Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Drittes Kapitel

1. Octavianus folgt Alberich in der Gewalt. Er wird Papst im Jahre 955 als Johann XII. Seine Ausschweifungen. Er verläßt die Politik seines Vaters. Die Lombarden und Johann XII. rufen Otto I. Sein Vertrag mit dem Papst und sein Schwur. Seine Kaiserkrönung in Rom am 2. Februar 962. Charakter des neuen Römischen Imperium deutscher Nation.

Nach dem Tode Alberichs wurde der junge Oktavian, welcher sein Sohn von Alda war, ohne Widerspruch als Princeps und Senator aller Römer anerkannt. Er setzte demnach die weltliche Regierung seines Vaters in den hergebrachten Formen fort. Wir besitzen keine römischen Münzen seiner Epoche, aber sicherlich hat auch er sie geprägt und mit seinem Namen und seinem Titel Princeps bezeichnet. Er zählte kaum mehr als 16 Jahre, als er Rom beherrschen sollte. Aus Stolz und Ehrgeiz hatte ihm sein Vater den Namen Oktavian gegeben und damit vielleicht die kühne Hoffnung ausgesprochen, das Kaisertum an seinen Stamm gelangen zu sehen. Er täuschte sich darin; denn während des Pontifikats des Agapitus fanden die päpstlichen Ansprüche wieder mehr Anhänger, und aus der Ferne drohte die deutsche Macht. Alberich selbst bestimmte seinem Sohn die Papstkrone, die er mit der weltlichen Gewalt wieder vereinigen sollte; er lenkte so die Geschichte Roms in die alte Bahn zurück.

Der junge Princeps der Römer wurde wirklich schon nach einem Jahr Papst, da Agapitus II. im Herbst 955 gestorben war. Kein Geschichtschreiber außer dem Chronisten vom Soracte hat bemerkt, daß er eine geistliche Erziehung genossen hatte, und wir wissen nicht, ob er vor seiner Erhebung auf den Heiligen Stuhl irgendeine kirchliche Würde bekleidet hat. Er vertauschte seinen fürstlichen Namen Oktavian mit dem Johanns XII. Seither, so sagt man, wurde die Änderung des Familiennamens bei den Päpsten zur Regel. Indem nun der Erbe Alberichs beide Gewalten wieder vereinigte, hatte die Revolution von 932 kein anderes Resultat als die Erhebung des herrschenden Adelsgeschlechts auf den Stuhl Petri, welchen es zu seinem Erbgut zu machen hoffte. Die fürstlichen Neigungen Johanns waren indes mächtiger als seine geistlichen Pflichten; die zwei Naturen in ihm, die des Oktavian und jene Johanns XII., lagen in einem ungleichen Kampf. In so unreifer Jugend im Besitz einer Stellung, die ihm auf die Ehrfurcht der Welt Anspruch gab, verlor er die Besinnung und stürzte sich in die ausgelassenste Sinnlichkeit. Sein lateranischer Palast wurde zu einem Freudenhaus und Harem; die vornehme Jugend Roms war seine bevorzugte Gesellschaft. Caligula hatte einst sein Pferd zum Senator gemacht, und der Papst Johann XII. erteilte in einem Pferdestall einem Diaconus die Weihe, nachdem er vielleicht trunken von einem Gastmahl gekommen war, wo er mit heidnischem Humor den alten Göttern libiert hatte.

Die Zustände Roms während der ersten Jahre Johanns XII. erscheinen uns jedoch nur in undeutlichen Umrissen. Der unbesonnene Jüngling verließ das gemäßigte System seines Vaters; indem er als Fürst zugleich Papst war, wollte er etwas Großes unternehmen und seine Herrschaft bis tief in den Süden ausdehnen. Er machte einen Kriegszug gegen Pandulf und Landulf II. von Benevent und Capua mit den vereinigten Römern, Toskanern und Spoletinern, allein die Bewegung Gisulfs von Salerno zugunsten der Bedrohten zwang ihn zur Umkehr, worauf er mit diesem Fürsten in Terracina Frieden schloß. Die päpstliche Größe stachelte ihn; von seinem Vater hatte er einige Kühnheit, doch nicht Weisheit geerbt. Er wollte, ja er mußte als Papst den Umfang des Kirchenstaats herzustellen suchen. Um des Exarchats willen trat er unvorsichtig an die Spitze der deutschen Partei gegen Berengar; außerdem war sein Regiment in Rom selbst in Gefahr, denn die Römer fühlten die gewaltige Hand Alberichs nicht mehr. Die Politik des Vaters, sich durch Beschränkung zu behaupten, konnte der Sohn als Papst nicht fortfahren; so sank das Werk Alberichs zusammen, und Johann XII. sah sich endlich seiner weltlichen Provinzen wegen genötigt, den König Otto herbeizurufen. Als Oktavian wäre er in Rom vielleicht stark gewesen, aber als Johann XII. war er verhaßt und schwach. Hier zeigt es sich, wie seltsam die Vermischung zweier Naturen, des Königs und des Priesters, in den Päpsten auf ihre Stellung wirkte.

Damals hatten Berengar und Adalbert die Entfernung des in Deutschland durch Rebellion seiner Kinder und die Ungarn beschäftigten Königs Otto benutzt, sich die widerstrebenden Grafen und Bischöfe Lombardiens zu unterwerfen. Ihre Feinde von der deutschen Partei, namentlich der boshafte, und, wir wissen nicht wodurch, von Berengar beleidigte Liutprand, haben die Porträts dieser Fürsten mit den schwärzesten Farben gemalt; Willa, Berengars Weib, war wegen ihrer Habsucht verhaßt, aber jene Könige taten, um ihre Herrschaft zu sichern, nicht mehr, als was sich ihre Vorgänger oder später die deutschen Könige selbst erlaubten. Nach dem plötzlichen Tode Liudolfs, den sein Vater Otto nach Italien geschickt hatte, Berengar in Schranken zu halten, schien diesem nichts mehr zu widerstehen. Er bedrohte die Aemilia und Romagna, und Johann XII. war zu schwach, jene Patrimonien zu verteidigen. Der Sohn desselben Alberich, welcher einst Otto von Rom abgewiesen hatte, lud im Jahre 960 den deutschen König zu einem Romzug ein. Mit seinen Gesandten vereinigten sich die Boten vieler Grafen und Bischöfe Italiens, worunter Walbert, Erzbischof von Mailand, in Person zu Otto kam. Dasselbe tat Otbert, der Stammvater der Este.

Der deutsche König folgte den Einladungen Italiens, welche ihm die Kaiserkrone boten. Er nahm das Werk des kühnen Arnulf wieder auf. Zu Worms sicherte er erst seinem jungen Sohn die deutsche Nachfolge, dann stieg er mit einem furchtbaren Heer über Trento die Alpen herab. Während die von den Lombarden verlassenen Könige sich in ihren Kastellen hielten, feierte er in Pavia das Weihnachtsfest des Jahres 961, und nachdem er Hatto von Fulda vorausgeschickt, brach er selbst nach der ewigen Stadt auf. Am 31. Januar 962 erreichte er Rom, wo er sein Lager auf den Neronischen Wiesen bezog. Er war auf Grund eines Vertrages mit dem Papst gekommen; indem er die Pflichten des Schutzes und der Wiederherstellung der Kirche übernahm, wurden ihm mit einiger Beschränkung die Rechte des karolingischen Kaisertums geboten. »Wenn ich mit Gottes Willen nach Rom komme (so lautete sein Eid), will ich die Kirche und dich, ihr Oberhaupt, nach Kräften erheben; niemals sollst du mit meinem Willen oder Wissen an Leben und Gliedern oder deiner Würde gekränkt werden: in der römischen Stadt will ich kein Placitum oder Bestimmung über das treffen, was dir oder den Römern zusteht, ohne deine Genehmigung. Was vom Besitze St. Peters in meine Gewalt kommt, will ich dir zurückstellen. Wem auch immer ich das Königreich Italien übergebe, er soll schwören, daß er nach seinem Vermögen dir zur Verteidigung des Kirchenstaats ein Helfer sein werde.«

Otto begann demnach mit äußerster Vorsicht; man muß nicht vergessen, daß er die Römer Alberichs vor sich fand, welche sich so lange national regiert hatten. Wenn er nun jenen Schwur leistete, wodurch er als Kaiser der unbeschränkten Initiative, Placita zu halten, sich begab, so kam dieser Vertrag doch nicht einer Reichskonstitution gleich, die erst festzustellen war.

Am 2. Februar hielt Otto seinen feierlichen Krönungseinzug in die Leonina unter kaiserlichen Ehren. Nur die trotzigen Optimaten Alberichs hüllten sich in finsteres Schweigen; auf den Gesichtern dieser Römer, denen Freiheit und Gewalt zu nehmen er gekommen war, las er den mörderischen Groll, und ehe er sich zum Krönungsritt anschickte, sprach er zu Ansfried von Löwen, seinem Schwertträger, die Worte: »Halte, wenn ich heut am Apostelgrab kniee, dein Schwert immer über meinem Haupt, denn ich weiß wohl, daß meine Vorfahren die Treulosigkeit der Römer oft erfahren haben. Der Weise wendet das Unheil durch Vorsicht ab; wenn wir zum Mons Gaudii zurückkehren, dann magst du nach Gefallen beten.« Otto und Adelheid wurden mit nie gesehenem Pompe im St. Peter gekrönt. So war das Kaisertum nach einer Vakanz von 37 Jahren erneuert, der italienischen Nation entzogen und im fremden Stamm der Sachsenkönige hergestellt. Einer der größten Nachfolger Karls war von einem Römer gekrönt worden, welcher seltsamerweise den Namen Octavianus trug; aber diese folgenschwere Handlung entbehrte der wahren Würde und Weihe. Karl der Große hatte die Krone des Reichs aus den Händen eines ehrwürdigen Greises empfangen, Otto den Großen salbte ein zügelloser Jüngling. Indes, die Geschichte Deutschlands und Italiens lenkte mit dieser Krönung in neue Bahnen ein.

Als das Reich Karls geschaffen wurde, hatte es im Vorstellen der Menschen eine hohe Berechtigung; die große fränkische Monarchie, in welcher die Nationalitäten noch schwach nebeneinander standen, wurde als die neue christliche Republik aufgefaßt. Die Befreiung der Stadt von der Herrschaft der Byzantiner, die Notwendigkeit, dem furchtbaren Islam eine starke christliche Macht entgegenzustellen, und die Bedürfnisse des Papsttums hatten zur Gründung der karolingischen Reichsgewalt mitgewirkt. Aber dies theokratische Reich zerfiel durch den Drang seiner inneren Entwicklung. Die Gärung in der Gesellschaft, wo Altes und Neues, römische und germanische Elemente sich mischten, zersprengte das zweite Kaisertum; das Lehnswesen schuf aus Beamten lokale Erbfürsten, die weltlichen Gewalten wurden mit den geistlichen verbunden, eine fortdauernde Revolution des Besitzes und Rechts war im Körper der Monarchie erzeugt, und die Erbteilungen beschleunigten ihren Zerfall. Die Nationalitäten begannen sich heftig zu sondern; die Mitte Europas schied sich in zwei feindliche Gruppen, und nach 150 Jahren seines Bestehens war das Reich aufgelöst und in Zustände gebracht, welche denen der Zeit vor seiner Entstehung ähnlich sahen: Andrang neuer Barbaren, der Normannen, Ungarn, Slawen, Sarazenen; Verödung der Provinzen, Untergang der Wissenschaften und Künste; Barbarei der Sitten; Rückschritt der Kirche hinter die Zeit Karls, Schwächung des Papsttums, welches seine geistliche Macht und auch den von Pippin und Karl geschaffenen Staat verloren hatte; in Rom ein wildes Wesen der Adelsfaktionen, gefährlicher als zur Zeit Leos III. Die Italiener zwar hatten versucht, das römische Kaisertum national zu machen; aber dies Unternehmen war gescheitert, und das Papsttum selbst suchte nochmals seine Rettung in der Wiederherstellung der Reichsgewalt durch ein fremdes Fürstenhaus, welches fern von Italien und Rom blieb.

Das Römische Reich wurde jetzt durch die deutsche Nation erneuert, allein die Völker konnten nicht mehr ganz in den Ideenkreis der Zeit Karls zurückkehren. Zwar die Tradition des Imperium lebte noch kräftig fort; manche Stimme wurde in Deutschland laut, welche seinen Fall beklagte, seine Herstellung als eine Wohltat der Welt begehrte; doch die Ehrfurcht der Menschen vor diesem Institut war durch eine unselige Geschichte von anderthalb Jahrhunderten gemindert worden. Der einheitliche Zusammenhang der Monarchie Karls bestand nicht mehr; Frankreich, Deutschland und Italien waren schon getrennte Länder geworden, deren jedes auch in politischen Formen selbständig sich darzustellen suchte. Indem nun Otto I. das Reich herstellte, war es klar, daß diese Aufgabe wohl ein großer Mann vollführen konnte, daß aber eine schwache Persönlichkeit dem Kampf gegen das Lehnswesen, das Papsttum und die Nationalität nimmer gewachsen war. Im ganzen wurde auch das römische Kaisertum nur als eine künstliche und ideelle, wenn auch immer große politische Form wieder aufgerichtet. Der Besieger der Ungarn, Slawen und Dänen, der Schutzherr Frankreichs und Burgunds, der Herr Italiens, der heroische Missionar des Christentums, dem er weitere Bahnen erobert hatte, verdiente, ein neuer Karl zu sein. Selbst sein Land hieß noch immer das Frankenreich, und seine deutsche Sprache die fränkische. Er brachte jetzt die römische Reichsgewalt dauernd an die deutsche Nation, und dieses kräftige Volk übernahm die ruhmvolle, aber undankbare Aufgabe, der Atlas der Weltgeschichte zu sein. Der Einfluß Deutschlands hatte denn auch bald die Reform der Kirche und das Wiederaufleben der Wissenschaften zur Folge, während es in Italien selbst die germanischen Elemente waren, welche die Städterepubliken erzeugten. Wohl sind Deutschland und Italien, die reinsten Repräsentanten antiker und germanischer Natur und die schönsten Provinzen im Reich menschlicher Gedankenmacht, durch eine geschichtliche Notwendigkeit in diese langdauernde Beziehung gebracht worden; deshalb dürfen es die Enkel nicht beklagen, daß jenes Römische Reich wie ein Schicksal auf unser Vaterland gelegt wurde und dasselbe zwang, jahrhundertelang sein Blut jenseits der Alpen zu verströmen, um die Grundlagen der allgemeinen europäischen Kultur zu schaffen, welche die moderne Menschheit wesentlich der Verbindung Deutschlands mit Italien zu danken hat.


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