Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Viertes Kapitel

1. Langes und strenges Regiment Karls durch seine Prosenatoren in Rom. Seine Münzen. Seine Ehrenbildsäule. Er kommt wieder nach Rom 1271. Unschlüssigkeit der Kardinäle in Viterbo wegen der Papstwahl. Guido von Montfort ersticht den englischen Prinzen Heinrich. Wahl Gregors X. Wahl Rudolfs von Habsburg. Ende des Interregnum.

Karl durfte sich zu dem Gedanken erheben, die Halbinsel seinem Zepter zu unterwerfen und selbst das griechische Reich zu erobern, wozu er längst den Plan gefaßt hatte. Auf dem Throne Friedrichs II. blieb er jedoch nur ein verhaßter Eroberer. Keine Gabe weiser Regierungskunst, kein großer Blick des Gesetzgebers war diesem Eroberer eigen; nur den Fluch einer langen Feudaldespotie hat er jenen Ländern zurückgelassen. Die Pläne seines Ehrgeizes scheiterten wie jene der Hohenstaufen an der Politik der Päpste, am Parteigeist Italiens und an dem lateinischen Nationalgefühl, welches sich endlich gegen die gallische Fremdherrschaft erhob.

Die Stadt Rom regierte er zehn Jahre lang als Senator durch seine Vikare, Große seines Hofs, die er für unbestimmte Zeit auf das Kapitol sandte, in Begleitung von Richtern und anderen Beamten, den Statuten der Stadt gemäß. Die strenge Hand eines Gewalthabers war wohltätig; denn die Achtung vor dem Gesetz wurde hergestellt; in Jahresfrist sah man zweihundert Räuber am Galgen hängen. Die Münzen Roms wurden fortan mit dem Namen Karls versehen. Sie und eine Bildsäule sind die einzigen Denkmäler seines Senats, des längsten überhaupt, den jemals ein Senator geführt hat. Im Saale des Senatorenpalasts auf dem Kapitol sieht man noch die Marmorgestalt eines mittelalterlichen Königs unter Krone, auf einem mit Löwenköpfen geschmückten Sessel, das Zepter in der Hand, bekleidet mit einem römischen Gewande; das Haupt groß und stark; das Antlitz starr und ernst; die Nase sehr groß; die Züge nicht unschön, doch hart. Dies ist die Ehrenbildsäule Karls von Anjou, welche ihm die Römer wahrscheinlich bald nach dem Siege über Konradin errichteten.

Karl kam wieder nach Rom im März 1271. Es begleitete ihn sein Neffe Philipp, jetzt König von Frankreich, da sein berühmter Vater Ludwig auf dem Kreuzzuge vor Tunis gestorben war. Karl zog auf das Kapitol, wo der tapfere Ritter Bertrand del Balzo für ihn den Senat verwaltete. Die Ghibellinen, die noch eine Zeitlang unter Angelo Capocci einen Bandenkrieg fortgesetzt und die Prosenatoren des Königs befeindet hatten, waren jetzt niedergedrückt. Ihre Festungen in der Stadt hatte bereits Jakob Gantelmi den Guelfen zur Zerstörung überlassen, und so waren die Arpacata auf Campo di Fiore und die Türme des Petrus de Vico in Trastevere geschleift worden. Karl hielt es für passend, einige Häupter unter den Anhängern Konradins zu amnestieren, während er Verordnungen erließ, römischen Guelfen den Schaden zu ersetzen, den sie zur Zeit des Senators Arrigo erlitten hatten.

Dringende Angelegenheiten riefen ihn nach Viterbo, weniger weil die Reste der Ghibellinen in Toskana noch gefährlich waren, als um der Wahl des neuen Papstes willen. Denn nach dem Tode Clemens' IV. konnten die dort versammelten Kardinäle nicht einig werden; der Einfluß der von Karl abhängigen fand sein Gegengewicht an patriotisch gesinnten, und alle fühlten die Größe ihrer Pflicht, einen Papst für eine neue Epoche zu schaffen. Sie waren achtzehn an der Zahl. Elf unter ihnen verlangten einen italienischen Papst und durch diesen die Wiederherstellung des noch immer vakanten Reichs; die übrigen wollten einen Franzosen erheben. Ihre Versammlungen fanden unter beständigem Tumult der Bürger Viterbos statt, welche sogar das Dach des erzbischöflichen Palasts abdeckten, um die Wahlherren zur Entscheidung zu zwingen. Die fast dreijährige Vakanz des Heiligen Stuhls in derselben Zeit, als auch das Reich unbesetzt blieb, war das Zeugnis der tiefen Erschöpfung des Papsttums in einer geschichtlichen Krisis. Karl kam nun mit dem Könige Philipp III., welcher die Gebeine Ludwigs IX. von Tunis her mit sich führte, nach Viterbo als Advokat der Kirche, die Wahl zu beschleunigen oder vielmehr sie nach seinem Sinne zu lenken; jedoch er machte keinen Eindruck auf die Kardinäle. Dagegen schien eine frevelhafte Tat, die unter ihren Augen begangen wurde, die Kirche zu strafen, weil sie ohne Haupt war. Mit Karl war in Viterbo der junge Heinrich, Sohn Richards von Cornwall, von Tunis heimkehrend; Guido von Montfort, Karls Statthalter in Toskana, war gleichfalls in jener Stadt erschienen. Der Anblick des englischen Prinzen setzte diesen wilden Krieger in Wut und trieb ihn, Blutrache an dem königlichen Hause Englands zu nehmen, durch welches einst sein großer Vater Simon von Leicester und Montfort im Schlachtenkampf getötet und im Tode geschändet worden war. Er erstach den schuldlosen Heinrich am Altar einer Kirche, schleifte die Leiche an den Haaren fort und warf sie auf die Kirchentreppe nieder. Den gräßlichen Mord, begangen im Angesicht der Kardinäle, des Königs von Sizilien, des Königs von Frankreich, strafte niemand; der Mörder floh nach Soana, der Burg seines Schwiegervaters, des Grafen Guido Aldobrandini, genannt Conte Rosso. Der Prozeß, welcher spät eingeleitet wurde, war milde und schonend; denn in Guido von Montfort ehrte Karl einen seiner größten Kapitäne, sein bestes Werkzeug zum Sturze des hohenstaufischen Throns. Seine Dienste hatte er durch schöne Lehen im Königreiche belohnt, wo er ihm die Grafschaft Nola, Cicala, Forino, Atropaldo und Monforte erblich verliehen hatte. Guido wird übrigens geschildert als ein Mann von hohem Sinn und sogar von großer Rechtlichkeit: und diese Eigenschaften konnten neben jener unzähmbaren Wildheit der Leidenschaften bestehen, welche den Charakteren des Mittelalters eigen war. Eine Freveltat wie die seinige erschien in jener Zeit keineswegs so grell wie am heutigen Tag; Mord aus Blutrache galt keineswegs für schimpflich, und die damaligen Menschen, welche bis auf den Tod hassen konnten, vermochten auch bis auf den Tod zu verzeihen. Zwölf Jahre nach einer Mordtat, welche heute den Täter, und wenn er ein König wäre, aus der menschlichen Gesellschaft unfehlbar ausstoßen würde, nannte denselben Guido ein Papst seinen geliebten Sohn und erhob ihn zum General im Dienst der Kirche.

Vielleicht erweckte jener Frevel die Kardinäle aus ihrer Lethargie; denn am 1. September 1271 gaben sie, durch die Beredsamkeit des Franziskaners Bonaventura angeregt, sechs Wahlherren Vollmacht, den Papst zu machen. Aus diesem Kompromiß ging zum tiefen Leidwesen Karls ein Italiener hervor, Tedald vom Haus der Visconti in Piacenza, Sohn Ubertos, Neffe des Erzbischofs Otto Visconti von Mailand, ein ruhiger Mann, in weltlichen Geschäften der Kirche erfahren, doch ohne gelehrte Bildung. Die Wahl eines Klerikers von nicht öffentlichen Verdiensten, der nur Archidiaconus von Lüttich war und sich noch im Orient befand, bewies entweder, daß die Kardinäle die unabhängige Gesinnung Tedalds kannten oder aus Ratlosigkeit ihre Stimmen einem gleichgültigen Papste gaben. Boten eilten mit dem Wahldekret über Meer nach Akkon, wo sich der Gewählte beim englischen Kreuzfahrer Eduard aufhielt, und der Archidiaconus von Lüttich sah mit hohem Erstaunen, welches glänzende Los ihm im Abendlande zugefallen war.

Er landete am 1. Januar 1272 in Brindisi; in Benevent empfing ihn Karl mit höchsten Ehren und gab ihm weiter das Geleit; eine Gesandtschaft der Römer begrüßte ihn in Ceprano; aber er lehnte ihr Gesuch ab, nach Rom zu kommen, eilte nach Viterbo und Orvieto und kam erst von dort nach der Stadt. Am 13. März hielt er seinen Einzug, geleitet vom Könige Karl: ein Schauspiel, welches für die Römer neu geworden war. Denn zwei Päpste, Tedalds Vorgänger, waren auf den Heiligen Stuhl und von ihm ins Grab gestiegen, ohne jemals Rom betreten zu haben. Nun wurde durch einen Italiener das Papsttum in seinen Sitz zurückgeführt. Am 27. März empfing Tedald Visconti im St. Peter die Weihe und nannte sich Gregor X.

Der neue Papst übernahm, glücklicher als seine Vorgänger, mit einem vollendeten Zustande eine neue Welt. Nach Päpsten, welche mörderische Kriege geführt und Bannstrahlen unter Könige und Völker geschleudert hatten, konnte wieder ein Priester auf die Stufen des Hochaltars treten und seine unbefleckte Hand zum Segen über der Welt erheben. Gregor X. war sich einer großen Aufgabe bewußt, und die Handlungen dieses edlen Mannes waren in der Tat, so viel er vermochte, die eines Versöhners und Friedensfürsten. Der Kampf mit dem Reiche war ausgekämpft; die Kämpfer lagen tot; der letzte noch lebende Sohn Friedrichs II., der König Enzius, starb gerade damals in seinem Gefängnis zu Bologna am 14. März 1272, einen Tag nach dem Einzuge des neuen Papsts in Rom; die Welt hatte ihn vergessen und er den tragischen Untergang seines Hauses im Kerker überlebt. In kurzer Zeit starb mancher Monarch, der in der jüngsten Vergangenheit hervorgeragt hatte: Ludwig IX., Richard von Cornwall, Heinrich III. von England traten vom Schauplatz der Geschichte ab. Neue Könige bestiegen ihre Throne; ein neuer Zustand richtete sich in der nüchterner gewordenen Welt ein. Als nun Gregor X. das Papsttum übernahm, fand er das Ziel seiner Vorgänger durchaus erreicht: der Kirchenstaat war hergestellt, Sizilien wieder ein päpstliches Lehen unter einer neuen Dynastie; das hohenstaufische Prinzip überwunden; der Grundgedanke des Papsttums, die geistliche und richterliche Universalgewalt, erschien als die reife Frucht des großen Sieges.

Aber die schwindelnde Höhe, auf welche die Grundsätze Innocenz' III. und seiner Nachfolger das Papsttum hinaufgetrieben hatten, war über der Natur menschlicher Dinge, künstlich und unhaltbar. Gregor X. sah sich völlig allein; kein Freund unter den Mächtigen der Welt stand neben ihm; sein Blick fiel nur auf das kalte Angesicht Karls von Anjou, der sich an den Heiligen Stuhl gedrängt hatte, nicht als ein dienstbarer Vasall, sondern als lästiger Protektor. Von den beiden Mächten, auf denen die christliche Welt, das sichtbare Reich Gottes, geruht hatte, war die eine zerstört; die tiefe Lücke mußte ausgefüllt, das Reich wieder aufgerichtet werden, denn ohne dies fühlte sich die Kirche haltlos. Nur ein Kaiser konnte nach den Begriffen der Zeit der neuen Gestalt Italiens, dem neuen Kirchenstaat die staatsrechtliche Gewähr erteilen. Das durch die Päpste beleidigte Deutschland, der ghibellinische Geist, die politische Welt überhaupt waren durch die Päpste zu versöhnen, indem sie das Heilige Römische Reich wiederherstellten.

Der Versuch, die Krone der Schwaben ausländischen Fürsten zu übertragen, scheiterte an den Rechten und dem erwachenden Bewußtsein Deutschlands. Alfonso von Kastilien hoffte zwar nach dem Tode Richards (am 2. April 1272) die Kaiserkrone zu gewinnen, doch Gregor X. lehnte seine Ansprüche als unbegründet ab. Die deutschen Fürsten wählten nach längerem Schwanken unter der Führung des Erzbischofs Werner von Mainz in Frankfurt am 29. September 1273 den Grafen Rudolf von Habsburg zum Könige der Römer. Ihre Wahl war einstimmig, mit Ausnahme des Einspruchs des Böhmenkönigs Ottokar; sie war fleckenlos, denn Rudolf hatte die Krone nicht einmal in seinen kühnsten Träumen erhofft. Nach zweiundzwanzig Jahren des Interregnums fand demnach das Reich wieder sein Oberhaupt.

Rudolf von Habsburg glänzt in der Geschichte als Wiederhersteller der Ordnung in dem zerrütteten Deutschland, als Mann des Friedens und des Rechts, als Gründer einer berühmten Dynastie. In seiner ritterlichen Jugend (er war am 1. Mai 1218 geboren und von Friedrich II. über die Taufe gehalten worden) hatte er unter den staufischen Fahnen gedient und in den Kämpfen des großen Kaisers wie Konrads IV. sich bemerklich gemacht, doch zu seinem Glücke nicht in hervortretender Gestalt. Wenn er bisher den staufischen Grundsätzen gehuldigt hatte, so entsagte er ihnen sofort, als er den Thron bestieg. Ein Neuling ohne Erbrecht, ein Geschöpf der Fürstenwahl und bischöflicher Gunst, glich er in durchaus neuen Zuständen dem neuen Papst. Sein Beruf vereinigte sich mit wirklicher Tugend und machte ihn, einen ernsten, nüchternen Menschen ohne Genie, zu einem guten und glücklichen Fürsten.

Seine Wahl zeigte er Gregor X. in einem Briefe an, in welchem sich das veränderte Wesen deutlich abspiegelte. Würde ein erwählter König vom Schwabenhause einem Papst geschrieben haben, was Rudolf von Habsburg schrieb?: »Ich ankere meine Hoffnung fest in Euch und stürze zu den Füßen Eurer Heiligkeit nieder, flehentlich bittend, Ihr möget mir in meiner übernommenen Pflicht mit wohlwollender Gunst beistehen und das kaiserliche Diadem mir huldvoll zuerteilen.« So ganz waren die Ansprüche, die Grundsätze und auch die Rechte des alten germanischen Kaisertums nun dem Papste hingegeben. Am 24. Oktober wurde Rudolf zu Aachen gekrönt. Wenn der Phantasie jener Zeit die lange Vakanz des Reichs wie eine schreckliche moralische Finsternis erschienen war, so wich sie jetzt von der Welt, als Rudolf auf dem Thron der Kaiser sich niederließ, nachdem zuvor auch der Päpstliche Stuhl besetzt worden war; die beiden Weltlichter, Sonne und Mond, bewegten sich wieder strahlend in ihren Sphären. Mit solchem Gleichnis begann der Erzbischof von Köln seinen Brief an den Papst, ihm die Krönung des Habsburgers anzuzeigen, dessen katholische Gesinnung und königliche Tugenden er pries und um dessen Anerkennung und Kaiserkrönung er bat. Rudolf konnte ihrer sicher sein; denn Gregor X. bemühte sich aufrichtig um die Befestigung eines neuen Herrschers im Reich, der in den Augen der Kirche unverdächtig war und ihr geeignet erschien, den Frieden herzustellen, während seine Erhebung zugleich dem Ehrgeize Karls von Neapel die gewünschte Schranke setzte. Denn Gregor X. war der erste Papst, welcher die übermäßige Macht dieses Vasallenkönigs dämpfte; das tat er mit überlegener Ruhe, ohne gewaltsame Mittel.


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