Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Sechstes Kapitel

1. Belisar rückt in Rom ein. Er stellt die Stadtmauern wieder her. Zweite Verteidigung Roms 547. Totila zieht nach Tibur. Johannes hebt römische Senatoren in Capua auf. Schneller Marsch Totilas nach Süditalien. Belisar verläßt Rom. Seine Denkmäler in der Stadt.

Kaum war Totila nach Apulien abgezogen, so machte Belisar den Versuch, in die unbesetzte Stadt einzuziehen. Er wagte sich mit tausend Mann aus Portus hervor, aber die von Alsium herbeieilenden Reiter zwangen ihn nach einem hitzigen Gefecht zur Umkehr. Er wartete eine günstigere Zeit ab, ließ nur wenig Mannschaft im Hafenkastell, täuschte geschickt die Goten und zog mit allen übrigen Truppen fort und durch das Ostische Tor in die Stadt ein. Es war im Frühling 547. Kaum stand der große Feldherr wieder auf dem Schauplatze seines Ruhms, als ihm Genie und Glück in doppelter Stärke zurückzukehren schienen.

Seine erste Sorge war, die Mauern herzustellen. Da er weder hinreichende Arbeiter, noch Material, noch Zeit besaß, so große Strecken gründlich wieder aufzubauen, so half er sich, so gut er konnte. Die Mauern wurden tumultuarisch aus den Trümmern zusammengehäuft, und ohne Rücksicht ward dabei mancher edle Marmor oder Travertin angrenzender Monumente benutzt. Kein Bindemittel verband die Steine, nur Pfähle stützten sie außerhalb, und der schon früher um sie gezogene Graben diente, gereinigt und vertieft, als beste Schutzwehr. Nach fünfundzwanzig Tagen beschleunigter Arbeit konnte Belisar die erneuerten Mauern umgehen und sich überzeugen, daß sie wenigstens wie Theaterkulissen aussahen. Von der Campagna zogen die zerstreuten Römer in die Stadt und gaben ihr den Schein einer Bevölkerung wieder.

Totila hatte nicht sobald gehört, der Feind sei in Rom eingerückt, als er, rastlos hin- und herfahrend wie Hannibal und so schnell wie er, in Eilmärschen von Apulien zurückkam. Dieser Zug mag planlos erscheinen, weil er nicht glücklich war, und weil der Gotenkönig Rom aufgegeben hatte, ohne zuvor Belisar aus Portus verjagt zu haben, so kann er zum erstenmal tadelnswert erscheinen. Ohne Zweifel hatte er sich vorgestellt, daß die fast mauerlose Stadt, wenn Belisar in sie wieder einziehen sollte, für ihn unhaltbar sein mußte. Er fand in der Tat die Griechen noch an den Toren arbeiten; denn er selbst hatte zuvor die Torflügel mit sich geführt oder zerstört, und die Zimmerleute Belisars waren mit ihrer Erneuerung nicht fertig geworden. Statt ihrer versperrten nun die Eingänge die Krieger selbst mit ihren Schilden und Lanzen. Die Goten blieben die Nacht in ihrem Lager am Tiber, am Morgen warfen sie sich voll Wut auf die Mauern, welche jetzt der leiseste Stoß eines jener Sturmböcke des Vitiges würde umgeworfen haben. Aber nach einem tagsüber fortgesetzten Kampf sahen sie sich mit einbrechender Nacht in ihr Lager am Tiber zurückgeworfen, und sie gestanden sich voll Scham, daß sie vor dem offenen Rom eine Niederlage erlitten hatten. Als sie am folgenden Morgen zu neuem Sturme vorrückten, fanden sie die Mauern mit Schützen wohlbesetzt und vor den Toren eine Menge hölzerner Maschinen, die, aus vier in rechten Winkeln verbundenen Pfählen bestehend, sich nach Belieben drehen oder umkehren ließen, ohne Form oder Bestimmung zu ändern. Das Genie Belisars schien geboren, Rom zu verteidigen und hier allein unbezwinglich zu sein, während die Goten, in Künsten der Städtebelagerung wenig erfahren, wie vom Schicksal getrieben immer wieder an den Mauern Roms ihre Kraft zerstießen. Die Nacht machte auch dem zweiten Sturm ein Ende, und nicht minder unglücklich fiel ein dritter aus, welchen Totila nach mehreren Tagen unternahm. Seine königliche Fahne war nur mit Not aus den Händen der Feinde gerettet worden.

Im Lager überhäuften ihn seine Krieger mit Vorwürfen, diejenigen, welche sein Prinzip, die Befestigungen eroberter Städte zum Teil oder ganz niederzuwerfen, bisher als weise gelobt hatten, tadelten ihn bitter, daß er Rom nicht behauptet, oder wenn er das für unklug gehalten, nicht dem Boden gleichgemacht hatte. Selbst in weiter Ferne erregte das Mißgeschick der Goten vor dem halboffenen Rom und der glückliche Widerstand Belisars tiefes Erstaunen. Noch einige Zeit später wurde Totila deshalb von dem Frankenkönige geschmäht; als er dessen Tochter zur Gemahlin begehrte, gab ihm Theodebert die empfindliche Antwort, er könne nicht glauben, daß ein Mann König von Italien sei, noch daß er es jemals sein werde, welcher das eroberte Rom nicht zu behaupten vermochte, sondern die zum Teil zerstörte Stadt den Feinden wieder überlassen mußte.

Totila ließ vor den verhängnisvollen Mauern Roms einen Teil seines Kriegerruhms und einen größeren seines Glücks; er warf jetzt die Brücken über den Anio ab und zog mit seiner ganzen Macht nach Tibur, das er befestigte. So fand Belisar Muße, die Tore Roms mit erzbeschlagenen Flügeln zu schließen, und zum zweitenmal und mit noch größerem Ruhme konnte er die Schlüssel der Stadt als Trophäen nach Konstantinopel schicken. Hier beschließt Procopius den Winter und das zwölfte Jahr des gotischen Kriegs. Es würde also um den Frühling des Jahres 548 gewesen sein, daß Totila die Belagerung Roms aufhob; aber es scheint, daß der Geschichtschreiber die Zeit zu schnell vorrückte. Die Belagerung dauerte vielleicht nur einen Monat.

Während dieser Zeit hatte der König noch einen andern empfindlichen Verlust erlitten, der das moralische Gewicht seines Unglücks vor Rom verstärkte. Der General Johannes, unermüdlich im kleinen Kriege in Unteritalien, hatte einen kühnen Reiterzug nach Kampanien ausgeführt. Dort, vielleicht in Capua, wurden die römischen Senatoren mit ihren Weibern und Kindern in gotischer Gefangenschaft gehalten; von ihnen erzwungene Briefe hatten Totila gedient, die Provinzbewohner zum Gehorsam zurückzurufen. Johannes überfiel Capua, hieb die gotischen Wachen nieder, befreite die Senatoren und entführte seine Beute glücklich nach Kalabrien. Es waren freilich nur wenige Patrizier, deren er sich dort bemächtigen konnte, da sich die meisten schon nach der Einnahme Roms durch Totila zerstreut hatten, aber viele Senatorenfrauen fielen ihm in die Hände; er schickte sie alle nach Sizilien, wo sie jetzt dem Kaiser als Geiseln dienen konnten.

Auf die Kunde von dem Handstreich eilte Totila von Perugia, welches er gerade belagerte, nach Süditalien. Er überstieg die Berge Lukaniens, fiel auf das Lager des Generals Johannes und zerstreute die Griechen durch die Wälder und Gebirge jener Gegenden. Dann zog er nach Brundisium, wo er eine frisch gelandete Schar griechischer Truppen vernichtete. Indem er jetzt den Schauplatz des Kriegs nach Unteritalien verlegte, zwang er Belisar, Rom wieder zu verlassen, um sich in Person nach Kalabrien zu begeben. Der Kaiser selbst befahl diesem, dort den Oberbefehl zu übernehmen. Belisar nahm nur 700 Reiter und 200 Mann Fußvolk mit sich zu Schiffe, übertrug dem General Konon die Verteidigung der Stadt und verließ um die Zeit des Winters 547 für immer Rom, um seither an den Küsten Süditaliens ruhmlos und ohne Glück umherzuirren.

Die Mauern sind die Denkmäler Belisars in Rom; sie haben seinen Namen unsterblich gemacht, nicht weil er sie wiederherstellte, sondern weil er sie mit so bewundernswürdigem Genie zweimal verteidigt hat. Man glaubt, daß er auch die Wasserleitungen herstellte und Rom den Gebrauch der Bäder wiedergab; aber nur die einzige Trajana scheint wirklich von ihm restauriert worden zu sein, weil sie wegen des Betriebs der Mühlen unentbehrlich war. Die großen Kosten für die Wiederherstellung der übrigen Aquädukte konnten nicht mehr bestritten werden; wenn man daher von der Trajana und einigen späteren kümmerlichen Herstellungen absieht, so hörten seit der Zerstörung durch die Goten im Jahre 537 die Aquädukte auf, Wasser nach Rom zu senden, und die wasserreichste Stadt der Welt war jahrhundertelang auf den Tiber, auf Zisternen und wenige Quellen beschränkt wie in den Zeiten ihrer ersten Kindheit.

Die Chronik der Päpste bemerkt, daß Belisar in der Via Lata ein Armenhaus stiftete und dem Apostel Petrus außer zwei großen Kandelabern ein goldenes, mit Edelsteinen geschmücktes Kreuz von hundert Pfund Gewicht darbrachte, auf welchem er seine Siege eingeschrieben hatte. Wahrscheinlich war dieses Kunstwerk mit eingegrabenen Darstellungen geschmückt, und sein Verlust ist deshalb zu beklagen. Weil erzählt wird, er habe dieses Weihgeschenk in die Hände des Papsts Vigilius niedergelegt, so machte er jene Stiftungen nach der Besiegung des Vitiges. Sein Reichtum aus der vandalischen und gotischen Beute muß unermeßlich gewesen sein, und Rom würde manche Wohltat von ihm erfahren haben und mit manchem Denkmal seines Ruhmes geschmückt worden sein, wenn seine kurze Anwesenheit daselbst oder die kriegerische Verwirrung der Zeit dies erlaubt hätte.


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