Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Viertes Kapitel

1. Alarich nimmt Rom ein am 24. August 410. Die Stadt wird geplündert. Eine Triumphszene der christlichen Religion. Schonung und Milde der Goten. Alarich zieht nach drei Tagen ab.

Die Goten umlagerten die Stadt an allen Toren, wie sie es zuvor getan hatten, und Alarich richtete seine Aufmerksamkeit gegen die Porta Salara seitwärts vom Pincius, vor welcher er, wahrscheinlich, weil dort die Mauern schwächer waren, sein Hauptquartier aufzuschlagen hatte. Er bezog dies in dem alten Ort Antemnae, welcher auf dem Hügel oberhalb der Salarischen Brücke gelegen war, damals schon im tiefen Verfalle sein mußte und wahrscheinlich während dieser gotischen Belagerung ganz in Ruinen versank. Wir haben weder von den Verteidigungsanstalten der Römer noch von der Dauer der Belagerung genaue Kunde. Alarich scheint keinen Sturm unternommen, sondern ruhig abgewartet zu haben, was die Hungersnot und sein Einverständnis mit Arianern und Heiden in der Stadt bewirken würden; und dieses mußte ihm durch die große Menge der übergelaufenen Sklaven sehr erleichtert werden. Rom fiel ohne Zweifel durch Verrat. Aber so sehr hatte sich in hundert Jahren die Erinnerung an die Art, wie Alarich die Stadt gewann, aus dem Gedächtnis der Menschen verloren, daß sich der griechische Geschichtschreiber Procopius die unwahrscheinlichsten Sagen davon berichten ließ. Er erzählt, Alarich, sich stellend, als wolle er die Belagerung aufheben und abziehen, habe 300 edle gotische Jünglinge den Senatoren als Pagen übersandt, mit der Bitte, sie als ein Zeugnis seiner Verehrung für sie und ihre Treue am Kaiser bei sich zu behalten, und diesen Jünglingen habe er heimlich befohlen, zur Mittagszeit eines vorgeschriebenen Tages die Wachen an der Porta Salara niederzuhauen und das Tor aufzureißen, was denn auch geschehen sei. Procopius bemerkt, daß noch ein anderer Bericht über die Einnahme Roms in Umlauf gewesen sei, wonach die edle Faltonia Proba (sie war Witwe des berühmten Sextus Anicius Probus) in Verzweiflung über die Not des Volks, welches der Hunger zu Kannibalen zu machen drohte, die Goten eingelassen hatte. Diese Fabel entstand sicherlich infolge der Unterhandlungen der reichen und mächtigen Frau mit Alarich, wodurch sie den König bewog, das Leben der Römer und die Kirchen zu schonen.

Nicht einmal das Jahr der Einnahme Roms ist unbestritten gewiß: die Angaben der Geschichtschreiber schwanken zwischen 409 und 410. Ihr Datum verlor sich in der Verwirrung der Zeit, aber spätere Chroniken geben mit Bestimmtheit den 24. August 410 als den Tag des Falls der Stadt an, und dies muß festgehalten werden.

Es war Nacht, als die Goten durch das Salarische Tor eingelassen wurden. Kaum waren ihre ersten Scharen eingedrungen, als sie Feuer auf die Häuser in der Nähe dieses Tores warfen; indem sich der Brand in den dortigen engen Straßen weiterwälzte, ergriff er auch die Anlagen des Sallust. Die schönen Paläste des Geschichtschreibers der Kriege Jugurthas und der Verschwörung Catilinas, in denen einst der Kaiser Nerva gestorben war, dienten der Plünderung Roms als erste Fackel.

Der heroische Fall der Städte Karthago, Jerusalem und Syrakus war ein ihrer Größe würdiges Ende; aber der schmachvolle Fall Roms unter das Schwert Alarichs erschreckt durch das Schauspiel der tiefsten Verkommenheit des einst gewaltigsten Heldenvolks der Erde. Nirgends Widerstand, nur Flucht, Mord, Plünderung und greuliche Verwirrung, welche darzustellen kein Augenzeuge gewagt hat.

Die Barbaren ergossen sieh durch alle Viertel Roms, jagten die Schwärme der Flüchtlinge vor sich her und metzelten sie nieder. Sie stürzten sich mit bestialischer Furie auf die Stadt zur Plünderung. Indem sie in dem ersten Triebe nach Gold Paläste und Thermen, Kirchen und Tempel angriffen, entleerten sie Rom mit der Hast von Räubern wie eine Schatzkammer. Der trunkene Hunne hielt sich nicht bei der Betrachtung der Kunst auf, welche alexandrinische Meister für den feinsten Luxus der Frauen Roms verwandt hatten, noch verstand er den Gebrauch und Sinn so vieler unschätzbarer Werke vielleicht noch hellenischer Arbeit und so vieler Kostbarkeiten, welche die Ahnen der Geplünderten einst im fernen Palmyra, in Assyrien und Persien mit gleich räuberischer Kriegswut erbeutet hatten. Die Plünderer ergriffen diese Schätze, nachdem sie zuvor den zitternden Schlemmer Fabunius oder Reburrus niedergestoßen und die Besitzerin in ihrer brutalen Umarmung erstickt hatten. Viele Römer hatten während der Belagerung ihre Reichtümer versteckt, weshalb sich seither mancherlei Sagen von vergrabenen Schätzen in Rom bilden mochten, aber die meisten werden sie unter den Martern ihrer entlaufenen Sklaven, der rachsüchtigen Angeber des Besitztums ihrer Tyrannen, preisgegeben haben. Kaum konnte in einer Stadt der Welt je eine reichere Beute dem Feinde zugefallen sein; sie war in der Tat unermeßlich, ja unglaublich groß, wie der Zeitgenosse Olympiodorus gesagt hat. Noch vier Jahre nach dieser Plünderung mußte die Prinzessin Placidia als Braut Athaulfs über sie erröten, da fünfzig gotische Jünglinge in seidenen Gewändern vor ihr standen und ihr als Brautgeschenk hundert teils mit Goldstücken, teils mit Edelsteinen gefüllte Schalen lächelnd darhielten, Schätze, die samt und sonders in ihrer geplünderten Vaterstadt Rom waren erbeutet worden.

Alarich hatte seinen Kriegern volle Plünderungsfreiheit gegeben, aber ihnen Schonung des Lebens der Einwohner anbefohlen und die Kirchen, vor allem die Basiliken der beiden Apostel, zu Freistätten erklärt. Die Goten gehorchten, soweit dies die blinde Beutewut gestattete. Nach Gold suchend, drangen sie in die Häuser, und das ärmliche Kleid der jammernden Bewohner dünkte ihnen nur die Maske versteckten Reichtums. Hieronymus beseufzte die Geißelschläge, welche seine fromme Freundin Marcella erlitt; sie befand sich in ihrem Hause auf dem Aventin, als die wilden Schwärme des Feindes dort eindrangen. Die erste Nonne Roms aus adeligem Geschlecht zeigte ihr unscheinbares Bußgewand; unter den wütenden Schlägen der Peiniger umfaßte sie deren Knie und bat nur, die Tugend ihrer Pflegetochter Principia zu schonen. Die Herzen der Barbaren wurden weich; sie führten die frommen Weiber in das Asyl von St. Paul. Aber andere, eifrige Arianer oder noch Götzendiener, machten sich kein Gewissen daraus, die Frauenklöster zu sprengen und die unglücklichen Nonnen gewaltsam von dem Gelübde der Jungfrauschaft zu befreien. Ein Geschichtschreiber sagt ausdrücklich, die Barbaren hätten nur die Heiligtümer des St. Petrus geschont, sonst alles ohne Unterschied geplündert. Der Bischof Innocenz, damals flüchtig in Ravenna, hatte dem Apostelfürsten den Schutz seiner Basiliken übertragen, und was der Edelmut Alarichs und seine Achtung vor der Religion Christi bewirkte, konnte er aus der sichern Ferne als offenbare Wunderwirkung der Märtyrer preisen.

Auf dem Hintergrunde dieser Greuel glänzt eine Szene der Menschlichkeit, bei welcher die Geschichtschreiber um des Gegensatzes willen oder aus christlicher Frömmigkeit länger verweilt haben als bei der Schilderung der Zustände des geplünderten Rom. Ein Gote drang in das Haus einer frommen Jungfrau, welche er einsam, wehrlos und furchtlos einen aufgehäuften Schatz von kostbaren Gefäßen hüten fand. Im Begriff, auf diese Beute sich zu stürzen, schreckten ihn die ruhigen Worte der Frommen zurück, daß er tun möge, was seines Willens sei, denn diese Schätze seien Eigentum des Apostels Petrus, und der Heilige werde den Tempelräuber zu bestrafen wissen. Der Barbar hätte seine Hand eher nach glühenden Kohlen ausgestreckt: er trat zurück, und nachdem er dem Könige Alarich von dem Vorfall Kunde gegeben, erhielt er den Befehl, sowohl die Weihgeschenke des Apostels als ihre Hüterin unter sicherer Bedeckung nach dem St. Peter zu geleiten. Als diese seltsame Schar von Plünderern, Kelche, Lampen, Kreuze, die von Smaragden und Hyazinthen funkelten, vor sich hertragend, fortzog, verwandelte sie sich alsbald in eine Prozession. Die fliehenden Christen, Frauen, ihre Kinder an der Hand, wehrlose Greise und Männer, von panischem Schreck erfaßte Heiden, mit ihnen allen friedlich gemischt Barbaren, deren Waffen und Kleider vom Blute trieften und auf deren Gesichtern die bestialische Leidenschaft mit plötzlicher Glaubensandacht kämpfte, schlossen sich aneinander, und indem sie zum St. Peter zogen, durchbrachen sie das wüste Gelärm der Plünderung durch die feierlichen Töne eines Hymnus, und sie boten ein Gemälde von Kontrasten dar, welches fromme Kirchenväter nicht mit Unrecht als einen Triumphzug der christlichen Religion verherrlicht haben.

Es war nicht das einzige Schauspiel der Zurückhaltung von Barbaren. Die Goten, als arianische Ketzer von den Römern verabscheut, als Feinde, die mehrmals zuvor empfindlich geschlagen worden waren, und als Rächer ihrer Nation erbittert, ließen freilich ihre Wut gegen eine Stadt aus, deren kraftlos gewordenes Volk sie verachteten. Unter ihren Schwertern und denen zumal der heidnischen Hunnen, Skiren und Alanen und der befreiten Sklaven wurden Tausende in und außerhalb Rom niedergemacht, so daß es, wie Augustinus klagte, an Händen fehlte, die Leichen zu begraben. Und dennoch war Rom, auf gänzlichen Untergang wie Jerusalem oder Ninive gefaßt, so tief herabgesunken, daß es Grund hatte, die Schonung des Feindes zu preisen. Selbst einige unter jenen Geschichtschreibern, die über das vergossene Blut schaudern, zählen mit Freuden die nur wenigen Leichen der Senatoren, und sie erinnern, zur Milderung dieser Schrecken, an das weit entsetzlichere Unheil der Stadt, welches sie einst durch die nichts verschonenden Gallier des Brennus erlitten hatte.

Die auffallende Kürze der Zeit, welche Alarich der Plünderungslust seiner Krieger verstattete, kürzte auch die Greuel ab und milderte sie zugleich durch Hast, weil die Räuber die ihnen erlaubte Frist ausschließlich zum Beutemachen verwendeten. Vielleicht war es Ehrfurcht vor der Größe und Heiligkeit Roms, welche den König, der einst auch Athen verschont hatte, zum Eilen trieb, und wenn solche Empfindungen vormals das Gemüt des Persers Hormisdas erschüttert hatten, so mußten sie um so mächtiger auf einen Helden wirken. Beim Anblick der Hauptstadt der Welt, welche geschändet ihm zu Füßen lag und von deren Säulen so viele Heroengestalten auf ihn niederblickten, mußte Alarich des großen Stilicho gedenken, der ihn einst aus Hellas vertrieben und in Italien zweimal geschlagen hatte, bei dessen Leben er Rom nie würde betreten haben. Aber sicher war es außer der Furcht, seinen Ruf durch barbarische Mißhandlung Roms zu brandmarken, eine politische Rücksicht, die ihn trieb, schon nach drei Tagen die Goten von der geplünderten Stadt nach Kampanien abziehen zu lassen, indem er die unberechenbare Beute auf langen Wagenzügen, eine große Zahl von Gefangenen und Placidia selbst, die Schwester des Honorius, mit sich führte.


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