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23.
Der Frühaufsteher.

»Ferdinand! – Ferdinand, hörst du denn nicht? Steh' doch auf!« – diesen Zuruf Karl's begleitete ein entsprechendes Schütteln.

Jetzt fuhr Ferdinand empor: »Was ist?«

»Ueber halb Sechs ist's. Ich sollte dich ja wecken!«

Ferdinand schien nur eine sehr unvollkommene Erinnerung von dem Karl am Abend zuvor ertheilten Auftrage zu haben; sein Dank für die pünktliche Befolgung war ein verdrießliches Gebrumme: »schön, schön – schon gut!«

Karl in seiner Gewissenhaftigkeit war aber nicht der Ansicht, daß schon Alles schön und gut sei – wenn Ferdinand liegen blieb und ruhig weiter schlief, wozu dieser entschieden Neigung zeigte. Er ging zunächst das Fenster öffnen, steckte den Kopf hinaus, kehrte aber rasch wieder zurück zum Bruder.

»So steh' doch auf, es ist ein himmlischer Morgen!«

»Geh' ab, laß mich in Ruh',« und Ferdinand wies dem lästigen Mahner mit sammt seinem himmlischen Morgen den Rücken in sehr plastischer Lage, da ihn nur eine dünne Decke umhüllte.

»Faulpelz, rechter! Nun, meinetwegen kannst du bis übermorgen Mittag liegen. Ich werde hier nicht stundenlang mit dir komplimentiren.«

Karl setzte sich an seine Arbeit. O, es war prächtig, so früh auf zu sein! »Von jetzt an will ich mich auch tagtäglich um Fünf herausmachen!« Was ließ sich nicht Alles thun bei dem ungeheuern Zuwachs von Zeit, über den Karl nun frei zu verfügen hatte! Was nahm er nur am zweckmäßigsten zuerst vor? Schwierig war bei dieser Fülle von Möglichkeiten, welche sich seinem Fleiße darboten, allein die Auswahl. Er hätte am liebsten dreierlei auf einmal gethan, worin allerdings die Gefahr lag, daß am Ende gar nichts geschah. Es war wirklich ein wundervoller Morgen – etwas frisch, aber das ist gerade schön, namentlich wenn man sich draußen Bewegung macht – am Arbeitstisch, im Stillsitzen weniger. Karl fror auch nicht, nur ein leises Frösteln ging durch seine Glieder.

Nun gähnte er einmal – und noch einmal, er gähnte in der That mehrmals und reckte sich zuletzt krampfhaft, wie unser Hahn, wenn er zu früh von der Stiege flog. Auch vermißte Karl den Kaffee, welcher erst später getrunken wurde, jedenfalls vielmehr als – Ferdinand.

Anfangs hatte Karl auf den Langschläfer mit einer mitleidigen Geringschätzung herabgeblickt, wie sie jeden ungewöhnlich früh Wachen so leicht anwandelt, im Hinblick auf die noch Schlummernden. Die dumpfe Bewußtlosigkeit, in der diese da liegen, bildet einen zu großen Gegensatz mit dem Gefühl des heitern, freien Gebrauchs der eigenen Geisteskräfte. Allmälig aber ging eine merkwürdige Umstimmung mit Karl vor. Während er, der rühmlich Frühaufgestandene sich's sauer werden ließ bei der Arbeit, lag »dieser Schlingel, der Ferdinand« lang ausgestreckt, bequem im warmen Bett und gab das Behagen ungestörter Morgenruhe sehr bezeichnend zu erkennen. Erst waren es Lippentöne, die eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Paffen der Tabakraucher hatten, nach und nach wurde er immer ungenirter und fing am Ende in aller Form zu schnarchen an.

»Nun höre doch ein Mensch das mit an! Er führt ein ganzes Orgelkonzert auf!«

»Bist du denn noch nicht fertig?« fragte Karl nach einiger Zeit mit dem trocknen Ernste schneidender Ironie, die für den verhöhnten Schnarcher sehr empfindlich gewesen sein würde – hätte er es nur vernommen. Endlich riß Karl die Geduld.

»Na, jetzt ist's genug!« Und von Neuem begann das Werk der Erweckung.

»Ferdinand, steh' auf! Rasch, rasch, es ist gleich Acht.«

»Na – soll ich dir Beine machen, Junge? Erhebe dich, du schwacher Geist!«

Ferdinand richtete sich nun wirklich auf, zunächst in knieender Stellung, und faltete die Hände wie zur Morgenandacht, schnitt aber fürchterliche Gesichter dabei.

»Nur immer munter! Eins, zwei, drei! Gleich mit einem Satz beide Füße zugleich heraus – das ist stets das Beste!«

»Nein – geh' du nur!« stammelte Ferdinand in der mürrischen Weise eines wider Willen um die Süßigkeit des Schlafes Gebrachten. »Laß mich nur ganz in Frieden, ich werde schon allein aufstehen.«

»Gut!«

Karl ließ Ferdinand »ganz in Frieden«, und dieser hatte denn auch nichts Eiligeres zu thun, als – sich sanft wieder hinzustrecken, daß die Sprungfedern der Matratze klangen und die Bettstelle knackte – man konnte, es drüben in der andern Giebelstube hören. Und wenige Minuten danach schlief er wie zuvor den Schlaf des Gerechten.

Bruder Karl hätte Grund gehabt, über diesen Wortbruch allen Ernstes ungehalten zu werden. Allein mit einem feinen Lächeln der Ueberlegenheit sagte er nur: »Warte, mein Jungchen, ich werd' dich schon kriegen!« Er nahm seine Feder, die er hinter das Ohr gesteckt, als er von der Arbeit aufstand, und bediente sich ihres Büschels, um einen ermunternden Hautreiz im Gesicht des Schlafenden hervorzubringen. Ferdinand zuckte mit der Wange, seine Hand fuhr nach den gekitzelten Stellen, als wollte er ein lästiges Insect verscheuchen. Dann wurde er wieder ruhig, auffallend ruhig; er schien in vollständige Lethargie versunken. Karl ging daher immer dreister vor und rückte, über das Lager gebeugt, näher und näher, mit der stochernden Feder in der Hand, als er auf einmal – riez ... ratz! ein paar Maulschellen bekam, wie sie gar nicht exacter ausgetheilt werden konnten. Das war denn doch eine etwas zu kräftige Aeußerung des wiedergekehrten Bewußtseins! In gerechter Wuth stürzte sich Karl auf den so unangenehm plötzlich Erwachten, und es entspann sich ein Handgemenge, dessen Ende zweifelhaft schien, bis Karl mit einem geschickten Griff Ferdinand die Bettdecke entriß und damit wegrannte. Ferdinand, außer sich über diese allen Grundsätzen des Völkerrechts Hohn sprechende Kriegslist, lief hinter dem Räuber her, konnte aber seines unvollständigen Kostüms wegen die Verfolgung nicht weit fortsetzen, kehrte um, machte gute Miene zum bösen Spiel und suchte so rasch wie möglich in die Kleider zu kommen. Sein Haar hing wirr um den Kopf, seine Augen waren noch verquollen und schossen unter den schweren Lidern wüthende Blicke hervor. Seine ganze Erscheinung zeigte ein eigenes Gemisch leidenschaftlicher Erregung und jener nicht unbehaglichen Mattigkeit, wie sie nach schwerem Schlummer erst allmälig weicht. Was Ferdinand aber im Innersten empfand, sprach sich deutlich genug in den zwei Worten aus, die er düster vor sich hinmurmelte, während er die Tragbänder über die Schultern warf: »gemeiner Grobian!«

– Die Eltern waren auf einige Tage verreist.

*

 


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