Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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5. Tusculum. Verfall der Grafen dieses Hauses. Rainald von Köln rückt in Tusculum ein. Die Römer belagern ihn. Christian von Mainz zieht zum Entsatz heran. Schlacht bei Monte Porzio. Furchtbare Niederlage der Römer. Friedrich belagert die Leonina. Sturm auf den St. Peter. Unterhandlungen mit den Römern. Alexander III. entflieht nach Benevent. Friede zwischen dem Kaiser und der Republik Rom. Die Pest verschlingt Friedrichs Heer. Sein Abzug von Rom.

Herr von Tusculum war damals Raino, einer der Söhne des im Jahre 1153 gestorbenen Ptolemäus II. Das Haus der Tusculanen neigte sich schon zum Fall; Erbteilungen, Verschuldung, Fehden, die römische Kommune hatten dies gewaltige Geschlecht herabgebracht. Tusculum befand sich nicht mehr in einer Hand; zur Zeit Eugens III. hatte Oddo Colonna seinen Anteil daran an Oddo Frangipane verpfändet, dies Pfand hatte jener Papst erkauft; so bekamen die Päpste Rechte auf eine Burg, von welcher der Heilige Stuhl so lange tyrannisiert worden war. Hadrian IV. hatte den päpstlichen Anteil dem älteren Sohne Ptolemäus' II., Jonathan, verliehen und ihn zu seinem Vasallen gemacht. Aber der Senat war unwillig, daß die Kirche als Beschützerin jenes Kastells auftrat, welches der Stadt den Gehorsam verweigerte, und vergebens hatte ihn Alexander III. von einem Angriff auf Tusculum abgemahnt. Raino, von den Römern bedrängt, rief die Kaiserlichen. Der Kanzler Rainald, welcher eben am 18. Mai mit Hilfe der Pisaner Civitavecchia erobert hatte, rückte mit seinen Kölner Vasallen in Tusculum ein, wo ihn die Römer belagerten. Dies zog den ganzen Krieg nach Rom.

Die Stadtmilizen, alle dem Senat oder dem Papst treuen Vasallen in Etrurien und Latium waren dazu aufgeboten worden; Bürger wie Kapitäne hatten sich zum erstenmal vereinigt. Nun aber sandten Rainald und Raino um Hilfe ins Lager von Ancona, worauf Christian von Mainz dort 1300 Deutsche und brabanzonische Söldner zusammennahm und zum Entsatze seines Genossen herbeizog. Christian, ein Graf von Buch, welchen der Kaiser im Jahre 1165 an Konrad von Wittelsbachs Stelle zum Erzbischof von Mainz erhoben hatte, war einer der besten Generale Friedrichs. Er lagerte vorsichtig bei Monte Porzio in der Nähe Tusculums: seinen Streitern einen Rasttag zu gewinnen, schickte er Boten an die Römer; sie antworteten mit Hohn, zogen alle ihre Truppen heran und stürmten am Pfingstmontag auf ihn los mit einer Macht, die bis auf 40 000 Mann angegeben wird. Kein Chronist nennt den Führer des größten Heeres, welches die Römer seit Jahrhunderten ins Feld stellten; vielleicht war es Oddo Frangipane, der angesehenste Magnat der Stadt in jener Zeit. Obwohl ihre Zahl im Verhältnis zu den Deutschen 20 gegen 1 betrug, verzagten diese nicht; der Schlachtgesang »Christus, der du geboren warst« ermutigte ihre kleine Schar; Christian entfaltete das Reichspanier, und die ungleiche Schlacht begann. Die Brabanzonen wurden sofort zurückgedrängt, aber die Kölner, eine dichtgeschlossene Ritterschaft, fielen zu rechter Zeit aus Tusculum; eine Truppe Christians faßte die feindlichen Haufen in die Flanke; ein unwiderstehlicher Stoß zerriß die römische Schlachtordnung in der Mitte; da floh die Reiterei, da zerstob auch das Fußvolk, und die Brabanzonen fielen über das römische Zeltlager her. Die Schwerter der Nachsetzenden mähten die Flüchtigen nieder, oder diese ergaben sich; kaum der dritte Teil gelangte in die erschreckte Stadt, und nur die festen Mauern und die anbrechende Nacht zwangen die Verfolger stillezustehn. Die Felder und Wege waren mit Toten und Waffen überstreut; Tausende wurden nach Viterbo abgeführt, unter ihnen auch ein Sohn des Oddo Frangipane, für welchen der Vater vergebens reiches Lösegeld bot. Es war der 29. Mai 1167, als diese denkwürdige Pfingstschlacht zwischen Monte Porzio und Tusculum geschlagen wurde.

Die Sieger über eine so große Übermacht im Angesichte des Papsts waren seltsamerweise zwei deutsche Erzbischöfe, sehr edle Männer durch Geburt, Geistesgaben und Mut. Ihre kleine Schar bestand aus den tapfersten Streitern der Welt, die in der Lombardei den Krieg gelernt hatten; die Römer, nur gewohnt, hinter Mauern zu kämpfen oder Überfälle zu tun, verloren die erste Schlacht, welche sie als Waffenprobe ihrer neu erstandenen Macht im offenen Felde wagten. Der Gedanke an die großen Väter, deren Republik sie auf dem Kapitol erneuert zu haben wähnten, mußte sie erröten machen. Die Überlieferung pflanzte Sagen von dieser Niederlage fort, nur in Rom selbst erzählt kein Stein mehr von jenem schwarzen Tage zu Cannae im Mittelalter.

Die Bestürzung war hier in der Tat so groß wie einst nach jenem Siege Hannibals. Greise und Matronen jammerten in den Straßen oder empfingen mit Wehklagen die Züge der Toten, deren Bestattung der Feind erlaubte. Der Papst weinte vor Schmerz; argwöhnisch begab er sich in den Schutz der Frangipani am Colosseum, aber achtsam sorgte er für die Bewachung der Mauern und Zuzug von Truppen. Schon lagerten die Deutschen vor der Stadt, verstärkt durch das Aufgebot von Orten der Campagna. Ein Träumer konnte glauben, in die Zeit des Manlius Torquatus oder Coriolan zurückgekehrt zu sein, als Herniker und Aequer, Latiner und Volsker gegen Rom zogen oder am Algidus lagerten. Es waren noch immer dieselben alten Städte, Tibur, Alba, Tusculum und andere, die das vor Alter kindisch gewordene Rom bedrängten. Diese kleinen Orte hofften jetzt, über die gedemütigte Stadt herzufallen, wie Cremona und Pavia über Mailand gefallen waren. Alsbald forderte Christian den Kaiser auf, herbeizukommen, um den Fall Roms zu vollenden, und Friedrich, der mit Ancona eine Kapitulation schloß, konnte schon am 24. Juli seine Reichsadler am Monte Mario aufpflanzen.

Alexander III. sah sich in der Lage Gregors VII., doch ohne Aussicht auf Entsatz; denn ein sizilisches Heer, welches die Regentin gegen Friedrich ausgesandt hatte, war zurückgeworfen worden. Noch verteidigten die Römer auch ihn, wie sie Gregor verteidigt hatten, oder vielmehr er stand in ihrem Schutz, solange nicht Not und Vorteil sie zum Vertrage mit Friedrich zwangen. Ein Sturm auf die Porta Viridaria öffnete dem Kaiser die Leostadt; hier lagen keine Römer, nur päpstliche Leute, die sich noch im St. Peter hielten. Der Dom war rings verschanzt; sein Atrium und der Turm der S. Maria in Turri über der Haupttreppe waren Festungen; auf seinem Dache standen Wurfmaschinen. Weil die Engelsburg, durch ihre Flankenmauern von der Leonina abgeschnitten, als Brückenkopf der Stadt diente, war in jener Zeit nicht mehr sie, sondern der St. Peter selbst die wirkliche Burg.

Acht Tage lang hielt das Mekka der Christenheit die Stürme arnoldistischer Deutscher und der Milizen Viterbos aus. Mauern, Türme, der von Innocenz II. hergestellte Porticus fielen, der ganze Borgo sank in Schutt; der Dom allein widerstand; da ward Feuer aufs Atrium geworfen; S. Maria in Turri brannte, und ein Augenzeuge konnte den Untergang eines prächtigen Musivs beklagen, welches die Kirchenmauer über dem Atrium verzierte, während die Viterbesen die bronzenen Türen aushoben, ihnen als Denkmal des Sieges daheim zu dienen. Denn dies war Sitte jener Zeit, und dieselben übermütigen Viterbesen eroberten bald darauf Corneto, von wo sie eines der Stadttore mit sich nahmen. Als der St. Peter selbst in Flammen aufzugehen drohte, streckte die Besatzung die Waffen. Es war Friedrich von Rotenburg, Sohn König Konrads, der schönste Ritter im Heer, der während dieses Sturms die Türen des Doms mit Äxten aufschlagen ließ. Das Blut der Niedergehauenen befleckte die entweihten Altäre, und auf dem kunstvollen Marmorboden des Tempels lagen wie auf einem Schlachtfelde die geharnischten Leichen der Erschlagenen. Durfte man die Moslem des IX. Jahrhunderts gottlos nennen, wenn drei Jahrhunderte nach ihnen die Eroberer derselben Basilika der Kaiser der Christenheit und seine in Erz gepanzerten Bischöfe waren? Der Dom ward erstürmt am Sonnabend, dem 29. Juli; und kaum war das Blut aus ihm entfernt, so scholl – ein Spottlied eher als ein Gebet – das Tedeum in seinen Hallen zu Gott empor. Denn schon folgenden Tags setzte der Kaiser seinen aus Viterbo gekommenen Papst im St. Peter ein, wie Heinrich IV. nach der Einnahme der Leostadt getan hatte. Auch er trug bei dieser Festlichkeit den goldnen Reifen des Patricius, eine Schaustellung, die den Römern und dem Papste galt; dann ließ er am 1. August seine Gemahlin Beatrix von Paschalis III. als Kaiserin krönen, und er selbst erschien, die Krone auf dem Haupt.

Die kaiserliche Partei unter den Römern umgab ihn, aber seine Erfolge blieben auf die Leonina beschränkt. Das römische Volk, noch voll Haß wegen seiner Niederlage, behauptete tapfer die Stadt, und dort war es furchtbarer als auf dem Felde bei Tusculum. Alexander III. saß indes sorgenvoll in den Türmen der Frangipani am Titusbogen; zwei sizilische Galeeren kamen bis St. Paul, ihn aufzunehmen, wenn er fliehen wollte; er verteilte das Geld, welches sie brachten, an die Frangipani und Pierleoni, an die Wachen bei den Toren, die Schiffe aber schickte er zurück. Noch hielten sich die Römer mannhaft, doch weder sie, noch der Papst durften Unterhandlungen ablehnen. Der Pfalzgraf Konrad von Wittelsbach, Friedrichs Verwandter, Erzbischof von Mainz, welcher mit Alexander III. im Jahre 1165 nach Rom gegangen war und dessen Mainzer Würde der erzürnte Kaiser an Christian von Buch gegeben hatte, befand sich in der Stadt. Der Papst hatte ihn zum Kardinalbischof der Sabina gemacht. Er schickte ihn jetzt als Unterhändler ins Lager Friedrichs. Wie Heinrich IV. suchte dieser die Römer auf seine Seite zu ziehen, indem er den Papst als das einzige Hindernis des Friedens darstellte; er schlug ihnen durch Konrad vor: beide Päpste sollten abdanken, ein dritter kanonisch gewählt werden, dann wolle er der Kirche Frieden geben, den Römern die Verluste wieder herstellen. Natürlich verwarfen Alexander und seine Kardinäle diese Vorschläge, aber die gequälten Römer stimmten ihnen bei. Um seine Schafe zu retten, so riefen sie, ist der Papst noch zu größerem Opfer als dem der Tiara verpflichtet. Ein Volkssturm erhob sich; man verlangte die Abdankung des Papsts; da verschwand er aus der Stadt. Am dritten Tage sah man ihn in Pilgertracht am Kap der Circe sitzen und mit seinen Gefährten sein Flüchtlingsmahl an einer Quelle teilen, die seither die Papstquelle heißt. In Terracina nahm er den Purpur wieder und ging dann nach Benevent, wo er im August eintraf.

Seine Flucht benahm dem Kaiser die Hoffnung eines Vergleichs mit der Kirche, aber sie erleichterte den Frieden mit der Stadt. Sie war ein entschiedener Sieg Friedrichs; denn dieselben Römer, welche Alexander III. so lange verteidigt, hatten ihn jetzt aus Rom getrieben. Die Pisaner waren um diese Zeit mit acht Galeeren in den Tiber eingelaufen, wo sie die Landhäuser an den Ufern zerstörten, und eins ihrer Schiffe drang bis zur Ripa Romea vor. Der Mut der Römer sank; und Friedrich, der in dieser Jahreszeit wenig ausrichten konnte und nicht hoffen durfte, die Adelstürme zu erobern, selbst wenn ihm die Stadt ihre Tore öffnete, war zu einem billigen Vertrage geneigt. Seine Boten, unter ihnen der Geschichtschreiber Acerbus Morena von Lodi, schlossen mit Rom folgenden Frieden: Senat und Volk schwören dem Kaiser Treue und Verteidigung der römischen Kronrechte in und außerhalb der Stadt; der Kaiser anerkennt den Senat in seiner bestehenden Gewalt, aber als durch ihn investiert; er bestätigt durch eine goldene Bulle die Gültigkeit der Testamente der Römer wie aller Pachtverträge, endlich die Freiheit von allen Abgaben und Steuern. So geschah erst nach blutigen Kriegen, was Friedrich schon bei seiner Krönung hätte genehmigen sollen: die römische Republik ward reichsunmittelbar. Seine Bevollmächtigten empfingen ihren Huldigungseid, aber er selbst betrat niemals die Stadt; denn hier hatten die großen Kapitäne am Vertrage nicht teilgenommen, sondern sie standen in ihren Türmen trotzig in Waffen. Friedrich setzte jetzt die Präfektur als kaiserliches Amt wieder ein und belieh damit Johann von Vico, den Sohn des ehemaligen Präfekten Petrus; dann ließ er den neuen Gemeinderat wählen und nahm 400 Geiseln von den Römern.

Er stand in diesen Tagen auf dem Gipfel seiner Macht; die Kaiserrechte in Rom hatte er wiederhergestellt, seinen Papst im St. Peter eingesetzt, die gregorianische Hierarchie niedergeworfen, und er konnte nun mit der völligen Knechtung Italiens das römische Weltreich wieder aufrichten. Allein mitten in diesen glänzenden Erfolgen erschienen plötzlich die Würgengel des römischen Fiebers, nach dem Glauben der Heiligen den Papst zu retten, oder vielmehr ein furchtbarer Zufall erhob sich, der den Übermächtigen aufhielt und dann den Städten Zeit und Kraft gab, ihre Ketten zu zerreißen. Die Hand des Schicksals schien nach Friedrich zu greifen, wie sie nach Xerxes gegriffen hatte. Die Priester konnten frohlocken: denn Rom verwandelte sich in Jerusalem und der Kaiser Friedrich in den zu Schanden werdenden Sanherib. Ein finsteres Regengewölk stürzte am 2. August auf die Stadt nieder, dann kam stechende Sonnenglut; die Malaria, welche hier im August tödlich ist, ward zur Fieberpest. Die Blume des unbesiegten Heeres wurde von ruhmlosem Tod verschlungen; Ritter, Fußvolk und Knappen sanken verwelkt dahin, oftmals plötzlich, im Reiten, Gehen, auf der Straße, und bald konnte man die Toten nicht mehr begraben. Friedrich sah seine besten Helden in sieben Tagen sterben; Rainald von Köln, Gottfried von Speyer, Eberhard von Regensburg, die Grafen von Nassau, von Lippe, Friedrich von Rotenburg, viele Bischöfe und Herren, zahllose Edle und Gemeine wurden hingerafft. Auch Rom selbst litt schrecklich von der Seuche; Tausende starben; ihre Leichen warf man in den Fluß. Seit Jahrhunderten hatten die Stadt keine so furchtbaren Schläge getroffen als die Schlacht bei Monte Porzio und gleich nach ihr diese Fieberpest. Ein Grauen erfaßte die Deutschen: die Hand Gottes schlage sie für die gequälte heilige Stadt, für die verbrannten Kirchen, für den mit Blut bedeckten Tempel der Christenheit.

Der Kaiser brach schon am 6. August die Zelte ab und zog bestürzt mit dem Rest des Heeres fort, welcher schattengleich weiterwanderte. In Viterbo ließ er Paschalis III. und die römischen Geiseln und zog dann nach Pisa, aber noch mehr als 2000 Mann fielen auf dem Wege, andere nahmen blutlos und gespensterhaft den Tod mit sich nach Deutschland, oder sie starben noch in Italien wie Acerbus Morena und der junge Herzog Welf, der letzte mathildische Erbe von Spoleto, Toskana und Sardinien aus dem Hause Este.

Dies grausenvolle Ende nahm der Krieg Friedrichs um Rom, an dessen Wällen seit den Goten ganze Völker Deutschlands in ihre namenlosen Gräber sanken. Nur mit Schmerz kann der Deutsche an den hohen Aurelianischen Mauern entlanggehen, der furchtbaren Leiden der erhabenen Stadt und all des vergeudeten Blutes der Väter gedenkend, welches hier jede Erdscholle durchdrungen hat.


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