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2.
Hausmusik.

Es ist ein großes Glück, Kinder zu haben. Allein sie können der glücklichen Mutter doch auch manchmal den Kopf recht warm machen. Die Hausfrau dachte in der Dämmerung: nun willst du dich mal erholen! Da kamen die Kleinen schon wieder und baten um ein Lied. Sie mochte es ihnen nicht abschlagen und setzte sich an das Klavier. »Was wollt ihr denn singen?«

»Von der Nachtigall!«

Und sie stimmten das alte bekannte Liedlein an:

»Nachtigall, Nachtigall, wie sangst du so schön vor allen Vögelein?
Wenn du sangest, rief die ganze Welt: jetzt muß es Frühling sein!
Nachtigall, Nachtigall, wie drang doch dein Lied in jedes Herz hinein!
Nachtigall, Nachtigall, was schweigst du nun, du sangst so kurze Zeit.
Wenn du sangest, war mein Herz so voll von Lust und Fröhlichkeit!
Warum willst, warum willst du singen nicht mehr? das thut mir gar zu leid! –
Wenn der Mai, wenn der Mai, wenn der liebliche Mai mit seinen Blumen flieht,
Wollt' ich singen auch, ich könnt' es nicht, mir gelingt kein einzig Lied.
Ja es ist, ja es ist mir so eigen um's Herz, weiß nicht, wie mir geschieht.«

Ein wehmüthiges Liedchen! – Und warum? Weil der Mensch bei Allem immer gleich an sich selber denkt. Doch die Hausfrau mochte wol eine Ausnahme machen. Es traf auch nicht zu bei ihr, was der Dichter die verstummende Sängerin des Frühlings klagen läßt. Mittsommer war vorüber, und sie sang doch noch. Ja vielleicht empfand sie die Jugendfreude noch reiner, als einst in den eigenen Kindheitstagen, jetzt als Mutter, wenn ihre Kinder so frisch und fröhlich sangen mit schmetternder Kehle, wie die Finkenhähnchen und Stieglitze.

Während sie ein zweites Lied folgen ließen, kam der Vater herein und wollte eigentlich schelten über die ewige Bänkelsängerei; allein da es immer mehr dunkelte, hatte er so wie so die Arbeit unterbrechen müssen. Nun gebot er nicht einmal Schweigen, hörte ruhig zu, brummte bald ein wenig mit, immer lauter und lauter und am Ende trat er auch heran und sang aus voller Brust mit ihnen zusammen. Seine Stimme war eher rauh als wohlklingend, ja die Besorgniß liegt nahe, der wackere Mann dürfte einigermaßen detonirt haben. Aber ihm sowol wie den Kleinen machte es Freude, und schon der tiefere männliche Klang an und für sich gab dem Chore einen festeren Halt.

Der Hausherr stand hinter dem Halbkreis der Kinder, deren zarte Figürchen seine kräftige Gestalt überragte – er, das Haupt und die Stütze von Allen; vorne aber vor den Tasten des Instruments, in der Mitte der Gruppe hatte ihren Platz die Mutter – die Seele des ganzen Hauses.

Und als ausgesungen war, sagte der Vater, während die letzten Töne noch sanft nachhallten in den bebenden Saiten: »Herzchen, jetzt laß Licht bringen, ich habe viel zu thun.«

*

 


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