Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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5. Benevent. Arichis macht sich unabhängig. Päpstlicher Krieg um Terracina. Karls zweite Anwesenheit in Rom. Sein dritter Aufenthalt daselbst. Zug gegen Benevent und Friedensschluß. Neue Schenkung Karls. Arichis unterhandelt mit Byzanz. Die dortigen Verhältnisse. Beilegung des Bilderstreits. Grimoald Herzog von Benevent.

Von allen langobardischen Herzogtümern war das einzige Benevent nicht durch die Franken erobert worden; sein Herzog Arichis war mit Adelberga, einer Tochter des unglücklichen Desiderius, vermählt, ein glänzender Fürst, welcher über so viele Provinzen gebot, als heute das Königreich Neapel ausmachen, die griechischen Städte Neapel, Gaëta, Amalfi, Sorrentum und wenige andere Kalabriens abgerechnet. Dies blühende Land mit der Hauptstadt Benevent, der schönsten und mächtigsten in ganz Süditalien, schätzten seine Entfernung, seine Größe, auch die Verbindung mit den Griechen und ihrer Flotte. Nachdem das langobardische Königreich in Nord- und Mittelitalien zerstört worden war, wurde der dortige Herzog der natürliche Feind der Päpste, welche auf seine Vernichtung eifrig hinarbeiteten.

Gleich nach dem Falle Pavias nahm Arichis den Titel »Princeps« an, wodurch er sich für unabhängig erklärte; er ließ sich von den Bischöfen seines Herzogtums feierlich salben, legte den Purpur an und diktierte seine Diplome fortan aus seinem »geheiligten Palatium«. So schien es, daß er eine langobardische Monarchie in Süditalien begründen wollte. Sein Hof wurde der Mittelpunkt aller Unternehmungen des verbannten Adelgis zur Wiederherstellung seines Königreichs, zur Vertreibung der Franken und zur Demütigung des Papsts. Ein Bund ward geschlossen zwischen ihm, Arichis, dem Herzog Rodgausus von Friaul, Hildeprand von Spoleto und Reginald von Chiusi, und auch der Erzbischof Leo von Ravenna war darin eingeweiht. Im März 776 wollte man von allen Seiten losbrechen; der Papst hörte davon und schrieb an Karl, er möge kommen, die dringende Gefahr abzuwenden. Der König begnügte sich, Rodgausus durch einen schnellen Zug nach Treviso und Friaul zu vernichten, wodurch aller Gefahr von jener Seite für immer vorgebeugt, desto mehr aber Benevent zum Herde der Restaurationsversuche gemacht wurde. Dies Herzogtum grenzte landeinwärts an das lateinische Kampanien, wo Sora, Arpino, Arce und Aquino Grenzstädte waren; meerwärts erstreckte es sich bis Gaëta, welches wie Terracina damals den Griechen gehörte und unter der Verwaltung des Patricius Siziliens stand. Von hier aus sah sich Hadrian wiederholt bedroht: die Beneventer hatten mit Terracina und Gaëta, wo sich der Patricius befand, ein Bündnis geschlossen, um mit vereinten Waffen in die Campagna einzufallen; sie verwarfen die Friedensanträge des Papsts, und dieser vereinigte die Heeresmacht der Kirche mit den Truppen fränkischer Grafen und schützte die Landschaft mit Erfolg. So trat der Papst zum erstenmal als ein weltlicher Fürst kriegführend, ja erobernd auf; er nahm das griechische Terracina mit Waffengewalt. Diese Stadt, die zur Zeit des Gotenkönigs Theoderich bisweilen noch mit Auszeichnung genannt wurde, mußte schon tief herabgekommen sein. Hadrian spricht von ihr mit Geringschätzung, doch war das schwerlich ernst gemeint; er hatte sie den Neapolitanern für das Patrimonium der Kirche in Kampanien, welches von Leo dem Isaurier konfisziert worden war, angeboten, aber sie zogen es vor, die Stadt zu überrumpeln, was auch vollkommen gelang.

Hadrian forderte den König auf, den Heerbann Tusziens und Spoletos, selbst die »ruchlosen« Beneventer aufzubieten, unter der Führung Wulfrins spätestens am Anfange August nach Rom marschieren zu lassen und nicht allein Terracina wiederzuerobern, sondern auch Gaëta und Neapel zu unterwerfen. Er beklagte sich bitter über die Ränke des Herzogs Arichis, welcher jene Unterhandlungen mit Neapel hintertrieben habe, täglich die Boten des Patricius empfange und nur auf die Landung des Adelgis mit byzantinischen Schiffen warte, um loszubrechen. Die Furcht Hadrians war wohlbegründet, denn der Sohn des Desiderius war in Konstantinopel unermüdlich tätig, einen Kriegszug zustande zu bringen, welcher in Sizilien und dem Herzogtum seines Schwagers seine Stütze finden sollte.

So riefen die Zustände Italiens Karl zum drittenmal in dieses Land. Er kam mit seinem Weibe Hildegard und seinen Söhnen Karlmann und Ludwig zur Weihnachtszeit 780 nach Pavia, zu Ostern des folgenden Jahrs (am 15. April 781) wiederum nach Rom. Der Papst taufte in der Kapelle der Petronilla Karlmann auf den Namen Pippins, seines Großvaters, und nannte sich seitdem Gevatter Karls. Er salbte am Osterfest Ludwig als König von Aquitanien, Pippin als König von Italien, wodurch Karl aussprach, daß er das gesamte Land zu einem einigen Reiche neu einzurichten beschlossen habe. Dies aber zerstörte die Hoffnungen der Päpste, für welche die Schenkung Constantins vergeblich erdichtet worden war. Überhaupt scheint während der Anwesenheit Karls ein neuer Vertrag mit dem Papst gemacht worden zu sein, wodurch der Inhalt der Pippinischen Schenkung beschränkt wurde.

Der König unternahm keinen Kriegszug nach Benevent, sondern er kehrte nach Franzien über Pavia zurück, wo Pippin seine Residenz nahm, und Arichis, welcher jetzt die fränkische Oberhoheit anerkannte, fuhr fort, den Papst durch seine Verbindungen mit den Griechen zu ängstigen. Seither vergingen fünf Jahre, die in bezug auf die Verhältnisse Roms zu Benevent dunkel sind, bis Karl im Herbst 786 zum viertenmal nach Italien kam. Nachdem er das Weihnachtsfest in Florenz gefeiert hatte, zog er im Frühjahr 787 in Rom ein. Jetzt aber bewogen ihn die Bitten Hadrians und die Rücksichten auf seine eigene Stellung als Beherrscher Italiens, gegen Benevent zu ziehen. Arichis, welcher gerade mit Neapel im Kriege begriffen war, versuchte ihn aufzuhalten, indem er seinen Sohn Romuald mit reichen Geschenken nach Rom schickte. Der König behielt den Prinzen bei sich, und die Franken drangen bis Capua vor. Nun warf sich Arichis nach Salerno, aber unfähig, der Macht Karls lange zu widerstehen, schloß er unter Vermittlung seiner Bischöfe Frieden. Er verpflichtete sich zu einem jährlichen Tribut von 7000 Goldsolidi und zur Auslieferung seines Schatzes und seines Sohnes Grimoald als Geisel, worauf die Franken ihren Rückmarsch von Capua antraten.

Als nun Karl zum drittenmal das Osterfest in Rom feierte, war dies eine passende Gelegenheit, dem ländergierigen Apostelfürsten eine neue Schenkung darzubringen. Dante hat den Kaiser Constantin für den Gründer des Kirchenstaats gehalten, obwohl er selbst weder an den Rechtsbestand noch an die Echtheit der Schenkung glaubte, aber eher hätte er Karl den Großen tadeln müssen, weil gerade dieser Monarch die Kirche mit so viel Land ausgestattet hat. Nach eigenen Briefen Hadrians ist es unzweifelhaft, daß ihm damals mehrere Städte im Beneventischen geschenkt worden sind. Er nennt als solche ausdrücklich die alte, berühmte Stadt Capua; die andern Orte waren wohl Teano, Sora, Arce, Aquino und Arpinum. Trotzdem ist es nicht zu erweisen, daß der Papst jemals in ihren wirklichen Besitz gelangte; die Boten Karls überlieferten ihm nach seinem eigenen Geständnis nur die Klöster, die bischöflichen Gebäude und dem Staat gehörigen Höfe ( curtes publicae); sie händigten ihm die Schlüssel der Städte ein, doch sie verwehrten ihm, deren Bewohner als seine Untertanen zu betrachten.

Diese Schenkung zerfiel vollends in nichts, als Arichis nach der Entfernung Karls seinen Vasalleneid brach, sich wieder mit Adelgis verband und beim Kaiser Constantin Hilfe suchte. Der junge Constantin VI. war der Sohn Leos IV., eines nicht fanatischen Bilderstürmers, welcher im Jahre 780 die Vormundschaft des Prinzen seiner Mutter Irene überlassen hatte. Diese Griechin hatte aus ihrer Vaterstadt Athen die Neigung zum Bilderdienst mit auf den Thron gebracht und auch während der Minderjährigkeit ihres Sohnes die Mittel gefunden, ihn im Orient wieder einzuführen. Auf der zweiten Kirchenversammlung zu Nicaea im Herbst 787 wurde der Bilderkultus feierlich hergestellt, und derselbe Papst, welcher sich und Italien vom Byzantinischen Reiche losgelöst und den Franken anbefohlen hatte, sogar ehrfurchtsvoll nach Konstantinopel eingeladen. Ein halbes Jahrhundert lang hatten die griechischen Kaiser gegen die Verehrung der Heiligenbilder gekämpft; diese rühmlichen Regungen der Vernunft in einem vom tiefsten Aberglauben bedeckten Jahrhundert erstarben nach und nach, bis die List eines bigotten und herrschsüchtigen Weibes den Sieg gewann. Irene wurde in den Kalender der Heiligen eingetragen, doch in Wahrheit erschien sie vor dem Tribunal Gottes als Mörderin ihres eigenen Sohns.

Der heftige Streit, durch welchen Rom den Griechen verlorenging, war demnach geschlichtet, aber Italien blieb im Besitze des Frankenkönigs, und Irene wünschte deshalb mit dem mächtigsten Fürsten des Abendlandes eine verwandtschaftliche Verbindung einzugehen, welche ihren Thron würde befestigt haben. Im Jahre 781 war zwischen Constantin VI. und Karls Tochter Rotrudis durch byzantinische Gesandte in Rom ein Verlöbnis geschlossen worden; aber dieses mußte bereits aufgelöst sein, als Arichis das Bündnis mit dem Kaiser Constantin nachsuchte. Der Papst teilte die Kunde davon dem Frankenkönig mit und versicherte ihm, Arichis habe von Byzanz den Titel eines Patricius und den Dukat Neapel begehrt, unter dem Versprechen, die Oberhoheit des Kaisers anzuerkennen und sich fortan wie die Griechen kleiden und scheren zu wollen; der Kaiser habe bereits zwei Spathare nach Sizilien geschickt, ihn zum Patricius zu machen, zu welchem Zweck sie goldgestickte Kleider, ein Schwert, Kamm und Schere mit sich gebracht hätten.

Der plötzliche Tod des Herzogs vereitelte jedoch die Ausführung dieses Plans. Die Beneventer baten hierauf Karl, ihnen den Prinzen Grimoald, den er als Geisel mit sich genommen hatte, zum Fürsten zu geben, und trotz der Beschwörungen und Warnungen Hadrians willfahrte ihnen der König. Grimoald II. unterwarf sich anfangs aus Not den Geboten Karls; er vereinigte sich sogar mit den Truppen Pippins gegen Adelgis, der im Jahre 788 wirklich in Kalabrien gelandet war, um dem früheren Abkommen gemäß die Krone Italiens wiederzuerobern. Der unglückliche Sohn des Desiderius kehrte hoffnungslos nach Byzanz zurück, wo er im Kummer alt ward und als Patricius starb. Die Pläne zur Wiederherstellung des alten Langobardenreichs waren vereitelt; dieses setzte sich nur in den Herzögen von Benevent fort, wo Grimoald im Geiste seines Vaters zu regieren begann; er vermählte sich mit einer griechischen Prinzessin und schloß ein enges Bündnis mit dem byzantinischen Hof. Aber weder seine noch seines Nachfolgers Grimoald III. Kriege mit dem Könige Pippin gehören dieser Geschichte an.


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