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27.
Das Jubiläum.

Auf dem Rückwege von einem Spaziergange waren wir bereits in der Vorstadt bei einigen hübschen Häusern vorüber, als in einem der nächsten an das Fenster geklopft wurde. Ich sah auf – ein kleines Mädchen nickte und winkte. Des kleinen Mädchens Mutter trat hinzu, grüßte sehr freundlich und winkte noch lebhafter. Dann verschwanden beide, erschienen aber gleich darauf in der Hausthür, und mit ihnen nun auch noch der Vater des kleinen Mädchens. Alle drei riefen uns nach. Wir waren noch nicht weit – mußten richtig umkehren und mit ihnen hinein. Wenn man so herzlich gebeten wird und hat nicht dringende Gründe der Entschuldigung – die wir nicht hatten – kann man eine Einladung doch nicht gut ablehnen, um so weniger, wenn es uns das größte Vergnügen macht, sie anzunehmen.

Wir traten also ein. Wie wir nun eben im Wohnzimmer, ging die Thür nach der andern Stube auf, und eine junge Person erschien mit einem Kinde vor sich auf beiden Armen. Die sah sehr blühend aus und hatte ein neues Kleid an. Sie war mager gewesen beim Antritt des Dienstes, erfreute sich jedoch eines gesegneten Appetits, erhielt nahrhafte Kost und erholte sich so, daß ihr bald Alles zu enge wurde. Und »Gottsegen'chen!« das Kind gedieh ja auch zusehends und hatte auch ein neues Kleid an, das war weiß mit gestickten Strichen und hing lang herunter – sehr lang!

»Wer lang hat, läßt lang hängen!«

»Er hat es heute zum ersten Mal an.«

»Ist es denn sein erstes?«

»Sein erstes Kleidchen. Es ist ein doppelter Festtag für ihn. Er ist ja heute auch ein Vierteljahr.«

»Wahrhaftig – schon? Aber Sie werden es wol am besten wissen. Ja ja – es stimmt.«

Während wir so um den Kleinen, der sein erstes Jubiläum feiert, herumstehen, kommt noch mehr Besuch. Es sind die Herren Engelrechts, Vater und Sohn. Die wußten auch nicht, was für ein Fest in dem Hause, und waren auch sehr erfreut und teilnehmend, als sie es erfuhren. Der alte Herr Engelrecht war aber doch der Erste, der sich aus dem Kreise der Glückwünschenden und Bewunderer zurückzog. Nachdem er ein paar Mal hin und her gegangen, setzte er sich auf das Sopha. Nachdem er ein Weilchen gerade aufrecht gesessen, legte er den Kopf bequem zurück, schob das Schlummerkissen unter, und nachdem er so wieder ein Weilchen schweigend halb gesessen, halb gelegen, rief er laut, ohne erst eine Pause im Gespräch abzuwarten: »Bernhard, wenn Sie uns ein Glas Bier geben wollen, thun Sie's bald! Ich habe schrecklichen Durst. Aber ich kenne dies Hotel schon: liebenswürdige Wirthe, doch schlechte Bedienung.«

Flaschen und Gläser klirrten indessen schon. Es wird eingeschenkt, der Schaum wallt auf und ab, beruhigt sich, und Herr Engelrecht Vater thut einen herzhaften Zug. »So, nun danke ich auch sehr. Andere Leute können bei trockener Kehle nicht singen, ich bin so zart organisirt, wenn ich durste, kann ich nicht mal recht hören. Wollen Sie nun das Maß Ihrer Güte voll machen. Hochverehrteste, so sagen Sie das schöne Verschen doch noch einmal.«

»Mit Vergnügen, lieber Herr Engelrecht – zur Strafe für Ihren Spott.«

Und die junge Frau wiederholte das Verschen ganz mit demselben Tonfall, ganz in derselben Stellung und mit denselben Bewegungen – immer mit einer zuthulichen kleinen Vorneigung gegen das Kind bei jeder Reimzeile:

»Es war einmal ein Mäuschen,
Das baute sich ein Häuschen
Es war einmal ein Mückchen,
Das baute sich ein Brückchen
Es war einmal ein kleiner Floh,
Und der macht so – so – so.«

Ja die junge Frau und Mutter vergaß auch nicht beim Schluß wieder gerade so, wie das erste Mal mit der Fingerspitze gar heiter den Hals des Kleinen zu berühren – gleichsam stellvertretend.

»Vorzüglich – aber das meinte ich eigentlich nicht. Ich meinte das andere, das Sie vorher sagten, wie wir eben gekommen.«

»Was war es denn? Ah so – das? Und das soll ich auch da capo vortragen? ... Steht zu Diensten:

»Bimm – bamm – Büttchen,
Zu Bingen ist ein Schmidtchen.
Bimm – bamm – Reifenschlag,
Bist ein kleiner Schabernack.
Bimm – bamm – Glockenhaus,
Da gucken schöne Mädchen heraus.
Bimm – bamm – und schenken dir ein
Den allerschönsten rheinischen Wein.«

»Charmant! ganz charmant! Schon – wie instruktiv für den jungen Herrn. Wenn er dann später einmal seine ersten Sprünge und Flüge macht und läuten hört, weiß er doch auch gleich, wo die Glocken hängen, wo – wie – was und warum geläutet wird, zumal am schönen Rhein. Aber wie kommen Sie denn dazu? Sie sind doch nicht von Bingen?«

»Aber meine Mutter.«

»Darum – ich weiß doch, Sie sind ein echtes Schwabe'mädele.«

»Ja ja – machen Sie nur wieder Ihr Gesicht.«

»Was für ein Gesicht? Ich weiß nicht, was Sie von meinem armen alten Gesicht wollen! Soll ich mir, ehe ich meine Aufwartung mache, allemal erst alle meine schönen Runzeln sauber aufbügeln lassen von einer hübschen Plätterin? Wie ich über Ihre Landsmannschaft denke, kann mir mein Sohn bezeugen. Oder warten Sie bis nächste Woche, ich werde etwas darüber vortragen im literarischen Vereine.«

»Das wird ja immer schöner!«

»Kommen Sie nur dreist. Ich lobe Sie nicht zu sehr. Mein Aufsatz beginnt: »Es ist zwar sonst nicht viel los mit den Leutchen, aber das war kein übler Einfall, daß sie sich heiratheten vom schwäbischen Meer nach der Ostsee hinüber. Wären nur mehr so gescheidt gewesen – mancher Tropfen edeln Blutes, manches Stück gutes Eisen hätte produktiver angelegt werden können ...« Ja nun machen Sie – Ihr Gesicht! Besorgen Sie nichts. Ich gebe zu: neuerdings ist dies und das geschehen, was dafür spricht, daß kalt Eisen hin und wieder auch noch anders nicht ganz unproduktiv verwendet werden kann, als nur zu Nähmaschinen, den »eisernen Schneidermamsellen«, wie sie meine Frau nennt, oder um beim Handnähen nach alter guter Art sich ein ganz klein bischen in's zarte Fingerchen zu stechen. Doch lassen wir die Waffen ruhen! Soll und muß denn durchaus gelobt sein, so sind Sie ja ein Musterpaar auch deshalb schon, weil Sie zuerst wieder der Familie alte Beziehungen zum Süden erneut, die Sie besser kennen wie ich. Ihre seligen Großeltern sprachen vor Anderen selten davon. Einmal war ich doch zugegen. Einer der Söhne – oder war es schon ein Enkel – wir Alten verwechseln das gar zu leicht – hatte sein Abgangsexamen gemacht, sollte zum ersten Mal hinaus in die Welt. Die Mutter gab ihm einen Siegelring, den sie nach einem alten Wappensteine stechen ließ. »Es ist nicht mehr unser Wappen, sagte sie, der Name ist erloschen in unserm Geschlechte, aber die Erinnerung lebt fort und fort von Kind auf Kindeskind an die Vorfahren, die ihren Stammsitz an der rauschenden Traun in den schönen salzburgischen Hochbergen, die Verwandtschaft, Freundschaft, weltlich Gut und weltliche Ehre hinter sich ließen, eine andere Heimath zu suchen, die ihnen Gott gezeigt, wo der Glaube frei, und sie sein Wort nach dem lautern Evangelium predigen konnten.« – Der Vater aber ging an das Reliquienfach im alten Sekretär, worin kein Mantelfetzen und kein Todtenbein der Heiligen, nur die einst so frischen duftigen, jetzt dürr zerfallenen Brautmyrthen im vergilbten Umschlage, so wie ein kleines Steinchen lag, das er eben holen wollte und dem Sohne nun zeigt. »Es ist blos ein klein Steinle, umgeschliffen und ohne Wappenschild: so konnte ich dir auch mein Wappen nicht darnach stechen lassen. Ich würde dir das Steinle gerne mitgeben, allein ich kann es selbst nicht entbehren, brauche es selbst noch ab und zu, wenn ich müde werde und nicht weiter kann. Dann spricht das alte Steinle noch immer: »bist du mit Ausdauer und festem Vertrauen auf eine höhere Hand, die dich leitet, so weit gekommen, wirst du doch die kurze Strecke, die du noch zu laufen hast, auch noch überwinden.« Das ist der eine Spruch des Steinle. Der andere ist: »Vater Sklav', Sohn Graf, Enkel Bettelmann – freue dich, daß deine Söhne noch nicht Grafen sind.« Und der dritte: »wenn ich einmal muß scheiden, dann scheide nicht von mir, – wenn ich den Tod muß leiden, so tritt du dann herfür.« – Das Steinle hat Ihr seliger Großvater denn auch mitgenommen, wie ihm, der so Vielen »das Kissen 'n bischen bequemer gelegt«, das letzte Ruhekissen bereitet wurde von dem Meister, der einst als wandernder Gesell mit ihm unter der Linde am Kreuzwege stand: der eine fremd zuziehend, der andere in die Fremde gehend, der eine für lange Zeit zum letzten, der andere zum ersten Mal unsere Vaterstadt vor sich liegen sah. – Ich denke im vorigen Jahre muß der hundertjährige Geburtstag Ihres Großvaters gewesen sein. – Wie? Nicht wahr? Aber Sie scheinen selbst nicht recht taktfest in den Daten. Wenn ich wieder auf den Kirchhof komme, da steht es ja auf seinem Kreuze. Im verflossenen Jahre war so viel zu feiern, da könnte es wohl übersehen und vergessen sein. Will man es nachholen, die schönste Feier bedürfte keiner Vorbereitung. Sie üben sie schon tagtäglich ein.«

»Und das wäre?«

»Schade, daß den Jubeltag unser alter Freund, Philosoph und Sprachforscher nicht mehr mit feiern kann, der uns einst den Vortrag hielt über margellis – die uraltpreußische Jungfrau. Die zunftmäßigen Gelehrten scheinen seine Verdienste um die vergleichende Sprachwissenschaft noch immer nicht recht gewürdigt zu haben. Das hätte ihm nicht die Stimmung verdorben, sich mit uns herzlich zu freuen, wenn unter den Enkelkindern des Mannes, der ja auch einer seiner ältesten und treusten Freunde gewesen, ein altpreußischer junger Hausvater sein »Tochterchen« sein »Mädele« und seine junge Hausfrau, Maria mit Namen, sein »Mareile«, wogegen die junge Frau und Mutter ihr »Mädele« ihr »Margellchen« und ihr »Büble« ihr »Jungchen« nennt. Und was haben wir doch heute – Mittwoch? Ach nein, Sonnabend schon – richtig! Die Woche ist schon wieder zu Ende. Die Zeit rennt aber auch! ... Schade, daß nicht Mittwoch ist.«

»Wie so denn?«

»Und das fragen Sie noch? Nun dann lesen Sie nur selbst nach. Ich wollte Ihnen schon vorher sagen: »wenn Sie glauben, Sie sind die ersten Eltern, die sich darüber freuen, daß ihr Kind das dumme Vierteljahr hinter sich hat, so irren Sie bedeutend. Wie sich Alles wiederholt, steht das ja auch schon in dem Kapitel: Mittwoch ein Vierteljahr, nur daß es da eben Mittwoch, nicht Sonnabend ist – im ersten Kapitel aus unsern vier Wänden. Und so feiern wir gewissermaßen ein dreifaches Jubiläum, wenn wir das hundertjährige von ungewissem Datum gleich mit rechnen.« –

Wirklich werden es bald hundert Jahre, daß jenes Büble von der schwäbischen Alp dem zweiten Vater entlief, weil es beim Reisig sammeln den Strick verloren, halbtodt geschlagen zu werden fürchtete und zu fürchten einigen Anlaß haben mochte, was das Büble jenem alten Spielmanne zu erzählen vergaß. Aber der Stern, dem der arme Knabe folgte, leuchtet noch immer, zeigt uns noch immer, wo wir auch sind, den Weg zur Heimath und steht auch wol noch immer im schönen Schwabenlande »ob der Kapelle«: – 'n bissel mehr nach dem Spitz' vom Berge hin oder 'n bissel mehr über dem Thal, 'n bissel mehr rechts oder 'n bissel mehr links, das mögen die Sterngucker ausmachen – doch die rechten Sterngucker, nicht die Tausendkünstler und Schuhflicker, die Alles wissen und verstehen, nur keine Schuhe machen können.


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