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23.
Anschlagespiel.

»Die Bertha ist es.«

Sie steht im Blinzwinkel, beide Hände gewissenhaft fest vor die Augen gedrückt, und zählt ab, während die Anderen sich verstecken. Nach allen Richtungen schleicht, raschelt, huscht und rauscht es über den geräumigen Hof.

»Eins – zehn – zwanzig – dreißig – vierzig – fünfzig ...« Fast Alle sind geborgen.

»Sechzig – siebzig ...«

Noch einmal hört man laufen mit überstürzender Lebendigkeit, die gegen die eingetretene Stille grell absticht – ein Wagehals vertauscht noch Ausganges der Achtzig seinen Platz mit einem andern, der ihm besser dünkt. Und wieder ist Alles mäuschenstill, nichts regt sich, nichts rührt sich, der Hof ist wie ausgestorben. Wer aber genauer zuschaut, entdeckt hier und dort ein Köpfchen, das neugierig halb hervorguckt zur Orientirung, wo ein Jeder geblieben, und um mit diesem oder dem einen stummen Wink des Einverständnisses zu wechseln.

»Neunzig«, und nun ist die Frist verstrichen. Schwergewichtig, wie bei Versteigerungen der Zuschlaghammer niederfällt, erschallt das abschließende »Hundert!«

Die Luft flüstert leise in den Bäumen, die den Hausgiebel beschatten, die Grille hört auf zu zirpen, langsamer fliegt die Schwalbe, mit tiefer sich senkendem, gleichsam weilendem Fluge, die rothen Streifen des Abendscheines an den Dachforsten und auf den Spitzen der Pappeln im Garten leuchten noch einmal heller auf, als theilten auch sie die allgemeine Spannung bei dem eigentlichen Beginne des Spiels.

»Eins, zwei, drei – Agathe ... im Hühnerstall!«

Dahin geht's im sausenden Wettlauf, wer zuerst am Maale sein wird.

»Eins, zwei, drei – Karl ... hinter der Linde!«

»Eins, zwei, drei – Malvine! Komm' nur hervor, mein Malvinchen! Ich habe dein rothes Kleid gesehen.«

Nun fehlt noch die Gertrud.

»Ach Gott, ich weiß schon, das Fräulein Trudchen sitzt wieder hinter dem Holzhaufen.«

Doch nicht, diesmal sitzt das Fräulein Trudchen gerade ganz wo anders, und diesmal ist sie, die Kleinste, gerade die Einzige von Allen, die das Maal glücklich erreicht, diejenige, der die große That vorbehalten, alle Anderen zu »erlösen«.

Denn in dem Gesetz, nach welchem der letzte Sieg oder die letzte Niederlage erst über den Gesammterfolg entscheidet, ähnlich wie auf manchem ernsteren Tummelplatze, liegt der besondere Reiz der Schlußscene eines jeden Spielabschnitts.

Also: die Bertha ist es wieder.

»Schön, ich bin es wieder; 's ist mir ganz egal.«

Das wird mit einer gewissen patzigen Gelassenheit gesagt. Es ist der Bertha ganz egal: aber egal oder nicht egal – sie stellt sich wieder in den Winkel, hält sich wieder die Augen zu, und fängt wieder an zu zählen. – Wie manches fröhlich begonnene Spiel endete nicht schon mit Zwist und Thränen! Heute aber geht ja Alles glatt ab: kein Wölkchen droht am klaren Abendhimmel der Spielfreude. Es ist das Anschlagespiel, wie es in dieser Welt der Unvollkommenheiten nicht schöner gedacht werden kann.

*