Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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4. Erbitterung in Rom gegen das Wahldekret. Nikolaus II. stirbt 1061. Die Römer und die Lombarden fordern den König Heinrich auf, einen Papst zu wählen. Mailand. Die Pataria. Die Cotta und Ariald. Die Hildebrandischen wählen Anselm von Lucca zum Papst. Der deutsche Hof erhebt Cadalus von Parma.

Das Schisma war beseitigt, der Widerstand des Adels besiegt. Das normannische Schwert bedrohte fortan aus nächster Nähe Rom, und kaum erkannte das der römische Adel, so wurde er entschiedener Anhänger des deutschen Hofs. Diesen erbitterte das Wahldekret, wie die angemaßte Belehnung der Normannen. Die Rechte der deutschen Krone, die Rechte der Stadt Rom schienen gleich verletzt. Die Vorteile beider begegneten sich in einem gemeinschaftlichen Kampf gegen das neue Papsttum, und Rom teilte sich seitdem für Jahrhunderte in eine kaiserliche und eine päpstliche Partei. Hildebrand sammelte um seine Fahne alle Anhänger der Reform, aber die Gegenpartei war zahlreicher. Die Grafen von Tusculum, von Galeria, die Grafen von Segni und Ceccano, die Nachkommen der Crescentier, der früheren Feinde Tusculums, fast alle Kapitäne in Tuszien und Latium gehörten zu ihr, während der Stadtadel vom wilden Cencius, dem Sohne des Präfekten Stefan, geführt wurde und im Klerus selbst der Kardinal von S. Clemente, Hugo Candidus, ein Elsässer von Geburt, eine feindliche Faktion leitete. Die Verbindung mit Deutschland und die bald ausbrechende große Kirchenspaltung gab dem römischen Adel eine vorübergehende Kraft; viele dieser Herren waren germanischen Ursprungs und hielten deshalb zum deutschen Kaisertum; andere, lateinischen Stamms, bekämpften nicht minder eifrig die Herrschaft des Papsts über die Stadt Rom. Die Päpste waren endlich um so weniger imstande, diese Barone zu überwältigen, weil sie selbst während langer Zeit nicht mehr aus den großen Geschlechtern Roms hervorgingen, deshalb an ihnen keinen sichern Anhalt fanden und genötigt waren, zur Unterwerfung der Stadt verhaßter Fremder, der Normannen, sich zu bedienen.

Als nun Nikolaus II. am 27. Juli 1061 zu Florenz gestorben war, mußte eine Katastrophe eintreten. Alle Feinde der Reform scharten sich zusammen; der Normannenzug, welcher manche Adelsburg gebrochen hatte, sollte gerächt, das Wahldekret umgestoßen, der Patriziat hergestellt werden. Die Grafen des Landgebiets, die Großen der Stadt, Cencius mit seinen Brüdern, die Söhne des Baruncius, Cencius und Romanus, Berizo und andere, der Kardinal Hugo mit einigen Bischöfen hielten ein Parlament in Rom und kamen überein, dem jungen Könige Heinrich den Patriziat und die herkömmlichen Rechte auf die Papstwahl förmlich zu übertragen. Die gegen das neue Papsttum Verschworenen waren daher konservativ und antinational. Sie schickten dem Könige die Symbole des Patriziats, die grüne Chlamys, die Mitra, den Ring und das Diadem, und indem sie sich zugleich auf das Wahldekret Nikolaus' II. beriefen, wonach der Papst nicht ohne die Mitwirkung Heinrichs gewählt werden durfte, forderten sie ihn auf, Rom einen Papst zu geben. Mit den Römern vereinigten sich, vom Kanzler Wibert ermuntert, viele Bischöfe der Lombardei und Gesandte Mailands, welche in die Kaiserin drangen, ihrem Sohne die Kronrechte nicht rauben zu lassen. Sie begehrten einen Papst aus dem lombardischen Lande, dem Paradies Italiens, wie sie es nannten, und einen entschlossenen Feind des Zölibats.

Die tiefe Bewegung, welche die Reform hervorrief, war nirgends größer als in Mailand. Diese reiche Handelsstadt übertraf damals jede andere an Glanz, und ihre politische Bedeutung verdunkelte eine Zeitlang selbst Rom. Denn Rom erhob sich noch nicht zur Höhe wirklicher sozialer Kämpfe wie Mailand, welches ein starkes Bürgertum und eine republikanische Verfassung errang. Schon in früheren Jahrhunderten hatten die dortigen Erzbischöfe nachdrücklich die Alleingewalt des Papsttums bekämpft; das Recht, welches sie beanspruchten, die Könige Italiens zu krönen, machte sie schon an sich zu Nebenbuhlern der Päpste, welche diese Könige zu Kaisern krönten. Der mailändische Klerus war unermeßlich reich und »zahllos wie der Sand am Meer«. Die Reformdekrete riefen daher die größte Erbitterung gerade dort hervor, wo die geistlichen Stellen von den Söhnen des Adels gekauft waren und die meisten Priester mit Weibern lebten. Aber die Zuchtlosigkeit des vornehmen Klerus erzeugte als Gegensatz den glühendsten Eifer für die Reform in dem demokratischen Teil des Volks, und diese kirchlichen Kontraste wurden um so heftiger, weil sie zugleich politische und soziale waren.

Guido von Velate, seit 1045 Nachfolger Ariberts im Erzbistum, eine kaiserliche Kreatur, wurde von den Reformisten deshalb gehaßt, und um ihn scharten sich alle Anhänger des alten Systems. Die Reformpartei dagegen, welche man Pataria nannte, fand selbst an einigen Adligen ihre Häupter. Zwei Brüder aus der edlen Familie Cotta, Landulf und Erlembald, wurden nacheinander Kapitäne des Volks, und neben ihnen tat sich der fanatische Diaconus Ariald als Prediger hervor. Diese Männer hatten sich in den engsten Verkehr mit Hildebrand gesetzt, so daß sich Mailand wie Rom in zwei Parteien gespalten fand, von denen der eine zum Kaiser, der andere zum Papste hielt, die eine die Mißbräuche in der Kirche, die andere ihre schonungslose Reform behauptete. Der Erzbischof Guido wurde zwar zur Unterwerfung unter die Konzilienbeschlüsse gezwungen, als Nikolaus II. im Jahr 1059 Damiani und Anselm von Badagio, den Bischof von Lucca, einen Mailänder von Geburt, als seine Legaten in jene Stadt schickte. Doch die Versöhnung dauerte nicht, der Zwiespalt der Parteien brach wieder hervor, und der Tod Nikolaus' II. stürzte Mailand und Rom in gleiche Verwirrung.

Die Kaiserlichen in der Lombardei vereinigten sich also mit den Römern, einen nicht hildebrandischen Papst durchzusetzen. Die römischen Reformer ihrerseits schickten den Kardinal Stephan an den deutschen Hof. Als nun dieser Legat, dort nicht vorgelassen, fruchtlos nach Rom zurückkehrte, faßte Hildebrand den Mut, vom deutschen Hof sich völlig loszusagen. Er versammelte die Kardinäle am 1. Oktober 1061 und ließ dem neuen Wahlgesetz gemäß den Bischof von Lucca zum Papst erwählen. Dieser eifrige Prälat war zwar einer der Stifter der Pataria, stand jedoch zum deutschen Hof seit langem in freundlicher Beziehung, weshalb Hildebrand durch ihn einen gütlichen Vergleich noch hoffen mochte. Die Wahl Anselms verletzte nicht gerade das Dekret Nikolaus' II., wenn man vom Könige wenigstens die Bestätigung einholte, was nicht geschah; und so forderte Hildebrand die königliche Gewalt offen heraus. Ein langes Schisma und blutige Bürgerkriege mußten die Folgen dieses kühnen Schrittes sein.

Anselm von Lucca wurde als Alexander II. auf den Päpstlichen Stuhl gesetzt, durch die Gewalt der Waffen Richards von Capua. Denn diesen Fürsten hatte der Abt Desiderius gewonnen, den neuen Papst nach Rom einzuführen, wo einige Edle, Leo de Benedicto, Cencius Frangipane und Johann Brazutus, auf Hildebrands Seite standen. Doch erst nach heftigem Kampf mit den Kaiserlichen konnte Anselm nachts auf Umwegen in den Lateran eingeführt werden.

Während nun Richard als echter Normanne in Rom hauste und manchen Kopf eines feindlichen Grafen oder Konsuls herunterschlagen ließ, traf in der Stadt die Nachricht von der Wahl eines Papstes in Deutschland ein. Die deutschen Bischöfe und einige lombardische -waren unter der Leitung Wiberts in Basel zusammengetreten; dort hatten die Gesandten der Römer, an deren Spitze Gerard von Galeria und Cencius standen, den zehnjährigen König Heinrich förmlich zum Patricius gekrönt. Das Konzil aber hatte die Dekrete Nikolaus' II. wie die Wahl Alexanders' II. als ungesetzlich kassiert und im Verein mit den römischen Abgeordneten einen Veronesen Cadalus, den Bischof von Parma, am 28. Oktober zum Papst erwählt. Die Erhebung dieses Prälaten war ein Mißgriff; ein Mann von Genie, Kraft und Sittenstrenge hätte die hildebrandischen Pläne leicht hindern können, doch der schwache Cadalus vermochte das nicht.

Zwei Päpste standen nun wieder einander gegenüber, der eine in Rom, der andere jenseits der Alpen aufgestellt, wo er sich rüstete, mit den Waffen herabzusteigen und seinen Gegner aus dem Lateran zu vertreiben. Selten hatte die Welt einem ähnlichen Kampf mit solcher Erwartung entgegengesehen, denn die Parteien, welche hinter beiden Päpsten standen, waren nicht mehr Faktionen, sondern die zwei Weltmächte selbst, die römische Kirche und das Deutsche Reich.


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