Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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4. Beginn Alexanders VI. Nepotismus. Cesare Borgia. Lucrezia Borgia. Spannung zu Neapel. Lodovico Sforza strebt nach dem Herzogtum Mailand. Columbus entdeckt Amerika. Lucrezia Borgia vermählt mit Johann Sforza von Pesaro. Lodovico Sforza fordert Karl VIII. zur Unternehmung gegen Neapel auf. Ferrante sucht diese zu hindern. Er versöhnt die Orsini und Kardinal Julian mit dem Papst. Jofré Borgia und Sancía von Aragon. Kardinalsernennung im September 1493. Cesare Borgia. Alessandro Farnese. Julia Farnese. Julian Cesarini. Hippolyt von Este.

Guicciardini hielt die Papstwahl Borgias neben dem Tode Lorenzo Medicis mit vollkommenem Recht für das größte Unglück Italiens, doch dürfen wir an der Richtigkeit seiner Meinung zweifeln, daß sie sofort überall Schrecken verbreitete, dem König von Neapel sogar Tränen erpreßte. Alexander VI. hatte seine wahre Natur noch nicht enthüllt. Im Ausland hegte man sogar eine hohe Meinung von ihm. Hartmann Schedel (um nur eine Stimme anzuführen) schrieb bald nach Borgias Thronbesteigung in seiner Chronik, daß die Welt von den Tugenden eines solchen Papstes viel zu erwarten habe. Wenn die Botschafter der italienischen Mächte, die ihm in den ersten Monaten die Obedienzerklärung brachten, seine ausgezeichneten Eigenschaften rühmten, so waren dies freilich Phrasen hergebrachter Schmeichelei, aber doch blickt daraus eine wirkliche Überzeugung von den nicht gewöhnlichen Gaben des neuen Papstes hindurch.

Der Anfang seines Pontifikats gab auch einen klugen und kräftigen Regenten zu erkennen. Strenge Justiz – vom Tage der Erkrankung Innocenz' VIII. bis zur Krönung Alexanders waren zweihundertzwanzig Mordtaten verübt worden – pünktliche Besoldung der Beamten, Billigkeit des Marktes pflegen die Mittel zu sein, mit denen neue Fürsten ihre Herrschaft empfehlen. So tat Alexander VI. Die grenzenlose Unordnung der Gerichte wurde beseitigt. Rom war ruhig und zufrieden. Der neue Papst selbst war freilich nicht liberal wie Nikolaus V.; er sparte das Geld; die Rechnungen seines Haushalts zeigen, daß überhaupt große Mäßigkeit die Regel seiner Hofhaltung war. Nur eins erregte Verdacht, die Rücksichtslosigkeit, mit welcher Alexander seinen Nepotismus von der ersten Stunde seines Papsttums an zu erkennen gab.

In der Tat war es die dämonische Liebe zu seinen Kindern, welche für ihn wie für Italien verhängnisvoll wurde. Sie erst zog ihn zu Verbrechen fort, von denen er ohne jene wahrscheinlich frei geblieben wäre. Während er noch Kardinal war, betrachtete er seine spanische Heimat als das Land, wo er seine Kinder versorgen konnte, und dies erleichterte ihm die Bereitwilligkeit Ferdinands des Katholischen. Sein ältester Sohn Don Pedro Luis war nach Spanien hinübergegangen, am dortigen Hofe mit Ehren aufgenommen worden und hatte sich unter den Augen des Königs im Maurenkriege des Jahres 1485, zumal bei der Erstürmung Rondas durch Tapferkeit ausgezeichnet. Ferdinand belohnte ihn damals, indem er ihn und seine jüngeren Brüder Cesare, Juan und Jofré in den hohen Adel Spaniens aufnahm und ihm Gandía in Valencia mit dem Herzogstitel verkaufte. Er genehmigte sogar die vom ehrgeizigen Kardinal begehrte Verlobung seines Sohnes mit Donna Maria, der Tochter des Don Enrique Enriquez, des Oheims Ferdinands, wodurch der junge Emporkömmling dem königlichen Hause verwandt werden sollte. Allein Don Pedro Luis kehrte, ehe er diese Vermählung vollzogen hatte, nach Rom zurück, und hier wurde er im Sommer 1488, erst dreißig Jahre alt, vom Tode hingerafft. In seinem am 14. August im Palast seines Vaters gemachten Testament hatte er seinen Bruder Don Juan zum Erben Gandías ernannt und der Schwester Lucrezia zu ihrer Vermählung ein Legat von 10 000 Floren vermacht.

Der junge Cesare konnte mit Neid auf die glänzende Laufbahn Don Juans blicken, welcher nicht nur Herzog von Gandía geworden war, sondern sich auch anschickte, nach Spanien zu gehen, um sich selbst mit der Verlobten seines verstorbenen Bruders zu vermählen. Dagegen war Cesare für den geistlichen Stand bestimmt. Innocenz VIII. hatte ihn zum Protonotar gemacht und zum Bischof von Pampelona ausersehen. Er studierte gerade in Pisa, als sein Vater zum Papst gewählt wurde; auf die Nachricht davon reiste er nach Rom. Noch an seinem Krönungstage gab ihm Alexander das Erzbistum Valencia, welches er selbst besessen hatte; dies war der Anfang der Laufbahn eines Menschen, der in kürzester Zeit zu schrecklicher Größe emporsteigen sollte. Bald nahmen die Borgia wie unter Calixt III. die wichtigsten Hofämter ein, und dies Geschlecht, fruchtbar und zahlreich, war nicht gewillt, sich wie die Cibò mit Titeln, Heiraten und Wuchergeschäften zu begnügen. Schon im ersten Konsistorium am 1. September ernannte der Papst Juan Borgia, Bischof von Monreale, zum Kardinal von Santa Susanna.

Seine Tochter Lucrezia, am 18. April 1480 geboren, war erst zwölf Jahre alt; schon im Februar 1491 hatte er sie einem jungen in Valencia lebenden Edelmanne gerichtlich verlobt, dem Don Cherubin Juan de Centelles, Herrn von Val Ayora. Diesen Kontrakt hatte er aufgehoben und Lucrezia rechtskräftig verlobt mit Gasparo von Procida, dem Sohne des Grafen Gian Francesco von Aversa, eines Spaniers. Kaum Papst geworden, hob er auch diese Verbindung am 9. November 1492 auf, um seine junge Tochter günstiger zu vermählen. Ascanio Sforza, jetzt der einflußreichste Kardinal und der Vertraute Alexanders, betrieb nämlich die Vermählung Lucrezias mit einem Mitgliede seines Hauses, Giovanni Sforza von Pesaro, und dieser befand sich schon am Anfang des November heimlich in Rom. Den jüngsten seiner Söhne, Jofré, hoffte der Papst bei Gelegenheit in Neapel zu versorgen. Von dort kam Don Federigo von Altamura, zweiter Sohn Ferrantes, am 11. Dezember 1492 nach Rom, Alexander VI. die Obedienz zu leisten und ihn für die Vorteile seines Hauses zu gewinnen. Aber er verließ Rom unzufrieden am 10. Januar. Denn schon gab es Anzeichen, daß der neue Papst auf neue Bündnisse denke, welche den Zerfall der bisherigen Liga herbeiführen mußten. Ascanio war der Mittelpunkt dieser Unruhen, und hinter ihm stand sein Bruder, Lodovico der Mohr. Das Verhältnis zu Neapel trübte sich aus mehreren Ursachen, von denen eine diese war: Franceschetto Cibò hatte sich nach dem Tode Innocenz' VIII. zu seinem Schwager Pietro Medici zurückgezogen und bereits am 3. September 1492 Cervetri und Anguillara dem Virginius Orsini verkauft. Gegen den Verkauf dieser Güter an das Haupt des orsinischen Geschlechts, den mächtigen Vasallen Neapels und Günstling Ferrantes, protestierte Alexander VI., dazu von Lodovico Sforza, dem Herzog von Bari, und dessen Bruder, dem Kardinal Ascanio, aufgereizt. Denn der Bruch zwischen dem Papst und jenem Könige lag im Vorteil Lodovicos, welcher nach der Alleingewalt in Mailand strebte und sich weigerte, die Vormundschaft über seinen schon großjährigen Neffen Gian Galeazzo niederzulegen. Klagend wandte sich dessen Gemahlin Isabella an ihren Vater Alfonso von Kalabrien, und Lodovico wurde durch den Hof Neapels gemahnt, von seiner Usurpation abzustehen. Hier ist die Quelle, wo aus dem Ehrgeiz eines einzelnen Menschen das Verderben eines ganzen Landes entsprang: denn Furcht und Herrschsucht trieben Lodovico, die Dynastie Aragon in Neapel zum Falle zu bringen, und dies hoffte er, wenn nicht durch einen Bund italienischer Mächte, so doch schließlich durch einen Kriegszug Karls VIII. von Frankreich zu erreichen. Seine Absicht war nicht gerade der völlige Sturz jenes Hauses vom Thron; er wollte nur die Verhältnisse Italiens verwirren, um seinen Vorteil daraus zu ziehen. Er reizte durch Ascanio den Papst gegen den König von Neapel, dem er Schuld gab, den orsinischen Kauf veranlaßt zu haben. Er bahnte eine Liga mit Venedig an, welches argwöhnte, daß Alfonso die Rechte auf Mailand beanspruche, die der letzte Visconti auf dessen Großvater übertragen hatte. Dagegen wandte sich Pietro Medici, der nahe Verwandte des Virginius, von Mailand ab und schloß sich Neapel an. Der Kardinal Medici ging nach Florenz, wo er blieb.

Die römische Kurie stand jetzt unter dem mailändischen Einfluß; Ascanio war der erklärte Feind des Kardinals Julian Rovere, und diesen Nebenbuhler, seinen mächtigsten Gegner im heiligen Kollegium, suchte auch der Papst zu verderben. Der bedrohte Kardinal entwich schon am Ende des Dezember 1492 in seine feste Burg Ostia. Sein Fortgang machte großes Aufsehen. Die Parteien bildeten sich; denn zu Julian standen die Kardinäle Caraffa, Piccolomini und Costa von Lissabon, ferner Virginius Orsini, Fabrizio und Prospero Colonna. Der König von Neapel bot ihm mit tausend Freuden seinen nachdrücklichsten Schutz. Zur Zeit des Baronenkrieges war er mit ihm tief verfeindet gewesen, aber er hatte sich mit ihm ausgesöhnt und selbst seine Erhebung zum Papst gewünscht. Jetzt machte er ihn zum Mittelpunkt seiner Partei in Rom. Ferrante bemühte sich zugleich, seinen Feinden jeden Grund zum Angriff zu nehmen; da sie den orsinischen Güterkauf als Vorwand benutzen konnten, suchte er Virginius zu einem Abkommen mit dem Papste zu bewegen. Denn schon brachte der Streit um Anguillara und Cervetri Italien in Aufregung. Im Februar 1493 schickte Ferrante einen Unterhändler an den Papst; auch die Signorie von Florenz bat er um ihre Vermittlung in diesem orsinischen Handel. Die Furcht vor Frankreich quälte ihn; um den Papst zu gewinnen, bot er die ganze diplomatische Kunst auf, in welcher ihn lange Erfahrung zum Meister gemacht hatte, und sicherlich war dieser König damals der feinste Staatsmann Italiens.

Im März schlug ihm Alexander selbst eine Familienverbindung vor: für seinen Sohn Jofré wünschte er die Hand einer Tochter des Königs, Donna Lucrezia, mit entsprechendem Lehen. Man sagte sogar in Rom, daß Cesare Borgia, der junge Bischof von Valencia, sein geistliches Gewand ablegen, mit einer neapolitanischen Prinzessin sich vermählen und Salerno erhalten werde. Begierig ging Ferrante auf solche Unterhandlungen ein. Aber schon im April trat der Papst zurück, wahrscheinlich weil ihn die Sforza umgestimmt hatten. Er sammelte Truppen; Mailand und Venedig taten das Gleiche. Der König selbst rüstete sich; denn schon hatte er Kunde von einer Liga, die zwischen dem Papst, Mailand und Venedig verabredet war. Dringend ermahnte er Alexander durch seinen Gesandten Luigi de Paladinis, den Frieden Italiens nicht zu stören, und die gleiche Mahnung richtete er an Lodovico den Mohr. Mit scharfem Blick durchdrang er die Gefahren, welche dem uneinigen Italien von der Herrschsucht der Fremden drohten, und er sagte jenem ehrgeizigen Fürsten voraus, daß er einen Sturm heraufbeschwöre, dessen er selbst nie mehr Meister werden könne. Jetzt schloß er sich noch enger an Florenz an. Mit Ungeduld betrieb er den Vergleich zwischen Virginius und dem Papst, befahl aber jenem wie dem gleichfalls in seinem Solde stehenden Prospero und Fabrizio Colonna, sich in ihre neapolitanischen Lehen zu begeben, und ließ durch Trivulzio Truppen in den Abruzzen aufstellen.

Die Liga freilich konnte er nicht hindern; denn schon am 25. April wurde sie in Rom öffentlich kundgemacht: der Papst, Venedig, Lodovico Sforza, Siena, Ferrara und Mantua schlossen einen Bund auf fünfundzwanzig Jahre. Als die Kunde davon nach Neapel kam, wollte der leidenschaftliche Herzog von Kalabrien sofort mit Pietro Medici, mit Virginius Orsini und den Colonna gemeinsam den Krieg beginnen, gegen Rom losbrechen, den arglistigen Papst bewältigen. Nur die Mäßigung seines Vaters verhinderte die Ausführung eines Plans, welcher ganz Italien würde entflammt haben. Tief erschreckt ließ der König dem spanischen Hof seine Lage vorstellen: der Papst bringe, kaum auf den Thron gestiegen, das Papsttum und Italien in Gefahr; den Kardinal Julian habe er zur Flucht gezwungen; den Vorwand des orsinischen Güterkaufs aufgegriffen, um Colonna und Orsini zu vernichten und mit ihm selbst, dem Könige, Streit zu beginnen. Dieser in allen Freveln und Ränken heimische Monarch war auch der feinste Menschenkenner: er zuerst durchschaute die Natur Alexanders VI., und er entwarf dem spanischen Hof das erste vollkommen richtige Bild von dem wahren Wesen dieses Papsts. Er warnte vor seinen mit Frankreich angezettelten Ränken und sprach offen den Argwohn aus, daß er sogar mit den Türken in Verbindung stehe. Das Leben, welches der Papst führe, sei schamlos und abscheulich; an nichts anderes denke er, als seine Kinder groß zu machen.

Spanien war damals durch ein großes Ereignis aufgeregt. Während der Anblick des ewigen Kreislaufs der italienischen Dynastenpolitik alle edleren Geister mit Ekel erfüllen mußte, wurde Europa durch den Ruf elektrisiert, daß jenseits der Meere eine neue, wunderbare Welt entdeckt worden sei. Der große Columbus war von ihr heimgekehrt und am 6. März 1493 in Lissabon gelandet. Dem Ozean entstieg Amerika, trat jetzt erst aus dem Dunkel der Jahrtausende an die Geschichte hervor, und diese neue Erde zeigte der europäischen Menschheit, die sich so tief in das wiederentdeckte Altertum versenkt hatte, daß die Kultur noch weitere Kreise zu beschreiben habe als jene, deren Mittelpunkte Jerusalem, Athen und Rom gewesen waren. Portugal und Aragon haderten alsbald um die Grenzen ihrer neuentdeckten Länder, und sie appellierten an das Schiedsgericht des Papstes. Dante und die alten Ghibellinen würde diese Berufung tief beleidigt haben; denn stand es nicht dem Kaiser allein als dem Herrn des Erdballs zu, Länder und Meere zu vergeben? Als Alexander VI. den kühnen Strich von Pol zu Pol über den Erdglobus zog, um alles entdeckte oder zu entdeckende Land hundert Meilen westlich von Kap Verde und den Azoren Spanien zuzusprechen, stieg dieser Papst in Wahrheit auf eine Höhe idealer Macht, zu welcher seine erbärmliche Hauspolitik den grellsten Widerspruch bildete. Dieser Federstrich war die letzte Erinnerung an die kosmische Autorität des römischen Papsttums.

Einen hohen Geist würde solche Beziehung auf das Weltganze mit großem Sinn erfüllt haben, aber Alexander VI. dachte nur an seine Eintagsfreuden und an die Erhöhung seiner eigenen Bastarde. Das geheime Schreckbild seines Lebens war seine simonistische Wahl. Er fürchtete, daß dieser Flecken seines Papsttums von seinen Feinden zu seinem Sturz benutzt werden könnte, zumal bei dieser allgemein empfundenen Reformbedürftigkeit der Kurie und Kirche. Er suchte sich deshalb an eine starke Macht anzulehnen. Jetzt in enger Verbindung mit Mailand, vermählte er Lucrezia schon am 12. Juni 1493 mit Giovanni Sforza von Pesaro, dem natürlichen Sohne Costanzos, dessen Vater Alessandro ein Bruder Francescos I. gewesen war. Dies Hochzeitsfest wurde mit Pracht im Belvedere des Vatikan gefeiert, und bereits war man unter Innocenz VIII. an solche päpstlichen Familienfeste gewöhnt. Der Papst, viele Kardinäle und Bischöfe, die Gesandten Frankreichs, Mailands und Venedigs, die Magistrate Roms, hundertfünfzig edle Frauen und deren Männer nahmen daran teil. Nach dem Verlöbnis ließ der Papst silberne Schalen voll Konfekt darreichen und deren Inhalt in den Schoß der schönsten Frauen ausschütten. An der Festtafel sah man ihn und die Kardinäle in absichtlich gemischter Reihe neben den Frauen sitzen, während heitere Komödien vorgestellt wurden. Alexander, so erzählte man, begleitete in Person das junge Ehepaar bis zur bräutlichen Kammer. Der Palast, in welchem Lucrezia Hof hielt und auch andere Mitglieder der Familie Borgia zu wohnen pflegten, war ein Gebäude, welches Battista Zeno, Kardinal von S. Maria in Porticu, im Jahre 1483 in der Nähe des Vatikans errichtet hatte. Zeno war aus Argwohn nach Padua gegangen, wo er später im Jahre 1501 starb, sein Palast aber an die Borgia gekommen.

Drei Tage nach jenem Fest kam Don Diego Lopez de Haro, der Botschafter Ferdinands des Katholischen, nach Rom, um dem Papst Obedienz zu leisten. Er sollte wegen der neuentdeckten Länder unterhandeln, den spanischen Kirchenzehnten durchsetzen und sich über die Aufnahme der Marani im Kirchenstaat beschweren. Gleich nach dem Falle Granadas hatte nämlich die fanatische Verfolgung der Sarazenen und Juden in Spanien durch den Inquisitor Torquemada begonnen; diese Unglücklichen flüchteten nach vielen Ländern und selbst nach Rom, wo man ihnen die Gegend am Grabmal der Metella zum Lager anwies. Wenn der König von Portugal, welcher Tausende solcher Flüchtlinge aufnahm, eine Kopfsteuer von acht Dukaten von ihnen erhob, so wird der Papst wohl das Gleiche getan haben. Die Marani konnten die Fürsprache des gefangenen Sultanssohnes genießen, denn Djem lebte mit den Borgia vertraut. Man sah ihn bisweilen in Gesellschaft des Papsts auf Vergnügungsritten neben dessen Sohne Johann von Gandía, welcher bei solcher Gelegenheit aus Artigkeit oder Eitelkeit türkische Kleidung trug.

Lopez beschwerte sich im Konsistorium über die Käuflichkeit aller Ämter an der Kurie, selbst der Bistümer; er mahnte damit wohl den Papst an seine eigene simonistische Wahl; aber seine wichtigste Aufgabe war, die Folgen jener Liga abzuwenden, zumal das Gerücht von dem bevorstehenden Kriegzuge Karls VIII. alle Mächte erschreckte. Um Alexander wieder auf die Seite Spaniens zu ziehen, wurde jetzt die Vermählung des Don Juan, Herzogs von Gandía, mit Donna Maria Enriquez durchgesetzt. Der Papstsohn, prachtvoll ausgerüstet, schiffte sich im Beginn des August in Civitavecchia nach Barcelona ein, wo er mit fürstlichen Ehren empfangen und das Hochzeitsfest gefeiert wurde. Den König Frankreichs hatte Lodovico Sforza zu einem Zuge wider Neapel aufgefordert, da er wohl einsah, daß seine eigenen Verbindungen mit dem Papst und Venedig unzuverlässig seien. Seine Boten erhitzten die Phantasie Karls mit Vorstellungen von dem Glanz der Unternehmung, welche der Papst und viele Fürsten Italiens unterstützen würden; sie machten ihm begreiflich, daß die Eroberung Neapels die Vorstufe zu jener Konstantinopels sei. Die neapolitanischen Verbannten vom Hause Sanseverino reizten die Begier des jugendlichen Monarchen, während mailändisches Gold dessen Räte bestach, Etienne de Vesc, den Seneschall von Beaucaire, und Wilhelm Brigonnet, den Bischof von St. Malo. Obwohl die Mehrzahl der Großen Frankreichs den Eroberungsplan als ein phantastisches Unternehmen verwarf, schloß doch der König einen geheimen Vertrag mit Lodovico ab. Um sich freie Hand zu schaffen, machte er Frieden mit England, trat im Januar 1493 Roussillon und Perpignan an Spanien ab und schloß am 23. Mai mit dem von ihm tief beleidigten Maximilian den Vertrag zu Senlis. Der König der Römer, verwitwet seit dem Jahre 1482, wo Maria von Burgund, die Mutter seiner Kinder Philipp und Margaretha, starb, war von Karl VIII. um seine Verlobte Anna von Bretagne schimpflich beraubt worden. Jetzt bot ihm Lodovico die Hand Blancas, der Schwester des jungen Gian Galeazzo, mit einer Mitgift von 400 000 Dukaten, unter der Bedingung, daß ihm die Investitur Mailands gegeben werde, welche die Sforza vom Reiche nicht mehr nachgesucht hatten. Staatsgründe und Habgier bewogen Maximilian, auf diese Anträge einzugehen.

Nun bemühte sich der König von Neapel, den Papst von Frankreich abzutrennen und auf seine eigene Seite zu ziehen. Er schickte im Juni Don Federigo von Altamura wieder nach Rom mit dem Auftrage, die orsinischen Händel beizulegen, ehe Peron de Basche, der Abgesandte Karls VIII., zum Papst komme. Der Prinz ging erst nach Ostia, wo er Virginius und den Kardinal Julian traf. Im Fall seine Sendung mißglückte, sollte er diesem und den andern Kardinälen der Opposition versichern, daß die königliche Armee an den Grenzen zu ihren Diensten bereit sei. Der Widerspruch der älteren Kardinäle gegen den Papst war nämlich durch dessen Absicht, dreizehn neue für Geld zu ernennen, vermehrt worden; Julian, Piccolomini, Caraffa und Costa hatten, auch von Riario, Parma und Sanseverino unterstützt, die Kardinalsernennung bisher zu verhindern vermocht und sich geradezu an Ferrante gewendet, ihnen im Notfall mit Truppen behilflich zu sein.

Don Federigo kam im Juli nach Rom, wo ihm der spanische Botschafter eifrig zur Seite stand. Der Papst gab dessen Mahnungen, sich in die Pläne Frankreichs und Sforzas nicht einzulassen, bald Gehör und ging auf den Vorschlag ein, seinen Sohn Jofré mit Sancía, einer Tochter Alfonsos von Kalabrien, zu vermählen. Nur die Hartnäckigkeit des Virginius machte Schwierigkeit, aber endlich gab auch er dem Könige wie den Gesandten von Florenz und Spanien nach und willigte in einen Vergleich. Mit dieser Angelegenheit sollte auch die des Kardinals Julian erledigt und eine Aussöhnung aller Parteien bewirkt werden. In der Tat kamen Virginius und der Kardinal am 24. Juli von Ostia nach Rom. Sie speisten beim Papst; die Verträge wurden entworfen und nach Neapel geschickt. Als nun Peron de Basche in Rom eintraf, die Investitur Neapels für seinen Herrn verlangte und dafür hohen Jahrestribut und fürstliche Versorgung der päpstlichen Kinder bot, wurde er von Alexander zurückgewiesen.

Der Vergleich wegen Anguillara ward am 16. August 1493 im Vatikan gezeichnet: Virginius zahlte 35 000 Dukaten und empfing dafür jenes kirchliche Lehen. Hierauf wurde Jofré Borgia, ein schöner Knabe von zwölf bis dreizehn Jahren, herbeigerufen, um den Ehekontrakt mit Donna Sancía zu vollziehen. Es hieß darin, daß der Papst und der König Ferrante auf Betreiben Spaniens in Verwandtschaft zu treten willens seien; daß Don Jofré als Mitgift der Prinzessin das Fürstentum Squillace und die Grafschaft Coriata erhalten solle. Bis Weihnachten müßte dieser Vertrag geheim bleiben; Jofré solle dann nach Neapel zur Vermählung abgehen, in Besitz seiner Lehen gesetzt werden, dort einige Monate bleiben und ohne seine Gemahlin nach Rom zurückkehren. Als Don Federigo den Ring für Donna Sancía empfing und so als Weib gelten mußte, brachen alle Zeugen in Lachen aus, und lachend umarmte ihn der Papst.

So wichtig erschien die Versöhnung mit den Orsini und mit Neapel für die Ruhe Italiens, daß einige Mächte Dankbriefe an Alexander richteten. Ascanio wurde jetzt gestürzt, und der Papst näherte sich Julian. Am 18. August gab er ihm die Erlaubnis, nach Gefallen in Rom zu bleiben oder nicht, bestätigte alle seine Privilegien und Einkünfte, behielt ihm das Bistum Lucca vor und nahm auch seinen Bruder, den Stadtpräfekten, in seinen besonderen Schutz.

Der König Ferrante glaubte sein Spiel gewonnen, seinen Thron sich gesichert zu haben: »Wenn Peron de Basche«, so schrieb er seinem eigenen Gesandten beim französischen Hofe, »nach Frankreich zurückgekehrt ist, so wird man dort viele Gedanken fallen lassen und sich über viele Täuschungen aufklären; seid guten Muts, denn zwischen mir und dem Papst herrscht die allergrößte Einigkeit.« In der Tat schien damals Alexander VI. seine Verbindungen mit Lodovico und Karl VIII. abbrechen und eine nationale Politik einschlagen zu wollen. Ein entschiedener Widerspruch des Papsts gegen die Absichten des französischen Königs, gleich von vornherein, würde diese vereitelt haben. Doch Alexander blieb seiner Natur nach stets zweideutig, und bald sollte es sich zeigen, daß er von den Verhältnissen beherrscht wurde, statt sie selbst zu beherrschen.

Die Versöhnung mit Julian Rovere, den Orsini und Neapel machte der Opposition der älteren Kardinäle ein Ende; vielleicht war ihre Zustimmung zu der beabsichtigten Kardinalsernennung einer der Artikel des Vergleichs gewesen, und sicherlich wurde sie jetzt von dem Könige unterstützt. Der Papst konnte es schon am 20. September 1493 wagen, zwölf neue Kardinäle zu ernennen, unter denen sich sein eigener Sohn befand. Ganz gewissenlos hatte er zuvor durch falsche Zeugen beschwören lassen, daß Cesare der eheliche Sohn des Domenico Arignano sei. Diese Unwahrheit war der erste Schritt zu jener verhängnisvollen Bahn, auf welche ihn die Liebe zu seinen Kindern trieb. Kein Richter der Rota, kaum ein Kardinal besaß den Mut, Einspruch zu tun, und Cesare wurde Kardinaldiaconus von S. Maria Nuova. Den Purpur erhielt auch Alexander Farnese, Sohn Pier Luigis, aus einem alten Herrengeschlecht, welches in der tuszischen Campagna das Kastell Farnese besaß. Der nachmalige Paul III., erster Protonotar, dann Bischof von Corneto, dann Kardinal von SS. Cosma und Damiano, verdankte dieses Glück seiner schönen Schwester Julia, der Geliebten des Papsts. Dieses Verhältnis war allgemein bekannt. Alexander liebte sie schon als Kardinal, und ihre Verwandtschaft mit den Orsini mochte jenen Vertrag wegen Anguillara nicht wenig erleichtert haben. Denn im Jahre 1489 hatte sich die junge Julia mit Ursinus Orsini vermählt, dem Sohne Lodovico Orsinis, des Herrn von Basanello, und der Adriana del Mila, einer nahen Verwandten des Kardinals Rodrigo Borgia. Diese Verbindung war im Palast desselben Kardinals gerichtlich geschlossen worden. Ihrem Gemahl gab der Papst nach Abschluß jenes Vertrags Carbognano und Giulianello. Ihre Schwester Gerolima war mit Pucio Pucci vermählt, welcher als florentinischer Gesandter am 31. August 1494 in Rom starb. Die noch erhaltenen Briefe dieser Frau lehren, wie innig die Verbindung Alexanders VI. mit den Farnese, zumal seit der Erhebung des Kardinals jenes Hauses, war. Julia selbst wohnte wie eine Verwandte der Borgia im Palast neben dem Vatikan mit Lucrezia, der Tochter des Papsts, und mit Madonna Adriana Mila, ihrer eigenen Mutter. Von Römern erhielt außer Farnese noch Julian Cesarini den Kardinalspurpur. Das Haus der Cesarini, welchem der erste Kardinal dieses Namens zur Zeit des Basler Konzils Bedeutung gegeben hatte, begann eben an Einfluß groß zu werden. Den Grund dazu hatte der Protonotar Georg gelegt, ein jüngerer Bruder jenes berühmten Kardinals und Freund der Borgia. Diese beiden Häuser schlossen schon zur Zeit Sixtus' IV. eine enge Verbindung, denn Gian Andrea Cesarini vermählte sich am 24. Januar 1482 mit Girolama Borgia, einer natürlichen Tochter des Kardinals Rodrigo. Der neue Kardinal Julian aber war ein Bruder jenes Gian Andrea und Sohn des reichen Gabriel Cesarini, welchen Alexander VI. zum Bannerträger des römischen Volks ernannte. Dies Haus war neben den Farnese das einzige römische, zu dessen Emporkommen die Borgia wesentlich beigetragen haben.

In derselben Kardinalsernennung wurde Spanien vertreten durch Bernardin Carvajal, Frankreich durch Jean de la Grolaye, Abt von St. Denis, Deutschland durch Raimund Perauld, Franzose von Geburt, aber Günstling Maximilians und Bischof von Gurk in Kärnten, England durch John Morton, Venedig durch Domenico Grimani. Italiener waren ferner Antonio de S. Giorgio von Mailand, Bernardino Lunate von Pavia und Hippolyt von Este, der Sohn des Herzogs Ercole von Ferrara und der Leonora von Aragon, ein Knabe von erst fünfzehn Jahren, von seltener Schönheit und später durch den Glanz seiner Erscheinung, seine Üppigkeit und durch die Verse Ariostos wohlbekannt. Wenn man von der Erhebung Cesares absah, konnte diese Kardinalsernennung kaum getadelt werden, da sie auf verschiedene Nationen Rücksicht nahm. Nur Neapel war absichtlich übergangen worden. Die spätere Politik Alexanders, das Heilige Kollegium mit Spaniern zu erfüllen, wird hier noch nicht sichtbar. Doch schuf er sich so die ersten Werkzeuge, um dann allmählich das ganze Kollegium zu knechten.


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