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19.
Taufe.

»Kommt herbei, Alles ist bereit!« Diese Worte der Schrift, mit denen Christus die Jünger zum Abendmahl ladet, hatte der Geistliche seiner Rede zu Grunde gelegt. – Ein kleiner, länglich viereckiger Tisch mit weißer Decke und zwei Kränzen, einem schmalen von feinen Blättern und Blüthen, der dicht am Rande des Tischchens lag, und einem volleren, aus dessen üppigem Grün und großen Blumen die Taufschüssel mit ihrem Silberglanz sich erhob – das war der bescheidene Hausaltar. Schon die Mutter des Kindes hatte der alte Herr Diaconus getauft. Damals war seine Stimme kräftig und klangvoll, jetzt hatte er jenes eigene Lispeln fehlender Zähne, an das sich aber seine Freunde und Verehrer auch schon gewöhnt. Einen unserer jungen Verwandten, der Theologie studirt, ein sehr gutes Kandidatenexamen gemacht und unlängst seine erste Predigt gehalten, interessirte es besonders, wie er selbst wol die Stelle als Text einer Taufrede behandelt haben würde. Nach seiner Ansicht hätte noch tiefer auf den dogmatischen Kern eingegangen werden müssen. Ihm war die Ausführung fast zu gemüthlich, wie in jedem Sinne der kleine Ankömmling Alles bereit gefunden zu seinem Empfange – am Herzen der gottesfürchtigen Mutter, im starken Arm treu waltender Vaterliebe, in heiterm Kreise freundlicher Geschwister und Gespielen, unter dem friedlichen Dache eines bürgerlichen Hauses, dem des Himmels gnädige Fügung allzuharte, Geist und Herz bedrückende Sorgen des irdischen Daseins gleich fern gehalten wie den zerstreuenden Glanz großer Reichthümer.

»Ich muß gestehen, ich würde mich auch gewundert haben,« sagte unser anderer alter, nicht geistlicher Freund, »wenn der junge Passagier hier vorbeigegangen wäre. Bei alledem mag es gut sein, daß wir nicht erst viel gefragt werden, ob, wie, wo und wann wir in's Leben treten und wieder hinausgehen sollen. Sonst dürfte es dem und jenem nie passen abzuspazieren, und manch feiner Kunde, der dem Frieden nicht traut, würde am Ende gar nicht geboren werden wollen. Und Tisch, Buch und Schüssel sind richtig schon wieder weg – nun da kann man auch nichts auf's Buch legen und in die Schüssel werfen – nehmen Sie nur die Fingerspitzen wieder aus der Westentasche! Ich kenne das hier, es giebt wunderliche Leute, die der Meinung sind, wer sich trauen oder Kinder taufen lassen will, muß so viel haben, daß er die Gebühren allein entrichten kann. Es wird wol Niemand dabei zu kurz kommen. Aber wir wollen uns das Kerlchen doch auch mal etwas näher ansehen.«

Die Gäste waren zur Mittagsstunde geladen, doch steckten bereits die Wachslichter auf dem Kronleuchter und verhießen nach frohem Mahle, das uns im andern Zimmer erwartete, noch einen festlich hellen Abend.

Nicht gerade unter der Krone, etwas mehr seitwärts, stand ein Theil der Gesellschaft dicht zusammen. Ferdinand und Martha traten dazu. Martha's weißes Kleid streifte die gelbe Atlasmantille und das – seit Weihnachten dritte neue Staatsgewand der Frau Paustian. Was ging es andere Leute an? Es war von hellgrauem schwerem Seidenstoff, dessen schillernde Breiten sich in prächtigem Faltenwurfe auf den buntfarbigen Teppich stellten, als wollten sie sagen »wir können es haben«. Und sie konnten es auch, das Geld kam von der Frau. Herr Paustian hatte beide Arme auf dem Rücken und in den Händen die goldene Tabaksdose. Die Prise, die er dem Herrn Rademacher offerirt, hielt dieser noch zwischen den Fingern und ließ sie allmälig verkrümeln, er nahm sie nur Höflichkeitshalber. Zwischen den Köpfen beider sah Herr Engelrecht durch. Sein glatt anliegendes, braunes Haar, das auf dem Scheitel gegen das Licht etwas fuchsig schimmerte, ging hinten in die Höhe, und unten durch kamen die Spitzen einiger spärlichen grauen Löckchen zum Vorschein. Unser Philosoph mußte ganz herum bis zum Fenster, – von dieser Seite war nicht mehr anzukommen – und wie er da den kleinen Helden des Tages erblickte, fiel auch sogleich in seine welken Züge derselbe heitere Schein, der alle Gesichter erhellte. Es war, als hoben die Geister des Hauses einen Schleier von dem Kinde und späheten freundlich, wie der natürliche kleine Mensch denn aussah in seinem neuen Christenthum? Der ehrwürdige Geistliche, der unterdessen die Amtstracht abgelegt, dachte still für sich: »Vielleicht war es ein ähnlicher Kreis schlichter Sterblicher, der einst dem Meister der heiligen Nacht die erste Anregung gab, alles Licht vom Kinde ausgehen zu lassen.« Eine nicht mehr ganz junge, noch immer schöne Frau, eine auswärtige Schwägerin von Justus, verzog, dem Kleinen zulächelnd, den einen Mundwinkel nur ganz wenig, und doch kam durch diesen leisen Zug ein Anflug herber Wehmuth in ihre Heiterkeit. Ihr Mann trug sie auf Händen, sie durfte sich nichts versagen, nur hatten sie keine Kinder. Ottilie schien ganz versunken in den Anblick ihres süßen, süßen Pathchens, sie hatte ihr Brautkleid an, Max stand neben ihr und hielt sie mit dem Arm umschlungen. –

Unsern jugendlichen »Onkel Bernhard«, dem zum ersten Mal in seinem Leben die Ehre eines Pathenstandes zu Theil wurde, hatten die Brüder geneckt, er werde das Kind wol halten, bestimmt sei es noch nicht. Manchmal hielte es der älteste, manchmal der jüngste Pathe. »Man kann immer nicht wissen! Uebe dich nur ein mit der Fußbank, dem Stiefelknecht oder der Katze – sonst wirfst du ihn am Ende noch hin.« Er lachte dazu, ganz geheuer war's ihm nicht, und das Blut stieg ihm zu Kopf, als der Prediger auf dem Teppich das Haupt ernst gesenkt, die Päffchen vom leichten Druck des Kinnes ein wenig gehoben, über dem schwarzen Talar die Hände faltete – als der kleine Festzug erschien, quer durch den feierlich schweigenden Kreis gerade auf den jungen Herrn zu kam und wirklich – so dicht an ihm vorbeistreifte, daß er mit der instinktiven Verschärfung der Sinne, die große Gefahren zu erzeugen pflegen, schon einen gelinden Hauch zu spüren glaubte von jener traulichen Wiegen-Atmosphäre, die durchschnittlich für Frauen und Mütter anziehender als für halbwüchsige Burschen.

»Albertchen, Albertchen!« begrüßte Clärchen, die sich immer netter herausmachte, das »entzückende Neffchen.« Albert sollte er genannt werden, aber auch »Michelchen« rief sie ihn. Michael hieß er nach dem Großvater, Albert und Heinrich nach zwei alten treuen Freunden des Hauses. »Wollen doch sehen, ob er schon zupackt – der Onkel oder eigentlich Großonkel Major hielt den einen Finger seiner männlich behaarten Hand den grabbelnden, milchzarten feinhäutigen Händchen hin – was wird er man nicht? Oho! der kleine deutsche Michel ist auch ein richtiger Preuße, der hält fest, was er gepackt hat. Wenn er so beibleibt, soll er mal schwarz Lederzeug tragen, ich nehm' ihn bei meine Füsiliere. Nicht gemuckst hat er, als er das Wasser bekam, und ihm der kleine Kahlkopf abgetrocknet wurde – das gefiel mir auch von ihm.« »Sein Mündchen ist doch nicht zugewachsen,« sagte nicht ohne eine gewisse großmütterliche Rivalität die alte Frau Rademacher, deren vor Kurzem getauftes Enkelchen krisch wie auf dem Speer – und durch nichts still zu machen war, bis man dem kleinen Schreihals einen Lutschbeutel gab mitten während der heiligen Handlung. »O,« bemerkte Tante oder eigentlich Großtante Malchen, im Tone der Vertheidigung, »ich habe ihn auch schon ganz ordentlich schreien gehört.« »Was hat er denn für Augen?« »Mir scheinen sie schwarz.« »I bewahre, sie sind blau.« »Grau sind sie.« »Sie sind weder schwarz noch blau, auch nicht grau – aus den Augen kann noch Alles werden« erklärte kategorisch der junge Herr Wiedemann. Die ganz jungen Familienväter haben in solchen Dingen stets die reifsten Erfahrungen und bestimmtesten Urtheile. – Frau Ernestine Alborn wandte ein äußerstes Mittel an für eine liebenswürdige Frau, die einen schweigsamen jungen Herrn ermuntern will. Sie spitzte den Mund mit schnalzenden Lippen, es wurde so zu sagen eine Art umgekehrtes Pfeifen ungefähr so, wie unser Ferdinand gelegentlich seinen Fuchs animirte. »Du bist ja ein ganz trautstes, einziges Schlingelchen!«

»Still! Jetzt wird er etwas sagen« ... Das zahnlose Mäulchen bewegte sich, auch die weichen runden Bäckchen, denen nur noch Farbe fehlte. Selbst das knospenartige, noch sehr der Entfaltung bedürftige Näschen unter der stark hervortretenden Stirn, die ein feiner glänzend weißer Flaum bedeckte, schien sich innerlich mit zu betheiligen. Alles lauschte wie auf das Wort eines großen Mannes auf ein paar jener leisen Quarrtöne, die diesem zarten Alter eigen. Es klang so behaglich ... war es nur ein rein äußerlicher Reiz, oder regte sich wirklich schon ein Vorgefühl in dem jungen Kehlchen, daß es nicht blos zum Schlucken und Schreien geschaffen? Wer wollte das deuten und ergründen von allen Sprachforschern der Welt? ...

Aber vielleicht vermochte es die würdige Matrone in einfacher Haube mit blauen Schleifen und in amaranthfarbenem halbseidenem Kleide, die den Kleinen präsentirte! Mit tiefstem Sachverständniß und doch mit jener weisen Selbstbescheidung, die Gott allein die Ehre giebt, schaute sie unter ihren etwas verquollenen, leicht gerötheten Augenlidern auf dies jüngste Wunderwerk der Schöpfung im reizenden Taufkleidchen mit schön gestickter, lang herabfallender Schleppe und in der Krone aller Taufmützchen. Sie hielt das Kind mit beiden Händen auf dem von zierlicher Kante eingefaßten, gesteppten Kissen nicht ganz horizontal, während ihre Arme eine gefällige, sanft wiegende Bewegung machten. Gleich nachdem die Feierlichkeit vorüber, hatte sie den Täufling wieder genommen, wie sie ihn auch hereingebracht in würdevoll gemessenem Schritt – die ihrer Stellung in der Familie wie in der Menschheit sich wohl bewußte Ceremonienmeisterin der Wochenstube.

Agathe sah frisch und blühend aus, wie nur je. Auch eine gewisse gar zu weichmüthige, weinerliche Stimmung, mit der sie noch zu kämpfen hatte, als sie schon wieder aufstand, war glücklich überwunden, ja sie vertraute der Freundin Ernestine: »so wohl, leicht und frei habe ich mich seit meiner Verlobung nicht gefühlt.« –

»Aber nun machen Sie auch, daß Sie mit ihm herauskommen, das Kind will seine Ruhe haben, sie verschüchtern ihn mir ja ganz.«

*

 


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