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3.
Robinson der Jüngere.

Die Hausfrau saß wieder, wie schon viele Abende vorher, bei den Kindern, und dasselbe Buch lag vor ihr aufgeschlagen – »der Robinson«.

So manches schöne Kapitel war bereits vorüber. – Bei dem ersten Schiffbruch hatten Türken die Mannschaft gerettet, ohne engherzig nach Bekenntniß und Nationalität der in Lebensgefahr schwebenden Menschen zu fragen. Aufgeklärte, ächt Campesche Humanitäts-Muselmänner! Das zweite Mal ging das Schiff wirklich unter. Robinson, durch wunderbare Fügung allein erhalten, wurde von den Wellen des Oceans einer unbewohnten Insel zugetrieben und bewußtlos, doch noch athmend an's Ufer geworfen. Dort haust er nun in seiner Höhle, und als er diese zu erweitern sucht, stößt er auf jenen Goldklumpen, der das beklagenswerthe Loos hat, von einem Kindergeschlecht zum andern mit dem Fußtritt der Geringschätzung bei Seite geschoben zu werden – weil der arme Tropf ja nicht unmittelbar, nur als Tauschmittel werthvoll ist! Später kam das Gewitter und der Blitz schlug ein mit effectvollem, den furchtbaren Naturlaut täuschend wiedergebenden »Rrr – rr– ... puff!« Aber Robinson blieb nicht nur für seine Person verschont, die anscheinende Gefahr barg in ihrem schreckensreichen Schooße eine ungeahnte Wohlthat, und so ergab sich Gelegenheit, zugleich mit der frommen Saat felsenfesten Gottesvertrauens, die nützliche Kunde in die empfänglichen jungen Seelen zu legen, – daß unser irdenes Kochgeschirr erst durch Ueberzug einer Schmelzmischung von Sand und Salz vollkommen brauchbar wird; Robinson, der sein Salz in ungebranntem Thongeschirr aufbewahrte, fand das Gefäß nach dem Brande schön glasirt, als käme es eben aus dem Töpferofen. – Eine solche Verbindung unmittelbarer praktischer Lehren mit der Poesie dürfte dem Geschmacke erwachsener Personen nicht immer willkommen sein. Allein das Kinderpublikum mag anders hierüber denken; es hat dies der Verbreitung des Buches durch ganz Europa und weiter nicht Eintrag gethan.

Doch das Kapitel, welches diesmal »d'ran kam«, übertraf vielleicht noch alle vorangegangenen, und es hätte sich wol ereignen können, daß der Hausherr wieder in der originellen Weise zur Abendsuppe eingeladen wurde, wie neulich: »Papa, du möchtest doch zum Essen kommen – aber komm' noch nicht gleich, es ist gerade so wunderhübsch!« Dem Helden der Geschichte, der noch nicht seinen treuen Freitag gefunden, widerfuhr jetzt das Härteste, was einen ganz einsam Lebenden treffen kann – er erkrankte. Mit schwindenden Kräften vermochte er kaum noch einige Citronen herbeizuholen und ein paar Schildkrötenschalen voll Wasser, um ohne Beistand, wie er war, doch mindestens vor der Qual des Verschmachtens sicher zu sein. Dann sank der Arme auf sein Lager, ein Gefühl der Schwäche übermannte ihn, ein beängstigender Krampf packte seine Brust, er befahl Gott die Seele und schickte sich zu jener großen Reise an ...

»Nun – zu welcher Reise?«

»Nach Hamburg,« platzte der Vorschnellste heraus.

»I, besinn' dich doch!«

Die Anderen mochten es besser wissen, trauten sich aber nach diesem ersten entschiedenen Fehlschuß nicht heraus mit der Sprache, bis endlich der Besonnenste zögernd sagte:

»In den Himmel.«

»Freilich.«

»Er war also todt?«

»Ach wie Schade!«

Das Häuflein sah aus wie zu Stein geworden: regungslos verharrten Alle in ihrer lauschenden Stellung. Selbst jene bewegliche Kleine, welche für gewöhnlich nicht eine Minute still sitzen konnte, als hätte der Rührkohl Pfeffer und Salz zwischen Haut und Hemdchen – auch diese klebte mit einmal wie angefroren fest auf der Stuhlecke, wo sie im Hin- und Herrutschen die traurige Nachricht ereilt; das Mäulchen stand offen, das feuchte rothe Lippchen bebte, ihr sonst so lebhafter Blick senkte sich – da, als sie wieder aufschaute, entging ihr nicht, daß Karl, der den Robinson so ziemlich auswendig konnte und nur zur Mitbenutzung der Lampe bei ihnen saß, über sein Buch weg höchst eigenthümlich blinzelte, nickte und winkte, aber so, als läge ihm daran, von der Mutter nicht bemerkt zu werden; denn er ließ das Haar in noch volleren Strähnen durch die Finger gleiten, daß sie das Gesicht nach der Mutter Seite hin verdeckten, und stemmte die Arme noch breiter auf den Tisch als bisher, obwohl ihm schon angedeutet war, daß wir als Preußen das Mecklenburgische Wappen mit dem Ochsenkopf nicht brauchten.

»Weshalb lacht denn der Karl?« Und Karl zeigte in der That eine so tröstliche Heiterkeit, als dächte Robinson gar nicht daran, todt zu sein. Allein »der Abend« war zu Ende, und weiter sollte heute nicht mehr gelesen werden. Es erfolgte einstweilen keine weitere Aufklärung wie die indirecte: »der Karl lacht – weil er läppisch ist.«

*

 


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