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8.
Besuch.

Trudchen hatte am Zaune gesessen, der die Nachbarhöfe scheidet, und mit anerkennungswerther Ausdauer durch eine Ritze zwischen den Brettern gerufen: »Bertha, Bertha, Bertha – Bertha, Bertha – Bertha, Bertha – Bertha – a – Bertha, komm' mal her – ich will dir blos was sagen. Bertha, Bertha!«

Endlich kam Bertha auf die dringende Benachrichtigung: »die Trudchen schreit sich schon den Hals nach dir ab.«

»Bertha, können wir heute zu euch kommen?«

»Ich werde die Mutter fragen.«

Geschäftiger Lauf in das Haus und wieder zurück an das Guckloch im Zaune:

»Ja, ihr könnt kommen.«

»Vor dem Vesper oder nach dem Vesper?«

Der in der Mitte liegende dritte Fall wird mit großer Feinheit gar nicht näher berührt.

»Die Mutter sagt, ihr möchtet heute erst nach dem Vesper kommen.«

Auch gut.

Die Familie sitzt noch beim Kaffee, als gemeldet wird: »Bertha, die Rademacher'schen Kinder.«

Während Bertha ihren Vespertrunk ruhig beendet – es ist kein Verstoß gegen die gute Sitte der Kindheit, das wichtige Geschäft der Nahrung erst zu vollenden, ehe die Empfangsbegrüßungen stattfinden – nimmt der Besuch am Fenster Platz. Trudchens ältere Schwester greift nach einem Buche, das sie aufgeschlagen findet, und beginnt eifrig zu lesen. Trudchen selbst kniet auf ihrem Stuhle und sieht hinaus, scheint aber nicht viel Wichtiges zu bemerken, bis sich ihr Gesicht – und es ist ein frisches Gesichtchen wie Milch und Blut mit blauen Augen und blonden Haaren, die schlicht um die Stirn hängen – mit einmal erhellt: »Da geht der Briefträger!« Es spricht sich ihre harmlos selbstzufriedene Freude darin aus, den wichtigen Mann mit dem orangegelben Kragen und dem großen Beutel voll Silbergroschen und halber Silbergroschen schon recht gut zu kennen.

Nun ist Bertha fertig, steht auf vom Tisch, und das Vergnügen beginnt wie immer, ohne daß sie vorher viel Worte machen, gleich mit dem Spiel. Zuerst spielen sie mit den Puppen.

»Hernach werdet ihr doch wol kochen wollen?«

»Ach ja!« Die fröhliche Zustimmung Aller erhält von Seiten Trudchens noch mehr Nachdruck durch einen reizend verlegenen Griff nach den Hinterfalten ihres Kleidchens und einen kleinen Sprung. Trudchens Bewegungen sind eigentlich insgesammt Sprünge, aber wo andere kleine Leute vielleicht auch vor innerer Lust ein Hopserchen machen würden, macht bei ihr das eine Beinchen noch immer einen Extrasprung privatim für sich, als sei es ihm nicht genug, nur so im Ganzen mit der übrigen Gliederfamilie mitzuspringen.

Nach der Tafel »Grützchenstampfen«, eine ebenso heitere als die Verdauung kräftig anregende Bewegung.

Dann Greifspiel im Hofe.

Dann stecken die Kinder zischelnd die Köpfe zusammen, sie haben ein Geheimniß, das Niemand wissen darf.

»Auch ich nicht, Trudchen?«

»Ich sage es aber doch nicht! – Sprung und Extrasprung des Beinchens mit dem lebhaften Temperament.

Dann Begräbniß eines todt gefundenen jungen Sperlings.

Dann zur Erholung von dem erschütternden Ernst dieser traurigen Ceremonie eine Weile Heiterkeit ganz im Allgemeinen, ohne jedes besondere Unternehmen – das sogenannte Unsinnmachen, viel Lachen über nichts, gegenseitiges Kitzeln, zweimaliges Erzürnen, Nachhausewollen und Wiederversöhnen.

Was nun?

Da läßt sich zu rechter Zeit die große Orchesterleier von der Straße her vernehmen.

»Vor die Thüre, vor die Thüre!«

»Aber erst die Strumpfbänder zubinden, Trudchen!«

»Thut's auch nicht weh? Habe ich auch nicht zu fest gebunden?«

»Na, nu kommt!«

*

 


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