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14.
Der Hausfrieden.

Der Hund drehte sich vorsichtig rund um, ehe er sich hinlegte. Es war ein großer, starker Hund gelblicher Farbe mit langem Zottenhaar, eine Art Wolfshund. Die Schnauze behaglich am Leibe, daß er die pulsirenden Adern und die Hebung und Senkung der Rippen bei jedem Athemzug durchfühlte, blinzelte der Hund nach dem Treppengeländer. Der helle Streif mußte noch mehr hinaufrücken an der Flurwand. Gestern stand derselbe helle Schein ein ganz Theil höher, als spazieren gegangen wurde. Ja, der Herr war gut, er nahm den Hund mit. Und sie ist auch eine ganz gute Frau, bis auf die Marotte mit der Reinlichkeit. Der Herr giebt ihm einen Knochen, einen knusperigen delikaten Knochen – und sie jagt ihn ihm wieder ab, weil er Fettflecken macht! Die Katze –o ja! die weiß sich einzuschmeicheln, die wird verhätschelt auf jede Weise. – Der Hund rappelte sich auf und beschnupperte die Diele. »Ich möchte blos wissen, wozu die Schleicherin ist? Nicht einmal die elenden Mäuse vertreibt sie.«

So lange der Hund im Zimmer, war die Katze nirgend zu sehen. Nun sitzt sie mit einmal da, die Vorderpfoten aufrecht, den Schwanz um die weichen Schenkel in zierlichem Halbkreis. Es ist eine schöne Katze, ganz weiß von Kopf bis zu Fuß – in der jetzigen Stellung. Die Katze wird ja aber nicht immer so sitzen bleiben, sie wird sich auch schon noch in anderen Stellungen zeigen. Die Hausfrau setzte ihr eigenhändig das Schälchen mit Milch hin. Die Katze macht aber auch keine Schmutzerei, es ist eine Freude zu sehen, wie das saubere Thier trinkt und frißt. Teller und Tassen tanzten förmlich unter der geschickten sammetweichen, wie ein Rosenblatt feinen Zunge. Unabgewaschen hätten sie in den Schrank zurückgestellt werden können, so hübsch rein, glatt und blank leckt sie Alles aus. Dann streichelte sie die Frau – ach das that so gut! Es schnurrte der Katze im Leibe vor Behagen.

Der Herr hätte auch mal ein bischen freundlich zu ihr sein können! Die Katze miaute leise, kam näher und näher und schmiegte sich an sein Knie. – Der Hausherr faßt sie mit dem Fuß, daß sie in halber Schwebe auf dem Stiefelblatt hängt – der Fuß hebt sich, schaukelt und schleudert sie weg.

Das war grob – auf so eine zarte Annäherung! Sonst machte es der Katze nichts. Sie kam schon nach ganz anderen Luftfahrten heil auf ihre, zum Glück nicht gebrechlichen Füße zu stehen. Doch mit der Gemüthlichkeit ist es vorbei. Sie drückte sich noch so lange in der Stube herum, bis die Thüre aufging, da schlüpfte sie hinaus. Sie wollte auf den Hof ... Fatal! Der Hund liegt vor der Hinterthür. Ueberall kommt er ihr in die Quere. Er knurrt, zeigt ihr die Zähne und einen halben Zoll breit Zahnfleisch. Den Zahnarzt hatte er noch nie consultirt. Nun verschwand die Katze auf der Treppe und kam nach einiger Zeit auf dem Dache zum Vorschein, wo sie sich an schönen Sommertagen eben so gerne sonnte, als sie im Winter den Platz auf dem Herde liebte, wenn die Köchin die heiße Asche mit dem Flederwisch abgefegt. Ueber den oberen Flur lief die Katze in weichem behaglichen Trott, sittsam die Augen niedergeschlagen. Sie schien keine Eile zu haben, und doch sah man ihr an, sie spazierte nicht zum Vergnügen. Es war ein Geschäftsgang, sie hatte einen Gedanken, den sie nur nicht merken lassen wollte. Innerhalb des dunkeln Bodenraumes spähete sie scharf in alle Winkel, obwol nur auf der Durchreise: grünes Feuer sprühte ihr aus dem Kopf. Sowie sie hinaustrat auf das Dach, schrumpfte die große Pupille wieder zusammen zum engen, schiefen Schlitz, ihr erloschener Blick bekam etwas Schielendes, Unsicheres. Sie gähnte, legte sich hin, gähnte noch einmal und machte die bei vollem Tageslicht häßlich gelben Augen zu. Anfangs lag sie ganz still. Dann zeigte sich eine leise, wellenförmige Bewegung des Rückgrats und der Schultern, die sich gleichsam heimlich unter der Haut fortschoben, ein behutsames Schlängeln des Schwanzes, der lang gestreckt, platt über den Dachziegeln hin wie ein lebendiges Steuer jede Feinheit des Manövers ausdrucksvoll begleitete ... ab und zu ein echt katzenfreundliches Lächeln, ein wenig falsch, aber zuckersüß, als wenn sie von etwas sehr Schönem träumte, – oder ein unwillkürlich hervorschießender, rasch wieder unterdrückter Blick wilder, reißender Begierde.

Die dumme alte Katze! Der verwegenste und jüngste der Sperlinge in der Dachrinne hatte nicht üble Lust, ihr auf den Kopf zu hüpfen und die Fliege wegzuschnappen, die am getrockneten Schleim ihrer Triefaugen herumkribbelte ... »Nur noch bis zu dem nächsten Moosbüschel – einen Satz und du hast ihn!« Sachte kamen aus den Sammethandschuhen die Krallen hervor, die spurlos verschwanden, seitdem die Katze an dem Sparren von der Dachkammer auf den Boden hinaufrutschte mit einem kratzigen Ton ... Husch! da flog der ganze Schwarm auf und davon, schwenkte in der Höhe wieder um und kam noch einmal zurück. Die Katze hörte das Schwirren über sich in der Luft, die flatternden Schatten strichen dicht vor ihr vorüber. »Die Kanaillen! ... laß sie nur noch fetter werden, wenn die Hirse und Erbsen reif, sind sie besser.« Die Katze reckte sich mit geducktem Nacken, den Kopf zwischen den vorgestemmten Pfoten. Schnurrig kraus ringelte sich der Schwanz auf. Sie beleckte die dünnen Lippen – auch die weißen kleinen Zähne wurden sichtbar.

»Wenn die Grasmücken im Garten doch endlich ihr albernes Schwatzen und Pfeifen ließen! An den miserabeln Dingern ist auch nichts als die Federn und das bischen Stimme!« Die Katze sah sich gelangweilt um ... Der Goldfink im Bauer wäre leichter zu erwischen. Das Spind ist spiegelglatt, aber nicht hoch ... Geht's nicht mit Klettern, thut's ein Sprung vom Stuhl, und fällt das Bauer, fällt der Vogel mit. Er gehört der Frau und die Frau ist gut – aber wenn sie nicht da ist ... Die Zeiten sind zu schlecht! Auch die Mäuse werden mir zu klug, diese ganze Nacht wachte ich wieder umsonst.« Jetzt gingen die Ohren der Katze spitz zusammen. Alles war fein an der Katze – am feinsten waren doch die Ohren, die inwendig leicht röthlich schimmerten unter dem zarten weißen Fell. Von der Hinterseite des Daches hörte sie nicht allein, daß die Vorderthür auf- und zugemacht wurde, sondern auch wie sie zugemacht wurde. So macht nur der Herr die Thür zu. Vorher bellte der Hund. Der Herr nahm ihn natürlich wieder mit. Was er nur an dem Tölpel findet! Nun es ist der Herr, ich will nichts gegen ihn sagen, aber Manieren hat er nicht. Gleich und Gleich gesellt sich gerne. Und der Herr kennt den Hund auch gar nicht, gegen den Herrn ist er kriechend, den Herrn knurrt er nicht an, dem zeigt der Hund nicht die Zähne, dem beißt er nicht die Kinder. Hund bleibt Hund ... Mein armes Kätzchen! Ich kann und kann es nicht verwinden. Was hatte ihm das unschuldige Thierchen gethan? Es war so reizend, ein buntes, weiß mit rostfarbenen Flecken, und mitten über den Rücken hatte es einen schwarzen Streif – so eins kriege ich nicht wieder. Wie lustig es durch's Gras sprang, wie drollig es sich überkugelte, und wie geschickt es mit den Nußschalen und dem raschelnden Papier spielte – so voller Talent! Was hätte die mal mausen können, wäre sie am Leben geblieben! ... Es sollte nicht sein! Stürzt sich der Räuber, der Mörder über das schwache Geschöpfchen, das keine Gefahr ahnte, packte es im Genick – es quiekte gottesjämmerlich, ein Stein hätte sich erbarmt, aber der Hund nicht. Der Blutgierige hielt sie fest in seinem ungeschlachten Maul, stuckte ein paar Mal zu – und weg war sie! ... Hin ist hin! Ich will schon gar nicht mehr daran denken, ich rege mich nur unnütz auf ... Ach, es war das Letzte von den sechs, die in der Wagenremise das Licht der Welt erblickt. Die anderen wurden ersäuft! ...

– Und wo ist denn der Schauplatz der Handlung? In welchem Hause geschah das Alles ... bei Alborns?

– O nein, Justus hatte keinen Hund und Agathe keine Katze.

– Also bei dem jungen Paar?

– Um Vergebung, Max und Ottilie hielten weder Hund noch Katze, und eine Wagenremise hatten sie auch nicht. Aber vor der Hand kommt es auch gar nicht darauf an, und wenn es darauf ankommt, werde ich es schon sagen.

Die Katze, die während dessen vom Dache in das Innere des Hauses zurück- und die Treppe hinabgetrippelt, war nun unten und wollte eben um den Geländerpfosten schwenken. Schon bog sich ihr schmiegsamer Leib, schon erhob sie den niedlichen kleinen Fuß ... nur noch ein Tritt von der letzten Stufe auf die Flurdiele – hui! wie flink sie das Füßchen wieder zurückzieht. Fast wäre sie dem Hund auf den Kopf getreten. Sie glaubt ihn über alle Berge, und der Verhaßte liegt der Länge nach da – in so üblem Humor, wie nur Jemand sein kann, der gehofft, mitgenommen zu werden, und zu Hause bleiben mußte. – Die Katze prallt zurück, ein scheuer schwankender Blick fliegt rückwärts die Treppe hinan, aber gleich macht sie wieder Front, buckelt sich auf, prustet und faucht. Die Haare sträuben sich, im Dunkeln hätte man die knisternden Funken aus dem Pelz fahren sehen. Die Katze weiß nicht, was sie thut, doch ihre gelenken Pfötchen fuchteln schon kreuzweise hin und her auf eigene Hand mit wunderbarer Geläufigkeit. Der Hund weiß auch gar nicht, wie ihm geschieht, lange dauerte es indessen nicht, bis die Katze inne wird, daß sie Maulschellen giebt, und der Hund, daß er Maulschellen bekommt, die nicht von Seidenpapier sind. Außer sich über die unerhörte Frechheit fährt der Hund auf, und – schurr! geht es den ganzen Korridor entlang in der allerschönsten Katzbalgerei von der Vorderthür bis zur Hinterthür.

In der Mitte steht ein Schrank von Nußbaumholz. Unter dem Schrank saßen zwei Mäuschen. Die paar spießigen Haare auf den kleinen grauen Näschen bebten wie Fühlfäden in der äußersten Gefahr, die blanken Aeuglein sprangen fast aus den Höhlen, das Herz pochte ihnen bis in den Hals vor Angst – und Freude. Das zottige Ungethüm, der Hund, ist der Schlimmste nicht. Wer ihm nicht in den Rachen läuft, dem thut er nichts. Ein wahrer Segen, daß er die infame Katze einmal wieder zaust und jagt! Das Raubthier rührt sich ja nicht vom Hause. – Die glücklichen Mäuse bei Rademachers! Der Rademachersche Kater treibt sich fortwährend herum ... Gott sei Dank! daß man mal wieder auf ein Weilchen Ruhe hat! Wenn die Spitzbuben sich zanken, kommen die ehrlichen Leute zum Ihrigen.

Auf dem Hinwege, von dem Schlupfloch zwischen der Kellerthür und der ausgetretenen Schwelle nach dem Schrank, huschten die Mäuse wie flüchtige Schatten. Nun auf dem Rückwege ließen sie sich mehr Zeit. Die eine, die alte Maus, kehrte dicht an der Schwelle wieder um, als hätte sie etwas vergessen, und machte dann noch in der Mitte Station ... O die Maus war auch eine schöne Maus, wenn man sie nur recht besah, sie hatte auch ein weiches, sammetweiches Fellchen, und das Fellchen war auch weiß, obschon nur an einer einzigen Stelle, auf Brust und Leib, wie ein Schürzenlatz oder ein Vorhemdchen – jetzt präsentirte es sich deutlich, sie saß aufrecht. Und sie hatte auch ein Schwänzchen, obschon nur eins, wie ein graugeräuchertes Wurstbändchen, auf das stützte sie sich im Sitzen, und die Maus hatte auch Pfötchen, nur ganz kleine, aber viel zierlichere, als die böse Katze, und viel, viel feinere Krällchen. Am Ende war es gar nicht die Maus, es war Mäuserich, der Mäusegatte und Vater. Das Thierchen machte ja Männchen mit dem kecksten Eichkätzchen und Karnickelböckchen um die Wette. Und seine Vorderpfötchen, die es dicht am Köpfchen hielt, spielten gar niedlich und doch auch wieder würdevoll, wie's dem erfahrenen Alter ziemt, als es im hohem Tone piepte: »es geht doch nichts über den Hausfrieden.«

– Aber weshalb der Hund nur noch immer so furchtbar bellt?

Die Katze stand auf der Hofmauer und leckte sich Brust und Pfoten. Die Toilette wieder in Ordnung zu bringen, ist ihr Erstes. Sie kam glücklich davon. Wäre die Hinterthür zu oder ganz offen gewesen, der Scherz hätte ihr schlecht bekommen können. Aber wo der Katzenkopf durchgeht, geht auch die ganze Katze durch, während der plumpe Hund hinter ihr her in seiner blinden Wuth die angelehnte Thür bei einem Haar sich selbst vor der Nase zuwarf, und ehe er sie wieder so weit auf bekam, um die Verfolgung fortsetzen zu können, war unser fixes Kätzchen längst in Sicherheit.

Die Mauer ist zu hoch, der Hund kann nicht hinauf. Bei alledem ist der Katze nicht recht geheuer, die wilde Hetze hat sie doch alterirt, und das unsinnige Bellen greift ihre zarten Nerven noch mehr an. So nimmt sie die vier Pfoten dicht zusammen, sie berühren sich auf der Mauer, es ist eine zierlich kecke Stellung. Der Schwanz kräuselt sich steil empor – barock, aber mit Grazie, wie immer. Noch einen Blick auf den Hund hinab, als wollte sie sagen: »warte, ich werde dich lehren, junge Kätzchen todt beißen,« und – hopp! ist sie drüben im Nachbarhof.

Das Letzte, was der Hund von der Katze sah, war in natürlicher Entwickelung der Schwanz, und nun zeigte sich auch, falls es der Hund noch nicht gewußt haben sollte, daß die Katze keineswegs ganz und gar weiß. Das Letzte vom Schwanz, das alleräußerste Schwanzspitzchen der schneeweißen Katze war schwarz – und nicht blos zufällig. Es war das ein Andenken, ein theures Andenken an die Erste ihres Geschlechts, die jener alten Sage nach kohlrabenschwarz und Schooßkatze bei des Teufels Großmutter, als diese später so ungemüthliche alte Dame noch im Flügelkleide in die Mädchenschule ging.

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