Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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3. Heereszug Karls nach Italien. Belagerung Pavias. Karl feiert das Osterfest in Rom. Bestätigung der Pippinischen Schenkung. Der Fall Pavias und des Langobardenreichs im Jahre 774.

Nachdem Karl den König Desiderius nochmals zum Frieden ermahnt und ihm fruchtlos ein Abstandsgeld geboten hatte, brach er mit seinem Heere nach Italien auf im September 773. Er zog über Genf, um sodann den Mont Cenis zu überschreiten, aber die Alpenpässe waren von den Langobarden unübersteiglich gemacht, und die Schwierigkeit, dort einzudringen, wohl auch das Murren der Franken bewogen Karl, nochmals durch Gesandte dem Könige zu erklären, daß er sich mit drei angesehenen Geiseln begnügen wolle, welche ihm für das Versprechen der Rückgabe der Städte haften sollten. Desiderius lehnte dieses Anerbieten ab. Allein die plötzliche Flucht seines Sohnes Adelgis, welchen ein panischer Schrecken überfallen hatte, und der durch Verräter möglich gemachte Übergang des fränkischen Heeres über die Alpen zwangen auch ihn, sein Lager im Stich zu lassen und sich in Pavia einzuschließen. Adelgis und Auchar warfen sich bestürzt mit der Witwe und den Söhnen Karlmanns in das starke Verona. Das Volk des Alboin fiel nach einem schwachen Widerstande, welchen innerer Zwiespalt, namentlich die Umtriebe der Priester abkürzten. Es sind nicht die Langobarden, durch deren Besiegung sich Karl den Namen des Großen verdient hat, vielmehr zeigt die Geschichte kaum eine Eroberung, welche so mühelos gelungen ist und dann so große, durch Jahrhunderte dauernde Wirkungen nach sich gezogen hat.

Der König Karl umschloß die Stadt Pavia; indem er eine langwierige Belagerung voraussah, ließ er seine Gemahlin Hildegard und seine Kinder ins Lager kommen. Ein anderer fränkischer Heerhaufe erschien vor Verona, und Auchar und Karlmanns Witwe gaben sich mit den kleinen Prinzen bald in die Hände des Siegers. Pavia verteidigte sich tapfer schon sechs Monate lang; das Osterfest war nahe, und Karl beschloß, dasselbe in Rom zu feiern. Eine Osterwallfahrt zu den Gräbern der Märtyrer erschien dem Glauben damaliger Menschen als der sicherste Weg zum Paradies; schon seit zwei Jahrhunderten strömten Pilger zur Osterzeit nach Rom, und das ganze Mittelalter hindurch werden wir dort Kaiser und Könige oftmals die Ostern feiern sehen. Mit dem Zuge des Frankenkönigs begann überhaupt die lange Geschichte der Romfahrten deutscher Könige.

Karl brach mit einem Teil seiner Truppen und einem glänzenden Gefolge von Bischöfen, Herzögen und Grafen aus dem Lager von Pavia auf. Er eilte schnell durch Tuszien, um noch am Ostersonnabend (dem 2. April 774) Rom zu erreichen. Der Empfang des mächtigen Schutzherrn der Kirche, welcher die Stadt zum erstenmal und unter solchen Umständen betrat, war glänzend und kaiserlich; 24 Millien weit sandte ihm der Papst alle Judices und die Banner der Miliz entgegen, die ihn an der Station Novas unterhalb des Sees von Bracciano begrüßten und zur Stadt geleiteten. Am Fuße des Monte Mario empfingen ihn sämtliche Scharen der Miliz mit ihren Patronen, die Schulen der Kinder, Palmen und Ölzweige in den Händen, und zahlloses Volk, welches beim Anblick Karls die Laudes erhob, den festlichen Zuruf: »Heil dem Frankenkönig und dem Defensor der Kirche!« Er empfing diese Ehren nicht als fremder Fürst, sondern in seiner Eigenschaft als Patricius der Römer, und der Chronist bemerkt ausdrücklich, daß ihm, wie es sonst bei der Begrüßung des Exarchen Gebrauch gewesen war, selbst die Kreuze und Fahnen der Basiliken Roms entgegengeschickt wurden. Kaum erblickte sie Karl, als er vom Pferde stieg; von seinem Gefolge umgeben, ging er demütig zu Fuß nach dem St. Peter. Es war in der Morgenfrühe des Ostersonnabends; der Papst erwartete den Gast auf den Stufen des Porticus, um sich her den Klerus, während eine unabsehbare Menschenmenge den Platz bedeckte. Karl warf sich auf der untersten Schwelle der Treppe nieder, erklomm sie auf Knien und küßte andächtig jede einzelne Stufe, bis er so zum Papst gelangte. Dies war die Gestalt, in welcher sich bereits die mächtigsten Fürsten der Welt dem römischen Heiligtum nahten. Mußte nicht die Zeit kommen, wo die Könige überhaupt zu Vasallen und Knechten der Päpste herabsanken, wo diese kühn ihren Fuß auf deren Nacken stellten? Karl und Hadrian umarmten einander; indem der König den Papst bei der rechten Hand ergriff, schritt er ihm rechts zur Seite in die Basilika. Ihrem Eintritt scholl der Gesang der Priester entgegen: Benedictus qui venit in nomine Domini, und Karl und seine Franken warfen sich vor dem Apostelgrabe nieder. Nach vollendeter Andacht bat der König voll Artigkeit um die Erlaubnis, Rom betreten und die übrigen Hauptkirchen besuchen zu dürfen, sie alle stiegen zuvor in die Gruft des Apostels hinab, und König wie Papst, die Judices der Römer wie der Franken leisteten sich wechselseitig den Eid der Sicherheit.

Karl ließ seine Truppen ohne Zweifel ein Lager im Neronischen Felde aufschlagen, aber er selbst zog über die Brücke Hadrians in die Stadt, welche nicht wußte, daß sie in dem ersten Frankenkönige, der sie betrat, auch ihren ersten Kaiser germanischer Nation empfangen sollte. Der künftige Nachfolger des Augustus betrachtete die klassischen Ruinen, an denen er vorüberkam, mit unwissendem Erstaunen, denn obwohl er es liebte, die Geschichte der Alten zu hören, kannte er doch die Taten der Heiligen Roms besser als die seiner Staatsmänner und Helden. Das damalige Rom trug das Gepräge des Altertums, obschon in der Verwüstung dreier Jahrhunderte. Es war noch die Stadt der alten Römer, eine ungeheure Welt prachtvoller Trümmer, vor deren Größe alles Christliche verschwand.

Die Römer führten den König nach dem Lateran; sie selbst betrachteten mit Staunen die fast riesige Heldengestalt des Protektors der Kirche oder seine in Erz gehüllten barbarischen Paladine. Im Baptisterium wohnte er dem Sakrament der Taufe bei, welches der Papst vollzog, dann ging er wieder demütig zu Fuß nach dem St. Peter zurück. Er nahm seine Wohnung nicht in der Stadt; vom Cäsarenpalast ist keine Rede mehr; derselbe verfiel auch in seinem letzten noch bewohnbaren Teile, seitdem der griechische Dux aus ihm verschwunden war. Karl blieb ohne Zweifel in einer der Bischofswohnungen am St. Peter. Am Ostersonntag wurde er von den Optimaten und den Scholen der Miliz nach S. Maria (Maggiore) geleitet, wo der Papst die Messe las. Er speiste hierauf an dessen Tafel im Lateran. Am Montag wohnte er der Feier in St. Peter, am Dienstag in St. Paul bei, und damit hatten die Funktionen des Osterfests ein Ende. Der uralte Charakter dieser Feierlichkeiten war damals weniger prunkvoll und mehr kirchlich als heute, aber, wie die alten Ritualbücher beweisen, nicht viel einfacher.

Am Mittwoch, dem 6.April, wurde Karl zu einer Zusammenkunft im St. Peter eingeladen, wo sich der Papst mit allen Judices des Klerus und der Miliz befand. Vor dieser Versammlung richtete Hadrian eine Rede an den Frankenkönig, und gewiß gab es keinen passenderen Ort, ihm eine Schenkung abzugewinnen, als die Nähe des Apostelgrabes und seine noch vom Weihrauch des Osterfestes duftende Basilika. Indem der Papst den nahen Sturz des Langobardenreichs voraussah, trat er als einer seiner Haupterben auf; deshalb mahnte er Karl an die alten Verträge und Gelöbnisse, dein heiligen Petrus gewisse Städte und Provinzen Italiens zu schenken, und er ließ endlich die Pippinische Urkunde verlesen. Der Lebensbeschreiber Hadrians versichert, daß der König und seine Judices den Inhalt derselben nicht nur bestätigten, sondern daß sie Karl durch seinen Notar Etherius von neuem ausschreiben ließ. Das Dokument wurde in die Gruft St. Peters gelegt und mit einem »fürchterlichen« Eide beschworen.

Auch diese sogenannte Schenkung Karls des Großen, nach der Angabe des Biographen Hadrians die Bestätigung jener Pippins aus Quierzy, ist aus dem Archiv des Lateran verschwunden, und ebensowenig hat sich die Abschrift, welche der König mit sich genommen haben soll, in Deutschland oder in Frankreich vorgefunden. Nach ihr gab der großmütige Monarch fast ganz Italien dem Papste hin und obenein solche Provinzen, die er niemals erobert hatte, wie Korsika, Venedig und Istrien und das Herzogtum Benevent. Aber das unbestochene Urteil der Kritik hat diese Schenkung längst unter die Märchen verwiesen; als der Biograph Hadrians lebte, hat er das Dokument (wenn er überhaupt eins mit Augen sah) entweder gefälscht vorgefunden oder die darin enthaltenen Angaben selbst verfälscht. Die urkundlich nicht bekannte, aber zweifellos auf den Exarchat sich beziehende Schenkung Pippins bestätigte Karl offenbar, indem er sich die Oberhoheit über dieses Land vorbehielt, und er vermehrte sie im Verlauf der Jahre durch Patrimonien und Einkünfte. Seine eigene Stellung zu Rom wurde zugleich durch einen Vertrag festgesetzt: er nahm alle Rechte des Patricius in Anspruch, und der Ehrentitel des Defensor erhielt seit dem Jahre 774 einen volleren Inhalt: die höchste Jurisdiktion in Rom, im Dukat, in den Provinzen des Exarchats wurde dem Patricius der Römer zugestanden. Der Papst, welcher in jenen Ländern nichts anderes als die Verwaltung erhielt, wurde der Untertan des Königs der Franken.

Nachdem seine Beziehungen zu Rom geregelt waren, reiste Karl ab, während der Papst in allen Kirchen beten ließ, um den Erfolg der Belagerung Pavias zu beschleunigen. Der Frankenkönig betrieb sie nach seiner Rückkehr in das Lager mit Nachdruck; auch die Pest verschwor sich mit den Verrätern in der bedrängten Stadt, welche sich im Juni 774 ergab. Der letzte Langobardenherrscher büßte seine Unbesonnenheit durch den Untergang seiner Dynastie und seines Reichs; er ergab sich ohne Bedingung zum Gefangenen. Desiderius endete sein Leben im Kloster zu Corbie, wie man sagte, als ein frommer Wundertäter. Karl aber nahm die eiserne Krone und nannte sich seit dem Jahre 774 König der Franken und Langobarden, Patricius der Römer, während Adelgis, der flüchtige Sohn des Desiderius, an den byzantinischen Hof eilte, das traurige Leben eines Prätendenten zu beginnen.


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