Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Drittes Kapitel

1. Friedrich entschließt sich, nach Deutschland zu gehen. Er kommt nach Rom. Er wird in Aachen gekrönt 1215. Er gelobt einen Kreuzzug. Lateranisches Konzil. Tod Innocenz' III. Sein Charakter. Weltherrliche Größe des Papsttums.

Der junge Erbfeind seines Hauses, welchen er schon vernichtet glaubte, erhob sich plötzlich, vom Papst heraufbeschworen, gegen Otto wie David gegen Saul. Ein seltsames Geschick berief Friedrich, den ersten und meistberechtigten jener drei Erwählten, zu allerletzt, in dem großen Kronstreit aufzutreten, das staufische Haus wiederherzustellen und ihm eine neue Größe zu geben. In der Hand Innocenz' III. waren jene Erwählten wie Figuren eines Schachspieles gewesen, die er eine gegen die andere und eine nach der andern ausspielte. Sie alle hatten die Unwürdigkeit empfunden, Diener eines fremden Willens sein zu müssen. Der Sohn Heinrichs VI. sog gegen die selbstsüchtige Politik der Priester einen tiefen Haß ein, der sein Leben beherrschte. Er vergaß es nie, weder daß er den Schutz der Kirche mit dem Lehnsverhältnis und dem Verlust kostbarer Kronrechte hatte erkaufen müssen, noch daß er vom Throne des Reichs ausgeschlossen wurde, als der Papst Otto IV. darauf berief.

Friedrich war unter den Ränken der Hofparteien aufgewachsen wie Heinrich IV. zu seiner Zeit, und gleich diesem Könige erwarb er die Kunst, die Menschen zu überlisten, im vollen Maß. Die Schlauheit, deren er sich später gegen die Kirche bediente, hatte er aus dem schwierigen Verhältnis gelernt, in welchem er zur römischen Kurie und deren Unternehmungen im Reich und in Sizilien seit seiner Kindheit stand. Ihre Staatskunst war seine eigene Schule.

Die Gegner Ottos riefen ihn nach Deutschland. Anselm von Justingen, einer dieser Abgesandten, kam nach Rom, wo er den Papst und die Römer bereit fand, die Ansprüche Friedrichs auf die römische Krone anzuerkennen; denn daß er solche überhaupt besitze, wurde plötzlich von Innocenz gleichsam entdeckt. Die Politik, die Feindin jeder idealen Größe und der religiösen wie philosophischen Tugend, zwang auch einen Mann gleich ihm, in das Gewöhnliche herabzusteigen, sich umzuwandeln und seine eigenen Ansichten zu verneinen. Denn nach ihnen sollte der letzte Hohenstaufe als Lehnsvasall der Kirche für immer in Sizilien exiliert und von den Reichsverhältnissen entfernt bleiben. Hielt es der Papst für möglich, die gefürchtete Vereinigung Siziliens mit Deutschland zu verhindern? Es scheint, daß er sich dieser Täuschung hingab. Der Augenblick, wo er den König Siziliens aufforderte, die römische Krone zu erobern, war einer der verhängnisvollsten in der Geschichte des Papsttums: aus ihm entsprangen ein die Kirche und das Reich zerstörender Kampf, dann die Herrschaft des Hauses Anjou, die Sizilische Vesper und das avignonesische Exil. Innocenz schmiedete das zweite, schärfere Schwert, welches die Kirche verwunden sollte. Die wiederholte Täuschung dieses Papsts, vor dessen Füße Könige als Vasallen ihre Kronen niederlegten, ist das demütigende Zeugnis von der blinden Unwissenheit auch der hervorragendsten Geister über die Gesetze und den Gang der Welt.

Als die schwäbischen Boten im Herbst 1211 zu Palermo erschienen, Friedrich die deutsche Krone anzubieten, erhoben sich die Königin und das Parlament gegen diese gefahrvolle Einladung. Die Sizilianer hatten zu viel durch Heinrich VI. gelitten, um nicht jedes Verhältnis zu Deutschland zu hassen. Friedrich selbst schwankte; dann beschloß er, sich kühn in die Woge einer unermeßlichen Zukunft zu werfen. Er war damals kaum 18 Jahre alt und seit dem August 1209 vermählt mit Konstanze, der Tochter des Königs Alfonso von Aragon, der kinderlosen Witwe Emmerichs von Ungarn. Seinen ihm kurz zuvor geborenen Sohn Heinrich ließ er zum Könige Siziliens krönen, gab seiner Gemahlin die Statthalterschaft, schiffte sich in Messina ein und eilte nach Rom, wo er im April 1212 vom Papst als erwählter König der Römer begrüßt wurde. Innocenz sah seinen mittellosen Schützling zum erstenmal und dann nicht wieder. Der Enkel des Helden Barbarossa stand als designierter Kaiser vor ihm; er war im edleren Sinne als Otto IV. seine Kreatur: das Geschöpf seiner Pflicht, sein adoptierter Sohn, für dessen Erhaltung er sich viele Jahre gemüht hatte. Wenn ihm Berichte diesen Jüngling als einen im Schwarm höfischer Troubadours schwelgenden Toren geschildert hatten, so wird sein scharfer Blick bald die angebotene Macht des Genies und den früh geübten Verstand im Sohne Heinrichs VI. erkannt haben. Man entwarf die Bedingungen, welche die Kirche an die Erhebung Friedrichs knüpfte, und vor allem wurde die Trennung Siziliens vom Reiche festgestellt. Der neue Kandidat für den Kaiserthron war dies unter Verhältnissen, welche denen Ottos IV. glichen, zum Unglücke des Reichs; denn dieselbe Fessel, die jener nur durch einen Meineid zerrissen hatte, wurde auch für Friedrich geflochten. Doch an seiner aufrichtigen Gesinnung zu jener Zeit, mitten unter begeisterten Hoffnungen einer großen Zukunft, kann nicht gezweifelt werden.

Der Papst entließ Friedrich in völliger Zufriedenheit und unterstützte ihn sogar mit Geldmitteln. Der junge Sizilianer, »das Kind von Apulien«, erreichte Deutschland, vom Glücke geführt. Der Ruhm seiner Ahnen öffnete ihm das Vaterland, obwohl er diesem völlig fremd war und die deutsche Sprache gar nicht oder kaum verstand. Die Freigebigkeit, mit der er Erbgüter seines Hauses und Reichslehen verschleuderte, gewann ihm die gierigen Großen, und die Gestalt des rauhen Welfenkaisers diente einem Jüngling zur Folie, welchen fremde Grazien auf einer klassischen Insel mit ihren schönsten Gaben geschmückt hatten.

Am 5. Dezember 1212 wurde Friedrich zu Frankfurt zum Könige gewählt, am 12. Juli 1213 leistete er, von fast ganz Deutschland anerkannt, den Schwur zu Eger, worin er die Zugeständnisse Ottos IV. an den Papst mit Zustimmung der Reichsfürsten erneuern mußte. Die Freiheit der Kirche im Geistlichen ward anerkannt; der innocentianische Kirchenstaat bestätigt; dem Reiche in jenen Landen nur das Foderum beim Krönungszuge behalten; die päpstliche Herrlichkeit über Apulien und Sizilien nochmals feierlich ausgesprochen.

Nach siegreichen Unternehmungen gegen den unglücklichen Gegner, dessen Ruhm überdies am 27. Juli 1214 auf dem Felde von Bouvines erlosch, wurde Friedrich II. am 25. Juli 1215 durch den Erzbischof Siegfried von Mainz, den Legaten des Papsts, in Aachen gekrönt. Der »Pfaffenkönig«, wie Otto IV. seinen Nebenbuhler nannte, nahm aus Unterwürfigkeit gegen die Kirche, vielleicht auch in ritterlich aufwallendem Gefühl, nach der Krönung das Kreuz zur Heerfahrt ins gelobte Land. Dies Gelübde, welches die Quelle großen Unheils für ihn werden sollte, war damals ernstlich gemeint, doch vielleicht war es seine Versicherung nicht mehr, Sizilien als Kirchenlehen von seiner eignen Krone zu trennen und nach erlangter Kaiserkrönung seinem Sohne Heinrich abzutreten.

Der deutsche Thronstreit wurde auf dem großartigen Konzil, welches Innocenz am 11. November 1215 im Lateran versammelte, endgültig entschieden. Die Advokaten Ottos und die Abgesandten Friedrichs empfingen das Urteil, daß jener verworfen, dieser anerkannt sei. Mehr als 1500 Prälaten aus allen Ländern der Christenheit, nebst Fürsten und Gesandten von Königen und Republiken knieten zu den Füßen des mächtigsten der Päpste, welcher als Gebieter Europas auf dem Weltthrone saß. Dies glänzende Konzil, der letzte feierliche Akt Innocenz' III., war der Ausdruck der neuen Kraft, welche Innocenz der Kirche gegeben, und der Einheit, worin er sie erhalten hatte. Der Schluß des Lebens dieses ungewöhnlichen Mannes war auch seine Höhe. Im Begriffe, sich nach Toskana zu begeben, um Pisa und Genua miteinander zu versöhnen und diese Seemächte für den Kreuzzug zu gewinnen, welcher der wichtigste Gegenstand jenes Konzils gewesen war, starb er zu Perugia am 16. Juni 1216, ohne zu lange für seinen Ruhm gelebt zu haben.

Innocenz III., der wahrhafte Augustus des Papsttums, nicht ein schöpferisches Genie wie Gregor I. und Gregor VII., war doch einer der bedeutendsten Menschen des Mittelalters, ein ernster und gediegener, schwermütiger Geist, ein vollendeter Herrscher, ein Staatsmann von durchdringendem Verstande, ein Hoherpriester voll wahrhafter Glaubensglut und zugleich von unermeßlichem Ehrgeiz und von Furcht verbreitender Willenskraft; ein kühner Idealist auf dem Papstthron und doch ein ganz praktischer Monarch, ein kalter Jurist. Das Schauspiel eines Mannes, der in ruhiger Majestät die Welt auch nur einen Augenblick lang wirklich nach seinem Willen richtet, ist erhaben und wundervoll. Dem Papsttum gab er durch die kluge Ausbeutung der geschichtlichen Verhältnisse, durch die geschickteste Anwendung von kanonischen Gesetzen und Erdichtungen und die Leitung des religiösen Gefühls der Massen eine so gewaltige Kraft, daß es in seiner Machtströmung die Staaten, die Kirchen und die bürgerliche Gesellschaft unwiderstehlich mit sich fortriß. Seine durch priesterliche Ideenmacht allein bewirkten Eroberungen waren wie die Hildebrands staunenswert im Verhältnis der Kürze seiner Regierung: Rom, der Kirchenstaat, Sizilien; Italien ihm untertan oder als seinem Protektor zugewandt; das Reich über die Alpen zurückgedrängt und unter den päpstlichen Richterspruch gebeugt. Deutschland, Frankreich und England, Norwegen, Aragon, Leon, Ungarn, das ferne Armenien, die Königreiche in Ost und West hatten das richterliche Tribunal des Papsts anerkannt. Der Prozeß um die verstoßene dänische Ingeborg bot Innocenz die Gelegenheit, den mächtigen König Philipp August dem Kirchengesetz zu unterwerfen, und ein Investiturstreit machte ihn zum Lehnsherrn von England. Seine meisterhafte Unternehmung gegen den englischen König, dessen Kronrecht er Gewalt antat, seine Anmaßung, das freie England einem fremden Fürsten, Philipp August, zu übertragen, das straflose Spiel, welches er mit diesem Monarchen selbst zu treiben wagte, seine Erfolge und Siege sind Dinge, die in Wahrheit ans Wunderbare grenzen. Der elende Johann legte in sklavischer Furcht seine Krone öffentlich nieder und empfing sie als tributbarer Vasall des Heiligen Stuhls aus den Händen Pandulfs, eines einfachen Legaten von ganz antikem Römerstolz und Römermut. Die berühmte Szene in Dover erinnert durchaus an Zeiten des alten Rom, wo entfernte Könige auf Befehl von Prokonsuln ihre Diademe niederlegten oder aufnahmen. Sie glänzt in der Geschichte des Papsttums wie die Szene in Canossa, deren Seitenstück sie war. Sie hat England tief gedemütigt; aber kein Volk erhob sich so schnell und so rühmlich aus der Demütigung als diese mannhafte Nation, welche ihrem feigen Tyrannen die Magna Charta abzwang, die Grundlage aller politischen und bürgerlichen Freiheit in Europa.

Das Glück Innocenz' III. war grenzenlos. Alle Verhältnisse der Welt wirkten auf den einen Zeitpunkt, wo dieser Papst erschien und durch sie mächtig wurde. Selbst die kühnen Träume Hildebrands, die griechische Kirche den Gesetzen Roms zu unterwerfen, sah er wirklich werden, weil nach der Eroberung von Konstantinopel durch die lateinischen Kreuzfahrer der römische Ritus in die byzantinische Kirche eingeführt ward. Nie mehr hat ein Papst ein so hohes und doch so reelles Bewußtsein seiner Macht gehabt als Innocenz III., der Schöpfer und Vernichter von Kaisern und Königen. Kein Papst kam dem kühnen Ziele Gregors VII. so nahe, Europa zu einem römischen Lehen, die Kirche zur Verfassung der Welt zu machen. Die lange Reihe seiner Vasallen eröffneten Könige, ihnen folgten Fürsten, Grafen, Bischöfe, Städte und Herren, die alle von diesem einen Papst Lehnsbriefe trugen. Er umgab die Kirche mit Terrorismus: der Schrecken, den das absolute Machtgebot Roms zur Zeit Neros und Trajans in der Menschheit verbreitete, war nicht größer als die knechtische Ehrfurcht der Welt vor der milden Ermahnung oder dem drohenden Donnerkeil des Römers Innocenz III., des majestätischen Priesters, welcher den bebenden Königen in der Sprache des Alten Testaments sagen durfte: »Wie in der Bundeslade Gottes die Rute neben den Tafeln des Gesetzes lag, so ruht auch in der Brust des Papsts die furchtbare Macht der Zerstörung und die süße Gnadenmilde.« Der Heilige Stuhl wurde durch ihn der Thron der dogmatischen und kirchenrechtlichen Gewalt, das politische Völkertribunal Europas. Während seiner Epoche anerkannte der Westen und Osten, daß der Schwerpunkt aller sittlichen und politischen Ordnung in der Kirche, dem moralischen Universum, und ihrem Papste sei. Dies war die günstigste Konstellation, in welcher sie jemals in der Geschichte erschienen ist. Das Papsttum kulminierte in Innocenz III. auf einer schwindelerregenden und unhaltbaren Höhe.


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