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7.
Schlaf und Träume.

Lieblich ist's, den gesunden, erquicklichen Athemzug des Kinderschlafes zu belauschen, in den tiefen Frieden des ruhenden Gesichtchens zu blicken, über das die behagliche Bettwärme blühende Röthe haucht, damit morgen, zum schmackhaften ersten Frühkuß des Tages die richtigen apfelrothen Bäckchen reif sind.

Nicht selten verharren die kleinen Leute, ohne sich zu rühren und zu regen, die ganze Nacht, rund um das Zifferblatt, fest in ein und derselben Lage. Wie sie beim Einschlafen die Hände gefaltet oder die Arme gekreuzt hielten, gerade gestreckt oder mit angezogenen Füßen, auf dem Rücken oder auf der Seite lagen, genau so erwachen sie auch wieder, und nach dem Aufstehen zeigt dann die sonst wie unberührt aussehende Lagerstätte hie und da die Eindrücke dieser einen Stellung so deutlich, daß man einen Gipsabguß danach nehmen könnte.

Heute ist jedoch keine von diesen stillen Nächten. Der kleine Schläfer hat sich schon mehrmals hin und her gewälzt, eben geschieht es wieder. Ein paar stoßweiße herauskommende, komisch verworrene Worte scheinen sich über die unbequeme Störung zu beschweren und den im Bettchen obwaltenden verdrießlichen Meinungsverschiedenheiten Ausdruck zu leihen. Der Kopf will links in die Tiefe, das Kissen absolut hoch nach oben in die rechte Ecke der Bettstelle, das kleine Deckbett hat eine eigensinnige Neigung quer über zu liegen, das Hemdchen rutscht aufwärts bis unter die Arme, und dabei thut ein jedes, als sei es ganz in seinem Rechte.

Der Klügste giebt nach, der Kopf richtet sich empor, nun hat auch das Kissen nichts dawider, frisch aufgeklopft zu werden, die Füßchen lassen sich geduldig »bestopfen«, ein schweres Seufzerchen steigt auf, und der beunruhigte Schlummer sinkt wieder zurück in die wellenlose Tiefe gänzlicher Bewußtlosigkeit – doch nur für kurze Zeit.

Die bunte Schaar der Träume ist herbeigekommen. Ließe sich ihrem losen Gaukelspiel nur mehr Lobes nachsagen! Eine Ausnahme ist's, daß sie, heitere freundliche Genien, den Vorhang aufrollen vor frühlingsgrünen Gärten, in denen schöne, fremde Kinder Ball schlagen und Reife werfen, vor Teichen, die im Wiederschein des Abendrothes glühen, und in die der Traum kopfgroße Steine plumpen läßt, daß der rosige Schaum bis zum hohen Ufer aufspritzt, vor Blumenbeeten, brechend vollen Obstbäumen, köstlichem Spielzeug, das immer mehr wird, je mehr man davon wegträgt im Schürzchen, und was sonst dem kindlichen Sinne reizvoll dünkt. Oft sind sie garstige Neckhänse, halten dem Kinde Leckereien hin, will es aber zubeißen – weg ist die ganze Bescherung: sie drücken und kitzeln mit Laken- und Hemdfältchen, daß das Kind mahnen muß, es sei wieder krank, und Niemand kommt, ihm die lästig pickenden Weißbrodkrümel, die keinem Kinderkrankenbett fehlen, mit freundlicher Hand aus dem Bettchen wegzustreichen: sie wollen spazieren fahren mit ihm, und Hut und Mantel sind nicht da: das Lied soll aufgesagt werden, das gestern Abend »wie Wasser« ging, und nun ist es rein weg vergessen, noch viel peinlicherer Verlegenheiten gar nicht zu gedenken. Und ebenso oft sind es struppige Bösewichter, die, aus dunkeln Büschen, Dachkammern, Kaminen oder ähnlichen unheimlichen Orten hervorspringen und das blanke Messer in der Hand, die Kinder verfolgen, als wenn es in der Welt der Träume gar keine Polizei gäbe.

Still! Die Lippen regen sich wieder, die Sprachwerkzeuge ringen mit einer gewissen unbequemen Trockenheit, sie können das rechte Wort nicht finden. Doch es gelingt, es ist gefunden, wir hören deutlich im Tone ernstesten Unwillens, der sich mit Abscheu mischt, das inhaltschwere Wort: »alte Hexe!« Das Kind träumt von der entarteten alten Frau mit rothen Triefaugen, die Bruder und Schwesterchen, welche sich im Walde verirrt, mit Pfefferkuchen und Zuckerwerk nudelt, in der ruchlosen Absicht, sie schließlich als süßfetten Sonntagsbraten in den Backofen zu schieben.

Gott sei Dank! es giebt eine Zufluchtsstätte, in deren Bereich sich keine Hexe und kein Hexenmeister, kein Dieb, kein Raub- und Mordgesindel wagt: – das Kind erwacht mit vor Angst und Schrecken pochendem Herzen – und siehe da, sein Bettchen steht glücklicherweise dicht neben dem rettenden Asyl – unmittelbar an dem Bette der Mutter.

*

 


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