Vorgängers mußte er getreu bleiben. Dem Vertrage von Blois war am 5. April die Liga in Mecheln entgegengetreten, geschlossen zwischen Heinrich VIII. von England und dem Kaiser, und zu ihr traten Spanien und der Papst. Die Verbündeten verpflichteten sich, die Kirche und Mailand zu schützen, den König Ludwig in Frankreich selbst anzugreifen. Mit päpstlichem Gelde warb Girolamo Morone, der gewandte Kanzler Sforzas, eidgenössische Völker.

Schon im Mai begann der Krieg, um sich dann mit Unterbrechungen endlose Jahre fortzusetzen. Die Ebene der Lombardei ist das klassische Schlachtgefilde der Geschichte, worauf schon seit den Römerzeiten, dann fortdauernd seit den Goten der Zusammenstoß der germanischen und lateinischen Welt geschah und das Schicksal ihrer Völker und Reiche entschieden ward. Dem Gott des Krieges ist diese schönste Flur Europas geweiht worden; ihre altertümlichen Städte Mailand und Verona blieben bis auf unsere Tage die hohen Säulen in dieser blutgedüngten Rennbahn wettstreitender Nationen. Mailand zumal wurde im XVI. Jahrhundert der Erisapfel für die europäischen Mächte, der goldne Schlüssel, dessen Besitz die Weltherrschaft zu erschließen schien, wie einst im dogmatischen Mittelalter das heilige Rom sie den Kaisern gegeben hatte. Auf den lombardischen Feldern vervollkommnete sich das europäische Wehrsystem; dort maßen sich miteinander und wetteiferten die furchtbaren Phalangen des Schweizer Fußvolks, die französischen Hommes d'Armes, die spanischen Arcabuseros, die italienische Reiterei und Artillerie und das starke Fußvolk der Landsknechte, in welchem die unerschöpfliche deutsche Volkskraft ihr erstes nationales Wehrsystem erhielt. In derselben Epoche, wo die Wissenschaften, die Künste, die Seefahrt, endlich die kirchliche Reformation eine staunenswürdige Reihe von Helden des Gedankens aufstellten, glänzten auf dem Kampfgefilde der Lombardei Helden des Schwerts, die Führer jenes großen Völkerkampfes, Deutsche, Spanier, Italiener, Franzosen: ein Heroengeschlecht von Männern gewaltigen Gepräges, die prachtvolle Metamorphose des europäischen Rittertums.

Die Franzosen unter Tremouille, die Venetianer unter Alviano, welchen der König aus der Gefangenschaft entlassen hatte, setzten sich gegen Mailand in Bewegung. Alsbald fielen die Städte des Herzogtums, und auch Genua wurde wieder französisch, indem es Antoniotto Doria zum Dogen machte. Prospero Colonna, der General der Kirche, und Cardona würden Mailand nicht gerettet haben, wenn die Schweizer nicht treu blieben. Bei Novara, wo sich Trivulzio vermaß, dem Könige auch den Sohn Sforza gefangen einzubringen, wie sein Vater dort war gefangen worden, glänzte die Tapferkeit der Eidgenossen zum letzten Mal in einer Entscheidungsschlacht. Trivulzio wurde am 6. Juni 1513 so vollkommen geschlagen, daß er fliehend Piemont verließ. Er führte seine Armee sogar nach Frankreich zurück, und so rettete die eine Schlacht Maximilian Sforza, demütigte Frankreich von neuem und setzte Venedig dem gleichen Verderben aus wie zur Zeit Julius' II. Die Spanier und die Kaiserlichen bekämpften diese Republik bis zu den Lagunen hin. Vom Turme Merghera blickte der Held Georg Frundsberg frohlockend auf die stolze Inselstadt hinab.

Die Pläne Frankreichs sah der beglückte Leo in wenig Wochen kläglich vereitelt. Mit glänzenden Festen feierte er den Sieg, doch die Fortsetzung des Krieges beunruhigte ihn, denn mit Ludwig XII. sich schnell zu versöhnen und das Schisma beizulegen, war sein sehnlichster Wunsch. Schon hatten am 27. Juni Sanseverino und Carvajal, die er nach Rom hatte bringen lassen, unter unermeßlichem Zulauf des Volks ihm Abbitte geleistet und dann die Absolution empfangen. So sah Leo diese einst mächtigen Kardinäle zu seinen Füßen; von ihnen hatte der eine sich an Stelle Julius' II. zum Papst machen wollen, der andere ihn selbst bei Ravenna als Gefangenen hinweggeführt.

Ludwig XII. wurde unterdes durch den Einfall der Engländer in seinem eigenen Lande hart bedrängt. Die Schweizer belagerten Dijon, und am 16. August schlugen die Engländer und Kaiserlichen das französische Heer in der »Sporenschlacht« bei Guinegate, worauf die Picardie verlorenging. Diese Unglücksschläge zwangen den Monarchen Frankreichs zum Frieden mit dem Papst. Nach langen Unterhandlungen schworen seine Boten am 17. Dezember 1513 feierlich das Schisma ab. Glänzend schloß das erste Regierungsjahr Leos X.

Jetzt näherte er sich Frankreich, und schon faßte er den Gedanken, die Herrschaft seines Hauses in Florenz durch französische Verbindungen zu stärken. Die geschichtliche Größe der Medici verführte ihn zum Nepotismus, von dem sich sein Vorgänger fast rein erhalten hatte. Der florentinische Staat wurde fortan ins Gewebe der kirchlichen Politik gezogen; er sollte eine Art Secundogenitur des mediceischen Papsttums werden. Der von Cosimo abstammende Zweig, dessen Haupt Leo war, bestand damals aus seinem jüngsten Bruder Julian, seinem Vetter Julius und aus seinem Neffen Lorenzo, dem einundzwanzigjährigen Sohne des im Liris ertrunkenen Piero und der ehrgeizigen, ränkevollen Alfonsina Orsini. Schon am 23. September hatte Leo Julius Medici zum Kardinal gemacht; den Flecken seiner Geburt als Bastard bedeckte er, wie es Alexander VI. mit Cesare getan, durch eine schmähliche Lüge: er ließ bezeugen, daß Julius aus rechtmäßiger Ehe seines Vaters Julian mit Floretta Antoni entsprossen sei. An demselben Tage hatte er auch seinen Lehrer Bernardo Dovizi, ferner den Florentiner Lorenzo Pucci und Innocenzo Cibò, den jungen Sohn seiner Schwester Maddalena, zu Kardinälen ernannt. Dies verletzte die Artikel des Konklave und zog dem Papst Feindschaften zu; man begann, an ihm zu zweifeln. Während nun Julius Medici alsbald der einflußreichste Mann der Kurie und der leitende Minister des Papsts wurde, sollten Julian und Lorenzo zu weltlicher Größe aufsteigen. Am 13. September (1513) hatte er beide zu römischen Patriziern ernennen lassen, unter verschwenderischen Festen auf dem Kapitol. Lorenzo war vom Papst bereits nach Florenz geschickt worden, denn die Regierung dieses Staats hatte er diesem Nepoten bestimmt. Seinen eigenen Bruder Julian, einen Mann von 34 Jahren, von sanftem und schwermütigem Wesen und ohne Trieb nach Herrschaft, hatte er von Florenz hinweggenommen und in den Vatikan gezogen. Ihn wollte er zu einem großen Fürsten in Mittelitalien machen; für ihn hoffte er Parma und Piacenza durch den Kaiser zu erhalten, und schon richtete er seine Blicke auf Ferrara und Urbino. Diese Absichten führten bald die schlimmsten Verwicklungen herbei, und sie hinderten Leo, seiner Politik den großen Charakter zu geben, welchen man von ihm erwartet hatte.

Während nun im Frühling 1514 der Krieg in Oberitalien fortgesetzt wurde, traf in Rom eine Gesandtschaft aus Portugal ein, welche den Blick des Papsts nach fernen Zonen richtete. In derselben Zeit, als Europa aus den Fugen seiner alten Verfassung ging, erweiterten kühne Entdecker die Machtsphäre dieses Erdteiles. Columbus war am 25. Mai 1506 gestorben, doch seine Tat entzündete ihm nachstrebende Geister. Das kleine Portugal erhob sich unter seinem Könige Emanuel zu unsterblichem Ruhm: Vasco da Gama hatte im Jahre 1498 den Seeweg nach Ostindien entdeckt, Cabral im Jahre 1500 auf den Küsten Brasiliens, Almeida und Albuquerque seit 1509 zu Ormuz und Goa, selbst auf Malakka die Fahne Portugals aufgepflanzt. Diese neuen Handelsstraßen und Kolonien waren für die Republik Venedig tödlichere Wunden, als die Kriege am Po und in den Lagunen ihr schlagen konnten.

Emanuel schickte im Mai 1514 eine feierliche Botschaft an den Papst; Tristan d'Acunha, selbst einer der Helden jener Entdeckungen, und zwei berühmte Doktoren des Rechts, Juan de Faria und Diego Pacheco, führten sie. Diese Herren zogen mit prachtvollem Gefolge in Rom ein. Sie brachten kostbare Geschenke Indiens für den Papst. Perser ritten auf den für ihn bestimmten Pferden; eine Menagerie wilder Tiere ward mitgeführt, von denen ein gezähmter Elefant die größte Verwunderung erregte; denn seit den Zeiten des Kaiserreichs waren Elefanten nie mehr in Europa gesehen worden. Am 25. Mai wurden die portugiesischen Botschafter im öffentlichen Konsistorium empfangen: dies war ein Ereignis in Rom. Pacheco hielt eine lateinische Ansprache voll prahlerischem Pathos, die als Wunder der Redekunst gefeiert wurde. Er legte dem Papst in seines Königs Namen Indien zu Füßen, verglich ihn im Kreise der Kardinäle mit der Sonne unter den Gestirnen, sagte ihm, daß er nun vom Tiber bis zu den Polen Herrscher sei, daß ihm die Könige Arabiens und Sabas Tribut bringen, ja alle Fürsten und Völker bis zum letzten Thule ihn anbeten würden. Leo stellte Emanuel am 7. Juni eine Urkunde aus, wodurch er alle Länder vom Kap Non bis zu beiden Indien Portugal zusprach. Auch Emanuel anerkannte, wie Ferdinand der Katholische, den Papst noch als die höchste Autorität der Erde, welcher es zustand, dem Besitz ferner Weltteile die Bestätigung zu geben; denn dieser Besitz war nach den Ideen des Mittelalters an das Prinzip der Kirche gebunden, in deren Namen jene Küsten erobert wurden. Erst die Entdeckung eines anderen Rechtsbewußtseins durch die deutsche Reformation zerstörte jene mystische, aber großartige Anschauung solcher praktischen Kolonialverhältnisse.


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