Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Viertes Kapitel

1. Belisar rüstet die Verteidigung Roms. Vitiges rückt mit dem Heerbann der Goten gegen die Stadt. Erster Sturm. Anstalten zur Belagerung. Die gotischen Schanzen. Gegenanstalten Belisars. Vitiges läßt die Wasserleitungen zerbrechen. Schwimmende Tibermühlen. Verzweiflung der Römer. Aufforderung der Goten zur Übergabe. Anstalten zum Sturm.

Als Siegeszeichen schickte Belisar nach Konstantinopel die Schlüssel Roms und den Gefangenen Leuderis; aber er erkannte die Schwierigkeit seiner Lage in der umfangreichen Stadt, deren baldige Belagerung er voraussah. Trotz der Wiederherstellung durch Theoderich zeigten sich die Aurelianischen Mauern an vielen Stellen schadhaft und verfallen: er besserte sie aus, schützte sie durch Gräben und versah sie mit festen, in Winkel auslaufenden Zinnen, deren kunstvollen Bau die Römer anstaunten, indem sie der Gedanke an eine mögliche Belagerung, für welche sich Belisar so sorgfältig vorbereitete, in Schrecken versetzte. Denn er füllte auch die öffentlichen Speicher mit dem Getreide Siziliens wie mit dem Korn der Campagna, welches er die Kolonen abzuliefern zwang. Er täuschte sich nicht.

Nachdem Vitiges den Winter hindurch in Ravenna den ganzen Heerbann der Goten zusammengezogen und mit Waffen und Pferden trefflich ausgerüstet hatte, brach er, durch den Fall fast aller Städte Tusziens und Samniums zur Eile getrieben, nach Rom auf. Römer, die ihm unterwegs sagten, daß die Griechen der Stadt bereits lästig seien, entflammten seine Kriegslust. Ohne sich mit der Eroberung von Perugia, Spoleto und Narni aufzuhalten, rückte er durch die Sabina auf der Via Casperia und Salara herab. Es war im Anfange des März 537. Unübersehbare Scharen (Procopius schätzt sie vielleicht mit einiger Übertreibung auf 150 000 Mann), die Männerkraft der ganzen gotischen Nation, Fußvolk und Reiterei, deren Pferde selbst in Eisen gepanzert waren, drangen auf der Salarischen Straße gegen Rom. Der Tiber fließt hier in einer sanften Krümmung um vulkanische Tuffhügel und empfängt auf seinem linken Ufer den Anio.

Als die Goten sich im Anblicke Roms sahen, stürzten sie vorwärts zum Anio, der sie noch von der rebellischen Stadt trennte. Das Wasser dieses reißenden Flusses ist um die Frühlingszeit groß und schwer zu durchgehen; auch war die dortige Brücke mit einem festen Turm verschanzt. Aber in der Dunkelheit entwich die Besatzung, worauf die Goten die Brückentore einschlugen und den Anio überschritten. Auf dem Wege nach der Porta Salara stießen sie auf Truppen Belisars, welcher mit tausend Reitern gekommen war, den Feind zu beobachten oder vom Übergange abzuhalten. Procopius hat die Farben der Iliade geborgt, um diesen ersten wütenden Kampf vor den Mauern Roms mit Lebhaftigkeit zu beschreiben. Er zeigt uns Belisar auf einem Pferde mit weißer Stirn, wie er unter den Vordersten Feind auf Feind niederstreckt, von einem Hagel von Pfeilen und Lanzen überschüttet, weil sich alle Geschosse auf ihn und sein weithin kenntliches Roß richteten. Aber sein eigenes Schlachtschwert beschützte und die Schilde seiner Trabanten deckten ihn, während gefallene Goten wie Griechen einen hohen Wall um den Feldherrn bildeten.

Nach grimmigem Streite wurden die Griechen durch die Übermacht erdrückt; sie zogen sich fliehend auf den Hügel zurück, welcher vor der Porta Pinciana durch einen tiefen Einschnitt vom Monte Pincio getrennt wird. Die nachdrängenden gotischen Reiter hielt so lange mit unvergleichlicher Heldenkraft Valentin auf, Stallmeister des Photius, der ein Sohn der Gemahlin Belisars war, bis die Fliehenden sich unter die Mauern der Stadt gerettet hatten. Die siegreichen Goten verfolgten sie bis an jenes Tor. Aber die Wachen auf den Mauern fürchteten, der Feind möchte mit den Griechen zugleich eindringen, sie hielten deshalb, im Glauben, der Feldherr sei gefallen, die Tore gesperrt, während sich die verzweifelnden Flüchtlinge zwischen dem Graben und der Mauer zusammengepreßt hatten. Da ermahnte Belisar die Seinigen zu einer letzten Kraftanstrengung; die Goten wurden in ihr Lager am Fluß zurückgedrängt, und der byzantinische General rettete sich und seine ermatteten Truppen glücklich in die Stadt. Die Römer hatten einen Kampf beobachtet, der ihrer großen Väter würdig war, aber sie selbst ihm müßig zugesehen. An den Mauern der Porta Pinciana lagen Tausende hingestreckt. Unter ihnen hat selbst der Feind die Tapferkeit eines Goten mit Bewunderung geehrt; dieses war der starke Visand, ein Bannerträger. Im Kampf um Belisars Person der Vorderste, war er mit dreizehn Wunden hingesunken; aber noch am dritten Tage darauf von den Goten atmend gefunden, wurde er in ihr Lager gebracht und von seinem Volk mit dem Namen eines Helden begrüßt.

Vitiges, in seiner Hoffnung getäuscht, die Stadt mit einem ersten Sturm zu nehmen, beschloß eine geregelte Belagerung. Sie ist eine der merkwürdigsten in der Geschichte und einem Heldenepos gleich. Die reckenhafte Urkraft des edelsten Stammes der Germanen stritt hier mit den römischen Giganten, den Mauern Aurelians und mit dem Genie eines Griechen, welcher sie verteidigte. Die Kunst der Goten, die gewohnt waren, im offenen Felde zu kämpfen, reichte nicht aus, Städte mit Nachdruck zu belagern, und indem der König dies übersah, setzte er das gotische Reich an den Mauern Roms aufs Spiel, an welchen ein tapfres Kriegervolk ganz eigentlich zerschellte. Ihr großer Umfang gestattete keine völlige Umzingelung; Vitiges beschränkte sich darauf, den schwächeren Teil vom Flaminischen bis zum PränestischenTore einzuschließen, und weil er dies tat, wird die Angabe des Procopius, das gotische Heer habe 150 000 Streiter betragen, sehr zweifelhaft. Auf jener Strecke zählte der Geschichtschreiber fünf Haupttore, ohne sie alle zu nennen. Indem sich dort die Flaminia, Pinciana, Salara, Nomentana, Tiburtina, Clausa und Praenestina befinden, wurden das vorletzte und, wie es scheint, die Pinciana, nicht mitgerechnet. Sechs verschanzte Lager schlugen die Goten vor diesen Toren auf, alle diesseits des Flusses, und ein siebentes errichteten sie jenseits auf dem Neronischen Feld oder der Ebene, die sich vom Vatikan bis gegen die Milvische Brücke unter dem Monte Mario erstreckt. Es galt, diese Brücke selbst zu schützen, zugleich aber die Hadrianische und ihren Eingang in die Stadt durch das innere Aurelische Tor zu bedrohen. Dieses Tor, schon damals mit dem Namen St. Peters genannt, lag vor der Hadriansbrücke diesseits in der Mauer, die von der Porta Flaminia aufwärts an der inneren Flußseite fortlaufend das Marsfeld umzog. Außer ihm richteten die Goten auch auf das transtiberinische Tor ihre Aufmerksamkeit, unter welchem das Janiculensische von S. Pancrazio zu verstehen ist.

In der Stadt war Belisar rastlos beschäftigt, die einzelnen Tore verteidigungsfähig zu machen. Er versammelte die Porta Flaminia, welcher eins der feindlichen Lager sehr nahe lag, und übertrug die Bewachung dem erprobten Constantin; das Tor von Praeneste gab er dem Bessas zur Hut; er selbst schlug sein Quartier zwischen der Pinciana und Salara auf, welche beide, in der schwächsten Strecke der Mauer gelegen, zugleich als Ausfallspforten dienen sollten. Jedes andere stellte er unter die Aufsicht eines Führers und befahl diesen Hauptleuten, niemals den Posten zu verlassen, was auch immer geschehen möchte. Die Goten, welche hin und wieder gegen die Tore vordrangen, fanden die Wächter auf der Hut; sie riefen ihnen zu den Mauern hinauf, daß die Römer Verräter und Dummköpfe seien, weil sie der gotischen Kraft das Joch der Byzantiner vorgezogen hätten, von denen Italien, so sagten sie, niemals andern Gewinn gehabt habe als den der Tragöden, der Possenreißer und Seepiraten.

Indem die Belagerer Rom umkreisten, durchschnitten sie alle Wasserleitungen, worauf Belisar (er erinnerte sich Neapels, wo sein Heer durch einen Aquädukt bei Nacht eingedrungen war) die Einmündungen der Kanäle in der Stadt vermauern ließ. So wurden die Aquädukte Roms, die Wunderwerke so vieler Jahrhunderte, sämtlich durchbrochen, und seit undenklicher Zeit hörten sie zum erstenmal auf, die Stadt mit ihren Strömen zu versorgen. Seither kamen auch die letzten Thermen Roms außer Gebrauch und verfielen; die Wasserleitungen aber wurden von den Römern allmählich als Baumaterial benutzt.

Auch der Stillstand der Mühlen war für das römische Volk sehr empfindlich. Diese lagen und liegen noch in Trastevere, auf dem Abhange des Janiculus gegen die Brücke, welche heute Ponte Sisto heißt, von wo die Trajanische Wasserleitung, mit Gewalt herunterkommend, sie einem Flusse gleich trieb. Ihr Eingehen veranlaßte eine Erfindung, die noch den heutigen Römern vielleicht als Geschenk Belisars geblieben ist. Er ließ vor der genannten Brücke je zwei Barken an Tauen befestigen und setzte über sie Mühlen, deren Räder durch den Fluß selbst getrieben wurden. Die Goten suchten sie zu zerstören, indem sie Baumstämme den Strom herabschwimmen ließen, aber durch eine Kette fing man diese Hindernisse auf.

Unterdes fuhren die Belagerer fort, die Campagna zu verwüsten und die Zufuhr in die Stadt zu behindern. Das römische Volk aber sah mit steigender Angst die beginnende Not; der Pöbel schrie über die nicht ausreichenden Streitkräfte und tadelte Belisar, weil er eine schlecht geschützte Stadt mit nur 5000 Mann gegen so zahlreiche Feinde verteidigen wollte. Insgeheim murrte der Senat. Durch Überläufer von dieser Stimmung benachrichtigt, suchte Vitiges aus ihr Vorteil zu ziehen. Er schickte einen Gesandten nach Rom, der in Gegenwart der Senatoren und Heerführer Belisar vorstellte, daß es frevelhaft sei, die Römer, welche Theoderich in Wohlstand und Freiheit gepflegt habe, durch das Elend einer hoffnungslosen Verteidigung zugrunde zu richten. Er verlangte die Übergabe der Stadt und bot dafür den Griechen freien Abzug und den Römern Amnestie. Diese selbst fragte der Abgesandte, durch welche Verbrechen sie von den Goten so schwer gekränkt worden seien, daß sie ihre rechtmäßigen Herren und sich selbst verraten konnten; sie hätten von ihnen nur Wohltaten erfahren, und jetzt seien die Goten vor ihren Mauern wieder erschienen, um Rom aus der Knechtschaft zu befreien. Belisar wies den Unterhändler mit der Erklärung ab, daß er die Stadt bis auf den letzten Mann behaupten werde.

Vitiges betrieb hierauf die Anstalten zu einem entscheidenden Sturm. Hölzerne Türme von mauerüberragender Größe wurden auf plumpe Räder gesetzt; man hing ihnen eiserne Sturmwidder an, welche von je fünfzig Mann gegen die Mauern gestoßen werden sollten; man zimmerte lange Sturmleitern, sie an die Zinnen anzulegen. Diesen Mitteln gegenüber (und die heutige Belagerungskunst kann ihre rohe Einfachheit belächeln) entwarf Belisar seine Gegenmaßregeln. Er setzte auf die Mauern künstliche Wurfbogen oder Ballistren und große Steinschleudern, die man wilde Esel ( Onagri) nannte und welche einen Bolzen mit solcher Gewalt fortzuschnellen imstande waren, daß er einen gepanzerten Mann an einen Baum festzunageln vermochte. Die Tore selbst schützten von außen sogenannte Wölfe oder aus schweren Balken gezimmerte und mit eisernen Stacheln besetzte Fallbrücken, die auf die Anstürmenden mit zerschmetternder Wucht herabgelassen werden sollten.


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