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8.
Besuch vom Lande.

Die Maraiter waren in der Stadt bei unseren Alborns. Schade nur, daß die lieben Leute immer so bald wieder ausliefen! »Wie gerne blieben wir ruhig bei euch, aber es geht doch nicht; je eher wir uns aufmachen, desto eher sind wir auch wieder da.«

Und als sie dann wieder da waren, kam Herr Michalski, der Schuhmacher, Maß nehmen und die Schneiderin kam anprobiren. Herr Steiger, der Leihbibliothekar, schickte verschiedene werthvolle ältere Werke, die er jedem Freunde einer gediegenen Lectüre dringend empfahl, statt der aufgeschriebenen neueren Sachen, die leider nicht zu Hause waren, – wie immer! Meister Schulzenthal ließ sagen, er würde gerne einen Gesellen mitgeben, – wann die Herrschaften führen? Von Herrn Palwe kam der leidige Bescheid, es sei rein unmöglich, vor nächster Woche könne er den Mantel nicht liefern; sie hätten jetzt so viel zu thun, sie wüßten nicht, wie sie's schaffen sollten, und wenn Tag und Nacht gearbeitet würde.

»Die Kappeln ist da,« meldete das Mädchen mit einem eigentümlichen Lächeln ... Glückliches Haus, in dem »die Kappeln« den Dienstboten wie der Herrschaft nur im heitern Licht einer komischen Figur erscheint! Der alten Frau hing das große Tuch von unbestimmter verschossener Farbe weit um die hageren Schultern, und der Ueberrock von verwaschenem Kattun ebenso lose und schlotterig am ganzen Leibe wie die welke Haut am Halse. Der Mützenstrich fiel ihr tief in die Stirn, sie knixte viel, wackelte noch mehr mit dem Kopf, legte den Finger an die Nase und sann nach. Köchinnen, Stuben- und Kindermädchen, auch Kinderfrauen hatte die Kappeln zahlreich in Vorschlag mit den besten Zeugnissen – nur eine tüchtige Hausnätherin, wie sie gerade verlangt wurde, wußte sie zu ihrem unendlichen Bedauern in dem Augenblicke nicht, aber sie wollte sich Mühe geben und herum hören, es würde sich schon was finden.

Darauf erschien »der Herr Doctor«. Nach der Begrüßung und einer kurzen allgemeinen Unterhaltung, die nicht viel über Redensarten hinaus kam, lud ihn ein freundlicher Wink zur näheren Besprechung in das andere Zimmer. Unterdessen trafen ein die reparirte Broche vom Goldarbeiter, von der Putzmacherin die Schachtel mit den Hauben, von Lassanke zwei Zuckerhüte und die Kaffeeproben, von Herrn Bucht eine kleine Gießkanne und ein Vogelbauer, von Nadler die Senfbüchschen, jetzt endlich zu Dank – die zwei ersten zurückgeschickten Arten gefielen gar nicht – auch zeigte Johann, der alte Kutscher, wenig Liebe zur Sache, als er zum dritten Mal denselben Gang machen mußte; »Aber gnädige Frau, sie lachen einen ja aus, wenn man wegen so 'ner Kleinigkeit so oft kommt.« »Lieber Johann, wenn sie bei Nadler lachen, so lachen sie über mich, nicht über Euch.« Ein Päckchen in blauem und eine Rolle in grauem Papier von Herrn Weißert waren nur abzugeben und wurden zu den anderen Sachen gelegt. Gummischuhe, Lampendochte, Stricknadeln, Filzsohlen, Briefpapier, kölnisches Wasser, Schnürsenkel, Bilderbogen, ein Hampelmann, eine Puppe und zwei Stehaufs kamen von Nicktau. Einseitigkeit der Artikel ließ sich dem blühenden Geschäft des betriebsamen Herrn Nicktau nicht zum Vorwurf machen. Dann brachte der Weber Achtermann die Handtücher. »Sind sie auch nicht wieder so lose? Die letzten waren sehr geschludert. – Nun es geht wol an! Ich will Sie nur nicht loben, sonst arbeiten Sie das nächste Mal desto schlechter.« – Er legte sein Musterbuch vor, in dem sich lauter »ho'ge« Muster befanden, erhielt das Material zu neuen Aufträgen, kniete nieder, überzählte mit tiefer, etwas hohl klingender Stimme, wie viel »Tall« es waren – und nachdem sich Herr Achtermann entfernt, verrieth seine angenehme Gegenwart noch eine ganze Weile jener kräftige Geruch nach frischem Garn und Leinenzeug, gemischt mit Duft von Torfrauch, der fest in seinen Kleidern saß, und den er unverflüchtigt auf den weitesten Wegen mit nahm.

Schon wieder wurde angeklopft. »Herein! Ah von Herrn Wallsteiner.« Ernestine, die den Rath der Freundin beim Aussuchen wünschte, hatte sich die Kleiderstoffe in's Haus erbeten. Während die Damen die Stücke besahen, stand der jugendliche Vertreter der geschätzten Firma etwas zurück, in aufmerksam dienstbereiter Haltung. »Dies gefällt mir am besten, ich finde es aber theuer.« »Es ist nichts zu theuer, gnädige Frau.« Der Kleine machte eine artige, nicht zu tiefe Verbeugung. Er verneigte sich nicht mehr und nicht weniger, als es sein Vorbild, der erste Commis des Geschäfts, gethan haben würde. »Ich kann es gnädige Frau auch billiger vorlegen.« »Ja das ist aber auch lange nicht so hübsch.« »Nein, bei weitem nicht. Wenn ich gnädige Frau rathen darf, bleiben gnädige Frau bei diesem, es reut gnädige Frau gewiß nicht – es wird gnädige Frau vorzüglich kleiden. Etwas theurer ist's wol, aber es hat auch eine ganz andere Würde.«

Wer die ästhetische Bedeutung des sittlichen Begriffes der »Würde« noch nicht genügend kannte, mußte jetzt tief davon durchdrungen werden.

»Es geht wol noch was ab?« »Wir schlagen nicht vor – gnädige Frau – feste Preise!« Unerschütterliche Festigkeit mit herzlicherem Bedauern zu verbinden, dürfte schwer gewesen sein. »Ich könnte das Andere ebenso gut nehmen, es soll ja nur ein Hauskleid sein, aber es scheint mir nicht mal ganz neu?« »Von dieser Messe, gnädige Frau.« »Ich glaube es ist sogar schon etwas ausgefleckt. Agathe, sieh du doch.« »Es kommt mir auch so vor.« »Ich bemerke nichts, gnädige Frau. Es könnte höchstens in der obersten Lage sein. Wenn gnädige Frau befehlen, schlage ich gnädige Frau das ganze Stück um, und schneide gnädige Frau vom letzten Ende ab.« »Das andere ist doch jedenfalls echt?« »Ich garantire.« – Ernestine lächelte – die Course von Berlin, Amsterdam, London und Newyork stiegen. Der jüngste Lehrling der Handlung übernahm die persönliche Bürgschaft.

»Was meinst du denn, lieber Mann?«

»Kindchen, besinne dich doch nicht so lange und nimm, was dir am besten gefällt. Umschmeißen wird es uns wol nicht gleich.«

Nach diesem loyalen Wort, das die Herren Wallsteiner in goldenen Buchstaben auf einer Marmortafel über ihren Ladentisch hängen sollten, war der Handel bald gemacht. Der gewandte Kleine maß die verlangte Ellenzahl ab, holte die Schere aus der Brusttasche, knipste das Zeug am Rande ein, faßte mit beiden Händen dicht am Einschnitt an und riß es mit einem Ruck von oben bis unten durch – schnirr!

»Ein merkwürdiger Ton!« sagte der Großvater schon immer – die feinsten Damen ertragen ihn ohne Erschütterung ihres zarten Nervensystems, und manchem robusten Herrn Gatten und Vater gehen die Augen dabei über.«

Frau Ernestine Alborn strich die letzte Nummer von ihrem Notiztäfelchen. Die Besorgungen waren abgethan, nun konnte man doch noch ungestört was von einander haben. – Agathe und Ernestine waren nach wie vor die alten treuen Freundinnen. Wol hatte sich Vieles geändert seit den schönen Jugendtagen, und Frauenfreundschaft ist nicht Mädchenfreundschaft. Den hohen Flug der Ideale nahmen ihre Gespräche selten mehr. Der erste Ball und das letzte Concert, die Arbeiten für die Auktion zu wohlthätigen Zwecken und die Vorstellungen auf dem Liebhabertheater blieben auch jetzt nicht unberührt, wurden aber nicht mehr mit der Wichtigkeit socialer Probleme ersten Ranges behandelt, so wenig wie der »neue Assessor« und der alte Streit über Infanterie und Kavallerie in ihrer taktischen Bedeutung für die friedliche Wahlstatt des Tanzsaals. Selbst die einst unerschöpfliche Frage, ob Fräulein und Herr So und So sich wirklich aus Neigung genommen, trat mehr in den Hintergrund. Das Thema von der »wahren Liebe« hatte nicht an Interesse verloren, seitdem die Freundinnen eigene Erfahrungen gesammelt auf diesem anziehenden Gebiet des Seelenlebens. Nur überwog das praktische Interesse die Theorie. Ueber nichts sprachen sie häufiger und ausführlicher als über ihr Haus, ihren Mann und ihre Kinder. Aber das war noch immer so: wenn sie erst anfingen, sich auszusprechen, hörten sie nicht sobald wieder auf. –

»Ist denn auch bestellt, daß er anspannen soll?«

»Ja wol – gut vor einer halben Stunde.«

»Das dauert wieder ...«

»Wie der Karsthöfer sagt, die besten Kutscher spannen, am langsamsten an.«

»Es ist aber nicht richtig.«

»Da fährt er schon vor.«

»Na – endlich!«

Johann im langen derben Mantel mit dem Bärenpelzkragen hatte Mühe, den Sitzkasten, den er vor sich zwischen den ausgebreiteten Armen hielt, durch die Thüre zu manövriren. Auch der hinten aufzuschnallende Koffer und die Reisetaschen waren viel schwerer, als wie sie hereingetragen wurden, während ein anderer kleiner, doch nicht ganz unansehnlicher Beutel, aus Hanfzwirn gehäkelt und oben im klaren Rande von einem doppelten grünseidenen Band durchzogen, entschieden leichter geworden. »Es ist Zeit, daß wir nach Hause fahren. Unserm Beutel bekommt die Stadtluft nicht.«

»Er wird sich wol bald wieder erholen draußen.«

»Seid nur nicht böse, daß wir euch solchen Trubel und Jahrmarkt in's Haus bringen.« »Was soll man dazu sagen? das ist doch schon nicht anders. Dafür drehen wir euch in Maraiten wieder unterst zu oberst, wenn wir das nächste Mal herauskommen. Und vergiß nicht, mir den Brief zu schicken!« erinnerte Agathe die Freundin beim Einsteigen. – »Welchen Brief?« fragte der Maraiter Alborn, als die letzten Grüße gewechselt, und die Pferde anzogen. »Den von der Mutter.« »Glückliche Reise, kommt gut nach Hause!« Agathe und ihr Mann sahen noch dem Wagen nach, dann gingen sie hinein.

»Was hattet ihr denn noch so überaus Wichtiges zu verhandeln? Ihr konntet euch ja gar nicht losreißen. Als sie ankamen – ihr gabt euch eben den ersten Kuß – da erkundigte Ernestine sich schon: »was kriegt man denn jetzt für die beste Tischbutter bei euch in der Stadt?« Der Karsthöfer hat Recht: »wenn die Frauen sich die Herzen ausschütten, das Erste und das Letzte ist immer ihre Hauswirthschaft; an Freundschaft und Liebe fehlt es nicht, die sind aber nur Zukost und rutschen nur so nebenbei mit heraus wie der Aal aus dem Sack mit Erbsen.« ... Ich wette, ihr habt wieder gekocht.« »Allerdings!« Das klang ja sehr ironisch. Justus mußte sich getäuscht haben. Er glaubte zu hören: »An Obstsuppen oder an eine gewöhnliche Sauce nehme ich's, dazu ist es ganz gut, aber wenn ich einen Sandkuchen backe oder sonst zu was Feinem, dann nehme ich von dem, das du mir geschickt. Ich danke dir auch noch sehr. Weißt du, mein's behält immer ein bischen was Säuerliches im Geschmack.« »O dann will ich dir sagen, mein Herzchen, woran das liegt, du hast nur nicht oft genug frisches Wasser übergegossen.« Die lieben Frauen hatten durchaus nicht wieder gekocht – sie hatten nur die wenigen kostbaren Augenblicke, die ihnen noch gehörten, und die sie vor Jahren vielleicht angewandt haben würden, endgiltig festzustellen, ob Uhland oder Rückert der größere Lyriker, jetzt mit gleichem Eifer benutzt zur Aussprache über das correcte Verfahren bei der Anfertigung von Kartoffelmehl.

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