Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2. Johann X. Seine Vergangenheit. Er verdankt die Tiara der Römerin Theodora. Deren Gemahl Theophylactus, Konsul und Senator der Römer. Der Emporkömmling Alberich. Sein Verhältnis zu Marozia. Theodora und Marozia.

Die Vergangenheit Johanns X. ist zum Teil in das Dunkel zweifelhafter Gerüchte gehüllt: diese aber entstammen den Erzählungen des Lombarden Liutprand, welcher erst im Pontifikat Johanns geboren wurde und dessen leichtfertiges Wesen seine Glaubwürdigkeit mindert. Er erzählt, daß der Erzbischof von Ravenna öfters seinen Presbyter Johann in kirchlichen Angelegenheiten nach Rom geschickt habe und dieser hier der Geliebte einer vornehmen Römerin Theodora wurde. Bald darauf zum Bischof von Bologna befördert, sei er nach dem Tode jenes Metropoliten auf dessen Stuhl gestiegen; aber Theodora habe ihn aus Ravenna nach Rom gerufen und zum Papst gemacht. Johannes, der Tradition nach im Kastell Tossignano bei Imola geboren, begann allerdings seine Laufbahn in Bologna, dessen Bischof Petrus ihn zum Diaconus machte. Er wurde sein Nachfolger, wie es heißt, auf gewaltsame Weise. Als ein ehrgeiziger und gewandter Mann erlangte er nach dem Tode des Erzbischofs Kailo den Sitz in Ravenna, den er jedoch neun Jahre lang, und nicht unrühmlich, einnahm, ehe er Papst wurde. Er stieg hierauf wider den Konzilienbeschluß Johanns IX. von einem Bistum auf den Stuhl Petri. Das war unkanonisch, doch es schändete ihn nicht; wenn er aber wirklich der Geliebte eines schönen Weibes wurde, was nicht völlig erwiesen ist, so genoß er solche Gunst nicht als der einzige unter den Päpsten vor und nach seiner Zeit. Die in Rom herrschende Adelspartei, welcher Theodora angehörte, rief Johann und verlieh ihm, den Widerstand des Klerus und der Gegenpartei besiegend, die Papstkrone. Einem mächtigen Weibe verdankte er den Apostolischen Stuhl, aber die näheren Umstände kennen wir nicht.

Theodora, eine schöne und kühne Römerin aus uns unbekannter Familie, steht plötzlich in der Finsternis jener Zeit als eine geheimnisvolle Gestalt da, die Stadt, wie Liutprand sagt, nicht unmännlich als Alleinherrin behauptend. Sie fordert uns auf, den Ursachen nachzuforschen, durch welche ein Weib gleichsam über Nacht zu solcher Größe gelangen konnte. Ihr Gemahl war Theophylactus, päpstlicher Vestararius, Magister Militum, Konsul und Dux, ein Mann vom höchsten Adel Roms. Im Jahre 901 begegnete er uns zuerst unter den römischen Richtern Ludwigs III.

Sein überall in Italien, wo die Griechen herrschten oder geherrscht hatten, häufiger Name, wie der seines Weibes Theodora, zwingt an sich nicht, auf griechische Ahnen zu schließen. Byzantinische Namen waren seit Jahrhunderten in Rom gewöhnlich; im X. Säkulum finden sie sich in manchen Diplomen, und Dorothea, Stephania, Anastasia, Theodora erscheinen so häufig wie Theodor, Anastasius, Demetrius oder Sergius, Stephan und Constantin. Diese Namengebung war nicht nur ein Nachklang byzantinischer Zeit, sondern im X. Jahrhundert vielleicht eine Art legitimistischer Renaissance oder vornehmer Mode in Rom. Der Adel demonstrierte damit gegen das germanische Kaisertum. Zugleich beweisen jene Namen, daß die nationalen Vorstellungen der Römer damals noch schwach waren; denn kein Scipio, Caesar und Marius taucht unter ihnen auf, sondern wo die Namen lateinisch sind, hat man sie Heiligen wie Benedikt, Leo und Gregor entlehnt. Kaum aber war die Stadt in die Gewalt eines Adelsfürsten gekommen, so erschien sofort der Name des ersten römischen Kaisers Oktavian als der seines eigenen Erben.

Theophylakt gewann am Anfange des X. Jahrhunderts eine große Macht. Wenn er im Jahre 901 nur mit den übrigen Edlen, als der zweite in ihrer Reihe genannt wurde, so muß er schon in der letzten Zeit Sergius' III. oder unter dessen schwachen Nachfolgern den Titel »Konsul oder Senator der Römer« vorzugsweise geführt haben. Sein Weib Theodora besaß neben ihm allmächtigen Einfluß auf das Papsttum und die Stadt. Im Jahre 915 wird sein Sohn als Sohn nicht eines mit Namen benannten Konsuls, sondern des Konsuls schlechtweg bezeichnet und neben dem Bruder des Papsts aus allen andern Römern hervorgehoben.

Wir können die Ansicht nicht durch Tatsachen erweisen, daß die Römer damals jährlich Konsuln erwählt und an die Spitze ihrer Munizipalverwaltung gestellt haben, aber sicherlich erfuhr die Stadt seit dem Sturz des karolingischen Reichs eine innere Umwandlung. Ihr Regiment war in die Hände der Laien ( iudices de militia) gekommen, die Prälaten ( iudices de clero) waren zurückgedrängt worden. Die von der kaiserlichen Gewalt befreite Aristokratie zwang dem Papst größere Freiheiten ab, indem sie bei allen politischen Angelegenheiten mitregierend auftrat. Der alte Senat schien schon jetzt in diesem Stadtadel wieder zu erwachen und der Patriziat, ein traditioneller wichtiger Begriff für das weltliche Rom, war nach dem Falle des Imperium zu den mächtig gewordenen sogenannten Konsuln Roms zurückgekehrt, denn ihre Familien strebten danach, dieses Amt an sich zu nehmen und erblich zu machen. Ein »Konsul der Römer« wurde aus der Mitte des Adels als dessen Princeps erwählt, vom Papst bestätigt und wie ein Patricius an die Spitze der Gerichtsbarkeit und Stadtverwaltung gestellt. Außer Consul Romanorum wurde das Haupt der Aristokraten schon damals Senator Romanorum genannt. Als solcher begegnet uns Theophylakt, und diese seine Stellung erklärt allein die Macht Theodoras, der »Senatrix«, wie sie sich nannte. Sie war zugleich die Seele jener großen Adelsfamilie, und ihre Töchter Marozia und Theodora erbten von ihr die verführerischen Reize und den mächtigen Einfluß. Schon Sergius III. wurde nachgesagt, daß er die Liebe Marozias genossen und mit ihr den nachmaligen Johann XI. erzeugt hatte; endlich zog eben diese Römerin in die Familie Theophylakts einen Emporkömmling, dem sie dann den ersten weltlichen Fürsten Roms gebar.

Dieser Mann war Alberich, ein Neuling in der Stadt, wo vor ihm keiner seines echt germanischen Namens aufgetreten ist. Wir wissen nichts von seinen ohne Zweifel langobardischen Vätern, die im Spoletischen oder in Tuszien, vielleicht in Horta zu Hause sein mochten; aber er selbst erschien im Jahre 889 als Vasall unter den Fahnen Guidos, die er nachher verließ, um bei dem emporsteigenden Berengar sein Glück zu suchen. Er ähnelte in seiner Laufbahn den Glücksrittern des späteren Italiens, wie es der Ahnherr der Sforza in Mailand war. Er wurde Markgraf, vielleicht von Camerino, und schon im Jahre 897 trug er den Titel Marchio. Ob er sich auch in den Besitz des Herzogtums Spoleto setzte, nachdem der letzte Erbe des dortigen Hauses beseitigt war, ist ungewiß. In keiner Epoche durfte ein kühner Mann mehr hoffen, sich emporzuschwingen, als in jener Zeit, wo das italienische Faktionenwesen seinen Ursprung nahm, um dann als eine Pest des Landes sich zu verewigen. Alberich wurde plötzlich einer der mächtigsten Nachbarn Roms und trat bald handelnd in der Stadt auf. Bei den blutigen Unruhen, welche Sergius III. auf den Stuhl Petri brachten, wird er noch nicht genannt, aber der gefährliche Emporkömmling wurde in das Interesse der Partei Theophylakts verflochten. Er knüpfte mit Marozia ein Liebesverhältnis an und vermählte sich mit ihr. Dies muß vor 915 geschehen sein, und entweder Sergius III. oder Johann X. brachte diese Verbindung zustande, um einen zweideutigen Nachbarn in einen Freund zu verwandeln.

Theophylakt und sodann Alberich führten für Rom eine neue Epoche herbei, oder es waren vielmehr die Frauen beider, in deren Bann die Stadt geraume Zeit hindurch lag. In der Geschichte der Päpste, in welcher wie in einem Kloster oder Tempel nur heilige Frauen Zutritt haben sollen, nehmen sich freilich die Gestalten ränkevoller und üppiger Weiber profan genug aus. Man hat daher diese sehr unklare Periode Roms mit einem übertriebenen Ausdruck bezeichnet, den manche Schriftsteller aus kleinlicher Schadenfreude besonders betont haben, aber die römische Kirche jener Zeit ist auch entrüsteten Katholiken wie ein »Bordell« erschienen. Die unleugbare Tatsache, daß eine Weile Frauen die Papstkrone verliehen und Rom beherrschten, ist sehr entwürdigend für die damaligen Römer; allein statt diese Erscheinung unter das Vergrößerungsglas moralisierender Betrachtung zu stellen, ist es passender, sie als ein historisches Ereignis aufzufassen. Innerhalb eines halben Jahrtausends hat uns die Geschichte der Stadt keine hervorragenden Frauengestalten gezeigt; seit Placidia und Eudoxia sahen wir nur eine Gotin, Amalasuntha, doch nicht in Rom glänzen, und wir bemerkten nur einige heilige Nonnen von geistlichem Einfluß, wie die Freundinnen des Hieronymus oder die Schwester Benedikts. Im ganzen VII., VIII. und IX. Jahrhundert steht kein römisches Weib als eine auch nur flüchtiger Teilnahme werte Persönlichkeit da; das ist kein Wunder, weil Rom eine durchaus geistliche Stadt war. Indem nun am Anfange des X. Jahrhunderts plötzlich einige vornehme Frauen durch Schönheit, Macht und Schicksale hervortreten, zeigen sie einen veränderten Zustand bei den Römern an: nämlich die Schwächung der kirchlichen Elemente und das Übergewicht der weltlichen Gesellschaft. Es ist unnötig, daran zu erinnern, welche Stellung Weiber am bigotten Hof der Karolinger einnahmen, da die Lebensgeschichte der Waldrada uns noch lebhaft vor Augen steht. Dies Jahrhundert zeigte einen tiefen sittlichen Verfall. Auf den glänzenden Sieg, welchen Nikolaus I. im Namen des christlichen Moralgesetzes über die Begierden eines Königs erfochten hatte, antworteten Fürsten und Bischöfe mit alten und neuen Lastern. Dieselben Zustände der Zügellosigkeit finden sich in Rom und den Patrimonien, wo allerorten reiche und üppige Magnaten weltlicher oder geistlicher Art emporkamen. Aus solchem Zersetzungsprozeß der Gesellschaft erhoben sich auch jene Frauen, und nicht vereinzelt, denn wir werden zu gleicher Zeit andere schöne Weiber an der Spitze von Faktionen in Italien herrschen sehen. Eine Theodora oder Marozia des X. Jahrhunderts milderte nicht der äußerliche Glanz klassischer Bildung, wie er Lucrezia Borgia, die Tochter eines späteren Papsts, umgab; diese Römerinnen vermochten wahrscheinlich weder zu lesen noch zu schreiben, und in einer Zeit tiefster Barbarei der Sitten werden wir ihr Wesen danach abzumessen haben. Indes war dies schwerlich unmoralischer als jenes des raffinierten Zeitalters einer Katharina von Rußland oder einer Pompadour. Wir haben innerhalb des verkleinerten Kreises der römischen Welt in Theodora und Marozia keine neuen Messalinen zu suchen, sondern ehrgeizige Frauen von großem Verstande und Mut, herrschbegierig und genußsüchtig. Ihre auffallenden Erscheinungen durchbrechen seltsam genug die klösterliche Monotonie der Geschichte des Papsttums.


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