Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2. Gregor VII. empfängt den Lehnseid der Fürsten von Benevent und Capua. Robert Guiscard verweigert ihn. Plan Gregors, die Fürsten und ihre Reiche zu Vasallen der römischen Kirche zu machen. Sein Aufruf zu einem allgemeinen Kreuzzuge. Mathilde und Gregor VII. Sein erstes Konzil in Rom; seine Reformdekrete.

Die Kirchengeschichte entwickelt die Kämpfe Gregors VII. um die Alleingewalt des Papsttums; unsere Geschichte muß sich beschränken. Obwohl sie sich eines Blicks auf die allgemeinen Richtungen der Zeit und die Verhältnisse im großen nicht entschlagen kann, darf sie doch nur das Politische festhalten und zeigen, welche Schicksale die Stadt Rom mitten im Kampf zwischen der Krone und der Tiara erfahren hat und welches ihre Beteiligung in diesem welterschütternden Streite gewesen ist. Denn auch die Stadt trat darin handelnd auf; ihre jedesmalige Beziehung zu den Kaisern und Päpsten machte sie zu einer wirkenden Kraft in der Weltgeschichte selbst.

Ehe Gregor sein erstes Konzil hielt, ging er nach Apulien, die Normannen sich neu zu verpflichten und wie ein kluger Feldherr eine starke Grundlage sich zu sichern. Die Päpste, unvermögend, die Eindringlinge zu verjagen, suchten, so gefährliche Nachbarn wenigstens der Lehnspflicht gegen das Reich zu entziehen, der Kirche dienstbar zu machen und zugleich mit der Politik des alten Rom durch Teilung und Eifersucht diese Vasallen zu schwächen. Im August 1073 empfing Gregor den Dienstmanneneid des Langobarden Landulf VI. von Benevent; im September die Huldigung des Fürsten von Capua. Richard wurde zinsbar, versprach, dem Reich den Lehnseid nicht zu leisten außer mit des Papsts Genehmigung, und verpflichtete sich, den Kirchenstaat, endlich das Wahlgesetz zu schützen. Dem Beispiel eines Nebenbuhlers wollte Guiscard nicht folgen; der Bezwinger Siziliens sträubte sich noch, seine Eroberungen vom Papst, dessen Absichten er begriff, zu Lehen zu nehmen; auch wollte er bessere Bedingungen und noch mehr Gewinn von Land. Er schwor den Lehnseid nicht, worauf Gregor ihn und Richard mit schlauer Kunst in Zwiespalt hielt. Sein Bestreben, Süditalien zu einem römischen Vasallenlande zu machen, konnte nicht mehr auffallen, aber wundersam war die vorschnelle Offenheit, womit er andere, höhere Ansprüche des Heiligen Stuhls sofort enthüllte.

Wenn heute ein Papst erklärte, daß ihm fremde Fürsten Vasallenpflicht schuldig seien, so würde er wie ein Irrsinniger angestaunt werden, und doch gab es eine Zeit, wo die Päpste allen Ernstes behaupteten, auch die politischen Oberherren der halben Welt zu sein, wo Völker ohne Nachdenken diese Ansprüche vernahmen und Könige sie fürchteten oder sich ihnen unterwarfen. Die Schenkung Constantins war der Boden, auf dem so kühne Ideen ursprünglich erwuchsen; die normannischen Fahnenlehen wurden sodann weitere Schritte zu weiteren Forderungen. Kaum Papst geworden, schreckte Gregor die Könige durch seine Absicht, eine zweite römische Weltherrschaft aufzurichten. Die Länder des Westens sollten Vasallenstaaten des geistlichen Rom, ihre Herrscher Lehnsmannen St. Peters sein. Gregors Vorgänger hatten ihre Kräfte erschöpft, zerfallene Patrimonien wiederzugewinnen, aber dieser gewaltige Mann blickte über die Fetzen des Kirchenstaats hinweg auf die Herrschaft der Welt. Mit Erstaunen lesen wir die zum Teil bald nach seiner Erhebung geschriebenen Briefe, worin er fremden Fürsten ruhig erklärt, daß ihre Reiche dem Heiligen Stuhl gehörten.

So hochgespannte Vorstellungen flossen auch aus der Idee, daß Christus Herr der Welt sei, der Papst als sein Vikar an diesem Vorrecht Anteil habe; aber die Päpste würden sie nicht gewagt haben, wenn nicht sowohl der mystische Begriff vom Wesen des Papsttums als die tiefe Verwirrung der staatlichen Verhältnisse sie dazu ermunterte. Eroberer eilten ihrem Raube Rechtskraft zu geben, indem sie um den Preis des Lehnseides vom Stellvertreter Christi sich das Gottesgnadentum erbaten; Prätendenten boten ihre Reiche dem Papst zu Lehen, um sich ihrer Krone zu versichern. In den moralischen Schutz der Kirche flüchteten Fürsten aus Klugheit wie aus Pietät. Schuldbelastete oder fromme Könige boten von dem Eigentum ihrer unbefragten Völker jährlichen Zins dar, und der römische Lateran machte ein frommes Geschenk zu einem pflichtschuldigen Tribut. Gewohnt, daß bedrängte Eigentümer ihr freies Gut ihr hingaben, um es dann als ein Kirchenlehen zurückzuerhalten, suchte die Kirche solche Rechtsverhältnisse von Domänen zu Königreichen auszudehnen und sie alle sich zinsbar zu machen. Ihre Titel waren zahllos, oft seltsam: Gregor VII. beanspruchte die Lehnshoheit über Böhmen, weil Alexander II. dem Herzog Wratislaw den Gebrauch einer Mitra zugestanden hatte; über Rußland, weil der flüchtige Prinz von Nowgorod das Grab St. Peters besucht und ihm sein Land zum Lehen dargeboten habe; über Ungarn, weil Heinrich III. die eroberte Reichslanze und Krone jenes Landes als Weihgeschenk in den St. Peter gestiftet habe. Kaum war er zum Papst erwählt, als er den Kardinal Hugo nach Spanien sandte, dort die Oberherrlichkeit der Kirche zu wahren, denn jenes Reich stünde seit alters dem Papst zu Recht. Er stellte dieselben Forderungen an Korsika und Sardinien, an Dalmatien und Kroatien, an Polen, an Skandinavien und England, welche Länder alle er mit völligem Ernst als dem St. Petrus eigen betrachtete.

Die echt römische Kühnheit solcher Ansprüche würde uns heute völlig unglaublich erscheinen, wenn sie eben nicht auf dem Grunde einer religiösen Zeit- und Weltanschauung stand, die aus dem Geist des Mittelalters begriffen sein will. Die ruhige Überzeugung, mit der sie Gregor VII. aussprach, gibt seinen mystischen Gedanken von dem Verhältnis des auf der Erde Wandelnden und Vergehenden zu dem ewigen Prinzip der Religion sogar eine gewisse Großartigkeit. Die Welt sah er nur als die Form der christlichen Idee, in ihrer politischen Gestalt vorübergehend und unwesentlich, aber ewig in der Kirche, die ihm die Weltordnung oder das alle andere Institute als dienstbar in sich tragende Reich Gottes war.

Indes das Reich der Wirklichkeit entsprach nicht dem seiner Ideen, die er in Süditalien zuerst auszuführen suchte. Ernstliche Pläne eines Normannenkriegs beschäftigten ihn; er fürchtete die werdende Größe Robert Guiscards, welcher kühn und klug auf das schöne Ziel losschritt, Süditalien zu einem Königreiche zu vereinigen. Einen Eroberer von solchem Genie konnte Gregor VII. nicht als Feind neben sich dulden; er mußte ihn vernichtet oder als Vasallen sich verbündet sehen. Erst hoffte er mit mehr Erfolg als Leo IX. einen abendländischen Bund zustande zu bringen, aber sein überfliegender, durch den Besitz der Tiara zu hochgespannter Geist sah sofort über die eigentlichen Zwecke der Unternehmung hinaus. Wenn er ein Nächstes ergriff, war es dies doch immer nur als Teil eines ganzen großartigen Systems. Er faßte den Plan, an der Spitze eines europäischen Heerbanns erst Normannen, Griechen und Sarazenen aus Italien zu jagen, dann Byzanz vor den Islamiten zu retten, der römischen Kirche zu unterwerfen und endlich das Kreuz in Jerusalem aufzupflanzen. Er schrieb an die Fürsten Italiens, an Wilhelm von Burgund, noch im Dezember 1074 an Heinrich, welchem er sagte, er selbst wolle der Führer des Kreuzzuges sein, ihm aber den Schutz der römischen Kirche überlassen. Welch ein schwärmerischer Plan und in welcher Zeit! Was der Schluß seines Pontifikats hätte sein können, stellte er als dessen genialen Anfang hin, als ob er, seine schrecklichen Kämpfe in Italien ahnend, ihnen zu entgehen dachte, indem er die begeisterte Welt hinter sich her nach dem Orient fortriß. Hoffte er mit einem gewaltigen Zuge, mitten in dem Enthusiasmus der Christenheit, seine hierarchischen Ideen in Europa unter minderen Kämpfen durchzusetzen? Oder hüllte er nur seine wahre Absicht, Süditalien zu unterwerfen, in jenen Plan? Denn erkennen mußte er doch, daß er sich nicht persönlich in den orientalischen Religionskrieg stürzen durfte, ehe die Unabhängigkeit der Kirche im Abendlande erreicht war. In diesem Falle aber würde sich Gregor VII. an die Spitze des Kreuzzuges gestellt und dem damals jugendlichen Gottfried von Bouillon vielleicht die Unsterblichkeit geraubt haben. Ein Blatt in der Weltgeschichte ist leer geblieben, worauf der größte aller Päpste als ein enthusiastischer Alexander oder Trajan mit dem Krummstab und der Tiara an der Spitze fanatisierter Myriaden würde sichtbar gewesen sein.

Das kolossale Unternehmen sank indes zu einer Karikatur herab. Zwar sammelten sich 50 000 Mann italienischer und selbst überalpischer Truppen, die der Papst, welcher Robert auf der Märzsynode des Jahres 1074 gebannt hatte, mit Gisulf von Salerno am ciminischen Bergwald bei Viterbo musterte; doch die Gräfinnen Toskanas blieben in ihrem Eifer bald allein. Robert Guiscard, zu dessen Verderben Gregor Richard von Capua und Gisulf herbeigezogen hatte, mochte dies Bündnis mit Kunst zersprengt haben, und selbst der Normannenzug unterblieb.

So war es Gregor noch nicht geglückt, sich der Vasallendienste Süditaliens ganz zu versichern, dafür fand er in Toskana eine Hingebung ohne Grenzen. Dies Land konnte er als eine feste Schanze betrachten, welche ihn nordwärts gegen die Angriffe Deutschlands deckte, und mit mehr praktischem Geist richtete er seine Blicke darauf. Die geträumte Weltherrschaft zerrann in Nebel, aber Gregor schuf aus dem mathildischen Erbe den Päpsten einen Kirchenstaat. Die Gräfin Mathilde, in der Schule ihrer frommen und mutigen Mutter erwachsen, wurde seine Freundin und der Schutzgeist der päpstlichen Hierarchie. Diese berühmte Fürstin verband die gleiche Nationalität mit Gregor, denn sie war von Vätern her langobardischen Stamms. Sie zählte damals 28 Jahre. Ihre Ehe trennte die beständige Entfernung des Gatten; der tapfere und kluge Gottfried mit dem Buckel teilte weder die religiöse Schwärmerei noch die römische Politik seiner Gemahlin; er hielt sich stets zur Fahne Heinrichs, während Gregor die Abneigung Mathildes von ihrem Gemahl benutzte, um sie ganz an seine Ideen zu ketten. Er gab ihr den Cluniazenser Anselm, Bischof von Lucca, zum geistlichen Rat, und selten hat ein Beichtvater die Gelübde einer so gottesfürchtigen und zugleich so kräftigen Seele gehört. Die persönliche Freundschaft zwischen Gregor und Mathilde, ein Verhältnis von welthistorischer Wirkung, steht in der Geschichte einzig da, und nur einmal hat sich ein Papst neben einem jungen, energischen Weibe in so bedeutender Verbindung dargestellt. Haß und Argwohn haben dies Verhältnis vergebens zu besudeln versucht; das ruhige Urteil wird sich stets dagegen sträuben, einen Gregor VII. aus der hohen Sphäre seines weltumfassenden Willens in die Freuden einer Liebschaft herunterzuziehen; doch ein Weib mag leicht in die Gefühle bewundernder Freundschaft auch das Herz mit hinübernehmen. Mathilde, stark, hochgemutet, durch Bildung ihre Zeit überragend, eine vollendet königliche Frau, doch im Banne des Genies Gregors, widmete seinen Plänen einen männlichen Geist, ein weibliches Herz und den aufrichtigen Glauben an ein Ideal. Sie war kinderlos, und dies erklärt viel. Wenn sie nichts mehr gewesen wäre als eine nonnenhafte Gefühlsschwärmerin, die Marcella oder Scholastica ihres Jahrhunderts, so würde sie höchstens durch die Freundschaft eines Gregor bemerkbar geworden sein; jedoch diese kriegerische Deborah des Papsttums hätte zu jeder Zeit durch praktische Regententugenden den wenigen großen Königinnen sich beigesellt.

Mathilde weihte ihre Wirksamkeit für die Ideen Gregors durch ihre Anwesenheit auf seinem ersten Konzil ein, wozu der Papst (in der Fastenwoche 1074) viele Bischöfe und Fürsten versammelte. Er erneuerte hier die Reformdekrete seiner Vorgänger, und schonungslos setzte er beweibte oder simonistische Geistliche ab. Seine Briefe befahlen den Bischöfen im ganzen Abendlande die unbedingte Ausführung dieser Beschlüsse, und schon war der Episkopat an die diktatorischen Eingriffe des römischen Priesters gewöhnt. Wie Leo der Isaurier mit einem Edikt die Kirchen von den Götzenbildern, so wollte Gregor sie endlich von den unkanonischen Geistlichen reinigen, und wie damals so wurde auch jetzt die Christenheit bis in ihre Tiefen aufgeregt. Im VIII. Jahrhundert erhob ein byzantinischer Despot die Fahne der Vernunft, und ein Papst mit Namen Gregor stellte sich zwischen ihn und die Götzenbilder des Christentums; im XI. Jahrhundert erhob sich ein Papst im Namen der Moral- und Kirchendisziplin, und ein deutscher Kaiser stellte sich zwischen ihn und die menschliche Leidenschaft, aber leider flüchteten sich hinter seinen königlichen Schild Mißbräuche und Laster genug. In den Kampf der Kirche mit dem Reich mischten sich jedesmal wesentliche Zwecke weltlicher Politik; doch im XI. Säkulum war es nicht mehr der schwache Überrest des römischen Absolutismus, gegen welchen die aufstrebende Kirche ihre dogmatische Selbstbestimmung und ein Dominium Temporale errang, sondern es waren zwei groß und alt gewordene Systeme, die in falschen Richtungen um die Suprematie, in vernünftigen um ihre naturgemäßen Grenzen miteinander kämpften. Der Feudalismus hatte die Schranken der geistlichen und weltlichen Gewalt fast unlösbar vermischt; dieser Zustand wurde unerträglich; die geistliche Ordnung suchte sich von der politischen durch einen gewaltsamen Prozeß loszureißen, diese aber konnte und wollte jene aus der Lehnspflicht nicht entlassen. Ein Kampf, länger und schrecklicher als der dreißigjährige Krieg, ein fünfzigjähriger Krieg war die Folge dieser Revolution, und das unglückliche Rom, der Sitz der Päpste, wurde vielfach das Theater jenes wechselvollen Streits, blieb immer die Quelle, wo er entsprang, und das Heiligtum, welches die beiden Symbole des Kampfs, die Kaiserkrone und die Tiara, umschloß.


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