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381. Ich sunge dir nicht vom habber sack

Vgl. Wa II 258 Hafersack 2 Einem nicht den Habersack zeigen. Dazu wird in der Anmerkung angeführt eine Stelle aus Mathesius, Syrach, I Bl. 77 b Wenn ein grosser eines geringern darff, so gibt er gut wort, klopfft ihm auf die Achssel, lädet jhn zu Gaste ... bisz er jhm ein tausend Gülden leihet; wenn er dann das Geld hinweg [ergänze: hat], zeiget er jhme nicht den Habersack, spottet sein dazu. V 1395 Hafersack 4 Den Habersack singen; mit der Anm.: »Aus Fischarts Gargantua (1592, S. 45) geht hervor, daß ›der Habersack‹ ein obscures [gemeint ist wohl ›obscönes‹] Lied war«. Zu dieser Anmerkung vgl. auch DWb 4 2, 87. Fischart führt nur einen Vers an, der aber zur Erklärung der Ra nicht ausreicht.

ZfdPh 26,216 giebt Spanier drei Stellen aus Murner, in denen die Ra gebraucht oder darauf angespielt wird.

NB 19, 18
Zu guttem tütsch heisst es: ein vertragk,
Oder gesungen: der habersack.

Luther. Narr 577
Wil es dan ye beschworen syn
Und hilfft auch weder guck noch gack
So sing ich nit den habersack
Ich sag bei got als, das ich weisz,
Dan solt es sein ein heimlichkeit,
Sie hetten es dem narren nit geseit.

Geuchmatt, Bl. k 4a Wenn die Geliebte dem Gauch die Speisen bereitet, so ist er stets hocherbaut davon:

So hat die selbig spysz ein gschmack
Und ist wyt über den habrensack.

Eine befriedigende Erklärung zu diesen Stellen giebt Spanier nicht, wie er auch seinerseits mit der von Gödeke zu NB 19, 5 (S. 70 Anm.) gegebenen sich nicht befriedigt erklärt.

Bei Luther kommt die Ra in drei Stellen vor, soviel ich sehe; die beiden ersten werden von Klaiber ZfdPH 26, 52 angeführt. EA 6, 5 Wenn sie [die Mönche und Pfaffen] Messe gehalten und gesungen haben, denken sie, sie haben es alles verrichtet, singen unserm Herrn Gott darnach nicht vom Habersack; 6, 208 Bauer, Bürger, Knechte, Mägde hören wohl, dasz sie dem Kaiser geben sollen, was des Kaisers ist; aber sie süngen ihm nicht vom Habersack daran; sie sehen den Kaiser nicht an, gerad als wären sie dem Kaiser nichts schuldig; 36, 272 Darumb gehets also, wenn sie einen gnädigen Fürsten haben, sind sie stolz und kann Niemand mit ihnen übereinkommen. Ja, unserm Herrn Gott selbs singen sie nicht vom Habersack. – Zur Vergleichung zieht Klaiber a.a.O. S. 54 noch heran EA 38, 30 Die Gottlosen haben die Freude des Worts nicht, sondern sie freuen sich desz, dasz sie Korn und Wein, das ist Reichthum und den Mammon dieser Welt haben, wie die Päpste und Mönche; die singen unserm H. G. von einem Strohsack; wenn sie nur ihre Stifte und Klöster haben, das ist ihre Freude.

Von seinen Erklärungsversuchen scheint Klaiber selbst nicht befriedigt zu sein, und außer Spanier finden wir noch andere in ZfdPh mit dieser Ra beschäftigt: R. Sprenger Bd. 26, 281; John Meier 27, 62; G. Bossert 30, 430.

Ich bin der Meinung, daß der Ausdruck ›singen‹ bei Luther und Murner auf ein jener Zeit geläufiges Volkslied hinweist; mit John Meier gebe ich zu, daß das aus Fischart citierte Lied vom Edelmann, der sich in einem Hafersack in die Mühle tragen läßt, nicht genau genug stimmt, und ebenso wenig (der von Gödeke herangezogene) große Sack des Pfaffen vom Kalenberg. Ein Volkslied aber, aus dem sich nach meiner Meinung alle Stellen erklären lassen, giebt es. Es findet sich auf einem alten fliegenden Blatt v. J. 1500 und steht in ›Des Knaben Wunderhorn‹ (hg. v. Ettlinger, Halle 1891) S. 563 unter der Überschrift: Der Habersack.

V. 1
Und wollt ihr hören singen,
Ich sing ein neues Lied
Von einem feinen Fräulein
Und wie es dem erging.
Sie war genannt der Habersack ...

Den Habersack, also sich selbst, trägt sie zur Mühle, mit der Bitte, der Müller möge ihn mahlen, aber »es soll verschwiegen sein« Was unter ›mahlen‹ zu verstehen sei, ergiebt die im DWb 6, 1455 angeführte Stelle aus Kirchhof, Wendunmuth (1602) 1, 162, wozu man vergleichen kann P. Gengenbach S. 413, V. 97ff., wo es von den Bürgern, die auf Buhlschaft gehen, heißt

sie tragen jre kernen
auff frembde mülen gerben,
die sprewen bringt er heim.

Vom Müller aber wird in jenem Liede weiter gesagt:

Er könnt ihn nie gemahlen,
Er war sein Ungefäll.

V. 4
Der Müller nahm die Stiefel,
Streift sie an seine Bein,
Er ging die Gassen auf und ab
Und sang ein Liedlein klein
Er sang ein Lied vom Habersack ...

V. 5
Das hört des Müllers Knechte
In seinem Kämmerlein,
Er dacht in seinem Sinne,
Es war ein Fräulein fein,
Es war ein Fräulein minniglich.

Wollt Gott, sollt ich sie schauen
Wohl durch den Willen mein, –
      Dein und mein und aber dein –
       Es sollt verschwiegen sein.

Die letzte Zeile zeigt, was es heißt: › nicht vom Habersack singen‹, nämlich: eine Heimlichkeit nicht thöricht ausplaudern. In den Lutherstellen ist dieser eigentliche Sinn durch den naheliegenden Nebengedanken beeinflußt, daß man sein Geheimniß am besten bewahrt, wenn man sich gegebenen Falls dumm stellt und thut, als wüßte man von nichts. Diese Deutung paßt auch zu Mathesius. NB 19, 18 ist an das listige, geheime Einverständniß zwischen Herrn und Knecht zu denken; im Luth. Narren will der Narr nicht den Habersack singen, sondern alles sagen; das heißt hier, er will mit Bezug auf sein früheres Versprechen zu schweigen sich unwissend stellen und thun, als hätte er nichts versprochen. In der Geuchmatt ist unter ›Habersack‹ ein nach dem angeführten Liede leicht zu errathender Genuß zu verstehen, dem der Gauch eine gute Mahlzeit im besonderen Falle vorzieht.

Was EA 38, 30 das › Singen von einem Strohsack‹ anlangt, so könnte es eine von Luther gebildete Ra sein, die dasselbe besagen sollte wie › nicht vom Habersack singen‹, wobei Strohsack als Gegensatz zum Habersack zu denken wäre. Doch eine viel natürlichere und zutreffendere Deutung findet man in der Wa IV 920 Strohsack 1 ff. in mancherlei Wendungen schon aus Luthers Zeit nachgewiesenen Ra: Einem den Strohsack vor die Thür werfen, als »Ausbruck bei Entrüstung mit dem Nebenbegriff der Zurückweisung einer Gunst und Gnade; hauptsächlich mit dem Abbruch eines Dienstverhältnisses drohen. Der vor die Thür geworfene Strohsack deutet auf das Scheiden aus dem Hause. Auch die Herberge kündigen.« Wenn auch Wander die Ra ›vom Strohsack singen‹ nicht kennt, so konnte sie doch Luther wohl anwenden, denn es giebt ein entsprechendes Volkslied, vgl. Uhland, Volksl. S. 703 (Nr. 269)

V. 8
Im winter wann die weiszen mucken fliegen
so müssen sich die webersknaben schmiegen,
man würft in den strosack für ir tür:
kumt der helle summer
man gibt in das bett herfür, herfür.

Es ließen sich hieran einige Bemerkungen schließen über Luthers Bekanntschaft mit dem deutschen Volksliede, wofür mir eine Reihe von Belegen zur Verfügung steht, doch hoffe ich dazu eine andere Gelegenheit günstiger zu finden.

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