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4.
Der Federviehhof.

»Das beste Geschäft bleibt immer, Sohn eines unermeßlich reichen Vaters zu sein,« – nach der Ansicht des Brennereischreibers. »Wenn man mal sein fix und fertig eingerichtetes, schuldenfreies, nicht zu kleines Gut bekommt – sagte er zu Ferdinand – gehorsamer Diener! da lasse ich mir die Landluft gefallen. Aber den besten Theil seines Lebens aus der Giebelstube des Inspektorhauses auf die schöne Gegend des Federviehhofes sehen zu müssen – na, ich danke!«

Es ist wahr, die Aussicht vom Schloß nach dem Parke war besser. Auch blühten und dufteten auf dem Federviehhof unter den Fenstern Ferdinand's und des Brennereischreibers weder Rosen, Flieder noch Jasmin. Selbst abgesehen von solchen Schönheitsmängeln, konnte das wirthschaftliche Kleinleben um das Haus und für das Haus die höher hinausstrebenden jungen Landleute nur wenig interessiren. All das fiel mehr in den beschränkten Kreis weiblicher Fürsorge. Die äußere Wirthschaft nahm überwiegend die Aufmerksamkeit der Männer in Anspruch. Das Gleiche war ja auch im Verhältniß zur Gartenkultur der Fall; wenn der Gärtner rühmte: »Herr, es giebt Pflaumen, daß die Bäume brechen,« oder wenn die Wirthschaftsmamsell in einer Art von Ekstase ihre Stimme erhob: »Herr Oberinspektor, Gemüse kriegen wir – Schoten, Säbelbohnen, Porrei, Pastinack und liebe Zwiebelchen ... nicht zu tilgen, Herr Oberinspektor!« dann zeigte selbst dieser umsichtige alte Wirth nur laue Theilnahme für einen Zweig der Produktion, der immerhin nützlich, doch wenig »brachte«. Der Stand des Getreides war und blieb die Hauptsache. »Haben aber die Nachbarn das junge Gemüse eher auf dem Tisch – dann brummt mein guter Alter doch,« sagte die Frau Verwalterin.

»Das ist auch nur für die Hühner,« war eine Schreibereiredensart, um über etwas recht geringschätzig abzusprechen, oder wo der Förster fluchte: »so ein Hallunkenkerl ist nicht den Pfropfen auf dem Schusse werth,« da brandmarkte der Brennereischreiber diesen äußersten Grad sittlicher Verlorenheit mit einem noch verächtlicheren Bilde: »der ist zu schlecht, um von den Enten zu Tode getrampelt zu werden.« Die Enten ließen sich das aber wenig anfechten, sie lebten herrlich und in Freuden, beglückt durch die Nähe des Teiches und einer Abzugsgosse. Mit ihren breiten, so kunstreich von der Natur gebildeten Filtrirschnäbeln schlürften sie im Spülicht und Schlamm herum, während Brust und Kropf von Zeit zu Zeit mit duckender Bewegung die zum Bad und Trunk zugleich dienende Flüssigkeit aufrührten, damit die köstliche Mischung von Dick und Dünn sich nicht zu nüchtern abklärte und verwässerte. Den guten Thieren glänzten die kleinen schwarzen Fettäuglein nur so recht vor Wohlbehagen; ihnen war zu Muth wie im Entenhimmel! Und diese glückliche Seelenstimmung hatte auch auf ihre Mästung den günstigsten Einfluß.

War das Geschlecht der »kaatschenden« Enten immer stark vertreten, so wurden die Gänse dagegen erst im Herbst in Menge von den Bauerndörfern aufgekauft. Sie sind dem rationellen Landwirth ein Greuel auf der Weide, die ihre Spur für jedes Vieh verdirbt. Nur ein paar Stammexemplare duldete der Verwalter das ganze Jahr hindurch, seiner Frau zu Liebe und damit diese unerläßliche Staffage nicht ganz dem Hofteiche fehlte. In frühester Jugend sahen die »Gesselchen« mit ihrem wollig weichen, grau gelben Gefieder wie eine fabelhafte Mischlingsrace von Kanarienvögeln und Wasserratten aus. Aber glänzendes Weiß schmückte das Federkleid der stattlich herangewachsenen Schwimmvögel; dann watschelten sie bald schwerfällig über das feste Land, schnatternd. Gras und Kraut von der Erde abrupfend, und hinterher säuberlich den Schnabel schüttelnd, bald sahen sie mit schiefem, blinzelndem Aufblick gen Himmel, ob auch der Stoßvogel nicht drohte – bald ruderten sie über die Wasserfläche hin – oder sie standen nach der Schwimmfahrt am Ufer, und musterten und putzten den ganzen Körper, Brust, Rücken und Flügel mit einer wunderbaren Geschmeidigkeit des Halses.

Der Senior der Puter, mit einem Büschel schwarzer Haare auf der männlichen Brust, hatte leider seinen beständigen Aerger, und wenn er kollerte, blies er sich puffend auf, schrammte mit dem einen Flügel an der Erde und schlug Rad, wobei sich das zornige Thier um sich selbst drehte, gleichsam als wollte er mit Unparteilichkeit dieser schlechten Welt nach allen Seiten hin den Spiegel seiner gerechten Nichtachtung zeigen. Dazwischen ging er der Nahrung nach oder verschlang zur Kräftigung seines schwachen Magens große Körner Grobsand. Sein vorzüglichstes Tagesgeschäft blieb aber immer, sich zu ärgern. Ihn ärgerte Alles, rein Alles; was auch passirte auf dem Hofe, der Puthahn fühlte sich gedrungen, die Sache stets so aufzufassen, als geschähe es nur zu seiner persönlichen Kränkung. Kam ein Wagen – und man hörte das weniger laut, so lange die Räder auf dem Sommerwege blieben, aber beim Vorfahren auf dem Steinpflaster rasselte es stark – sogleich war der Puter in Feuer und Flammen und goß seine volle Galle aus über die allgemeine Freude des Empfangs, wenn es auch liebe, herzlich willkommene Gäste waren. Ging die stets lustige Annka singend mit dem Wassereimer am Trageholz nach dem Brunnen, das war ihm ein Greuel. Scheuerte aber die mehr stille Susanne vor der Thüre die »Floten« von weißem Holz blendend rein – und das mußte sie doch, sonst verdarb die Milch, und Susanne bekam ihr »Bündel« Schelte – da hätte der Puthahn bersten mögen vor Ingrimm, vorzüglich über das freche Roth des Rockes, den sie unter ihrem Mieder von grobem grünem Tuche trug. Pfiffen nun gar die Söhnchen des Verwalters, so war der Segen vollends aus, der blaue Nasenquast schwoll ihm länger und länger, und immer erbitterter eiferte er: »gull, gull, gull!« Am liebsten wäre er den Bürschchen auf die Köpfe geflogen. Allein die hatten keine Furcht, sie pfiffen nur desto mehr, je wüthender er sich ärgerte, und in diesem Falle war die Annahme des Beleidigten, daß es absichtlich ihm »zum Possen« geschehe, nicht unbegründet. Gar oft aber ließ sich eine bestimmte Ursache seines Verdrusses nicht erkennen, sondern allem Anschein nach erboßte sich der Puter nur um der Erboßung selbst willen, wie das denn hin und wieder bei kolerischen Naturen vorkommt.

Die zierlich weiß- und graugefleckten Perlhühner waren hübsche Thiere, doch von unliebenswürdiger Gemüthsart wie die indischen Hähne und noch händelsüchtiger. Ihrem streitbaren, knatternden Rufe folgte nur zu rasch die kriegerische That. Ach, ihr Stammverwandter, der wachsame Verkünder des anbrechenden Morgens, der biedere Haushahn mußte es zu seiner peinlichsten Ueberraschung erfahren! Dieser hatte so lange, bis die Perlhühner angeschafft wurden, in unbestrittener Alleinherrschaft ein mildes und gerechtes Regiment über das gesammte Volk der Hühner geführt. Eine Gesellschaft schöner Hennen umgab ihn, und ungeachtet des grausamen Raubes an Eiern fehlte ihm nicht der reiche Segen des Familienglücks. Der Hahn sah nicht viel nach den Küchlein und hatte auch nicht Zeit dazu, er lockte die Favorithenne und scharrte und kratzte seitab in der Erde nach Würmern für sie, daß der goldfarbene Federbehang seiner breiten Brust, die stolze Helmzier des rothen Wackelkammes und das Gefieder seiner stämmigen Keulen nur so zitterte. Aber das väterliche Herz lachte ihm doch im Leibe beim Anblick des muntern Treibens, wenn die Kleinen ihr Futter erhielten – gehackte junge Nesseln mit süßem Käse oder eine Hand voll Grütze, die die Kinder über sie ausstreuten. Das war ein Kribbeln und Krabbeln, ein Laufen, Fliegen, Hüpfen, Drängen, Sammeln und Picken ohne Ende! Selbst durch das ihnen zum Saufen hingesetzte Schälchen mit Wasser rannten sie, stießen es halb um oder schleppten noch mehr schwarze Erde hinein. Wuchsen die Küchlein nun heran, und es kamen Streitigkeiten unter den kecken jungen Hähnchen vor, so schritt der alte Hahn ein und setzte den, der angefangen hatte, zurecht, ohne sich mehr zu ereifern, als nothwendig war zu gehöriger Wirksamkeit der Strafe; und mit demselben Gefühl überlegener Würde duckte er auch gelegentlich einen der Kapphähne, vornehmlich den, welchen der Brennereischreiber den »Weltgeistlichen« nannte, und der sich durch standeswidrigen Uebermuth sein hausväterliches Mißfallen zuzog. So war es vordem gewesen, aber es sollte bald anders werden! Der Hahn war auch Prophet, und zwar ein ebenso guter als andere Propheten, denn die neuen taugen bekanntlich nicht viel, und die alten sind todt. Wenn er krähte, dann regnete es manchmal, und manchmal regnete es auch nicht. Und wenn er jenen mehr gackernden als krähenden, kurzen aber lauten Schrei ausstieß, der anzeigt, daß das Gemüth eines Hahnes in seiner tiefsten Tiefe aufgeregt ist, so sah Annka noch heiterer aus wie »Schmalz mit Syrup,« sagte der Brennereischreiber – denn das bedeutete: »Soldaten kommen!« Allein schwerlich hatte der Weissager vorausgesehen, was er nun erdulden mußte. Der Perlhahn fing nicht nur immer den Skandal an, er kam dem Haushahn nicht nur stets über den Kopf, so oft sie einander begegneten, er rupfte und trieb ihn nicht nur nach kurzer vergeblicher Gegenwehr regelmäßig in die Flucht – er hatte dabei auch noch eine so höchst ungraziöse Art, diese Schlechtigkeiten zu verüben. Wenn er auf den Gegner losging, sträubte er sich mit der unliebenswürdigsten Gereiztheit krumm und schief auf, als bekäme sein Rückgrat einen kleinen Verdruß. Das gesammte Küchenpersonal, dessen Gerechtigkeitssinn entschieden wieder den Gewaltthätigen Partei nahm, schalt ihn ein »verdammtes, buckeliges Thier,« oder man brauchte wol gar jenen derb metaphorischen Ehrentitel, der auch die Entartung noch Lebender dem Zustande völliger Auflösung gleichstellt. Bei Weitem mehr Eindruck machte es jedoch auf den Perlhahn, wenn die Susanne, ohne erst viel zu schimpfen, ganz ruhig ein Holzscheit oder einen Torfziegel nach ihm hinschleuderte. Ja, Angst zeigte er dann, aber keine Besserung!

Dauernd wurde der Frieden des Federviehhofes nicht eher wieder hergestellt, als bis Befehl erging, dem Usurpator den Prozeß zu machen. Er fiel vom rächenden Streiche des Schlachtmessers, und als er gebraten auf den Tisch kam, fanden alle Diejenigen, welche ein Stück Brustfleisch erhielten, dieses höchst zart, zarter, als vom Sitz der Gefühle bei einem so tückischen Wesen hätte vermuthet werden können. Der Herr Verwalter schnitt den Braten selbst vor, und die ganze Tafelrunde folgte mit sinnvollem Schweigen der Bewegung seiner sichern Hand. Nachdem er die Gabelzinken kräftig eingestoßen, daß das Brustbein knackte, that er nun eben die ersten Schnitte, als der Jüngste und Wißbegierigste seiner Kleinen um Belehrung bat, ob das da – er wies auf den zwiebelartigen Knopf, der über den Schüsselrand hinaus sich ihm zukehrte – der Schwanz des Perlhahnes sei oder sein Schnabel.

Der Brennereischreiber wäre fast geplatzt und stopfte eifrig Brod, um seine Heiterkeit einigermaßen zu zügeln.

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