Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2. Die Eremiten und Pier Damiani. Die Bußdisziplin. Stephan IX. versammelt ausgezeichnete Männer als Kardinäle um sich.

Sooft die kirchliche Disziplin verdarb, sahen wir heilige Männer sich erheben, den Ruin der Kirche aufzuhalten. Wir betrachteten als solche Charaktere Odo von Cluny, Romuald, und St. Nil; ihre Reihe setzte sich im XI. Jahrhundert fort. Benedikt IX. fand seinen Gegensatz in Heiligen derselben Zeit. Während gottvergessene Bischöfe heidnische Orgien feierten, lagen in den Eremitenzellen unwegsamer Gebirge Mönche in verzückter Andacht, und übernahmen es entsagende Anachoreten, die Schuld des sündigen Geschlechts durch unverschuldete Buße zu sühnen. In diesen Zellen oder Höhlen der Frömmigkeit lebte das unbekannte Geschlecht der geringeren Propheten, deren Eifer nur in Feld und Wald dem Bergbewohner oder Landmanne fühlbar wurde. Doch diese Tausende von Eremiten bildeten nur die unteren Stufen einer Pyramide; höhere Naturen stiegen auf, gewannen in weiteren Kreisen der Gesellschaft Macht und leiteten Gemüt wie Vermögen der Menschen in die Kanäle, welche die Kirche Roms ernährten. Ein und dasselbe Zeitalter sah Dominicus von Sora, Bruno von Segni, Gualbert von Vallombrosa, Guido von Pomposa und Pier Damiani, ein hervorragendes Talent des Mönchtums, kein schöpferisches und praktisches im alten Sinne, sondern eine schwärmerisch mystische Kraft, deren sich Hildebrand geschickt bediente, die Welt mit Ekstase zu entzünden, während er selbst kalt und klug berechnend sein hierarchisches System entwarf.

Der Geist Pier Damianis schien die Fortsetzung dessen Romualds. Wie dieser war er in Ravenna geboren im Jahre 1007. In seiner unglücklichen Kindheit mußte er Schweine hüten, bis ihn Verwandte erzogen. Den grammatischen Studien hingegeben, wurde er ein gelehrter Mann und selbst Lehrer in Ravenna; doch sein melancholisches Gemüt trieb ihn in die Einsamkeit. Er wurde Eremit in Fonte Avellana, einer romualdischen Einsiedelei bei Gubbio. In früheren Zeiten hatte der Orden Benedikts als eine gesellige Mönchsrepublik wohltätig auf die Barbarei gewirkt; später hatte man sein Prinzip verlassen, und seit Romuald waren die Einsiedeleien emporgekommen. Um die Mitte des XI. Jahrhunderts fanden sich Anachoreten über ganz Italien zerstreut, doch in Kongregationen geordnet, wie es die Romualds in Camaldoli und die noch strengere Gualberts in Vallombrosa war. Diese Einsiedler, durch ein und dasselbe Prinzip mystischer Buße zum Kampf gegen die Verderbnis der Kirche verbunden, stellten ein aufgelöstes, doch zusammenwirkendes Heer dar, welches für die Reform nicht nur der Gesellschaft, sondern mehr noch der Kirche und für die Herrschaft Roms im Felde lag. Der Einfluß der Eremiten auf alle, selbst die politischen Verhältnisse jener Zeit grenzt ans Rätselhafte und kann vielleicht nur mit dem der Prophetenschulen des alten Testaments verglichen werden.

Wie Romuald baute auch Pier Damiani Siedeleien, sammelte Schüler, die er als Apostel des Einsiedlerlebens in die Provinzen schickte, und der Ruf des Priors von Fonte Avellana verbreitete sich durch ganz Italien. Er wurde bald einer der tätigsten Kämpfer gegen die kirchlichen Laster der Zeit: die Unzucht des Klerus und die Simonie. Ein Satiriker würde damals mehr Stoff als Hieronymus gefunden haben, ein Gemälde der Kirche zu malen, und Pier Damiani selbst hat in einigen Schriften, wie vor ihm Ratherius, die satrapenhafte Üppigkeit der Kardinäle und Bischöfe geschildert. Er begann zunächst die Sitten des Mönchtums zu reformieren, aber seine Reform war nicht von der Natur der liberalen und praktischen Regel Benedikts. Ihr innerster Kern war die Buße; sie stellte daher ein System der Kasteiung auf, welches heute kindisch und abschreckend erscheinen muß.

Ein frommer Mönch konnte den Schmerz der Geißelhiebe, die er sich gab, durch den Wahn versüßen, daß die Engel im Himmel jedem seiner Schläge Beifall riefen, doch seine Geißelung trug nichts zum Glück der Gesellschaft bei, wie seine verständige Arbeit es würde getan haben. So sehr hatte sich der Menschengeist wieder verfinstert, daß man dem Ebenbilde Gottes in der Gestalt qualvollen Stumpfsinns am nächsten zu kommen wähnte. Damiani selbst hat uns einen solchen Büßer geschildert. Wir haben, so erzählt er, in einer Zelle einen wilden Idioten, welcher fünfzig Psalmen stammelt und sie täglich siebenmal wiederholt. Seit 15 Jahren hat er seine Klause nicht verlassen; seine Haare sind bis auf die Knöchel herabgewachsen, sein Bart starrt fürchterlich. Drei Tage lang in der Woche verzehrt er nichts, in drei andern etwas Brot und Wasser. Sonntags schmort er sich ein Gericht, welches für ein Gebackenes gelten soll; dies zu schmecken oder nur zu riechen, halten wir schon für eine große Pönitenz. Seine Zelle ist voll Gestank, sein Trinkwasser gleicht einer Hefe, und Kleider wechselt er nie. Die Gespielen seiner Tage und Nächte sind zwei Schlangen, die, wenn er seine Psalmen singt, schmeichelnd sein Haupt umwinden. Wir heute Lebenden blicken auf den armen Idioten Martin Storax mit dem peinvollen Mitleid, welches der Wahnsinn erregt; auch Damiani hieß diese Form der Kasteiung nicht gut; seine Bildung und der Hauch poetischer Muse, der in ihm lebte, schreckten ihn davor zurück, schätzten ihn jedoch nicht davor, das Geißeln als ein wesentliches Werk der Heiligung zu empfehlen. Er selbst wurde der Meister und Vater der Flagellanten.

Seit alters war eine der stärksten Waffen in der Hand der Kirche die Buße, die sie dem Sünder auflegte. Ein unerzogenes Menschengeschlecht errötete nicht, die Strafe für Vergehen in der kindischen Form leiblicher Züchtigung hinzunehmen; selbst ein Kaiser wie Heinrich III. geißelte sich oft, und jahrhundertelang boten alle Stände und Geschlechter, sogar edle Frauen ihren entblößten Nacken der Rute dar, die irgendein Mönch oder Diaconus fanatisch oder lächelnd über ihnen schwang. Eine förmliche arithmetische Berechnung hatte man im XI. Jahrhundert in bezug auf Zahl und Wert der Geißelhiebe eingeführt. Jedem Vergehen entsprach ein Zeitraum der Büßung, aber die menschliche Natur vermochte mehr Verbrechen als Bußepochen auf sich zu nehmen, denn mancher Sünder stand mit so starken Nummern im Register, daß er Jahrhunderte hätte leben müssen, um dem Bußkanon gerecht zu werden. Die Kirche gestattete zur Aushilfe den Reichen, die Zahl von Bußjahren in Geldeswert zu frommen Zwecken, den Armen, in entsprechenden Geißelhieben, Fasten und Psalmensingen zu entrichten. Ein geradezu unermeßliches Vermögen an Geld, Gut und auch an Land, das um des Loskaufs der Seele willen ( pro redemptione animae) dargebracht wurde, floß jahrhundertelang in die Kassen der Kirche, bis diese unchristliche Abtragung moralischer Schuld durch klingendes Geld die Reformation Luthers mit veranlaßte. Die Seele des Menschen war im Mittelalter die Leibeigene des Priestertums und an die Kirche geheftet ( ecclesiae adscripta), welche auf diesem Verhältnis von Schuld und Buße ihre fast rätselhafte Gewalt gründete.

Nach dem Kanon war ein Jahr der Buße gleich 26 Solidi oder 30 Talern für den Reichen, gleich 3 Solidi für den Armen; ein Bußtag war aber auch gleich 20 Schlägen auf die Hand oder gleich 50 Psalmen; ein Bußjahr kam 3000 richtig gezählten Hieben mit dem Staupbesen völlig gleich, wenn sie obenein der Gesang von Psalmen begleitete. Der Sünder konnte demnach Jahrhunderte der Buße bei einiger Übung in kurzer Frist abfertigen. Damianis eigene Geschicklichkeit wurde durch die Meisterschaft des gepanzerten Dominicus beschämt, der mit rasender Schnelligkeit Jahrhunderte abzugeißeln verstand. Er trug stets einen eisernen Schuppenpanzer auf dem bloßen Leib als Rüstung im Kampf gegen die unreinen Geister der Sinnlichkeit, und diesen warf er nur von sich, um in jede Hand einen Besen zu nehmen und psalmensingend ein Jahrhundert und mehr an sich abzutun. Damiani wurde mit einem Säkulum erst in einem Jahre fertig, doch der Gepanzerte versicherte ihm, daß er in sechs Tagen damit zu Ende komme. Denn 3000 Hiebe machen ein Jahr; der Gesang von zehn Psalmen, so hatte er ausgerechnet, gibt einen Zeitraum, worin man sich sehr gut tausend Hiebe versetzen kann; der Psalter hat 150 Psalmen, umschließt also fünf Jahre Pönitenz; diese fünf, zwanzigmal genommen, machen hundert, so daß wer zwanzig Psalterien mit Geißelhieben begleitet, ein Säkulum der Buße abtut. Damiani stellte die Energie seines Freundes zum Muster auf; er verteidigte die Disziplin mit Eifer gegen einen andern Mönch Petrus, der den mutigen Verstand besaß, dies fürchterliche Institut der Geißelung zu verdammen.

Betrachtet man die abschreckende Erscheinung solcher Märtyrer eines Wahns abgelöst von ihrer finstern Zeit, so wird man sie nur als Karikatur verspotten, aber im Zusammenhang mit ihr sind auch sie tragisch wie alle andern Opfer, welche die Menschheit für ihre sittliche Befreiung in jeder Epoche, doch in verschiedener Form darbringen muß.

Wenn nun Damiani nicht andere Verdienste besessen hätte als solchen Eifer um die Disziplin, so würden sie ihm keine Berühmtheit gesichert haben. Er war jedoch mehr als ein bloßer Asket. Romuald war unwissend, Damiani gelehrt; er stand mit allen hervorragenden Personen der Zeit im Verkehr und wirkte auf hoch und niedrig durch Zuschriften ein. Wie Hildebrand als der staatsmännische Kopf der Kirche jener Zeit dasteht, so war er das fühlende Herz in ihr. Sein Verstand war schwach, seine mönchische Einfalt groß, seine Phantasie von mystischen Bildern erfüllt. Aber eben deshalb wirkte er auf die Massen des Volks. Ein solches von gläubiger Begeisterung überströmendes Talent durfte nicht in der Einsiedelei begraben sein; Stephan IX. zwang ihn, nach Rom zu kommen. Der Eremit sträubte sich gegen das Leben unter Kardinälen und Großen; denn so ungebildet auch der hohe Klerus damals im allgemeinen war, so zählte er doch in Rom seit Leo IX. einige durch Gelehrsamkeit und Einsicht ausgezeichnete Männer. Der Weltverkehr wie die große kirchliche Aufgabe verlieh diesen Kardinälen schon damals ein fast fürstliches Ansehen. Wenn ich unter jenen Bischöfen bin, klagte Damiani, so überschüttet man mich mit Scherzen und attischem Salz, mit Urbanitäten und tausend Fragen, die uns Priester zu Rhetoren oder Possenreißern erniedrigen. Mache ich dazu ein einfältiges oder beschämtes Gesicht, so nennt man mich inhuman, zelotisch, einen hyrkanischen Tiger, einen Mann von Stein. Der strenge Mönch hatte Grund genug, an Kardinälen Ärgernis zu nehmen, welche den Falken auf der Faust in der Campagna jagten oder wie Landsknechte beim Würfelbecher saßen, und wiederum durften jene seine eremitische Grämlichkeit verspotten, wenn er ihnen selbst das unschuldige Schachspiel verbot. Er folgte dem Ruf nach Ostia und Rom, und seither wurde er in Diensten der Kirche als Nuntius, Friedensstifter, Vermittler von Parteien, Apostel der Ehelosigkeit und Volksredner gebraucht.

Außer ihm gab es noch andere mehr praktische und kräftige Geister, welche Stephan IX. zu sich berief oder schon in Rom vorfand. Der Burgunder Humbert, Kardinalbischof von Silva Candida, der Kardinal Stefan von St. Chrysogonus, ein Mönch von Cluny, Anselm von Badagio, Bischof von Lucca, Desiderius, Abt von Monte Cassino, Kardinal von Santa Cecilia, endlich Hildebrand waren damals diejenigen Männer, die der Kirche mehr oder minder starke Bewegungstriebe gaben. Seit langer Zeit hatte Rom nicht so viele ausgezeichnete Kardinäle vereinigt; dies Kollegium von Beratern des Papsts ging daher einer neuen, glänzenden Zukunft entgegen. Das weltliche Rom blieb, was es war, aber das geistliche hatte sich in der kürzesten Zeit bis zur Unkenntlichkeit verändert. Bedeutende Männer umgaben einen bedeutenden Papst; wie dieser waren auch sie Fremde, aus dem Orden Clunys und der Regel St. Benedikts hervorgegangen. Konnte die römische Kirche gleich einem weltlichen Staat zugrunde gehen, wenn sie, an den erschöpften Boden Roms nicht gebunden, aus allen Ländern frische Kräfte an sich zog, um sich immer wieder zu verjüngen?


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