Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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4. Lorenzo Medici vermählt sich mit Madeleine la Tour d'Auvergne. Verbindung Leos mit Frankreich. Schluß des Lateranischen Konzils März 1517. Verderbnis der Kurie. Die Florentiner am Hofe Leos. Dessen Prachtliebe, Verschwendung, Lebensart. Der Ablaß für St. Peter. Luther erhebt sich. Die deutschen Humanisten. Luther in Augsburg. Hutten. Beginn der Reformation.

Nachdem Leo seinen Nepoten wieder auf den Thron Urbinos gesetzt hatte, suchte er ihn durch eine glänzende Verbindung zu befestigen. Ehemals hatte das königliche Haus von Neapel seine Bastardtöchter für die Nepoten nach Rom geliefert, jetzt, und schon seit Alexander VI., gab Frankreich Prinzessinnen zu demselben Zwecke her. Durch die Vermittlung des Florentiner Orators Francesco Vettori bewilligte Franz I. die Wünsche des Papsts. Beide näherten sich einander; Leo wollte Vergangenes vergessen machen, seinem Hause den Schutz Frankreichs sichern, die Größe von Spanien-Habsburg beschränken; der König sich des Papsts versichern, nicht allein um die Bemühungen Maximilians für die römische Königswahl seines Enkels zu vereiteln, sondern auch selbst die Kaiserkrone zu gewinnen, als deren Bewerber er aufzutreten entschlossen war.

Die für Lorenzo Medici erwählte Braut war Madeleine vom alten Haus Boulogne, eine Tochter Jeans de la Tour d'Auvergne, deren Schwester sich mit John Stuart von Albany vermählt hatte. Im März 1518 ging der Nepot nach Amboise mit kaum minderer Pracht als einst Cesare Borgia, und mit so reichen Geschenken für die Braut und die Königin Claudia, daß man sie auf 300 000 Dukaten schätzte. Auch er brachte eine Bulle mit, die dem König erlaubte, den Türkenzehnten nach Willkür zu verwenden. Unter glänzenden Festen wurde im Schloß zu Amboise erst die Taufe des Dauphins, dann die Hochzeit gefeiert. Lorenzo war nun in das königliche Haus Frankreich aufgenommen und so zwischen diesem und dem Papst eine Verbindung geschlossen, welche der ursprünglichen Neigung Leos widersprach. Der Kardinal Bibiena, sein vertrautester Freund, blieb in Frankreich als Legat, wo er sich alsbald für die französischen Absichten erwärmen ließ; das junge Paar aber kehrte im Sommer nach Florenz zurück, und hier nahm Lorenzo seinen Sitz. Er war jetzt ein mächtiger Mann; die Blicke der Italiener richteten sich auf ihn. Machiavelli widmete ihm sein Buch vom »Fürsten«, diese furchtbare Belehrung, wie er sich zum absoluten Herrscher von Florenz machen könne. In ihm sah nun der verzweifelte Patriot den Heiland Italiens, der dies zerrissene Land vielleicht gewaltsam einigen, die Fremden aus ihm verjagen könnte. So fügte er Täuschungen zu Täuschungen. Lorenzo zog vom »Fürsten« keinen Gewinn, aber das Buch schien ganz und gar zum Gebrauche des Papsttums verfaßt zu sein.

Leo hatte seine lebhaftesten Wünsche erreicht: Italien war beruhigt, der Kirchenstaat ein abgerundetes Land. Seine Grenzen deckten im Norden Urbino und Florenz, mediceische Provinzen. Rom war zu einem Museum friedlicher Künste umgestaltet, und das römische Volk lebte nur von der neuen Herrlichkeit des Papsttums. Leo hatte die Salzsteuer herabgesetzt; er wollte nichts von Monopolen wissen, sorgte für billigen Markt und vermehrte sogar die amtliche Gewalt der Konservatoren. Er teilte nur an Bürger städtische Präbenden aus; er hatte wieder Römer in das Kardinalskollegium aufgenommen. In Wahrheit genoß die Stadt unter seiner Regierung innere Sicherheit und zunehmenden Wohlstand. Die dankbare Bürgerschaft errichtete ihm deshalb eine Ehrenbildsäule auf dem Kapitol.

Das Ansehen des Papsttums bei den Mächten Europas war gestiegen, weil es selbst eine italienische Großmacht geworden war. Alle Fürsten bewarben sich um die Gunst des Priesterkönigs, von dessen Willen auf Grund des europäischen Kirchenvermögens zugleich ein großer Teil der öffentlichen Finanzquellen abhängig war. Im Gebiet der Kirche sah Leo X. noch im Jahre 1518 nichts, was ihn beunruhigen konnte. Mit dem Konzil war er am 16. März 1517, dem Tage seines Schlusses, fertig geworden. Auf dieser dienstbaren Synode weniger italienischer Bischöfe, welche sich dreist ein ökumenisches Konzil nannte, hatte sich keine Stimme des Zweifels an der Alleingewalt des Papsts und seiner Erhabenheit über die Konzile erhoben. Sie hatte das kraftlose Schisma beigelegt, den Kaiser von seinem Gedanken an die Reformation abtrünnig gemacht und den König Frankreichs wieder in die Netze der römischen Kurie verstrickt, so daß er trotz der Proteste seiner Landeskirche die Pragmatische Sanktion von Bourges in ein Konkordat verwandelte, wodurch auch in Frankreich die päpstliche Monarchie hergestellt ward. Die Synode hatte die schon von Alexander VI. eingeführte Bücherzensur bestätigt und in der letzten Sitzung den Türkenzehnten ausgeschrieben. Dies und andere unwesentliche Dekrete waren die Werke einer fünfjährigen Versammlung. Für die Reform des Klerus wurde nichts getan, obwohl sie zur Sprache kam und sie Männer wie Aegidius in einer eingehenden Rede und wie Francesco Pico della Mirandola in einer Schrift gefordert hatten. Zwar erließ die Synode Gesetze über kirchliche Disziplin, die Reform der Kurie und der Kardinäle, aber nur allgemeinen Inhalts. Es geschah nichts gegen den empörenden Mißbrauch der Pfründen und Ämterhäufung, worüber die ganze Christenheit laute Klage führte. Dies Unwesen, wie den Verkauf geistlicher Stellen, betrieb Leo X. ärger als seine Vorgänger. Die Kurie war ein Markt für Gnaden und Würden jeder Art. Der Papst raffte Gold zusammen, um es zu verschwenden.

Hundert Seitenverwandte, Hunderte von alten und neuen Klienten streckten ihre Hände nach Geld und Pfründen aus; diese erinnerten Leo an vergebliche Dienste während seines Exils als Kardinal, jene wollten ihn nach Florenz zurückgeführt, andere ihn zum Papst gemacht haben. Ariosto hat dies Treiben in Satiren verspottet. »Die Florentiner«, so sagte ein venetianischer Botschafter, »nehmen dem Papst den letzten Soldo: sie sind verhaßt, denn überall sind diese Florentiner.«

Rom war eine toskanische Stadt zu nennen. Die Pucci, Tornabuoni, Gaddi, die Acciajuoli, Salviati, Ridolfi, die Rossi und Accolti, die Strozzi und Ruccellai und so viele andere fanden sich in den einflußreichsten Stellungen am Hofe des Papsts. Von den nächsten Mitgliedern seines Hauses lebten noch mehrere in Rom. Der Bastard seines Bruders Julian, Hippolyt, wurde sorgsam im Vatikan erzogen. Noch lebten Leos Schwester Maddalena und ihr Gemahl, der reiche und angesehene Franceschetto Cibò in Rom, deren Sohn Innocenzo als Kardinal in den Vatikan aufgenommen war. Durch Clarice, die Schwester Lorenzos, des Herzogs von Urbino und Gemahlin des reichen Filippo Strozzi, war auch dies Haus nach Rom gezogen. Der mächtige Jacopo Salviati war Gemahl der Schwester Leos, Lucrezia, und ihr Sohn Giovanni Kardinal. Seine andere Schwester Contessina, die Gemahlin des Piero Ridolfi und Mutter des Kardinals Niccolò, hatte er im Jahre 1515 durch den Tod verloren.

Umgeben von Verwandten, Freunden und glänzenden Talenten wollte Leo X. die reifen Früchte jener Bildung genießen, die unter seinen Ahnen entstanden war. Die sinnlichen Freuden Borgias waren kein Stoff für seine Natur. Er wollte um sich her nur Geist, Glück und Glanz verbreitet sehen. Er verschwendete an seine Günstlinge unglaubliche Summen; für Geschenke und im Primieraspiel gab er, so sagte man, monatlich 8000 Dukaten aus, und so viel betrugen die Einkünfte der Vakanzen. Er verbrauchte ebensoviel, die Hälfte des Einkommens der Marken und der Romagna, für seine immer offene Tafel. Leo machten, so sagt sein Biograph, Gastmähler ein grenzenloses Vergnügen: bei den delikatesten Speisen und Weinen zog er sie absichtlich hin, um unter den Scherzen der Spaßmacher seine Freude zu verlängern. Sodann ließ er Gesang und Saitenspiel ertönen, zumal bei nächtlichen Gelagen; da erschallte der ganze Palast von musikalischen Instrumenten.

Wenn den Hintergrund zu den altrömischen Bacchanalen die Herrschaft der Welt gebildet hatte, so verschwelgte man jetzt geistliche Einkünfte aus den Ländern der Christenheit. Kardinäle verpraßten Tausende bei einem einzigen Gastmahl. Ungescheut ließen sie sich bei Banketten neben den berühmtesten Freudenmädchen Roms nieder. Ganz Italien machte Agostino Chigi von sich reden, als er zur Taufe eines Bastardkindes den Papst in seiner Villa bewirtete. Man aß Papageienzungen; bis von Byzanz waren Fische lebend herbeigebracht. Die goldenen Geräte wurden nach jedem Gange mit kindischer Prahlerei in den Tiber geworfen, wo versteckte Netze sie auffingen. Rom war ein einziges Festtheater, ein einziges Schauspielhaus. Wie der Tribunus voluptatum der Römer erschien der Papst in seinem von Musikanten, Schauspielern und Scharlatanen, von Poeten und Künstlern, von Hofschranzen und Parasiten schwärmenden Vatikan. Da ließ er alte und neue Komödien, die schamlosesten Zoten aufführen. Wir würden ein buntes Gemälde vor uns haben, vermöchten wir ein römisches Jahr aus der Zeit Leos X. zu umfassen und diese Kette von Festen zu sehen, grell gemischt aus Heidentum und Christentum: die Maskenzüge des Karneval, antike Göttermythen, römische Historien in prachtvollen Schauszenen, wieder Prozessionen, glänzende Kirchenfeste; das Passionsspiel im Colosseum, klassische Deklamationen im Kapitol, Feste und Reden zum Geburtstage Roms; tägliche Kavalkaden der Kardinäle, zeremoniöse Aufzüge von Gesandten und Fürsten mit heergleichem Gefolge; Jägerkavalkaden, wenn der Papst nach Magliana, Palo, Viterbo auszieht mit Falken und Hunden, mit Troß und Dienerschaft; es folgen ihm die Kardinäle, die fremden Gesandten, der lustige Poetenschwarm Roms, Barone und Fürsten. Es ist ein Bacchantenzug. So jagt der Papst tagelang, als ein Weltmann gekleidet, Hirsche und Schweine. Der Dichter Posthumus hat eine solche Jagd bei Palo beschrieben, in der Anschauungsweise Ovids. Und all diese Sucht nach Genuß ward doch vereinigt mit fieberhafter Teilnahme an geistigen Dingen und mit der kleinen und großen Kabinetts- und Weltpolitik. Bankette, Komödien, wissenschaftliche und künstlerische Schöpfungen, Konsistorien, Angelegenheiten der Kirche, Diplomatik, das feinste Ränkespiel, Krieg und Frieden, der mediceische Nepotismus: für alles dies hatten derselbe Vatikan und derselbe Papst Raum und Zeit.

In Strömen schüttete Leo das Gold aus: doch die Ebbe war häufiger als die Flut. Der Datar Pucci, der Kardinal Medici hatten ihre Finanzkünste erschöpft; Kardinalshüte waren verkauft, neue Ämter, neue Zölle erfunden worden; selbst ein neuer Orden »die Ritterschaft Petri« (vierhundert Mitglieder meldeten sich) war um Geldgewinn eingeführt. Dieser Papst wurde keine Kunst höher geachtet haben als die der Goldmacherei, wozu ihm der Poet Augurelli ein leider unbrauchbares Rezept in Versen schrieb, welches Leo mit einer leeren Börse belohnte. Daß die antike Türe von gelblich grünem Metall am Pantheon kein Gold enthielt, schlossen die venetianischen Botschafter im Jahr 1523 einfach daraus, daß sie Leo X. hatte stehen lassen.

Am Schlusse des Konzils war der Türkenzehnte ausgeschrieben worden, und unter dem Vorwande der Beisteuer zum Bau St. Peters ward ein allgemeiner Sündenablaß feilgeboten. Schon jahrhundertelang besteuerte das Papsttum die Christenheit; mehr Geld, so sagte einst Chrysoloras, haben Petrus und Paulus nach Rom gezogen als die Kaiser des Römischen Reichs. Aber kein Volk war stärker ausgeraubt worden als das deutsche, auf Grund seiner Beziehung zu Rom durch das Reich und wegen der unermeßlichen Güter, welche die Kirche in Deutschland besaß. Tiefe Mißstimmung, Haß gegen Italien und den Papst herrschten hier. Keine Beschwerde über die Mißbräuche der römischen Kurie war je abgestellt worden. Nichts als hochmütige Verachtung hatten die Kaiser, die Fürsten und Völker, die innersten Angelegenheiten Deutschlands von den Päpsten erfahren; zu nichts war dies Land gut, als der unerschöpfliche Brunnen der Habsucht Roms zu sein. Als nun Leo X. den Petersablaß ausschrieb, sagte man sich, daß ein Teil dieses Sündenerlöses, nämlich die erhoffte Beisteuer Sachsens, für Madonna Maddalena Cibò bestimmt sei.

In Sachsen übernahm Albrecht von Mainz die Betreibung jenes Ablasses, womit er die Schuld seiner Palliengelder an das Haus Fugger abzuzahlen vom Papst ermächtigt war. Beamte dieses Hauses reisten dort mit den Ablaßpredigern. Der freche Marktschreier Tetzel trat auf. Da heftete Luther am 31. Oktober 1517 seine Thesen an die Schloßkirche Wittenbergs. Die Feder entwuchs seinen Händen; sie reichte bis nach Rom; sie rührte an die Tiara des Papsts, die davon zu wanken kam. Die Zeit war reif geworden: die deutsche Reformation erschien.

Unter die großen Männer des XVI. Jahrhunderts trat der gewaltigste Charakter Deutschlands, ein Sohn des Volks, in der unscheinbarsten Gestalt. Das Mittelalter, welches er zerstören sollte, hatte ihn noch mit der Kutte des Mönchs bekleidet, wie Savonarola. Doch Luther beanspruchte weder dessen lateinische Beredsamkeit noch seine himmlischen Eingebungen. Der Dämon eines weltbezwingenden Genies lag eingehüllt in der Schale der derbsten, frömmsten und schlichtesten Natur.

Der starke Christusglaube und der heilige Zorn über die Lüge, welche das hohe Christusideal verfälschte, waren die Quellen seiner Begeisterung. Die romanische Phrase, die ein Jesuit ausgesprochen hat, Luther sei von Natur so kühn gewesen, daß der Himmel ihn zu erschrecken einen Blitzstrahl aufwenden mußte, würde der gottesfürchtige Mann als Blasphemie verachtet haben.

Den Professor der jungen Universität Wittenberg kannte niemand in Italien, auf dessen Hochschulen er nicht studiert hatte. Kaum erinnerten sich seiner die Augustiner im Marsfelde, denn im Dienste seines Klosters war er im Jahre 1510 in Rom gewesen. Unter allen Romfahrern hatte die Stadt keinen merkwürdigeren aufgenommen als den Sohn eines deutschen Bergmannes, der dazu bestimmt war, die christliche Republik durch die größte Revolution umzugestalten, welche sie seit Constantin erfuhr. Noch wie ein Rompilger des Mittelalters warf sich der künftige Reformator beim Anblick der Türme der Stadt zur Erde nieder und rief: »Sei gegrüßt, du heiliges Rom! ja rechtschaffen heilig von den heiligen Märtyrern und ihrem Blut, das da vergossen ist!« Er wallfahrte zu den sieben Basiliken; auf Knien erklomm er die Scala Santa, denn noch hatte er sich nicht klar gemacht, daß die Gnade Gottes nicht an privilegierte Orte gebunden sei. Der sächsische Mönch hatte nicht, wie vor ihm Erasmus, Zutritt zu den hohen Kreisen der Kurie; er tafelte nicht an den Tischen der Kardinäle; doch er sah und hörte vieles, was ihn mit Abscheu erfüllte. Er sagte später: »Welch ein greulich Volk ist das gewesen! Ich hätt' nit geglaubt, daß das Papstthumb so ein großer Greuel sei, wenn ich den römischen Hof nit selbst gesehen hätt. Ist eine Hölle, so ist Rom darauf gebaut, habe ich selbs zu Rom gehört.«

Im Zeitalter Luthers sahen die deutschen Humanisten Rom weder mehr mit der Begeisterung vergangener Glaubensandacht noch schon mit den Augen Winckelmanns. Luther selbst hatte für die monumentale Herrlichkeit der Stadt kaum einen flüchtigen Blick. Dies ist sein Beitrag zu den Mirabilien Roms: »Alten Roms Fußstapfen kann man kaum noch erkennen, da es gestanden ist, das Theatrum (Colosseum) sihet man, und die Thermas Diocletianas, das war ein Bad deß Diocletii, welches geleitet ist in 25 Teutsche Meilen, von Neapolis in ein schön herrlich Hauß. – Rom wie es jetzund ist und gesehen wird, ist's wie ein todt Aß gegen den vorigen Gebäuwen. Denn da jetzt Häuser stehen, sind zuvor die Dächer gewest, so tieff liegt der Schutt wie man bei der Tiber wol sihet, da sie zween Landsknecht Spieß hoch Schutt hat. Jetzund hat es sein Gepreng, der Bapst triumphiret mit hüpschen geschmückten Hengsten.« Die deutschen Humanisten verhielten sich meist schon zu Rom wie Petrarca einst zum »Babel« Avignon. In dem nationalen Haß gegen die römische Hierarchie lag schon das Bewußtsein des nahen Kampfes mit ihr. Noch ehe Luther seine Thesen schrieb, war Hutten in Rom, seit dem Frühjahr 1516. Auch er schien die Wunder Roms nur mit Gleichgültigkeit zu sehen. Er schrieb damals seine römischen Epigramme an Crotus, worin er nur den Abscheu aussprach, welchen er beim Anblick des Papsts, der Kardinäle und aller dieser in Hochmut einherziehenden, in wilder Lust schwelgenden Prälaten empfand, die mit frecher Stirn Sitte und Zucht verhöhnen, das Privilegium der Frevel haben, Gott selbst auf dem Markt verkaufen und deren Sklavenjoch das deutsche Volk so willig seinen Nacken darbiete.

Die feindliche Stimmung Deutschlands war der römischen Kurie wohl bekannt, ohne ihr gefährlich zu erscheinen. Sie beachtete kaum die beginnende Bewegung in der deutschen Mystik, Theologie und Wissenschaft, obwohl seit 1510 der Prozeß Reuchlins mit den Dominikanern von Köln der Vorbote einer geistigen Umwälzung geworden war. Schon im Jahre 1516 erschienen die Briefe der Dunkelmänner. Der deutsche Humanismus erhob sich plötzlich als eine Phalanx von Streitern für Freiheit und Vernunft. Diese Männer waren in der Disziplin der klassischen Literatur gebildet, die Schüler der Latinisten und Hellenisten Italiens, und ohne die Verdienste des Poggio, Filelfo, Valla, des Aldus und des Papsts Nikolaus würden sie nicht zur Höhe ihrer Aufgabe gestiegen sein. Nicht ohne Grund seufzte später auf dem Tridentiner Konzil ein Kardinal: »Wenn es doch in Deutschland nie Professoren der griechischen und hebräischen Sprache gegeben hätte! Dann wären wir heute von dieser Revolution frei, und das unselige Deutschland würde nicht in so viele Ketzereien gefallen sein.« In der langen Reihe der europäischen Humanisten von Petrarca bis zu Erasmus herab erschienen die Deutschen seit Heimburg und Cusa erst als die Fortsetzung einer und derselben Legion von Denkern, welche die Devise des Altertums trug, bis sie sich für selbständig erklärten. Aber diese Führer der deutschen Nation standen im Zusammenhange mit noch einer andern Reihe von Einflüssen, mit den Ghibellinen der Kaiserzeit, den Monarchisten des XIV. Jahrhunderts, mit Wiclif, Hus und den Männern der Reformkonzile. Der Kampf um die Erlösung Deutschlands von der Papstgewalt trennte unter dem Terrorismus der Gegenreformation die Humanisten beider Länder, und er brachte eine Kluft zwischen dem germanischen und romanischen Geist hervor, die noch heute nicht geschlossen ist.

In Rom erschien der Ablaßstreit zuerst als ein neidisches Mönchsgezänk. Auf der Höhe seiner Weltbildung konnte Leo X. für den Streit barbarischer Scholastiker kein Gehör besitzen. Als er den Ablaß ausschrieb, folgte er nur dem Beispiel seiner Vorgänger. Er betrachtete sich als den Stellvertreter Christi, welcher den Gnadenschatz der Kirche verteilen dürfe, und schwerlich hatte er über das Verhältnis der Sünde zur Erlösung oder das Mißverhältnis eines moralischen Vorganges zu einer äußeren Verrichtung je Betrachtungen angestellt. Man begriff das sittliche Prinzip der deutschen Bewegung nicht; man legte ihr nur gemeine materielle Ursachen bei. Mit einer Bulle glaubte man die Sache abzutun.

Am 7. August 1518 empfing Luther die Vorladung nach Rom. Aber der Kurfürst Friedrich erwirkte ihm einen kaiserlichen Sicherheitsbrief zur Reise nach Augsburg, wo er mit dem Kardinallegaten Thomas de Vio von Gaëta ein Gespräch halten sollte. Dort tagte der Reichstag, welchen Maximilian berufen hatte, den Türkenzehnten durchzusetzen und die Stände für die römische Königswahl seines Enkels zu gewinnen. Schon jetzt war Luther ein Gegenstand diplomatischer Berechnung. Der Papst scheute sich, dessen Gönner Friedrich zu beleidigen, weil er Einfluß auf jene Wahl besaß, und Maximilian konnte sich Luthers gegen den Papst bedienen, sei es, daß er den kühnen Mönch schützte oder ihn opferte, wie er im August 1518 zu tun gesonnen schien. Schon in der Stunde des Entstehens wurde das große Werk der Reformation in den Schutz politischer Verbindungen gestellt, für welche die weltliche Stellung des Papsttums eins der wichtigsten Motive hergab.

Mit Herablassung sah der hochmütige Kardinal Caetanus Luther vor sich niederknien, dann mit Staunen diesen Mönch als einen Helden des Gedankens sich erheben. Als sich beide trennten, der römische Legat mit der Forderung des Widerrufs, der deutsche Doktor mit der Unwiderrufbarkeit sonnenklarer Wahrheit, schieden sich schon Rom und Deutschland voneinander.

Luther floh aus Augsburg. Ein Jahr fruchtloser Vermittlungen folgte, während die Flugschriften des Reformators das ganze Deutschland entzündeten. Er schuf die gewaltige Sprache für die Stimmung der Zeit, für den Genius seiner Nation: da wurde auch die deutsche Buchdruckerkunst zur weltbefreienden Macht. Seit dem August 1518 lieh Melanchthon der Reformation seine theologische Gelehrsamkeit. Erasmus, bewundert und gefürchtet, hatte das römische Priestertum oft mit satirischem Witz gegeißelt und der Reformation eben erst im Jahre 1516 den gereinigten Text des Evangelium geliefert: die Dominikaner sagten, daß dieser neue Lukian das Ei des Ketzertums gelegt, Luther es ausgebrütet habe; Aleander haßte ihn und nannte ihn die Grundquelle alles Übels. Er blieb furchtsam fern, aus weltmännischer Politik und konservativer Neigung. Er lehrte den duldenden Gehorsam, welchen später die englische Theologie zu einer Doktrin erhob. Aber in Hutten erhielt die Reformation den ritterlichen Kämpfer für die mit ihr verbundene national-politische Reform Deutschlands. Mit derselben Glut, mit welcher er das Papsttum haßte, liebte er sein Volk, dessen große Vergangenheit im Reich ihn noch begeisterte und dessen sittliche Kraft ihn eine größere Zukunft ahnen ließ. Er rief den Kaiser, die Fürsten, alle deutschen Männer auf, sich für immer vom Papsttum loszureißen, Heinrichs IV. und der Hohenstaufen eingedenk zu sein und mit einem freien Deutschen Reich eine deutsche Nationalkirche aufzurichten. Schon im Jahre 1517 hatte er die berühmte Schrift Vallas über die erlogene Schenkung Constantins herausgegeben. Man muß seine ironische Widmung an Leo X. lesen und sich vergegenwärtigen, daß Luther damals noch nicht aufgetreten war, um zu erkennen, wie reif Deutschland zum Bruch mit Rom geworden war.

Am 9. November 1518 erklärte Leo X. in einer Bulle, daß jeder Christ an die Gewalt des Papsts, Sündenablaß zu erteilen, glauben müsse. Dagegen behauptete Luther in seiner Berufung an das Konzil, daß der Papst wie jeder Mensch fehlbar sei. Den Primat, die Unfehlbarkeit, die Oberhoheit des Papsts über alle königliche Jurisdiktion verfochten Prierias und Eck, der wütendste Feind Luthers. Man konnte sich in die Zeit Ludwigs des Bayern zurückversetzt glauben, wo diese römischen Grundsätze von den Monarchisten so gründlich widerlegt worden waren, ohne daß ihre Schriften, die kein Buchdruck verbreiten konnte, ein Echo im unreifen Volk gefunden hätten. Ihre Ansicht war endlich durch den Sieg der Päpste über die Konzile zum Schweigen gebracht worden. Ein gleicher Sieg über diese ghibellinischen Doktrinen erschien auch jetzt in Rom unzweifelhaft. Denn die Beziehungen des Papsttums zur Reichsgewalt waren nicht ungünstig.


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