Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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5. Not der Goten. Ihre Gesandtschaft an Belisar. Unterhandlungen. Eintreffen von Truppen und von Proviant in Rom. Waffenstillstand. Sein Bruch. Entmutigung der Goten. Ihr Abzug von Rom im März 538.

Die Goten, auf der römischen Campagna verteilt, wo sommers die Malaria tödlich ist, wurden durch Fieber hingerafft. Ihre Scharen lichtete auch der Hunger mitten in einer Öde, die, von der Sonnenglut verbrannt, nichts darbot als eine endlose Gräberfläche. Das Herannahen byzantinischer Truppen verbreitete Hoffnungslosigkeit. Denn 3000 Isaurier unter Paulus und Konon waren in Neapel, 1800 thrakische Reiter unter dem wilden General Johannes in Hydruntum gelandet, und ein dritter Reiterhaufen kam unter Zeno die Lateinische Straße aufwärts. Das Gerücht erzählte, daß Johannes mit einem großen Zuge von Proviantwagen, die man mit kalabrischen Ochsen bespannt hatte, längs des Meers heraufgezogen sei und sich Ostia nähere, während die Flotte mit den Isauriern schon vor der Tibermündung schwebe. Die Goten verzweifelten am Erfolg dieser mörderischen Belagerung und dachten jetzt daran, sie aufzuheben; Vitiges sandte einen Römer und zwei seiner Kriegshauptleute in die Stadt zu Belisar, um ihm den Frieden mit dem Reich auf Bedingungen anzubieten. Procopius hat diese merkwürdige Unterhandlung genau beschrieben und durch den Anstand parlamentarischer Formen ausgezeichnet. Die Rede der Goten, ein Nachweis ihrer Rechte auf den Besitz Italiens, von völlig geschichtlichem Wert, war nach ihm folgende:

»Ihr habt uns, Römer, unrecht getan, da ihr gegen Freunde und Mitstreiter, was nicht hätte sein sollen, die Waffen erhoben habt. Wir werden euch nur solche Dinge sagen, von deren Wahrheit ein jeder von euch überzeugt sein muß. Denn die Goten haben Italien den Römern nicht mit Gewalt entrissen, sondern Odoaker hat einst, nachdem er den Kaiser beseitigte, dieses Reich besessen und in eine Tyrannei verwandelt. Zeno, damals Kaiser im Osten, wollte seinen Mitregenten an dem Tyrannen rächen und das Land befreien; aber unvermögend, die Macht Odoakers zu besiegen, beredete er Theoderich, unsern König, welcher sich anschickte, Byzanz zu bestreiten, seiner Feindschaft zu entsagen, der von ihm empfangenen Ehren des Patriziats und Konsulats der Römer gedenk zu sein, Odoaker wegen des an Augustulus begangenen Unrechts zu bestrafen und mit den Goten in der Folge dieses Land in aller Form des Rechts zu beherrschen. Indem wir nun auf diese Weise das Reich Italiens übernahmen, haben wir nicht minder als die früheren Herrscher die Gesetze und Regierungsform bewahrt, so daß weder von Theoderich noch von einem seiner Nachfolger in der gotischen Herrschaft irgendein geschriebenes oder ungeschriebenes Gesetz vorhanden ist. Was aber Gottesdienst und Glauben betrifft, so haben wir ihn den Römern so vollkommen gesichert, daß von den Italienern keiner seine Religion weder freiwillig noch unfreiwillig gewechselt hat, noch ein Gote wegen seiner Religionsänderung irgend je bestraft worden ist. Und auch den Heiligtümern der Römer ist von uns die höchste Ehrfurcht widerfahren; denn wer nur immer sich in jene flüchtete, wurde nie von einem Manne angetastet. Die ersten obrigkeitlichen Ämter waren stets in den Händen der Römer und nie in denen der Goten. Mag einer aufstehen und uns überführen, wenn er glaubt, daß wir Unwahres gesagt haben. Außerdem, es haben die Goten den Römern erlaubt, die Würde des Konsuls alljährlich von dem Kaiser des Ostens zu empfangen. Und nichtsdestoweniger tut ihr, die ihr Italien, das von den Barbaren Odoakers nicht kurze Zeit, sondern zehn Jahre lang mißhandelt worden war, keineswegs wieder erworben habt, seinen rechtmäßigen Besitzern widerrechtliche Feindschaft an. Auf denn! Weicht aus unserm Eigentum und nehmet ruhig mit euch, was durch Besitz oder Beute das Eure ward!«

Belisar entgegnete, wie vorauszusehen war: der Kaiser Zeno habe Theoderich wohl den Krieg gegen Odoaker, nicht aber das Reich Italien übertragen. Dem alten Herrn gebühre das entfremdete Eigentum, welches ihm zurückzustellen sei. Die gotischen Gesandten boten hierauf dem Kaiser den Besitz Siziliens, aber Belisar verhöhnte sie, indem er ihnen mit dem noch größeren Britannien ein Geschenk machte. Er wollte auch nichts weder von Kampanien noch von Neapel hören, noch irgend etwas von jährlichem Tribute wissen, sondern verlangte die unbedingte Abtretung Italiens. Endlich verständigte man sich dahin, einen Waffenstillstand auf so lange Zeit zu schließen, als nötig sei, durch Abgesandte mit dem Kaiser selbst den Frieden zu vermitteln.

Während man diesen Vertrag entwarf, wurde Rom durch die Nachricht, der General Johannes sei mit dem Transport in Ostia, die isaurische Flotte in Portus angelangt, in fieberhafte Freude versetzt. Und sowohl die Truppen als der Transport rückten in die Stadt ein, nachdem der Proviant auf Tiberkähne verladen und, von den in Portus stehenden Goten nicht gehindert, stromauf gebracht worden war. Die Goten hatten dieses Ereignis in den Unterhandlungen nicht vorbedacht und ließen jetzt geschehen, was sie, ohne den Abschluß des Vertrags unmöglich zu machen, nicht mehr hindern konnten. Der Waffenstillstand wurde auf drei Monate geschlossen und durch Geiseln gesichert, worauf gotische Gesandte unter griechischem Geleit nach Byzanz abgingen. Das geschah um die Zeit der Wintersonnenwende.

Erschöpft und von der Zufuhr, zumal von seiten des Meers, nunmehr selbst durch die Flotte abgeschnitten, konnten die Goten die festen Orte um Rom nicht mehr behaupten. Kaum hatten sie Portus aufgegeben, als die Isaurier von Ostia darin einrückten, kaum das ansehnliche Centumcellae (heute Civitavecchia), als Belisar eine Besatzung dorthin verlegte. Das gleiche geschah mit Albano. Die Beschwerden, als sei dadurch der Waffenstillstand verletzt, achtete Belisar nicht; er schickte vielmehr Johannes mit einem starken Heerhaufen in das Picenische nach Alba und befahl ihm, das Land zu durchreiten, die Weiber und Kinder der Goten gefangenzunehmen und ihre Schätze zu plündern, sobald die Feinde der Neigung, den Waffenstillstand zu brechen, nicht länger würden widerstehen können. Diese Unternehmungen sollten zugleich die Rückzugslinie der Goten bedrohen oder sie zum Abzuge von Rom nötigen.

Die Neigung zur Wiederaufnahme der Feindseligkeiten war groß, und der Bruch des Vertrags durch den zur Verzweiflung gebrachten Vitiges konnte gerechtfertigt werden. Ein bedenklicher Vorfall in der Stadt mußte überdies die Goten dazu ermuntern; denn Belisar hatte den besten seiner Hauptleute im Palast hinrichten lassen, weil dieser General, durch die strenge Gerechtigkeit des Feldherrn in einer Privatsache verletzt, mit erhobenem Dolch auf ihn eingedrungen war. Das Blut des tapfern Constantin erbitterte die Krieger, welche unter ihm mit Ruhm gedient hatten, und machte Belisar verhaßt; das Gerücht von dieser Mißstimmung kam vergrößert in das Lager der Goten und gab ihnen auf verräterische Verbindungen Hoffnung. Eine Schar entschlossener Männer versuchte durch die Aqua Virgo einzudringen, deren Kondukte am Fuß des Pincius unter dem Palast Belisars fortgingen. Das Licht ihrer Lampen, welches durch einen Spalt dieser Kanäle schimmerte, hätte sie den Wachen nicht zur rechten Zeit verraten, aber nach einer langen unterirdischen Wanderung fanden sie die Ausmündungen vermauert und kehrten um. Vitiges nahm jetzt die Feindseligkeiten offen wieder auf; er versuchte eines Morgens den Sturm gegen die Porta Pinciana. Das Waffengetöse erweckte die Stadt; die Verteidiger eilten auf ihre Posten, und nach kurzem Kampf wurden die Goten abgeschlagen. Ein Plan auf das Aurelische Tor, wo Vitiges durch Bestechung einzudringen hoffte, wurde verraten und unterblieb.

Endlich beugten immer schlimmere Nachrichten den Mut des Königs. Der General Johann, ein »Bluthund«, wie ihn die Geschichtschreiber nennen, hatte seinen Auftrag in Picenum schnell ausgeführt; er hatte Ulitheus, den Oheim des Vitiges, geschlagen und getötet, Rimini besetzt und zeigte sich bereits vor den Mauern Ravennas, wo die rachsüchtige Matasuntha, nicht verschmerzend, daß sie Vitiges zur Ehe gezwungen hatte, den Griechen Hoffnung machte, sich und die Stadt ihnen auszuliefern. Auf diese Kunden gab der Gotenkönig dem Murren seines Heeres nach, welches nun selbst belagert war und dem Hunger, der Seuche und dem Schwert der Feinde zu erliegen drohte. Die Sonne stand schon im Zeichen des Frühlings, der dreimonatige Waffenstillstand war zu Ende, und von den Boten aus Konstantinopel verlautete noch nichts. Eine allgemeine Bewegung auf der Ebene Roms zeigte den Römern, daß etwas Wichtiges vor sich gehe; eines Nachts sahen sie die Lager in Flammen stehen, am folgenden Morgen die Goten nach der Flaminischen Straße abziehen. Die Hälfte des Heeres hatte schon die Milvische Brücke überschritten, als sich das Pincische Tor auftat und Fußvolk und Reiter ausfielen. Die Nachzügler stürzten sich nach verzweifeltem Kampf auf die Brücke, das jenseitige Ufer zu gewinnen; sie erreichten es nur mit schwerem Verlust. Die Goten ordneten sich dort und zogen auf der Flaminischen Straße weiter, mutlos und den Untergang des Heldenvolks ahnend, dessen kriegerische Blüte sie an den Mauern Roms begraben hatten. So bestrafte sich die Unfähigkeit Theodahads, welcher Belisar nach Rom hatte vorrücken lassen, statt den Krieg ins Neapolitanische zu verlegen, so auch der Fehler des Vitiges, der die Kraft seines großen Heerbanns auf der ungesunden Campagna zusammendrängte, ohne zugleich Kriegsoperationen im Süden und Norden zu unternehmen und ohne eine Flotte aufzustellen. Und hauptsächlich war es der Mangel einer Kriegsflotte, welcher das Schicksal des Gotenreichs in Italien entscheiden mußte.

Ein volles Jahr und neun Tage hatte diese unsterblich gewordene Belagerung Roms gedauert, in welcher die Goten, alle Kämpfe mitgezählt, 69 Schlachten geschlagen hatten. Ihr Abzug von Rom geschah am Anfange des März 538.


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