Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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5. Vertreibung Rudolfs von Burgund. Ränke der Weiber, um Hugo zu erheben. Johann X. schließt mit ihm einen Vertrag. Marozia vermählt sich mit Guido von Tuszien. Bedrängnis Johanns X. Sein Bruder Petrus wird vertrieben. Revolution in Rom. Ermordung des Petrus. Sturz und Tod Johanns X.

Rudolf von Burgund konnte nur drei Jahre lang die Krone Italiens behaupten. Eine mächtige Gegenpartei stürzte ihn, deren Gebieterin Irmingard war, die zweite Gemahlin und nun Witwe Adalberts von Ivrea. Um diese Verwicklungen, die auch auf Rom Einfluß hatten, zu begreifen, müssen wir eine Menge von Personen und ihre verwandtschaftliche Verbindung nennen. Die Reize der berühmten Waldrada waren auf ihre Nachkommen übergegangen; die Flamme der Leidenschaft entbrannte dämonischer in ihren Kindern und Enkeln und entzündete weit und breit Italien. Ihre Tochter Berta, ein Kind des Ehebruchs, war dem Grafen Theobald von der Provence vermählt worden, welchem sie Hugo gebar. Als Witwe fesselte sie Adalbert II., den reichen Markgrafen von Tuszien; sie gab ihm zur zweiten Ehe die Hand und gebar ihm drei Kinder, Guido, Lambert, Irmingard. Berta in Toskana, wo sie eine außerordentliche Macht besaß und auf ihre tuszischen Kinder vererbte, bemühte sich, ihrem Lieblingssohne aus erster Ehe, Hugo von der Provence, die Krone Italiens zu gewinnen. Als sie der Tod im Jahre 925 daran hinderte, setzten diese Bestrebungen Guido, Lambert und Irmingard fort, welche, eben Witwe des Markgrafen von Ivrea geworden, durch ihre Schönheit und ihre Ränke die lombardischen Großen an sich zu ziehen wußte. Wenn die etwas romanhaften Berichte jener Zeit wahr sind, so stand Irmingard weder der griechischen Helena noch der ägyptischen Kleopatra an alles bezauberndem Reize nach; Bischöfe, Grafen, Könige lagen huldigend zu ihren Füßen. Sie lockte selbst Rudolf von Burgund in ihr Netz; die neue Circe nahm ihm die Krone der Lombarden vom Haupt, um sie ihrem Stiefbruder Hugo zu reichen. Die lombardischen Großen fingen an, Rudolf zu verachten; der von ihm verratene Erzbischof von Mailand, der angesehenste Mann in Oberitalien, ließ ihn fallen, und jene riefen nun auch ihrerseits Hugo nach Italien.

Mit den Aufforderungen dieser Großen verbanden sich die des Papsts. Johann X. fand sich in Rom von der Partei Marozias bedrängt, welche die Reichtümer, die Anhänger und die Gewalt ihrer schon verstorbenen Eltern geerbt hatte. Er suchte daher die Faktionen durch eine starke Hand nochmals zu bändigen; an die Wiederherstellung des Kaisertums denkend, vereinigte er mit den Lombarden seine Wünsche auf Hugo von der Provence. Er schickte ihm Gesandte, die ihn schon in Pisa trafen, wo er ans Land gestiegen war; er selbst eilte, ihn aufzusuchen, und Hugo wurde im Jahre 926 zu Pavia als König Italiens gekrönt, worauf er nach Mantua ging, hier den Papst traf und mit ihm einen Vertrag schloß. Es ist wahrscheinlich, daß Johann ihm die Kaiserkrone unter der Verpflichtung bot, ihn aus den Händen seiner Feinde zu befreien. Aber er täuschte sich im Erfolge seiner Reise und seiner Unterhandlungen, denn die Macht Marozias wurde gerade um diese Zeit furchtbarer als je. Kaum hatte die Witwe Alberichs vernommen, daß Hugo im Begriffe sei, die Krone Italiens zu gewinnen, als sie in kluger Berechnung ihre Blicke auf seinen mächtigen Stiefbruder warf. Sie bot Guido, dem damaligen Markgrafen von Tuszien, ihre Hand, und er verschmähte nicht die reiche Senatrix von Rom oder die lockende Hoffnung auf die Herrschaft über die Stadt. So war die Partei Theophylakts oder jetzt der Marozia, welche ehemals die nationalen Interessen unter Berengar begünstigt hatte, auf die Seite der Toskaner getreten, die zur Erhebung des provençalischen Fürsten am meisten wirkten.

Der gepeinigte Papst kehrte nur nach Rom zurück, um seinen Gegnern zum Opfer zu fallen. Indes, noch zwei stürmische Jahre hielt er unter den Schwertern der Feinde stand, und das ist ein glänzendes Zeugnis seiner Klugheit und Kraft. Seine Stütze, sein bewaffneter Arm war Petrus, sein Bruder, welchen wir bereits bei der Krönung Berengars mit Auszeichnung haben nennen hören. Johann hatte ihn, so glauben wir, an die Spitze des städtischen Regiments gestellt und nach Alberichs Tode zum Konsul der Römer gemacht. Petrus war es wahrscheinlich selbst, welcher die Römer gegen Alberich geführt, ihn besiegt und Horta erobert hatte. Der Chronist vom Soracte nennt ihn sogar Markgraf, und wenn er ihn nicht mit Alberich verwechselt hat, so mochte es sein, daß er sich dessen Titel und Besitzungen anzueignen gewußt hatte. Die dürftigen Berichte bemerken ausdrücklich, daß er der Faktion im Wege stand, die den Papst stürzen, den Stuhl Petri mit einer ihrer Kreaturen besetzen und dann Rom zu beherrschen gedachte. Guido und Marozia, die ihrerseits nach dem Patriziat strebten, waren noch keineswegs Herren Roms. Nur heimlich versteckten sie Truppen in der Stadt, welche eines Tags den Lateran überfielen. Petrus war, wenn man dem Chronisten Glauben schenken will, zuvor nach Horta vertrieben worden; er hatte die Ungarn herbeigerufen, er war mit ihnen vor Rom erschienen und befand sich wieder bei seinem Bruder im Lateran. Vor den Augen des Papsts wurde er vom Volke niedergehauen, und die Söldner Guidos ergriffen auch Johann, worauf ihn Marozia in die Engelsburg werfen ließ. Das römische Volk, erbittert über die Verwüstung des Landes durch die Ungarn, welche erst Alberich, dann auch Petrus gerufen, wie man vielleicht nur ausgesprengt hatte, jeder Änderung des Regiments, jedem Falle eines Papstes zujauchzend, unterstützte die Revolution. Diese Umwälzung, deren Dunkel wir beklagen, geschah im Juni oder Juli 928. Im folgenden Jahre aber starb der Papst im Kerker verhungert oder erwürgt.

So endete der Wohltäter Roms durch ein unverdientes und seltsames Schicksal, weil am Anfange und Ende seiner päpstlichen Laufbahn zwei Weiber, Mutter und Tochter, stehen: Theodora, die ihm die Papstkrone gab, und Marozia, welche ihm diese und auch das Leben nahm. Die Umstände seiner Erhebung, die Verbindung mit jenen berüchtigten Frauen haben viele Kirchenschriftsteller, vor allem Baronius, veranlaßt, sein Andenken zu brandmarken, indes Johann X., dessen Sünden nur die Gerüchte bezeichnen, dessen große Eigenschaften in der Geschichte glänzen, erhebt sich aus der Finsternis seiner Zeit als eine der denkwürdigsten Gestalten unter den Päpsten überhaupt. Die Akten der Kirchengeschichte nennen mit Ehren seine Tätigkeit, seine Beziehung zu allen Ländern der Christenheit; sie rühmen ihn als einen der Reformatoren des Mönchtums, da er die strenge Regel von Cluny bestätigte. Sein Versuch, durch Berengar Italien zu ordnen, war preiswürdig, und endlich wird der Ruhm, sein Vaterland durch die Große Liga von den Sarazenen befreit zu haben, seinen Namen fortdauernd ehren.

In Rom gibt es kein Denkmal von ihm. Man sagt, daß er die Lateranische Basilika vollendete und den Palast mit Gemälden ausschmückte. Wahrscheinlich vollführte er in den wenigen Jahren der Ruhe nach dem Siege am Garigliano und aus dem sarazenischen Beuteschatz manches in der Basilika, was Sergius III. begonnen hatte.


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