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12.
Gold-grün-weiß.

»Sprich vorläufig nicht davon, schrieb Karl aus Bonn dem Bruder Ferdinand; ich werde es nächstens selbst dem Vater ganz offen sagen, daß ich »eingetreten« bin.« Er meinte damit die Theilnahme an einer der Verbindungen, welche die studirenden Söhne, nicht immer im Einklange mit der Meinung der Eltern, für ein höchst wichtiges Mittel der Charakterausbildung und geistigen Anregung zu halten pflegen. Karl hatte sich dem Verein zugesellt, dessen Mitglieder die Farben Gold-grün-weiß trugen: einmal, weil er viele Landsleute und einen Schulfreund unter ihnen fand, und zweitens, weil es »entschieden die beste Verbindung der ganzen Universität«, – eine Wahrheit, von der sich Niemand tiefer durchdrungen fühlte, als die bescheidenen Gold-grün-weißen selbst. Diese ihrerseits nahmen den Neuling auch nicht nur der Landsmannschaft wegen auf, sondern einfach weil er ihnen gefiel ohne alle äußeren Nebenrücksichten. Im stolzen Bewußtsein eigenen Werthes war keine Couleur weniger als die Gold-grün-weißen fähig, sich jenes zudringlichen Rekrutirungssystems schuldig zu machen, das damals »pechstiefeln« genannt wurde, mit unehrerbietiger Anspielung auf die bekannte Manier des Affenfanges. Einer der Füchse dieses Semesters hatte die Naivetät, überall offen davon zu sprechen, er wolle sich die Gesellschaft mal erst etwas näher ansehen. Ein Anderer ließ gleich beim ersten Gastbesuch auf der Kneipe nicht unerwähnt, daß er mit Nummer Eins von der Schule entlassen sei. Beide Herren fielen glanzvoll ab. Die Aufnahme in den Bund war feierlich. Bei hellem Tage wurden die Fensterladen geschlossen, zwei Wachslichte angezündet, auf einen Tisch mit weißem Tuch gestellt, und zwei Korbschläger in den Farben der Verbindung lagen gekreuzt über dem Komment, jenem ehrwürdigen Gesetzbuch alter Burschenbräuche, das trotz mannichfacher, dem fortschreitenden Geiste der Zeit huldigender Verbesserungen noch immer in die beiden Hauptheile zerfiel: »Wein- und Paukkomment.«

Auch unter den Gold-grün-weißen fehlte es nicht an Mittelgut – an Leuten, die weniger durch Geistesgröße, als durch Gemüth und gute Laune glänzten, aber biedere Häuser waren sie alle, und einige galten für höchst »bedeutend«. Wie nun aber diese treffliche Verbindung in jeder Hinsicht die Elite der Universität in sich schloß, so waren ihre Gegner und Erbfeinde, die Violet-gelb-schwarzen, sämmtlich seichte, einfältige Tröpfe, oder arrogante maliciöse Bursche, ausgenommen vielleicht einen oder zwei, die sich unerklärlicher Weise zu ihnen verirrt. Es konnte nicht anders sein, ein Gott hatte sie, Iphigenien gleich in einer Wolke – wahrscheinlich von Tabakdämpfen – aus dem Lande milderer Sitten zu den Barbaren versetzt, mit der wohlwollenden Absicht, diesen doch auch einen Lichtstrahl jener hohen Kultur zu vermitteln, welche so herrlich blühte »bei uns« – würde Karl gesagt haben, was stets gleichbedeutend war mit »Gold-grün-weiß«.

»Es hat zu Zeiten und auf gewissen Universitäten Verbindungen gegeben, deren Mitgliedschaft ungefähr mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Unfleiß schließen ließ, wie aus der Gleichheit eines Winkels und zweier Seiten die Kongruenz von zwei Dreiecken gefolgert werden darf,« pflegte der berühmte Mathematiker der Hochschule zu sagen, hin und wieder auch zu einem der Gold-grün-weißen. Die fühlten sich jedoch nie persönlich getroffen. Die Meisten »thaten wirklich etwas,« ohne in den Fehler übermäßiger Anstrengung zu verfallen, wie jener stille unendlich fleißige Philologe »der sich rein zu Tode geochst« und mit einem glänzenden Fackelzuge bestattet wurde, während sich um den Lebenden kein Mensch kümmerte. – Politische Tendenzen hatte die Verbindung nicht, ja die Gold-grün-weißen erklärten es für riesigen Unsinn, etwa schon jetzt selbstthätig oder gar gewaltsam in den Gang der Staatsangelegenheiten eingreifen zu wollen. Doch wurde dieser löbliche Grundsatz zuweilen im Tone einer fast zu großmüthigen Entsagung ausgesprochen, gleichsam als brauche der Fuchsmajor nur am Pauksack zu rütteln, um alles Bestehende in's Wackeln zu bringen.

Den besten Aufschluß über die eigentliche Tendenz der Couleur gaben ein paar kleine Artikel, die im »Most« erschienen, wie sich die Weinzeitung anspruchslos nannte. Zunächst eine freie Bearbeitung des »Ritter Toggenburg«. Der Dichter ließ den Geist des edeln Unglücklichen wieder aufsteigen aus seiner Gruft in den Trümmern des romantischen Rolandseck, als der Freunde fröhlicher Kreis dort eben versammelt war. Das klassisch empfindsame Gespenst hatte aber keine Macht über die flotten Burschen; sie hatten sich als Schutzpatron »den Genius eines gesunden Humors« erwählt, der seine Jünger Freiheit des Geistes mit Tiefe des Gefühls, Sittlichkeit und heiterm Lebensgenuß vereinen lehrte. Auch Göthe's Werther würde einst nicht so traurig geendet haben, wenn er schon diese neue Glückseligkeitslehre gekannt, und wenn er sich nur hätte entschließen können, bei den Gold-grün-weißen »einzuspringen«. Das war ein Radikalmittel, – selbst der bleiche Schatten des in hoffnungsloser Liebe hinschmachtenden Ritters wurde sofort wieder von warmem Jugendblut durchströmt, als er ein großes gereiftes Humpenglas leerte, in dem ihm das liebliche Frühlingsgetränk dargereicht wurde – der edle Maiwein mit seinem Sonnen gold des Traubensaftes, und den grünen, weiß-blühenden Gewürzkräutern.

Das Andere lief auch auf eine Spielerei mit den Farben hinaus, die nicht verkennen ließ, der Verfasser hörte Optik. Er kam zu dem Schlusse: »Schwarz und Weiß bilden die Grundlage, daraus kann Alles werden – Roth und Grün ergänzen sich – und Gold ist Gold und wird es ewig bleiben.« Zugleich ließ er, obwol verblümt und vollkommen ungefährlich, durchblicken die alten Traditionen, an welche die Stifter der Verbindung ursprünglich angeknüpft. Den Originaltitel »Farbenlehre« hatten die Herausgeber verändert in »patriotischer Tuschkasten«. Bei diesen beiden Aufsätzen war schwerlich in Frage gekommen, wie bei einem dritten, nicht ob er ganz zurückzuweisen, wol aber, ob man nicht ein Sternchen dazu machen sollte mit der Anmerkung der Redaction: »fast zu ernst für uns.« Und doch war es nur ein loses Tagebuchblatt – »Und draußen am allerletzten Haus«, die harmlose Ueberschrift – und doch begann der »fast zu Ernste« ... »Wunderlich war mir – selig, ohne gestorben zu sein – berauscht, ohne mich angekneipt zu haben. Ich wäre im Stande gewesen, den dummsten Streich meines Lebens zu machen – und obwol ich noch kein Greis, das will doch immer schon etwas sagen. Alles in der Welt, nur nicht die Feder kauen, um ein paar neue Reime herauszubeißen auf die alte Weise, die schon hundert und tausendmal besser gesungen, gepfiffen, geleiert, geflötet und getutet. Aber es brennt, glüht und siedet in mir: eine That muß losgelassen werden – und lief hinaus auf die koblenzer Chaussee, so weit die Häuser stehen, bis zum letzten. Ihr kennt es Brüder, oder doch den Zaun – schwarze Staketen – steinerne Pfeiler – eine ländliche Thür – das Haus weit zurück nach dem Rheine zu. Da fiel mir's wie Schuppen von den Augen, es wich der Wahn, mir wurde – ja ganz anders wurde dem krassen Fuchs! Im Baumgarten stand ein alternder Mann, aber noch stramm und fest wie eine Eiche, im Leinwandkittel wie jeder Arbeiter. Er stützte sich auf seinen Spaten und schien einen Augenblick zu sinnen. Dann fuhr er fort in seiner Arbeit, die Erdschollen zu zerschlagen mit dem blanken Eisen. »Der Gott, der Eisen wachsen ließ, gab ihm den Spaten in die Hände: bis mehr und Größeres zu thun für dein geliebtes deutsches Land, grabe in Frieden, Treue und Fleiß das Beet in deinem Garten um. Was Du gepflanzt und gesäet, es wird gedeihen, wachsen, grünen und blühen – und wenn die Welt voll Teufel wäre!

»Was ist des Deutschen Vaterland?
Ist's Preußenland, ist's Schwabenland?
O nein, o nein, o nein –
Mein Vaterland muß größer sein.«

Vivat floreat, crescat Gold-grün-weiß!

*

 


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