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15. Er furcht sich fur seinen eigen staren [ynn augen, ym auge]

Wa I 1279 fürchten 74 fand das letzte Wort staren unleserlich und vermuthete dafür schatten, was ganz ausgeschlossen ist. Zwar die von Wa ebenda 26 angeführte Ra Mancher förcht sich vor seinem Schatten, vnnd hat ein Löwenmaul vnd ein Hasen Hertz (Lehmann 226, 12) ist Luther auch nicht fremd in der Fassung: EA 40, 224 machst dich selbst dir zum Götzen und betest dein Herz an und furchst dich fur dir selbst, wie man sagt: der furcht sich für seinem Schemen. Altenb. Ausg. V 1238 (Just. Jonas' Übersetzung b. Pred. Salomo) Ein solcher aber fürcht sich für seinem eigen Schatten und in allen Büschen fürcht er liege ein Wolf. – Hier aber handelt es sich um eine andere Ra, die mir bisher nur gelungen ist bei Luther und zwar in folgenden Stellen nachzuweisen: Weim. Ausg. VII 407, 22 ff. (= EA 24, 118) Auszgenummen der Bapst und sein Kirche, die furchten sich billich fur yhren eygen staren ym auge, wye geschrieben stet: ›die unchristlichen szunder furchten sich, und niemant iagt sie‹. Weim. Ausg. VIII 170, 25ff. (= EA 27, 359) unnd geschicht dyr eben (wie man sagt), das du dich furchtist fur deynem eygen augennstern, denn wo du fest glewbist, der wolff sey hynder dem offen, ob er schon nit da ist, szo ist er doch dyr da, der du nit änderst thust und ferist, alsz sey er da. Sihe solch schewchter und spugnis ist allis, was der Bapst ynn der wellt macht, und betreugt nur Christlich gewissen mit seynen nichtigen effischen gepotten. EA 26, 183 (= 226, 205) Nicht dasz sie es fur Wahrheit halten, sie wissens sehr wohl anderst, sondern gern wollten, dasz unter die Leute käme und alle Welt fur Wahrheit hielte, damit die Kaiser und Könige böse Gewissen kriegten, dasz sie ihre Königreiche wider Gott und Recht besässen .., obs einmal gerathen wollt, dasz die Könige sich fur dem gemaleten Teufel oder ihrem eigen Star oder für des Papsts Forz fürchten wollten und den Papst bitten, dasz er wollt ihr Reich annehmen. EA 38, 128 Will er Gott nicht fürchten, wohlan so fürchte er sich fur seinem eigenen Staren im Auge.

Der Sinn ist klar und entspricht Agricola 129 (= Egenolf 81 b) Der fürchtet sich vor yhm selbs. Es kompt forcht mehr von ynnen herausz, denn von aussen hynein. Denn wie eyner sich selbs weysz inn seinem hertzen, also furchtet er sich auch oder ist gutter dinge. Salomen sagt [Spr. 28, 1]: Der vngerecht fleucht, wenn yhn auch gleich niemand iagt...

Für die Frage nach dem Ursprung und eigentlichen Sinn der Ra kommt in Betracht, 1. daß Luther Augenstern gleichbedeutend setzt mit staren ym auge, 2. daß in allen bezüglichen Stellen eigen vor staren und Augenstern steht und hier in der Handschrift geflissentlich noch von ihm hineincorrigirt worden ist. Daraus geht hervor, daß der lächerlichen und unbegründeten Furcht vor dem eigenen Augenstern die für begründet erachtete Furcht vor dem fremden gegenübergestellt werden soll. – Nach Grimm, deutsche Mythologie 864. 903. 920 erkannte man Hexen und Zauberer, die durch den bösen Blick Schaden zufügen können, daran, daß das in der Pupille sich abspiegelnde Bild des Beschauers, das Männlein, Kindlein, Mägdlein, wie man es nannte, bei ihnen verkehrt stand. Nach einer von Grimm angeführten Stelle des Plinius hatten sie das Bild eines Pferdes in dem einen Auge. Im Auge des nordischen Helden sah man eine Schlange, vor der der Feind zitterte. – Der Henker verband seinen Opfern die Augen, weil er durch sie behext leicht einen verhängnisvollen Fehlhieb hätte thun können. Das Auge ist Verräther des boshaften Herzens. Uhland, Volksl. Nr. 297

B v. 13 ick se it an juwen ogen wol
gi sint ein düvelinne.

C v. 4 die jüngste tochter die wil ich nid,
sie treit der teufel in ire,
ich gses an ir brun augen an
wie er in ire tůt brinnen.

Besonders gefährlich ist nach der Sage der Blick des Basilisken. Will man ihn töten, so umstellt man ihn mit Spiegeln, dann muß er sich selbst sehen und stirbt an seinem eigenen Blick. Vgl. Kurz, Anm. zu Simpl. III 433, 12. – Das Alterthum fabelte von dem schrecklichen Blick der Gorgo, der in Stein verwandelte. – Viele Sprw. schildern die Macht des Auges z. B. Wa I 171 Auge 51 Das Auge ist ein Gewehr. 146 Kein böses Auge sollte das schöne Kind ansehen. 252 Wer böse Augen ansieht, dem hängen sie ihre Krankheit an. 384 Es ist ein böses Auge darübergegangen. V 849 Auge 527 Haar ick Ogen as mîn Broder Slang, stêk ick dörch Isen un dörch Stang wird den Blindschleichen vom Volk in den Mund gelegt. 653 Einen mit den Augen vergiften. 695 Ich weiss nicht, was für ein böss aug darzu kommen ist (Henisch 661, 10). – Sein eigenes Auge aber kann Niemand sehen nach dem Sprw. I 176 Auge 197 u. V 849 Auge 538 Kein Auge sieht sich selbst. – Auf diese volkstümliche Furcht vor dem bösen Blick nimmt Luther Bezug bei der Erklärung von Gal. 3, 1. Weim. Ausg. II 505, 25 (= EA Op. ex. 26, 25) Est autem fascinare aspectu malefico ledere, ut Virgilius [Ecl. III 103]: Nescio quis teneros oculus mihi fascinat hagnos. Hoc utrum verum sit nec ne, deus viderit, inquit Hieronymus ... Ego credo hunc esse morbum infantulorum, quem mulierculae nostrae vulgo die elbe seu das hertzgespan vocant ... Creditum est enim, ab invidis illis et maleficis vetulis, si cui formosulum infantulum matri invideant, talia fieri.

Hieraus geht hervor, daß Furcht vor dem bösen Blick sehr verbreitet war und begründet schien; Furcht vor den eigenen Augen ist hingegen lächerlich, denn man kann sich ja selbst nicht in die Augen sehen.

Das Innerste des Auges, die Pupille, die Sehe, der Augenstern, erschien aber, wie Grimm zeigt, als der eigentliche Sitz der bösen Macht, daher denn auch von Luther nach dem Sprw. unbegründete Furcht als eine solche vor dem eigenen Augenstern, dem Star in dem Auge oder den eigenen Staren in den Augen bezeichnet wird.

Eine besondere sprachliche Beachtung verlangt die Ra deshalb, weil hier meines Wissens sowohl das Wort Augenstern als Star in den Augen zum ersten Mal im Neuhochdeutschen belegt wird. Vgl. dazu die Ausführungen von Prof. Pietsch in der Anmerkung zu Weim. Ausg. VII 407, 23. Er sagt dort, daß der Star dasselbe Wort sei, das heute zur Bezeichnung der Augenkrankheit allgemein üblich ist. Dieses Substantiv sei erst in jüngerer Sprachentwicklung aus dem altüberlieferten starblint gebildet und scheine zuerst bei Luther Tobias 6, 10; 11, 14 belegt. Daneben habe es eine auf starnblint zurückgehende Form der Starn gegeben und dazu sei dann Stern lautliche Nebenform oder Umdeutung. Star als Nebenform des Wortes Stern, die in niederl. und engl. star auftrete, sei in Luthers Munde undenkbar.

Die Frage nach dem Ursprung und der Bedeutung des star in starblind ist eine vielumstrittene. Abgesehen von den deutschen Wörterbüchern, in denen sie behandelt wird, verweise ich auf die eingehende Untersuchung von Zacher in den Klinischen Monatsblättern für Augenheilkunde XII. Jahrg. (1874) S. 277 ff.; Magnus, Geschichte des grauen Staares, Leipzig 1876 S. 99f.; O. Becker, im Handbuch der gesammten Augenheilkunde, Leipzig 1877, Bd. V 203.

Zacher äußert im Gegensatz zu Grimm und den meisten neuern Sprachforschern seine Bedenken gegen die Ableitung vom Verbum starren und sucht für die Ableitung von Staar (dem Vogel) verschiedene Gründe geltend zu machen, die letzte Entscheidung den Medicinern überlassend. Diese gehen aber auseinander: von den beiden hier genannten bezeichnet Becker als Hauptsympton der Krankheit den starren Blick und hält damit die Herleitung von starren für selbstverständlich, während Magnus unter Berufung auf andere Autoritäten seines Faches bestreitet, daß Starrheit des Auges ein besonderes Kennzeichen der Staarkrankheit sei und – von Zacher darin etwas abweichend – den weißlich-grauen Tüpfeln des Staargefieders eine gewisse Ähnlichkeit mit der grauen Pupillarfärbung des kranken Auges zuerkennt.

Aus den Ansichten der Mediciner die Entscheidung zu gewinnen, ist hiernach gewagt. Für mich muß ich auch darauf verzichten, sprachlich eine solche zu treffen, will aber Pietsch gegenüber die Schwierigkeiten, welche mir der einfachen Annahme seiner Erklärung gegenüberzustehen scheinen, hervorheben und diese selbst ergänzen.

1. Als Neutrum begegnet das Subst. Star schon um die Mitte des 15. Jhs. in der Bedeutung der Augenkrankheit. Vgl. Schiller-Lübben, Mittelniederd. Wörterbuch IV 365 Wultu dat star steken, so nym eynen griffel van suluere, de schal vore scharp wesen. so lose dat star in der oghen bi der netzen ersten. – Unde ok is se (de bathonie, eine Heilpflanze) ghud vor dat star. Aus dem Vocabular Engelhus 1445 staer vel blint, obtalmia.– Als Masculinum scheint das Wort dagegen zuerst bei Luther belegbar zu sein.

2. Daß Luther neben der gewöhnlichen Form Stern in gewissen Verbindungen und Zusammensetzungen ein mundartliches Star(n) brauchte, wird, wie mir brieflich auch Prof. Pietsch einräumte, durch folgende Stellen wahrscheinlich: EA 28,420 f. so haben wir doch je die rechte lautere Lehre des Euangelii als einen hellen Lichtstar, mitten unter diesem verkehreten und unschlachtigen Geschlecht der Finsternis. 64, 265 Darumb wollen wir das liebe Licht erhalten unter dem argen, verkehrten Geschlecht wie die Lampen und Lichtstar. 43,325 Das weisz ich, nicht nach meinem Licht oder Starn, dasz es mich gut oder böse dünkt. Außer den beiden ersten Stellen aus Luther gibt DWb 6, 892 noch 2 weitere Belege: aus Seb. Francks ›Guldin arch‹ (1538) leuchten die frommen als ein liechtstar in der finsternus; in Ad. Petris Glossar zu Luthers Neuem Testament (1532) wird auch liechtstar aufgeführt und durch leuchtern, lutzern erklärt. Wie mir Prof. Pietsch mittheilt, stand liechtstar in den Ausgaben des N. Testaments bis zum Jahre 1527 Phil. 2, 15, wo Luther später liechter setzte. Schließlich ist DWb auch noch angeführt luchtesterne lucibulum, Diefenb. Gl. 337 c. – Nach der Ansicht des Prof. Pietsch (und anderer Germanisten) ist es zwar mindestens zweifelhaft, ob in liechtstar eine Zusammensetzung aus liecht und stern vorliegt, immerhin scheinen ihm aber die angeführten Stellen zu beweisen, daß man das Wort zu Luthers Zeit und in seiner Gegend als eine solche auffaßte, und daß solche Auffassung möglich war, weil die Wittenberger Volkssprache schon damals wie heute starn hören ließ. Licht oder Starn (EA 43, 325) würde dies ganz sicher beweisen, wenn die Stelle einer unmittelbaren Lutherschrift entstammte; da sie aber einer von Anderen besorgten Ausgabe Lutherscher Predigten angehört, bleibt die Möglichkeit bestehen, daß Licht oder Starn aus Lichtstarn entstellt ist.

3. Darf man somit eine mundartliche Form star(n) für stern für Wittenberg annehmen, so steht nichts im Wege den eigen staren ynn augen, wie es ja auch Luther selbst thut, für den eigenen Augenstern zu nehmen, um so mehr, als nur so der Sinn der Ra verständlich wird. Ich wenigstens kann nicht einsehen, wie hier Star als Augenkrankheit verstanden werden könnte.

Solange übrigens die Ra nicht anderweit nachgewiesen ist, darf man wohl annehmen, daß sie auf Wittenberg und seine Umgegend beschränkt war.

Die weitere Frage nach dem Ursprunge des Gebrauchs von Stern für Augapfel ober Pupille, wofür Zacher a. a. O. aus Claudians stella segnis (Phoen. 37) verweist, und wofür man auch den alten dichterischen Gebrauch heranziehen müßte, ist hier nicht zu erörtern; sie hängt aber mit den obigen Erörterungen möglicherweise zusammen.

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