Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2. Wahl Gelasius' II. Die Frangipani überfallen das Konklave. Gefangennahme und Rettung des Papsts. Heinrich V. kommt nach Rom. Gelasius entflicht. Der Kaiser erhebt Burdinus als Gregor VIII. Er kehrt nach dem Norden zurück. Gelasius II. als Schutzflehender in Rom. Die Frangipani überfallen ihn zum zweiten Mal. Er flieht nach Frankreich. Tod dieses unglücklichen Greises in Cluny.

Der Kardinal von S. Maria in Cosmedin wurde aus Monte Cassino eilig nach Rom berufen, um Papst zu sein. Johann aus Gaëta, von erlauchter Familie, Mönch unter dem Abt Oderisius, hatte sich in jener Benediktinerschule so viele Kenntnisse erworben, daß ihn Urban II. als seinen Kanzler nach Rom nahm. Er wurde unter Paschalis II. Archidiaconus. Seine Mäßigung schützte jenen Papst gegen die Zeloten; er verhinderte vielleicht das Schisma und den völligen Bruch mit dem Kaiser; aber von der Festigkeit eines Mannes, den die großen Zeiten Gregors VII. und Urbans herangebildet hatten, konnte die katholische Partei erwarten, daß er in der Investiturfrage das Prinzip der freien Wahl verfechten werde. In S. Maria in Pallara (Palladium) auf dem Palatin sollte das Konklave gehalten werden; dies Kloster im Bereich der Türme der Frangipani gehörte der Kurie, die es an Monte Cassino verliehen hatte, und Johannes Gaëtanus wohnte dort wie vor ihm Friedrich von Lothringen, ehe er zum Papst erwählt wurde. Die Wahl geschah heimlich; man wollte das Dekret Nikolaus' II. durchführen: die Kardinäle sollten wählen, auf das Kaiserrecht ward nicht Rücksicht genommen.

Johann wurde am 24. Januar 1118 einstimmig als Gelasius II. ausgerufen. Der hinfällige Greis sträubte sich vergebens gegen die Tiara, welche in einer Zeit nicht begehrenswert war, wo fast jeder Papst eine tragische Gestalt wurde. Er konnte überdies nicht gleich geweiht werden, denn als Diaconus mußte er erst zum Presbyter ordiniert sein, und dies durfte er nicht vor den Quatembertagen des März. Der eben Gewählte begann kaum seine melancholische Betrachtung über die Leiden, denen er entgegengehe, als die Türen des Konklave erbrochen wurden: wütende Römer stürzen mit gezückten Degen herein, ein zweiter Cencius ergreift den Greis bei der Kehle, wirft ihn nieder, tritt ihn mit gespornten Füßen, schleift ihn fluchend über die Kirchenschwelle mit sich fort, während seine Vasallen fliehende Kardinäle mit Stricken binden oder von Maultieren kopfüber herunterwerfen. Das Konklave war mitten im Lager des Raubtiers gehalten worden. Die Wähler hätten vielleicht besser getan, sich unter den Schutz Pier Leones zu stellen, aber sie trauten diesem mächtigen Konsul nicht mehr, denn es mochte sein, daß er schon damals für seinen Sohn die Tiara begehrte. Kein Adelsgeschlecht blieb einer Fahne lange treu; ergrimmte Feinde des Papstes verwandelten sich in seine eifrigsten Vasallen, und sie vergaßen ebenso schnell, daß sie dies gewesen waren. Vielleicht hatten die Kardinäle den kaiserlich gesinnten Frangipani versprochen, einen Kandidaten ihrer Partei zu erheben; und die Folge einer Täuschung war sodann die brutale Nachahmung des Staatsstreiches Heinrichs V. durch ein römisches Konsulargeschlecht.

Gelasius fand sich, mit Ketten gebunden, in einem Turm des Cencius Frangipane. Aber das Volk erhob sich; die Milizen der zwölf Regionen der eigentlichen Stadt vereinigten sich mit den Bewohnern vom Trastevere und der Insel und griffen zu den Waffen. Der Präfekt Petrus, jetzt mit Pier Leone versöhnt, dieser selbst mit seinem zahlreichen Geschlecht, Stefan der Normanne, andere päpstlich gesinnte Signoren mit ihren Klienten versammelten sich auf dem Kapitol. Man forderte die Auslieferung des Papsts; der Räuber löste die Fesseln seines Gefangenen, warf sich ihm zu Füßen und erhielt die Absolution. Die wilde Szene aus dem Leben Gregors VII. wiederholte sich fast Zug um Zug, und mit gleicher Schnelligkeit verwandelte sich das Trauerspiel in ein Freudenfest. Rom bekränzte sich; man hob den Befreiten auf ein weißes Maultier und führte ihn unter Jubelgeschrei nach dem Lateran, wo er mit Tränen der Rührung die Huldigung der Römer empfangen konnte. Hat die Geschichte einen gleichen Verein von Ohnmacht und Allmacht irgendwo unter den Herrschern wiederholt, als er sich in den Päpsten des Mittelalters darstellt?

Nach so schrecklichem Beginne seines Pontifikats fand Gelasius II. kaum einen Monat Ruhe in Rom. Die Frangipani eilten, dem Kaiser die Erhebung eines Papsts ohne seine Zustimmung anzuzeigen und ihn herbeizurufen. Heinrich V., dem alles darauf ankam, sein Kronrecht gerade jetzt zu behaupten und einen Papst aufzustellen, welcher das Privilegium des Paschalis anerkannte, verließ in Eile mit wenig Truppen sein Lager am Po, und nachts am 2. März weckte Gelasius die Botschaft, der fürchterliche Kaiser sei im Porticus des Vatikan. Ein panischer Schreck ergriff die Kurie; der Papst selbst war schon mit Paschalis der Gefangene dieses Kaisers gewesen, jetzt drohte ihm dasselbe Geschick. Man hob ihn aufs Pferd; er floh aus dem Lateran; er verbarg sich im Turm des Römers Bulgamin bei S. Maria in der Region S. Angelo. Boten Heinrichs suchten ihn auf, doch er traute ihren Einladungen nicht, sondern beschloß die Flucht nach Gaëta, seiner Vaterstadt. Sein Hof, die Kardinäle, die Bischöfe begleiteten ihn. Man warf sich in zwei Schiffe in dem nahen Tiber. Aber selbst die Elemente empörten sich; ein Sturm verhinderte die Einfahrt in die hohe See bei Portus, und vom Ufer schossen die nachsetzenden Deutschen Pfeile auf die unter Donner und Blitz hintaumelnden Galeeren, fluchend und schreiend, sie würden diese mit Pechkränzen in Brand stecken, wenn man den Papst nicht ausliefere. Jedoch die Nacht und die Wut des Stroms hinderten Heinrich V., einen zweiten Papstfang zu tun. Die Flüchtigen landeten unbemerkt; der Kardinal Hugo von Alatri, eben vom Kap der Circe zurückgekehrt, wo er des Paschalis Burgvogt gewesen war, nahm den schwachen Gelasius wie ein zweiter Aeneas auf seine breiten Schultern und trug ihn durch Wetter und Sturm nach dem Kastell St. Paul bei Ardea. Als die Deutschen am Morgen die Schiffe umzingelten und den Papst nicht mehr fanden, kehrten sie nach Rom zurück, aber die Galeeren nahmen die Flüchtigen nachts wieder auf und führten sie über Terracina nach Gaëta, wo Gelasius endlich Ruhe fand. Die Szene wechselte hier sofort: denn alsbald eilten voll Ehrfurcht herbei die Bischöfe und die Großen Süditaliens, Wilhelm von Apulien, Robert von Capua, Richard von Gaëta, und viele Ritter und Grafen, welche Gelasius als Lehnsherrn huldigten, sobald er am 10. März zum Papst ordiniert worden war.

Seine Flucht hatte die Absicht Heinrichs vereitelt und den Weg des Vertrags ihm abgeschnitten; da erhob dieser einen Gegenpapst. Seine Einladung, sich mit ihm zu vergleichen und in seiner Gegenwart im St. Peter sich weihen zu lassen, hatte Gelasius mit der Erklärung abgelehnt, daß er zur Entscheidung des schwebenden Streits im September ein Konzil in Mailand oder Cremona versammeln werde, und diese Städte waren dem Kaiser feind. Wenn nun Heinrich die Wahl des Gelasius für nichtig erklärte und einen neuen Papst wählen ließ, so war er nach dem damaligen Reichsrechte dazu durchaus befugt. Als er den im St. Peter versammelten Römern die Antwort des Flüchtlings mitteilte, schrie man in wahrer oder verstellter Entrüstung, daß Gelasius den Sitz des Papsttums nach Mailand verlegen wolle, und man verlangte eine neue Wahl. Rechtsgelehrte, welche Heinrich mit sich führte, darunter der gefeierte Irnerius von Bologna, erklärten von der Kanzel die Konstitutionen der Papstwahl, worauf Mauritius Burdinus, Erzbischof von Braga in Portugal, als Papst ausgerufen und in Prozession nach dem Lateran geführt wurde. Folgenden Tags, am 10. März, ward er von schismatischen Geistlichen im St. Peter als Gregor VIII. geweiht.

So hatten die Römer auf dem Schauplatz ihres heftigsten Kampfes mit Heinrich V. einen fremden Gegenpapst aus seinen Händen aufgenommen. Wenn die Geschichte Roms im Mittelalter durch die Wildheit ihrer Szenen erschreckt, so befremdet sie noch mehr durch den beispiellosen Wankelmut des Volks. Mitten in dieser ewig wechselnden und empörten Flut der Parteien bietet daher das Papsttum ein einziges und nie wiederholbares Schauspiel dar; denn der Felsen Petri, das immobile saxum, bleibt ewig fest und unwandelbar. Aber die Grundsatzlosigkeit der Römer zu tadeln, ohne sie zu erklären, wäre ungerecht, denn nur die selbstbewußte Freiheit und Gesetzlichkeit gibt einem Volk Würde des Charakters, die Republik Rom aber mußte als ein chimärisches Wesen zwischen Papsttum und Kaisertum hin und her schwanken. Nur ein Prinzip blieb dauernd in der Stadt: der Widerwille gegen die Zivilgewalt des Papsts.

Burdinus war ehrgeizig, doch ein unbescholtener Mann voll Verstand; die katholische Partei durfte geltend machen, daß er nur das Geschöpf des Kaisers, Gelasius der Erwählte aller Kardinäle sei; aber der Gegenpapst berief sich auf das kaiserliche Recht, und bald wurde er von vielen Provinzen Italiens und Deutschlands, selbst Englands anerkannt. Gelasius tröstete sich damit, daß kaum drei katholische Priester zu Burdinus übertraten, jedoch er sah Rom von Wibertisten erfüllt und die Kirche in das alte Elend zurückgeschleudert wie zu Clemens' III. Zeit. Das politische Prinzip dieses schrecklichen Zwiespalts dauerte fort, auch die Mittel des Kampfes blieben sich gleich. Gelasius, welcher vor sieben Jahren das Privilegium Heinrichs unterzeichnet hatte, bannte ihn jetzt am Palmsonntag zu Capua; er beschwor die Normannenfürsten, ihn selbst nach Rom zurückzuführen und den »Barbaren« zu vertreiben, dessen Truppenmacht unbeträchtlich sei. Heinrich war schon bis gegen Ceprano gerückt; er belagerte die Burg Torrice bei Frosinone, als er vom Anmarsch der Normannen hörte. Da zog er ab; Burdinus ließ er in Rom und ging nach der Lombardei. Allein, die normannischen Fürsten, die den Papst nach Monte Cassino geleitet hatten, verließen ihn hier, vielleicht weil er nicht alle ihre Forderungen befriedigte. Gelasius, der sich den Durchzug durch die Campagna von den Landgrafen erkaufen mußte, zog wie ein ärmlicher Pilger anfangs Juli durch sein eigenes Land und klopfte in Rom schutzflehend an die Pforte befreundeter Konsuln. Er wohnte bei S. Maria in Secundicerio, zwischen den Türmen des Stefan Normannus, seines Bruders Pandulf und des Petrus Latro vom Geschlecht der Corsen. Die Stadt erwartete demnach das wiederholte Schauspiel zweier Päpste, die sich gegenseitig verfluchten und bekämpften, von denen der eine den andern (in der derben Sprache jener Zeit) nur ein Plasma, eine mit blutigen Händen zusammengeknetete Statue, ein tönernes Götzenbild und ein apokalyptisches Tier nannte.

Burdinus besaß den größeren Teil der Stadt, und mehr als halb Rom anerkannte ihn; er behauptete ungestört die Peterskirche, die Burg schismatischer Päpste; Gelasius dagegen konnte sich nach St. Paul wagen, wo seine Anhänger in Waffen standen. Aber auf diesen Papst häufte das Mißgeschick seine schnell wiederholten Schläge. Zum Feste S. Prassede am 21. Juli vom Kardinal dieses Titels eingeladen, kam er, obwohl die Kirche frangipanischen Türmen nahe lag. Stefan der Normanne und des Papsts Neffe Crescentius Gaëtanus, tapfere Männer, begleiteten ihn mit Bewaffneten. Die Messe war noch nicht beendigt, als die wilden Frangipani mit einem Hagel von Steinen und Pfeilen in die Kirche hereinbrachen; ein Kampfgewühl verdunkelte die Szene im Augenblick; der Papst entfloh unbemerkt, während die Seinigen mit den Kaiserlichen wütend weiter kämpften. »Was tut ihr, o Frangipani?« rief endlich Stephanus. »Wohin rennet ihr? Der Papst, den ihr sucht, ist entflohen. Wollt ihr auch uns verderben? Sind wir nicht Römer wie ihr und euch blutsverwandt? Zurück! zurück! daß auch wir Müden heimkehren!« Der grimme Cencius und Leo Frangipane, beide Söhne der Donna Bona, einer Schwester des Stephanus, wichen dem Anruf des Oheims; man steckte grollend die Schwerter ein und trennte sich. Man suchte hierauf den Papst in ganz Rom und vor den Toren. Matronen hatten ihn, nur halb mit den päpstlichen Gewändern bekleidet, nur vom Crucifer gefolgt, zu Pferd entfliehen sehen. Man fand ihn am Abend. Der unglückliche Greis, sitzend auf dem Feld bei St. Paul, von mitleidigen Frauen umringt, ist eine der rührendsten Gestalten aus der Geschichte des Papsttums überhaupt.

»Brüder und Söhne«, so sprach am folgenden Tag Gelasius, »wir müssen aus Rom hinweg, wo länger zu leben unmöglich ist. Fliehen wir aus Sodom und Ägypten, aus Babylon, der Stadt des Bluts. Vor Gott seufze ich: lieber ein Kaiser, als deren so viele; denn der eine schlimme würde die schlimmeren vernichten, bis auch ihn der Kaiser aller Kaiser durch sein Strafgericht verschlingt.« Er ernannte Peter von Portus zu seinem Vikar, den Kardinal Hugo zum Legaten in Benevent, bestätigte Petrus in der Präfektur, machte Stefan den Normannen zum Bannerträger der Kirche in Rom. Mit sich nahm er sechs Kardinäle, unter ihnen den bald berühmten Sohn Pier Leones, einige Konsuln, darunter Petrus Latro, und Johannes Bellus, den Bruder des Präfekten. Am 2. September setzte er sich zu Schiff, nach Frankreich zu fahren, wo zuvor schon Paschalis und Urban die Barke Petri geborgen hatten. Feierlich empfing ihn die reiche Handelsstadt Pisa; er erhob sie zur Metropole, welcher er die Bischöfe Korsikas untergab; er weihte den herrlichen Dom; er predigte darin so beredt »wie Origines«, und freilich bot ihm sein Mißgeschick Stoff genug für weise Betrachtungen dar. Im Oktober segelte er nach Genua und landete endlich unweit der Rhônemündung beim Kloster St. Egidius in Occitanien.

Die Bischöfe und Fürsten Frankreichs, die Gesandten des Königs Ludwig begrüßten mit feierlichen Huldigungen in Maguelonne, Montpellier, Avignon und andern Städten den ehrwürdigen Flüchtling; das südliche Frankreich, noch heiß von der Begeisterung der Kreuzzüge, strömte herbei, den Vikar Christi zu sehen, welcher vom Grabe St. Peters nicht durch Sarazenen, sondern durch die Römer verjagt worden war, und freiwillige Kollekten und Peterspfennige flossen dem Mittellosen zu. Die Päpste jener Tage mußten Rom verlassen, um in der Fremde sich bewußt zu werden, daß man sie als Statthalter Christi wirklich noch verehre. Vertriebene Könige, wo immer sie ein Asyl suchen, büßen stets mit dem Verlust ihrer Krone auch das Ansehen ein, welches diese verlieh, aber ein so wunderbarer Glanz umgab die Gestalt eines Papsts, daß Flucht und bettelhafte Armut ihr nur zur veredelnden Folie dienten. Die Aufregung in Frankreich verband sich mit den römischen Mühsalen, die Tage eines Greises abzukürzen. Gelasius II. starb am 29. Januar 1119 im Kloster zu Cluny, umringt von Mönchen, Kardinälen und Bischöfen, in ärmlicher Kutte auf dem nackten Boden ausgestreckt. Nur ein Jahr und vier Tage dauerte sein Pontifikat, und in diese Spanne Zeit hatten sich die Leiden eines ganzen Lebens zusammengedrängt. Kein fühlender Mensch wird die Unglücksgestalt dieses letzten Opfers des Investiturstreits ohne Teilnahme betrachten.


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