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6.
Die beste Wirthin.

»Hat man dem Karsthöfer seine Felder gezeigt, ging er einmal über den Hof, in die Ställe und durch den Garten, verplaudert er noch einen ganzen Nachmittag – das ist aber schon das Höchste! – dann hat er keine Ruhe mehr, er hält ja nicht Stich. Ist man bei ihm, ja Bauer, das ist ganz was anders: man kommt so bald nicht wieder fort. Kein Wunder – es sind die liebenswürdigsten Wirthe, die man sich denken kann. Es ist da immer wie im Taubenschlag, sie liegen auch so in der Mitte. Aber als Gast ist nicht viel mit ihm aufzustellen.« So klagten die Freunde. Auch diesmal wollte der liebe Mann gleich den andern Morgen wieder fort. Doch baten die Maraiter so dringend, Frau und Tochter schienen nicht abgeneigt, zu bleiben, und so legte er richtig noch einen Tag zu. Ferdinand hatte denselben Tag in der Kreisstadt zu thun, sprach aber absichtlich nicht an – auf dem Heimwege, obwol es nichts um ist. Den Abend war er doch da und wieder sehr schweigsam.

»Sie lassen ja keinen Menschen zu Wort kommen,« sagte Herr Alborn, nachdem er ihn eine Weile beobachtet. »Was fehlt Ihnen? Wer eine solche Erndte in der Scheune hat wie Sie, kann doch gewiß lachen.«

»Ich lache ja auch.«

»Was macht denn Ihre Wirthin?«

»Noch hat sie nicht gekündigt, aber es wird kaum anders werden, wenn sie sich nicht bald erholt. Sie ist ganz herunter.«

Martha's Vater strich sich mit beiden Händen die Kniee, wie der rührige Mann, der schon so viel geleistet, zu thun pflegte, wenn er merkte, daß ihn schon wieder die »Thu'wuth« überkam, und daß er noch immer nicht gelernt, still zu sitzen und die Daumen umeinander zu drehen. »Ich werde Ihnen mal was erzählen. Sie haben den alten Fentowski nur noch gekannt, wie er in der elenden Käthe am Walde wohnte – da war ihm die Pfeife schon gänzlich ausgegangen. Als er noch im Gute saß, eigentlichen Verkehr hatten wir wol nie, aber man begegnete sich doch öfter, und wir begrüßten uns dann immer ganz freundlich, wie gute Nachbarn thun; später, nachdem sein gelehrter Schwiegersohn, der lesen und schreiben konnte, sich aufgehängt, und es mehr und mehr bergab ging, wich er einem scheu aus. Nun in jener früheren Zeit trafen wir uns auch einmal auf der Grenze. »Wie geht's, wie geht's?« »Schlecht geht es, die Wirthin ist mir krank, sie liegt schon über acht Tage.« »Ach was, sagt er – er sprach doch nur sehr gebrochen deutsch – laß Alte liggen, bis schwarz wird – laß Luder Jahr liggen, wenn man Roggen schütt' und preist, und lieber Gottchen wollt' ander Wetter geben, nicht immer »Wolf hat's Fiber«, mal Sonnenschein, mal Regen. Sudderregen, Kleckerschulden und Quarkrank wird man nicht so leicht wieder los.« Das schrieb ich mir hinter das Ohr. Obwol uns Deutschen Sinn für häusliche Ordnung und Gemüthlichkeit doch auch nicht ganz abgeht, ertrug ich's mit Fassung, als mich die kränkelnde Dame meines Hauses bald darauf verließ. Sie hatte rothe triefende Augen, roch nach Hoffmannstropfen, besprach die Rose, kurirte Zahnschmerzen durch Sympathie, und Pastinak mit Schöpsenfleisch bekam ich zweimal die Woche; was übrig blieb, hob sie mir sorgfältig für den andern Tag auf. – O ja, wenn ich meine Memoiren schreibe, wird das Kapitel »die beste Wirthin« auch nicht ganz kurz ausfallen.«

»Das war meine Erste. Dann beglückte mich ein großes ramassirtes Frauenzimmer, eine geborne Herrscherin. Bei der ersten Wäsche sagte sie »das Waschfaß«, bei der zweiten »unser Waschfaß«, bei der dritten »mein Waschfaß«. Die hatte einen wahren Arbeitsteufel in sich, schaffte von früh bis spät, keine Magd that es ihr zu Dank, am liebsten hätte sie Alles allein gemacht. Sie räumte gründlich auf. Bei der andern mußte der Schmutz mit dem Spaten abgestoßen werden, als sie fort war, und der Instmann, den ich dazu gab, wunderte sich, daß er auf die Dielen stieß – er hatte geglaubt, es sei blos Estrich. Leider blieb die reinliche Brunhilde, wie mein damaliger geistreicher Pensionär die große Kasche nannte, nur ein Jahr. Der Nagelschmied Klammer aus Saalfeld, ein kleiner schwarzer, schiefbeiniger Kerl, zwei Käse und ein Mauseköthel hoch, lernte die rothhärige Riesin auf dem Viehmarkt kennen, entbrannte in Liebe zu ihr und heirathete sie mir schlank weg. Es war das Seitenstück zum kleinen Liesekaterchen und seiner Frau, dem langen Michel, im Märchen. Gingen sie Arm in Arm, so sagten die Leute: das ist ein Paar wie die Räucherwurst am Boßhaken. Wollte er ihr einen Kuß geben, mußte er die Feuerleiter ansetzen oder am Klettermast heraufturnen, bis er die entsprechende Höhe erreicht. Na – es mußte doch der Nagelschmidt Klammer aus Saalfeld sein. Mit Wehmuth sah ich der Scheidenden nach. Von Gemüth war sie ein Drache. Aber Liebe und Sanftmuth allein thun es nicht. Brunhildens Nachfolgerin, von Herzen das beste Geschöpf auf Gottes Erdboden, wußte sich nicht einzurichten, kam mit nichts recht vom Fleck, die Leute hatten keinen Respect vor ihr, kurzum sie war »kein Mann der That«. Wieder eine Andere hielt sich zu was Höherem geboren, las Romane, deklamirte bei nachtschlafender Zeit, daß die Hunde auf dem Hofe zu heulen anfingen und sprach von Clauren nie anders wie »mein Clauren«, als ob der all seine schönen Taschenbücher blos für die unverehelichte Amanda Zumlich geschrieben. Die gute Amanda begeisterte sich auch noch auf andere Art. Es kam heraus durch ein altes Weib, das ihr den Kümmel heimlich aus dem Kruge holte und zuletzt zu unverschämt wurde in ihren Forderungen für diesen kleinen Liebesdienst. Dann kam Frau Porekeit ...«

»War nicht vorher noch Fräulein Deckau?« »Richtig! Meine Tochter weiß schon besser Bescheid in meinen alten Erinnerungen wie ich selbst. Wie konnte ich Undankbarer die Deckau vergessen? Die hielt Alles sehr gut in Ordnung, kam mir nicht mit jeder Kleinigkeit, sagte immer zur rechten Zeit, wenn Getreide in die Mühle geschickt werden mußte, verlangte nie Weiber und Scharwerksmägde für sich in's Haus oder in den Garten, wenn Dringenderes in der äußern Wirthschaft zu thun war, und Männer gar nicht, – sie wußte schon, sie bekam doch keine, – auch war sie – recht wie sich's für einen unverheiratheten jungen Wirth schickt – weder zu alt noch zu jung, weder hübsch noch häßlich, sie war so aus dem mittelsten Fach. Sie wäre noch heute bei uns, hätte sie nicht ein viel vortheilhafteres Engagement gefunden. Da konnte und mochte ich sie nicht halten. Ja ganz recht, die Frau Porekeit kam erst nach der Deckau. Die war schon auf allen Gütern zehn Meilen in der Runde gewesen, hatte aus jedem Hause einen ganzen Sack voll Geschichten und schwatzte dem Teufel ein Bein ab, wenn der seinen schwachen Tag hatte, ihr still hielt und zuhörte. Sie floß über von Treue und Anhänglichkeit bei dem leisesten Zweifel, ob auch Alles mit rechten Dingen zuging. Als sie abzog, trugen drei Männer ihren großen rothen Kasten, auf der Biegung der Treppe spuckte sich der Eine in die Hand. Er dachte, die Last auch mit der andern Hand allein halten zu können, aber es war zu schwer, der Kasten stieß hart auf, der Boden ging heraus, und ein paar Würste kullerten die Treppe herunter – eine Spickgans lustig hinterd'rein. Wie wir den Schaden bei Lichte besahen, kam auch noch ein Schinken und eine Seite Speck zum Vorschein, die sie zum Andenken mitnehmen wollte. Die konnten aber nicht durch, die Kleinsten hatte sich die treue Person nicht ausgesucht.«

»Ja und bei alledem waren das noch schönere Zeiten. Damals hatte ich volles braunes Haar und hatte mich eben verlobt. Und jetzt – wo kommt der weiße Kopf her? Nun es macht nichts, gieb mir die Hand! wir sind doch gute Freunde, – nicht wahr, liebe Frau? All das Glück und all der Aerger müssen doch irgendwo heraus.«

»Damals residirte ich noch in meiner seligen alten Kathe. Wie wir Hochzeit machten, baute ich sie aus, renovirte und modernisirte Alles. Wir haben da unsere besten Jahre verlebt. Kam ein Eleve oder ein Schreiber mehr, wurde die Kinderstube zu klein, wuchsen die Kleinen heran, und wir brauchten eine Gouvernante, einen Hauslehrer – ja deshalb werden wir doch nicht gleich ein neues Haus bauen? ...« sagt' ich immer, und faßte an den Knopf in der Wand – sagten die lieben Nachbarn – und zog wieder ein neues Schubfach heraus, nicht gerade überwältigend schön von außen, aber bequem von innen. Für wen baue ich denn aber? Für Andere, die sich's von draußen besehen oder für mich, der ich darin wohnen will? Das ging nun so ein Jahr um's andere, und ich dachte bereits: »wer weiß, am Ende drückst du dich nicht ganz herum? ... Haben die nach uns kommen nicht mehr Platz, so mögen sie selbst was Neues hinstellen, wie es ihnen gefällt, wie sie's wünschen und am besten finden.«

Da wollen die Sterne und das Schicksal, daß ich mir ein Paar neue Stiefel machen lassen muß, und der kluge Schuster wird mir Schäfte heraufsetzen, daß ich sage: »Meister, ich habe früher nie begriffen, wie man Stiefel Kanonen nennen kann, jetzt begreife ich's; es fehlen ja blos die Lafetten und die Zündlöcher zum groben Belagerungsgeschütz, zur Feldartillerie ist das Kaliber fast schon zu schwer. Die gehen ja gar nicht in meinen Schrank.« »Gnädiger Herr, ich dachte« ... »Was hilft mir, was Sie denken, wenn Sie mir Stiefel machen, die ich nicht brauchen kann.« »Gnädiger Herr, die Stiefel sind gut, tragen Sie sie nur erst: hoch sind sie, aber nicht zu hoch, und 'n bischen schwer sind sie, aber hohe Stiefel können nicht leicht sein, wie Halbstiefelchen. Der Schrank ist blos zu klein.« Nun gut gearbeitet waren sie, und manchmal braucht einer ja ganz hohe Stiefel, auch wer nicht im »fetten Dreieck« wohnt zwischen Mewe, Dirschau und Stargard, wo sie mit sechs Pferden pflügen. Kurzum – ich bestell' mir zu den großen Stiefeln einen großen Schrank. Aber das dauert und dauert, ich kriege meinen Schrank nicht und sage noch zu meiner Frau: »das muß ganz was Apartes werden, daß der mit dem Stiefelschrank nicht zu Stand und Rand kommt. Endlich soll ich ihn denn abholen lassen und schicke expreß einen Wagen darnach, der Knecht kommt aber unverrichteter Sache zurück: der Wagen wäre zu klein. »Das ist ja ein wahres Biest von Schrank, da wird gnädiger Herr wol müssen eine Maschine bauen lassen, um den aus der Stadt zu kriegen.« Ich muß also selbst hin ... »Um Gottes und aller Welt willen, Meister, was fällt Euch ein?« ... »Gnädiger Herr, ich dachte« ... »Das ist doch gleich, um ... wissen Sie, was meine Mutter immer sagte: »ein wahres Unglück, wenn die Leute schon denken, dann machen sie lauter dummes, dwatsches Zeug – ihr sollt nicht denken, ihr sollt thun, was euch befohlen wird. Gänse denken, Menschen denken nach.« Wenn ich mir ein Gartenhaus, einen Tempel, eine Kirche, eine Pagode bauen lassen will, dann gehe ich zu Maurer und Zimmermann, nicht zum Schreiner. Zimmert mir der Kerl ein Ungethüm zusammen und putzt es aus mit Spitzen und Schnörkeln, Säulen und Knäufen ... wie hieß doch die trauernde Königin von Anno damals, als man Latein und Griechisch lernte noch ohne Vokabelbuch, Grammatik, Nachsitzen, Rohrstock und Faulbank? ... Mausola ... Artemisia oder Ratzemüsia? Gleichviel! die hätte ihren tief betrauerten Gatten und Gebieter darin beisetzen können ... oder er sie – was weiß ich – wo es nach Griechisch und Latein roch, ist mir nie sehr geheuer gewesen. Allenfalls hätten auch beide Platz gefunden mit Scepter und Krone, Stiefeln und Sporen, Diadem, Reifrock und Schleppe in meinem Ungeheuer von Stiefelschränkchen. Ich konnte einen größeren Wagen schicken: das war noch das Wenigste. Aus der Werkstätte zu mir heraus kriegt' ich ihn schon, aber wie kriegte ich ihn zu mir herein? Sollt ich's machen wie die dämlichen alten Trojaner mit dem ausgestopften Sattlergaul vom griechischen Weihnachtsmarkt? Die rissen ja wol die Mauern ein, wenn ich mich recht entsinne. Und das hätte auch noch nichts genutzt. Das Kämmerchen, worin er stehen sollte, ging bequem in den Schrank, aber das Schränkchen ging nicht in die Kammer. Ich habe mir an meine Stube ein Kabinet, an das Kabinet eine Kammer, an die Kammer das Kämmerchen anstoßen lassen: soll ich mir nun blos für das kröt'sche Stiefelmausoleum an das Kämmerchen noch wieder einen neuen Schloßflügel heranröstern? Wenn man das längste Fernrohr auszieht, immer ein Glied nach dem andern, immer eins feiner als das andere, einmal kommt doch das letzte Ende, der beste Gummi platzt, wenn man ihn zu sehr reckt, und die beste Saite springt, wenn man sie überspannt, und wäre sie aus dem geduldigsten Schafsdarm gedreht, der je Kleeheu und Oelkuchen verdaut. Item, ich baute mir ein neues Haus. Bei jedem Hausbau, ist er vollendet, entdeckt man einen Fehler, den man nicht wieder machen würde, wenn man noch einmal bauen sollte, heißt es immer. Das ist richtig und nicht richtig. Als wir einzogen, bemerkte ich, unser größter Fehler war der: wir hatten uns ein neues Haus gebaut, und wir selbst waren alt geworden. Aber das war gut, die alten Freunde blieben auch dem neuen Hause treu, und auch in die neuen vier Wände nahmen wir den alten Hausspruch mit hinüber: hier kann Jeder nach seiner Façon selig werden: – stillsitzen und herumlaufen, spazierengehen, reiten und fahren. Sind die Reitpferde vergriffen, so lasse ich mich nicht lumpen und stelle bereitwillig die stuckerigsten Arbeitsgäule zur Disposition, langen Kutsche, Halbwagen und offene Brischken nicht, so lasse ich einen Leiterwagen anspannen. Saubere Pferdedecken über Erbsenstroh, da sitzt's sich besser wie im Schooß vom alten und auch vom jungen Abraham, der mit alten Kleidern handelt, und der oder die Dickste – mit Erlaubniß – muß immer in die Mitte. Sonst dicht an den Leitern, da sitzen sie Kaulchen ein und drücken sich an den Sprossen, und die Andern auf dem Gesäß sitzen schief und schnellen in die Höhe wie auf der Wippschaukel. Das wäre die eine Beschränkung unserer toleranten Hausordnung. Und dann: ist der Gewehrschrank leer, so gebe ich keine Flinten zum Enten-, auch nicht zum Hühnerschießen, und um die Essenszeit müssen Alle wieder da sein, oder es wird zur Strafe nachservirt, was übrig blieb. Anders thut sie es nicht – meine beste Wirthin.«

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