Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2. Geschichtschreibung. Rom ohne Geschichtschreiber, ohne Stadtannalen. Das kapitolische Archiv ohne Dokumente des Mittelalters. Historiographen der Päpste und der Kirche. Saba Malaspina. Johann Colonna. Aegidius Colonna. Sein Traktat von der »Regierung der Fürsten«. Der Oculus Pastoralis. Die Poeten. Die Dichtung der Franziskaner. Fra Jacopone. Die römische Vulgärsprache. Der Kardinal Jakob Stefaneschi, Dichter und Mäzen.

Neben der Rechtswissenschaft nahm auch die Geschichtschreibung in Italien einen bedeutenderen Aufschwung. Sie blühte im Königreich Sizilien unter den Hohenstaufen, während in Nord- und Mittelitalien Chronisten aus eigenem Antriebe oder amtlich beauftragt die Annalen ihrer Freistädte niederschrieben. Florenz stellte bald den ersten Geschichtschreiber in der Sprache Toskanas auf, Giovanni Villani.

Bei dieser Fülle von Historikern ist es befremdend, daß Rom auch während des XII. Jahrhunderts deren kaum einen hervorbrachte. Wir bemerken es mit Staunen, daß wir die besten Nachrichten über die römische Stadtgeschichte aus Chronisten Englands schöpfen müssen. Über die Zustände der Römer waren Roger von Hoveden und Matthäus Paris, wie schon früher Wilhelm von Malmesbury, und war Wilhelm von Nangis in Frankreich besser unterrichtet als italienische Chronisten selbst. Die Engländer, welche damals in lebhaftem Verkehr mit Rom standen, besaßen schon den auf die Welt gerichteten Sinn ruhiger Beobachtung, während die italienische Geschichtschreibung den Charakter ihrer nationalen Zersplitterung trug und daher Städtechronik blieb. Der römische Senat faßte nicht den Gedanken, einem Schreiber die Ausführung eines Annalenwerks zu übertragen, wie dies Genua tat; noch irgendein Römer den Plan, die Geschichte seiner Vaterstadt niederzuschreiben, wie Giovanni Villani in Florenz und andere patriotisch gesinnte Bürger selbst in kleineren Gemeinden Italiens.

Der Mangel römischer Annalen erklärt sich jedoch durch einige Ursachen. Eine solche Aufgabe war schwieriger als die Chronik jeder andern Stadt, weil die welthistorischen Bezüge Roms ihr zu große Verhältnisse gaben. Die Republik des Kapitols besaß weder die kraftvolle Individualität noch die Freiheit anderer Städte. Ein bürgerlicher Geschichtschreiber Roms konnte nicht unabhängig schreiben, ohne mit dem weltlichen Papsttum in Streit zu geraten. Wir werden daher wahrnehmen, daß die Anfänge der römischen Stadtannalen erst der Zeit angehören, wo die Päpste in Avignon wohnten. Es gibt keine Stadtchronik im XIII. Jahrhundert, und ihr Mangel kann nicht mehr durch Dokumente des städtischen Archivs ersetzt werden, denn diese fehlen. Während selbst Mittelstädte Umbriens und des Patrimonium, wie Viterbo und Todi, Perugia und Orvieto, selbst Narni und Terni noch große Reste von Akten ihrer republikanischen Epoche bewahrt haben, während in ihren Archiven sich sauber auf Pergament zusammengetragene Regesten und die Protokolle der Ratssitzungen ( libri deliberationum) vorfinden, enthält das kapitolische Archiv nichts mehr von Urkunden der Art, an denen es doch einst reicher war als alle jene Städte.

Nur zu einem kleinen Teil kann die Stadtgeschichte aus den »Leben der Päpste« ergänzt werden. Die päpstlichen Schreiber durften sie nicht umgehen, aber sie behandelten sie oberflächlich und entschieden feindlich. Das alte offizielle Buch der Päpste, welches im XII. Jahrhundert Petrus Pisanus, Pandulf und der Kardinal Boso fortsetzten, war mehrfach unterbrochen und in der letzten Zeit lückenhaft geblieben. Mit Innocenz III. beginnt eine andere, doch unterbrochene Reihe von Fortsetzungen der Papstannalen oder von Biographien, welche aus der amtlichen Kanzlei geschöpft sind, und die Akten dieser haben sich vom Jahr 1198 ab bis auf unsre Zeit als »Regesten der Päpste« fast vollständig erhalten. »Die Taten Innocenz' III.« beginnen jene Reihe. Der ungenannte Autor behandelt schon sehr ausführlich die Weltverhältnisse, namentlich den Orient und Sizilien, er wirft keinen Blick auf Deutschland und redet ohne Klarheit und Zusammenhang von der römischen Stadtgeschichte. Er bricht plötzlich ab, noch vor dem Tode des Papsts.

Von einem Zeitgenossen rührt auch die amtliche Schrift über das Leben Gregors IX. her, durchdrungen von fanatischem Haß gegen Friedrich II., in biblisch gefärbtem Kurialstil. Viel bedeutender ist die Lebensgeschichte Innocenz' IV. von seinem Kaplan Nicolaus de Carbio, nachmals Bischof von Assisi, welcher an die Biographie Gregors IX. anknüpfte. Sein Buch verdient Anerkennung, obwohl es keineswegs genau und nur eine Lobschrift ist; aber bequeme Ordnung, gutes Latein und leichter Stil machen es zu einem der anziehendsten Werke dieser Gattung überhaupt.

Keiner der folgenden Päpste des XIII. Jahrhunderts fand ähnliche Biographen. Ihre kurzen Lebensgeschichten finden sich in den Sammlungen des XIV. Jahrhunderts vom Dominikaner Bernard Guidonis und vom Augustinerprior Amalricus Augerius. Die Papstgeschichte ging in die Hände der Bettelmönche über; namentlich waren die Dominikaner fleißige Historiographen. Der Böhme Martin von Troppau oder Martinus Polonus schrieb seine Chronik der Kaiser und Päpste, ein von unsinnigen Fabeln erfülltes Handbuch, welches weltberühmt wurde und die Geschichtschreibung des Papsttums verfälschte und beherrschte. Er fand bessere Nacheiferer: den Dominikaner Ptolemäus von Lucca, der eine brauchbare Kirchengeschichte von Christi Geburt bis 1312 verfaßte, und Bernard Guidonis, der eine Geschichte der Päpste und Kaiser schrieb. Diese Werke gehören dem folgenden Jahrhundert an und überhaupt nicht zur Kulturgeschichte der Stadt Rom.

Ein einheimischer Geschichtschreiber ziert jedoch Rom, Saba Malaspina, Dekan von Malta und Scriptor Martins IV., dessen guelfisch gefärbtes, aber doch keineswegs abhängiges Werk über den Fall der Hohenstaufen und die angiovinische Umwälzung viel Licht verbreitet hat. Seine Sprache ist dunkel und schwerfällig, aber sein Geist voll Kraft und Wahrheitsgefühl. Auch auf die städtischen Verhältnisse hat Malaspina Rücksicht genommen und bisweilen mit patriotischem Sinn. Trotz seiner amtlichen Stellung besaß er Herzensgröße genug, seine Bewunderung für Manfred und seine Trauer um das Schicksal Konradins auszusprechen. Dieser eine Geschichtschreiber steht in der literarischen Öde Roms als seltene Erscheinung da, und er macht es tief beklagen, daß nicht auch andere Römer ihre Zeitgeschichte uns überliefert haben. Sein Zeitgenosse war Johann Colonna, Erzbischof von Messina im Jahre 1255 und im letzten Viertel des Jahrhunderts gestorben. Eine Weltchronik unter dem wunderlichen Titel Mare Historiarum ist mit Unrecht diesem Colonna zugeschrieben worden; sie gehört einem andern Giovanni Colonna aus der Mitte des XIV. Jahrhunderts an. Ein dritter Colonna, Aegidius (geb. um 1247), glänzte als Papist von zweifelloser Größe; er war Schüler des Thomas von Aquino, Lehrer Philipps des Schönen, Augustinergeneral, Erzbischof von Bourges. Dieser Magister der Scholastik in Paris verteidigte als Bekenner der Grundsätze des Thomas von Aquino über die Allgewalt des Papstes Bonifatius VIII. eifrig gegen den König Frankreichs. Aegidius war die erste literarische Zierde jenes Hauses Colonna, welchem im XVI. Jahrhundert Vittoria als Dichterin Ruhm verlieh. Er verfaßte eine große Zahl philosophischer und theologischer Werke und schrieb für Philipp von Frankreich, ehe derselbe den Thron bestieg, das Buch »Von der Regierung der Fürsten«, eine der ältesten Schriften von der Art der »Fürstenspiegel«, worin jedoch kein staatsmännischer Verstand sichtbar ist. Man kann dieser Schrift den Oculus Pastoralis an die Seite stellen, einen republikanischen Regentenspiegel, welcher in naiver Weise die Podestaten der italienischen Städte über die beste Art, sie zu regieren, belehrt.

Die literarischen Produkte der Römer im XIII. Jahrhundert sind demnach nicht epochemachend. Ihre träge Natur wurde auch nicht von dem poetischen Feuer ergriffen, welches damals die italienische Nation zu durchströmen begann und eins der schönsten Phänomene in der Kulturgeschichte darbietet. In Norditalien schrieben Dichter noch in der provençalischen Sprache; Albert Malaspina, Percival Doria und der berühmte Sordello erfüllten die romanische Welt mit ihren Namen. In Sizilien wurde die lingua volgare die poetische Hofsprache der Hohenstaufen. In Bologna und Toskana traten Dichter auf, welche in das weltliche Liebeslied einen metaphysischen Geist der Reflexion ergossen. Guido Guinicelli ragte dort hervor und der junge Dante dichtete seine Canzone Amor che nella mente mi ragiona. In Umbrien, dem Lande empfindungsvoller Grazie, erschien Franziskus, die volkstümliche Heiligengestalt voll dichterischer Macht eines in überirdischer Liebe schwelgenden Herzens. Wenn er auch selbst nicht Dichter war (der Hymnus »Altissimo, omnipotente, bon Signore«, worin alle Kreatur den Herrn der Welt verherrlicht, wird ihm, doch nicht mit voller Sicherheit, zugeschrieben), so erweckte er doch poetische Begeisterung unter seinen Jüngern. Es entstand die hymnische Franziskanerpoesie, erhaben und schwelgerisch im Gefühl, naiv in unbeholfenem Ausdruck, für schwärmerische Gemüter noch heute begeisternd. Es ist anzuerkennen, daß diese mönchischen Troubadours das Vulgär zu Ehren brachten und einen volksmäßigen Ton anschlugen, der sich indes in der Poesie Italiens nicht behauptete, sondern bald im Latinismus und der Künstelei unterging, Schwächen, welche der italienischen Dichtung bis auf unsere Tage eigen geblieben sind. Die Franziskaner dichteten auch lateinisch. Thomas von Celano schrieb die furchtbar erhabene Hymne Dies Irae und Jacopone von Todi das berühmte Stabat Mater, diese großartigen Tönefiguren vom Weltgericht und der Passion, welche später berühmte Maler in Farben übertrugen. Fra Jacopone, der Poet und Demagog der spiritualen Armutsgenossenschaft, erhob sich gegen Bonifatius VIII. und brandmarkte ihn mit Versen wie Dante bald nach ihm. Er war der größte Dichter der Franziskanerschule, von echtem poetischem Genie und dem Feuer schöpferischer Leidenschaft durchdrungen.

In Rom finden wir keinen Liederdichter jener Zeit. Die alte Handschrift im Vatikan, welche die Poesien der ersten Jahrhunderte vulgärer Dichtung enthält, nennt keinen römischen Namen neben Don Arrigo, dem Senator von Rom und Infanten Kastiliens. Die Volkssprache, die sich in Italien als vulgare illustre so glücklich ausbildete, fand in Rom keine Kultur. Das Latein blieb hier die Sprache der Kirche, des Rechts, der bürgerlichen Verhandlung. Keine Vulgärinschrift zeigt sich unter den vielen Grabschriften jener Zeit, welche meistens noch die schon altertümliche leoninische Form festhalten. Die Römer blickten geringschätzend auf die Vulgärsprache, und Dante nannte wiederum mit beleidigender Verachtung ihren Stadtdialekt, »die triste Sprache der Römer«, roh und abscheulich wie ihre Sitten; er verglich ihn mit der Sprache der Marken und Spoletos. Dies war ohne Zweifel übertrieben; denn sollte die römische Vulgärsprache wirklich roher gewesen sein als der von Dante so auffallend gepriesene Dialekt der Bolognesen?

Wir besitzen jedoch lateinische Gedichte eines Römers aus der Zeit Bonifatius' VIII., des Kardinals Jakob vom alten Trasteverinergeschlecht der Stefaneschi. Er erzählt mit Genugtuung, daß er in Paris die liberalen Wissenschaften, in Bologna die Rechte und für sich selbst Lucan und Virgil studiert habe, um sie als Vorbilder zu benutzen. Dies Geständnis mag beweisen, daß die klassischen Studien damals nicht in blühenden Schulen gelehrt wurden; wenigstens hören wir nichts davon in Rom, während in Toskana und Bologna Buoncompagni und Brunetto Latini sich darin Ruhm erwarben. Jakob Stefaneschi besang in drei Dichtungen das ruhmlose Leben Cölestins V. und die Thronbesteigung Bonifatius' VIII., welchem er die Kardinalswürde verdankte und dessen Andenken er mannhaft verteidigte; er schrieb außerdem eine Schrift über das Jubiläum des Jahrs 1300 und einen Traktat über das römische Kirchenzeremoniell. Seine Werke sind kostbare Beiträge zur Geschichte der Zeit, doch seine gequälte Muse ist nur die Sklavin gelehrter Pedanterie. Seine Sprache, selbst in der Prosa, erscheint von so hieroglyphischer Natur und so barbarisch verworren, daß sie geradezu Staunen erregt und auf Rechnung einer unnatürlichen Bizarrheit gesetzt werden muß. Der Kardinal schrieb bereits in Avignon, wo er im Jahre 1343 starb. Er war ein Freund der Wissenschaften, und auch ein Mäzen der Künstler, unter denen er das Genie Giottos erkannte und pflegte. Dieser verdiente Römer glänzt am Ende des XIII. und Anfange des XIV. Jahrhunderts durch eine so vielseitige Bildung, daß er schon in die humanistische Periode Petrarcas hinübergreift.


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