Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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4. Stephan IV. Papst. Seine Reise zu Ludwig. Sein schneller Tod. Wahl und Ordination Paschalis' I. Das Privilegium Ludwigs.

Nach einer Vakanz von nur zehn Tagen wurde ein vornehmer Römer, der Diaconus Stephan, Sohn des Marinus, zum Papst ohne Einmischung des Kaisers gewählt. Derselbe eilte jedoch, dem Oberherrn Roms seine Ergebenheit kundzutun; er ließ das römische Volk dem Kaiser Treue schwören und schickte Boten an ihn, sich und die Römer zu entschuldigen, daß er ohne weiteres geweiht worden sei. Der erste Fall eines Pontifikatwechsels seit der Wiederherstellung des Reichs regte manche Fragen in betreff des Verhältnisses des Papsts zum Kaiser auf. Stephan IV. reiste daher selbst nach dem Frankenlande. Die voraufgegangenen Unruhen in Rom, die Mißstimmung des Adels, das Bedürfnis, sich durch einen neuen Bestätigungsvertrag zu sichern, und, man darf hinzusetzen, auch das Begehren, an dem schon gekrönten Ludwig die Salbung als ein päpstliches, nicht mehr zu umgehendes Recht zu vollziehen: alle diese Gründe bewogen ihn zu jener Reise. Sein Verhältnis zu Ludwig war ein anderes, als jenes Leos III. zu Karl gewesen war. Wenn sich dieser Papst im Vorstellen der Menschen über Karl, seinen Wohltäter, gleichsam erhoben und seiner Verpflichtungen sich entledigt hatte, als er ihm die Krone der Römer auf das Haupt setzte, so fand sich Ludwig in einer durchaus freien Lage. Der neue Papst aber sah sich einem mächtigen Erbkaiser gegenüber, zu welchem er selbst kein persönliches Verhältnis besaß. Das machte ihn besorgt. Indes, er hatte vom frommen Ludwig nichts zu fürchten.

Von Bernhard geleitet, traf er im September 816 zu Reims ein, wo er mit tiefster Ehrfurcht empfangen wurde. Der glückliche Priester salbte und krönte den Kaiser nebst seiner Gemahlin Irmingard in der Kathedrale jener Stadt, und reich beschenkt, vor allem mit der Bestätigung der Besitzungen, Privilegien und Immunitäten der römischen Kirche versehen, trat er seine Heimreise an. Den murrenden Römern brachte er als tröstliches Geschenk die Freiheit aller derer, welche ihre Empörung gegen Leo III. im fränkischen Exil verbüßt und die er vom Kaiser losgebeten hatte. Er nahm sie mit sich nach Rom; unter ihnen befanden sich demnach auch Paschalis und Campulus, wenn sie überhaupt noch am Leben waren. Der Papst starb schon drei Monate nach seiner Heimkehr am 24. Januar 817.

Die Römer wählten sogleich Paschalis, den Sohn des Bonosus, einstimmig zum Papst, und schon am 25. Januar wurde er geweiht. Paschalis I., ein kluger und tatkräftiger Mann, war zuvor Abt des Stephanklosters am St. Peter gewesen; er stieg also, seinen Vorgängern unähnlich, welche entweder den Diakonen oder Presbytern angehört hatten, aus der Zelle auf den Heiligen Stuhl. Seine ungewöhnlich rasche Ordination zeigte, daß der römische Klerus den immer drohender werdenden Ansprüchen des Kaisers auf das Bestätigungsrecht der Wahl durch schnelles Handeln zu begegnen suchte, und sie macht es zum mindesten zweifelhaft, daß die Verordnung, den Papst nicht mehr ohne die kaiserliche Zustimmung zu weihen, welche man Stephan IV. zuschreibt, wirklich schon von diesem erlassen war. Aber wie sein Vorgänger hielt es auch Paschalis für notwendig, seine so beeilte Erhebung dem Kaiser anzuzeigen und ihn durch die Erklärung zu beruhigen, daß sie aus kanonischer Wahl hervorgegangen sei. Sein Legat Theodor brachte ein kaiserliches Diplom zurück, welches die Privilegien St. Peters bestätigte.

Bei jedem Wechsel der Kaiserkrone, bei jeder neuen Papstwahl wurden seit dieser Zeit die alten Privilegien erneuert. Bistümer und Abteien folgten dem Beispiele Roms, jede Gelegenheit wurde ergriffen, alte Immunitätsrechte urkundlich zu bekräftigen oder ihnen andere Freiheiten hinzuzufügen. Die Archive der Kirchen bewahrten sorgsam die Reihe kaiserlicher Urkunden, die sich nach und nach aufgehäuft hatten. In das lateranische waren bereits die großen Diplome Pippins, Karls und Ludwigs niedergelegt, Schenkungen, Bestätigungen alter und neuer Immunitäten und sonstige Verträge zwischen dem Kaiser und der römischen Kirche. Wenn diese Pergamente noch vorhanden und dem Blicke des Forschers sichtbar wären, so würden sie der Geschichtschreibung zu unschätzbarem Gewinn gereichen. Nun gesellte sich zu jenen Urkunden im Jahre 817 das Diplom Ludwigs des Frommen, ohne Zweifel die Erneuerung jenes anderen, welches sein Kanzler ein Jahr zuvor dem Papst Stephan ausgefertigt hatte. Diese Urkunde aber erhielt in weit späterer Zeit eine große Wichtigkeit. Indem man sie verfälschte, erhob man sie neben der Schenkung Pippins zum Range einer außerordentlich erweiterten Donation und leitete aus ihr neue große Besitzungen des Päpstlichen Stuhls wie wichtige Rechte ab.

Ludwig der Fromme sollte dem Papst (um nur das Auffallendste hervorzuheben) außer der Herrschaft über Rom und den Dukat, außer den bestätigten Schenkungen Pippins und Karls auch die Patrimonien in Kalabrien und Neapel, ja selbst den vollen Besitz der Inseln Korsika, Sardinien und Sizilien geschenkt, er sollte endlich die völlige Freiheit der Wahl und Ordination des Papsts, ohne jede vorgängige Zustimmung des Kaisers, den Römern zugestanden haben. Indes die Geschichte widerlegt diese Erdichtungen, denn sie beweist durch ihre Tatsachen die Souveränität der Kaiser über Rom; sie zeigt in jener Epoche die Griechen im Besitze Kalabriens und Neapels, Siziliens und Sardiniens, während die byzantinische Regierung nach der vertragsmäßigen Anerkennung der beiderseitigen Landgebiete mit dem abendländischen Kaiser im Frieden war; und dieser hätte ihn schwerlich brechen wollen, nur um St. Petrus große Länder zu schenken, die weder durch Rechtstitel noch durch Besitz die seinen waren.

Endlich wird auch die Freiheit der Ordination des Papsts durch einen berühmten Akt unter Eugen II. widerlegt.

Der Urkunde Ludwigs erwähnt das Buch der Päpste mit keiner Silbe. Die Diplome Ottos I. und Heinrichs II., welche die Kirche unter die ausgezeichnetsten Schenkungs- und Bestätigungsakten zählt und an jene Ludwigs anreiht, kennen sie nicht, obwohl sie auf jene von Pippin und Karl sich namentlich beziehen. Und überhaupt findet ihre Erwähnung erst in der Zeit Gregors VII. und der Mathildischen Erbschaft statt, wo man den Vertrag Ludwigs durch Zusätze verfälschte, um den päpstlichen Ansprüchen eine alte und breite Grundlage zu geben.


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