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2.
Unser Kindchen.

Unser Kindchen gehört nicht zu den »starken« Kindern, die sich ihre Pausbacken mit einem Frachtwagen nachfahren lassen müssen, aber es hat auch keine Amme, welche sich rühmen dürfte: »Das ist Alles mein Fleisch.« Gott sei Dank, es gedeiht recht wohl ohne Amme.

Unser Kindchen ist nicht schön, aber frisch und kerngesund: es ist nicht schön, das heißt nicht unbedingt schön, nicht ideal schön, es hat seine eigene Art Schönheit ganz allein für sich; und schön oder nicht schön, so wie es ist, gefällt es uns gerade am besten.

Unser Kindchen ist ein Junge. Wir verhehlen nicht, bei seiner Geburt fühlten wir uns einigermaßen enttäuscht, wir hatten auf ein Mädchen gehofft der bunten Reihe wegen; denn ganz ohne den Artikel sind wir nicht, wie jene Familie, die sich unter der Heerde von Jungen wenigstens ein Mädchen wünschte – »zur Nachfrage«; doch da das Kind nun einmal ein Junge geworden, wird es gewiß seine wohlerwogenen Gründe gehabt haben, und so stellten wir die wünschenswerthe Regulirung des Gleichgewichts beider Geschlechter getrost einer fernerweiten segensreichen Zukunft anheim.

Unser Kindchen übereilt sich nicht in seiner Entwicklung. Es ist ein bequemer kleiner Herr. Eile mit Weile, wer langsam geht, kommt auch zum Ziel; wer noch nicht laufen kann, der kriecht, und wer noch nicht kriecht, der zappelt und läßt sich schaukeln von des Vaters starkem Arm. Das geht anders, als in der Wiege hinter dem Tapetenschirm – so hoch! und immer höher: je höher desto besser, um so lustiger sieht der Vater aus, um so lauter jauchzt unser Kindchen.

Unser Kindchen, keines von den gepriesenen ruhigen, lammfrommen Kindern, schreit viel und hält die Mutter Tag und Nacht im Athem. Desto größer das Behagen, liegt es einmal Viertelstunden lang still auf der Decke, arbeitet mehr zum Vergnügen als aus Ungeduld mit den Füßchen in: langen Kleide, macht »Bläschen« und »Brümmchen«, »krahlt« gar so lieblich und singt sich am Ende selbst in den Schlaf.

Unser Kindchen ist noch nicht sonderlich bewandert in der Welt; am besten Bescheid weiß es an der Mutterbrust, aber auch bei anderen Frauen und Jungfrauen fühlt es sich leicht heimisch, und während der Taufrede, die sehr erbaulich, nur ein wenig lang ausfiel, erlaubte sich der dreiste kleine Mensch ganz ungenirt mit der Rose zu spielen, die im Busengürtel seiner schönen und liebenswürdigen Pathe steckte – was uns kein Zeichen ungewöhnlicher Begabung, aber doch auch nicht von Dummheit zu sein schien.

Unser Kindchen ist mit einem Worte kein Wunderkind, wie die kleine Rademacher. Nachbar Rademacher's Kinder sind sämmtlich Wunderkinder nach Art der jungen Eulchen, von denen die alte Eule sagte: »meine Uhlkes sind lauter Duhfkes« – aber in einem Punkte hat unser Kindchen doch einen unerreichbaren Vorzug vor allen anderen Kindern, selbst vor der kleinen Rademacher, was viel sagen will: es ist eben – unser Kindchen.

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