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4.
Drei weiße Sperlinge und die Geschichte des Einen.

Drei junge Mädchen saßen auf der Wiese am Walde.

»Wer giebt mir noch ein paar Anemonen? Hanne, du hast die meisten.«

»Wir können vielleicht tauschen.«

»Willst du Schlüsselblumen?«

»Ich bedanke mich schön, liebe Lotte. Die habe ich selbst über und über. Von deinen Veilchen könnte ich eher brauchen ... Friederike, dein Strauß wird wieder der hübscheste. Und nun mußt du auch weiter erzählen.«

»Was soll ich euch langweilen mit den alten Geschichten?«

»Deine alten Geschichten sind kurzweiliger, als die Jugendgeschichten, denen wir eben glücklich entronnen. Wenn wir zurückkommen zum Förster, sind sie noch dabei – das weiß ich im Voraus.«

»Und das weiß ich auch schon: so lange die Welt steht, hat es keinen größeren Mann und Herrscher gegeben, als Friedrich »den Einzigen« – wenn der Vater Recht hat.«

»Mein Vater behauptet das auch immer.«

Lotte wie Hannchen sagten das beide in demselben hohen Tone, der fast ein wenig zu hoch, um jeden Zweifel auszuschließen, die Herren Väter könnten am Ende nicht auch einmal irren.

»Da stimmen sie ganz mit meinem Onkel, dem Rittmeister, und Onkel Gottlieb sagt dann immer: »mein trautster Bruder, das bestreite ich gar nicht, ich meine nur, er wäre nicht weniger groß gewesen ohne die Kaffeeriecher und die ganze Akcise. Das war eine wahre Landplage, nicht allein drückend für den Handelstand, von meinem kleinen Geschäft nicht zu reden.« Er hatte sich doch da eben etablirt, und im Anfange mag es freilich noch schwerer sein, mit solchen Vexationen und Chikanen kämpfen zu müssen, die allen Verkehr hemmen und im Ganzen hundertmal mehr schaden, als dem Einzelnen ausgepreßt wird für die königlichen Kassen. »Und wäre der große König etwas weniger strenge und hart gegen den Advokatenstand gewesen, das hätte seiner Größe auch keinen Eintrag gethan. Es mochten viel Mißbräuche eingerissen sein, so aber wurde das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, der Redliche mußte mit dem Unredlichen leiden.« Ja das sagte der Onkel nicht einmal, unzählig oft hat er es gesagt. Und unser armer Vater, der hat es leider an sich selbst erfahren. Es war ihm unmöglich, zu bestehen bei den neuen Einrichtungen, da er von Hause aus ohne Vermögen und noch nicht so lange im Amt, um wie Andere während der guten Zeit etwas zurück gelegt zu haben. Kummer und Sorgen brachten ihn in der Blüthe der Jahre in's Grab. Nun zogen wir zur Großmutter nach Mohrungen. Der Mutter Vater und dessen Vater auch bereits waren Prediger in der Grafschaft. Sie stammten aus Salzburg, das ein herrliches Land sein soll mit hohen Bergen, schönen Seen und mildem Himmel, beinahe wie in Italien, aber das Bekenntniß war nicht frei. Da nahmen sie die Bibel und das kleine schwarze Gebetbuch mit silbernen Ecken und silbernem Schloß, aus dem der Onkel noch bis auf diesen Tag jeden Morgen bei der Andacht ein Lied liest oder eine Betrachtung, ergriffen den Pilgerstab, ließen Alles zurück, Vaterland und weltliche Ehren, und zogen nach einem ärmeren Lande, unter einen rauheren Himmel, wo sie doch ohne Gewissenszwang ihren Gott anbeten und sein Wort nach dem lauteren Evangelium predigen durften. So lange die Großmutter lebte und ihr Predigerwittwengehalt genoß, ging es auch mit uns. Wir lebten einfach, litten aber keine Noth. Wahrscheinlich kam von den gräflichen Gütern noch manches Andere außer der Pension. Einmal sind wir in einer Kutsche mit vier glänzenden Rappen abgeholt worden. Der Herr Graf selbst hat die Mutter zu Tische geführt, wir Kinder saßen auch an der großen Tafel, aßen von silbernem Geschirr und wurden von Lakaien mit Tressen auf dem Rock bedient. Zum Nachtisch gab es in kleinen Gläsern hochaufgehäuft etwas hellrothes Süßes, an dem ich mir die Zähne – ich wußte selbst nicht recht – verbrannte oder erkältete, und ob das Himbeerfeuer oder Himbeereis. Wäre etwa noch ein kleines reizendes Mädchen gekommen in Atlas und Sammet mit einer ellenlangen Schleppe, ein Diadem auf der Stirn, hätte meinem Bruder gewinkt und ihm die Hand gegeben: »willst du nicht mit mir spielen und mein Prinz sein? – ich bin die Prinzessin« – und wäre ein bildschöner Knabe gekommen, in Sammet und Atlas, mit einem Galanteriedegen und einer kleinen Krone und hätte mir einen Brillantring an den Finger gesteckt! »Ich bin der Kronprinz, willst du nicht mit mir spielen und meine Kronprinzessin sein?« – wir hätten uns nicht weiter gewundert, das ging schon Alles – in einem Märchen fort. Aber was half uns das, wie das Märchen aus war? Bald darauf machte die Großmutter die Augen zu, auch der alte Graf starb, der keinen Sohn hinterließ. Der neue Majoratsherr wußte nichts von uns, das Jahrgeld hörte so wie so auf. Eine Magd halten konnte die Mutter nicht, jeden Morgen kam nur eine Frau, die ihr die schwerste Hausarbeit besorgte. Als wir Kinder die Blattern hatten, fürchtete die sich vor Ansteckung und blieb fort, auch alle anderen Menschen mieden uns, es war eine schreckliche Prüfung. Die Mutter hielt treulich bei uns aus, saß wie ein Engel an unserm Bette. Ich fühle es noch, wie köstlich wohl das that, wenn sie mir feuchte Läppchen auflegte, das unerträgliche Brennen und Jucken ein bischen nachließ. Ich lag auf den Tod, kam aber doch mit Gottes Hilfe durch. Es dauerte lange, ehe ich wieder auf die Straße hinaus durfte. Wie freute ich mich den nächsten Sonntag zur Wachparade – doch kam ich weinend zurück. »Was hast du – was ist dir geschehen?« »Ja die Offiziere sind sonst immer so freundlich gewesen, am meisten der eine – heute hat er blos gesagt: »ach, du armes Kind, was bist du häßlich geworden!« Dann hat er sich umgedreht, und einen Bonbon hat er mir auch nicht gegeben ...«

»O mein Kind, das ist dir sehr diensam. Hättest du dein glattes Lärvchen behalten, so wärest du vielleicht eitel geworden.«

»Was lachst du, Hannchen?«

»Das hat mir Niemand gesagt, und ich hatte doch auch die Pocken und behielt derbere Narben wie du. Mein Vater tröstete mich anders: »Es thut nichts, Hanne, an deinem schönen Gesicht war nicht viel zu verderben. Du wolltest ja immer einen Zuckerbäcker heirathen – doch nicht einen alten? Ist es der Gesell, so sieh' nur zu, daß er auch hübsch pockennarbig ist, aber nehmt euch in Acht, wenn der Meister gerade einrührt, euch den ersten Kuß zu geben, sonst gießt er den Teig zwischen, die Waffeln sind fertig und er spart sein Eisen und Feuer.«

»Zu solchen Scherzen war es bei uns freilich nicht angethan. Den Weihnachtsabend sah die Mutter blasser aus und schöner wie je. Ihr habt sie ja gar nicht mehr so gekannt. Wie ihr sie gesehen, war sie schon zu schwach und elend, nur noch ein Schatten von dem, was sie gewesen. Ich sehe sie noch – todtenbleich ist sie geworden, nur ein paar feine rothe Flecken liefen ihr im Gesicht zusammen, wie sie uns sagte: »Kinder, quält mich doch nicht! Gott weiß, wie sehr es mich bekümmert, ich kann euch aber diesmal keine Teller aufstellen. Doch wie Kinder sind, wir begriffen das nicht und machten ihr das Herz noch schwerer mit unseren Bitten: »Ach, Mutterchen, stellen Sie doch nur auf. Wir sind ja artig gewesen. Was schadet das denn? Kommt der Engel nicht, so kommt er nicht, und wir wollen auch zufrieden sein. Kommt er aber, und es stehen nicht mal Teller da, wo soll er's hinlegen? Dann geht er weiter und bringt es anderen Kindern, für die aufgestellt ist.« Da wandte sich die Mutter ab, wir sollten ihre Thränen nicht sehen. Dann beteten wir und schliefen ein. Sehr früh war ich schon wieder wach und konnte nicht erwarten, bis der Tag graute. Endlich – juchheißa! so viel sah' ich ... da standen die Teller, und es lag auch etwas darauf – was? ließ sich nur noch nicht unterscheiden. Das war eine Freude! Noch spät, als wir Kleinen längst schliefen, ist ein Brief mit einer Kiste vom Onkel gekommen. Am nächsten Christfest waren wir dann bereits hier, ganz zu ihm gezogen. – Schon früher hatte er uns zu sich nehmen wollen. Onkel Gottlieb war zu der Zeit aber noch nicht lange Wittwer, und da lehnte es die gute Mutter ab, sie dachte: bin ich bei ihm, so heirathet er nicht mehr. Er braucht eine Frau im Hause, die etwas leisten kann, und ich bin das nicht im Stande, meine Kraft ist gebrochen. In ihrer jetzigen Bedrängniß mußten alle anderen Rücksichten wegfallen, ihr blieb keine Wahl. Für mich war es ja das größte Glück. Die Brüder konnten im Waisenhause untergebracht werden, was wäre aus mir geworden, als Gott auch die Mutter zu sich nahm! So war ich wol auch verwaist, doch nicht verlassen. Onkel Gottlieb hat wahrhaft väterlich für mich gesorgt. Euch scheint es oft, ich hätte es schwer, weil ich mithelfe im Geschäft, ihr wißt aber auch nicht und könnt es nicht so nachfühlen, wie das ist, wenn es den Tag über gut gegangen, und Abends wird die volle Kasse ausgeschüttet, und ich darf mir sagen: wer mit arbeiten half, half auch mit verdienen. Dann schmeckt das Abendbrod, sitzt man gleich nicht mehr am elterlichen Tisch, dann schläft sich's ungewiegt in meiner Dachstube, ist's gleich im Sommer heiß und im Winter glitzern die Wände wie im Eispalast. Denn geheizt darf nicht werden, das schadet den Waaren, und für die ist die Stube ja eigentlich, ich bin nur so nebenbei in Schlafstelle ... Ob es mir schadet, danach fragt keiner, ist auch Gott sei Dank nicht nöthig, ich bin ja jung und gesund. Nur lange lesen darf ich nicht, wenn ich das Fenster auch verhänge, irgend wo langt's doch nicht, der helle Schein ist am Hinterhause zu sehen, der Onkel klopft mit dem Stock an die Decke, und dann muß ich das Licht auslöschen, es hilft nichts, und bin ich auch gerade an der allerspannendsten Stelle. Und was entbehre ich sonst? Genieße ich nicht auch mein Leben? Gestattet mir der gute Onkel nicht gerne jedes harmlose Vergnügen, wenn es nur angeht ohne zu große Versäumniß. In größeren Orten würde Manches wol anders sein, das weiß ich recht gut, und ich würde Manches nicht mitmachen können. Da sind ja die Stände viel schroffer getrennt. Aber wenn der Fuchs kein Hühnchen hat, nimmt er auch gnädig mit 'ner Maus vorlieb, sagte der Onkel, und wir saßen gerade in der Hinterstube am großen runden Tisch und suchten Rosinen aus, da wird geklopft: herein!«

»Und herein tritt, den Hirschfänger am goldgelben Bandelier, unter dem Arm den Hut mit Federbusch, der Jäger von Excellenz: »Empfehlung von Excellenz, Excellenz lassen sich die Ehre ausbitten von Demoiselle Friederike auf Donnerstag zu Thee und Abendbrod.«

»Demoiselle Friederike warf die besten fettesten Traubenrosinen zum Abfall und die trockensten schimmeligen Stengel zu den Tafelrosinen – Onkel Gottlieb besann sich aber nicht lange:

»Da werde ich ihr doch wol erlauben müssen.« »Der Wagen wird Demoiselle abholen um sechs Uhr.« »Brauchst du auch noch was zu deinem Anzuge, Kindchen?« »Wenn es eine neue Schärpe sein könnte, Onkelchen? Aber es geht auch mit der alten.« »Nun suche dir nur was Hübsches aus.« Und Donnerstag Punkt Sechs steht die Equipage vor der Thür, Demoiselle Rosinenriekchen fährt zu Excellenz auf den Ball, und meine Cousine Linchen, die bei uns zum Besuch und noch nachgebeten, fährt mit, des Todes verwundert, wie das nur möglich: »Bei uns in Thorn wäre so etwas ein reines Ding der Unmöglichkeit, in Danzig erst recht.« Alle Tage geschieht das hier freilich auch nicht. Sonst wäre ich selbst nicht so überrascht gewesen und hätte euch gleich gesagt, wie sehr ich's war. Mir schien aber, als wäret ihr auch ein bischen erstaunt, und daher schwieg ich und that stolz, als sei ich jede Woche zweimal bei Excellenzens. Jetzt weiß ich's besser und nicht erst seit gestern, wie treulich auch Patricier- und Großbürgerkinder mit einer Ladenmamsell die alte Schulfreundschaft halten können.«

»Aber Friederike!« riefen Lotte und Hannchen wie aus einem Munde.

»Und jetzt ist meine Geschichte aus.«

»Und die Sträuße sind fertig.«

»Und es ist die höchste Zeit, daß wir nach dem Försterhause zurückgehen. Wollen wir bleiben bis die Väter und Onkels mit ihren Jugendgeschichten ganz fertig, können wir hier übernachten ... die anderen Mädchen werden so wie so wieder reden, sie nennen uns ja immer: die weißen Sperlinge.«

*

 


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