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4.
Schattenseiten.

Alle Welt stimmte überein: »Justus und Agathe sind ein sehr glückliches Paar,« und gewiß das waren sie. Dennoch machten auch diese Glücklichen die nicht ganz neue Erfahrung, daß selbst das schönste Glück auf Erden kein vollkommenes ist.

Justus hatte von Kindesbeinen an einen Widerwillen gegen Milchspeisen, also – gleich am Abende des Verlobungstages, als die Terrine auf den Tisch kam, und der Deckel abgehoben wurde ... ach, du lieber Himmel – Milchsuppe! Allein, wahre Liebe überwindet Alles, selbst die Haut von der Milch. Um sich nichts merken zu lassen, löffelte der Märtyrer des Glückes seinen Teller mit besonderm Eifer aus, was die Hausfrau wohlgefällig bemerkte, und fortan stand es fest bei ihr: »Justus liebt Milchgrütze.« Auch später, als er sich keinen Zwang mehr anthat, nützte ihm alles Protestiren nichts, es galt für Bescheidenheit, und er wurde stets auf das reichlichste mit der vermeintlichen Lieblingssuppe bedacht. Ehe er noch halb fertig – schwab! füllte die gute Schwiegermama schon wieder nach. Der Vater aber lachte: »Ja, meine Frau will nicht, daß Sie nachher sagen wie die Leute im großen Werder und in unserer Niederung: »es war Alles ganz gut, auch voll auf, aber – die rechte Nöthigung fehlte.«

Die Versendung der gedruckten Anzeigen, die das Paar gemeinschaftlich couvertirte und adressirte, hatte ihnen Beiden gleiches Vergnügen gemacht. Dagegen dachten sie nicht ganz gleich über die Briefe, die außerdem noch zu schreiben waren, um Freunden und Verwandten das Nähere mitzutheilen. Agathe konnte sich nicht genügen im Ausdruck ihrer Glückseligkeit und war unerschöpflich, immer noch eine neue Wendung zu finden, die das anmuthige Geschäft vor der Langenweile beständiger Wiederholungen bewahrte. Justus aber leugnete nicht, er schriebe lieber jeden strohernen Geschäftsbrief. – Und weshalb? »Ich mag mir mein Glück nicht durch Phrasen trivialisiren.« –

Einem dreiwöchentlichen Visitensturm hatte unser altes Haus mit Gottes Hülfe und Dank seiner schmucklosen, aber soliden Bauart Stand gehalten, ohne daß Maurer- oder Zimmermeister Stützen anzubringen für nöthig hielt. Jetzt kamen die »Gratulationsgegenvisiten« an die Reihe. »Einzige Kinder, zu Perwitts müßt ihr! Sie hat es mir schon so übel genommen, daß ich neulich zu ihrem großen Kaffee absagen ließ – sie vergäbe es mir im Leben nicht!« Die Gehorsamen fügten sich. Doch wollte es Justus nicht gelingen, sich vollkommen klar darüber zu werden, aus welchen moralischen Gründen oder aus welcher juristischen condictio der Schwiegersohn dafür zu haften hätte, wenn die Schwiegermutter keine Freundin von Allerweltskaffees mit zehnerlei Kuchen und Stadtklatsch in noch größerer Auswahl. –

Immer mehr wurde Alborn den Eltern Sohn, den Geschwistern Bruder, und die Frau Stadträthin, seine Mutter, fing bereits an, leise zu klagen: »Justus gewöhnt sich aber auch ganz von uns ab!« Allein der Mensch ist ein gar schwaches Gefäß. Selbst die besten, liebevollsten Gemüther können sich nicht immer auf gleicher Stimmungshöhe halten. Trat nun jene unglückliche Stellung der Gestirne ein, die es so sehr erschwert, liebenswürdig mit Vorsatz zu sein, während der freie Trieb des Herzens die löbliche Absicht leider nicht unterstützt, so quälten sich die eingebornen Kinder des Hauses nicht erst lange – sie waren einfach und offen unliebenswürdig. Machten sie aber von diesem angenehmen Vorrecht ursprünglicher Familienangehörigkeit einen zu freigebigen Gebrauch, so konnten sie auch sicher sein, nicht minder offen und ohne Umschweife auf den Zopf zu bekommen, selbst diejenigen, welche ihr Haar ungeflochten und so kurz trugen wie der Rekrut, der eben unter der Regimentsscheere gewesen. Wie nahe uns Allen Justus schon stand, dasselbe summarische Verfahren ließ sich doch noch immer nicht so ohne Weiteres auch bei ihm anwenden. Die unausbleibliche Folge waren gelegentlich kleine Mißhelligkeiten nach verschiedenen Seiten hin, bei denen Agathe oft mehr litt, als Alborn selbst, und dann am meisten, wenn sie ohne geflissentliche Selbsttäuschung ihrem Justus innerlich in der That nicht so ganz Recht geben konnte. Ganz Unrecht hatte er nie, wir Anderen wußten ihn nur sammt und sonders nicht richtig zu nehmen. Die einzig richtige Art, mit dem Trefflichen umzugehen, schien aber die zu sein, daß ihm auf jeden Fall und unter allen Umständen der Wille geschah – sofern das Beispiel der lieben Braut maßgebend sein durfte.

Obschon selten ein Tag verging, an dem Justus nicht zu uns kam, fand doch ein ziemlich lebhafter Depeschenwechsel statt. Einmal schrieb Agathe auch wieder, schon in früher Vormittagsstunde, und die Flore mußte als postillon d'amour sofort das duftige Billetchen hintragen. Die Sache hatte also Eile – es war ein Citissime. Das süße Briefchen auf zartestem rosa Papier lautete kurz und bündig: »Für dich allein – ganz allein! Du lieber, lieber Justus – guten Morgen! Ich schicke dir hier ein Blatt von meinem Epheu, das habe ich geküßt, das mußt du auch thun und schickst es mir dann umgehend zurück.« Der liebe, liebe Justus würde als prompter Geschäftsmann es sicherlich nicht daran haben fehlen lassen, der anmuthigen Requisition sofort nachzukommen, obwol die Pièce nicht den registraturmäßigen feuerfarbenen Umschlag der schleunigen Sachen hatte. Aber seine Mutter war gerade bei ihm und zwar auch in einer Geschäftsangelegenheit, jedoch in einer weniger lieblichen, sie half ihm – den Wäschzettel redigiren, eine literarische Beschäftigung, die für die wirthschaftliche Frau Stadträthin einer gewissen Verklärung im häuslich gemüthvollen Sinne immerhin fähig, ihren Sohn hingegen so überwiegend prosaisch anmuthete, daß es ihm in diesem Augenblick rein unmöglich, dem poetischen Verlangen der zärtlichen Braut sofort zu entsprechen. Sie erhielt durch die rückkehrende Flore den etwas trockenen mündlichen Bescheid: »der Herr sagte nur, es ist schon gut!«

Es war aber noch gar nicht gut! Und wenn auch Justus hernach die Unbefangenheit hatte, zu seiner Vertheidigung schlecht und recht den wahren Sachverhalt nicht zu verschweigen, es gingen doch erst Stunden und Stunden darüber hin, und so lange mußte die Arme nun harren und schmachten, nicht ohne schwere Anfechtung von ihrem alten Fehler, – einer allzugroßen Empfindlichkeit. Wie oft glaubte sie sich nicht schon davon frei gemacht zu haben – wol ebenso oft, wie der alte Fußsteg, der quer über den Mühlenacker ging, umgepflügt wurde! War aber die Bestellung vorüber, und sprießte die hoffnungsvolle junge Saat von Neuem auf, so war der alte Weg – und der alte Fehler doch auch immer wieder da, obgleich es nicht sein sollte. »Und wenn er mir nur mit einer einzigen freundlichen Zeile geantwortet hätte, ich wäre ja ganz glücklich und zufrieden gewesen, aber dies kalt abfertigende »es ist schon gut«, das nehme ich ihm wirklich übel!«

Was aber das andere Mal, an jenem trübseligen Sonntage eigentlich vorgewesen, mag der liebe Himmel wissen. Agathe gab sich redlich Mühe, heiter zu sein, diese Art Heiterkeit einer glücklichen Braut mit schwimmendem Glanz des Auges gefiel uns jedoch gar nicht. Und Justus war auch nach Kräften bemüht, sich aufzuheitern. Er trank ein Glas Wein nach dem andern. Schade um den schönen Sauternes, der mit Sinn und Verstand genossen sein wollte! Er goß ihn ja wie Wasser hinunter. Allein statt munterer zu werden, zog der Mißgestimmte sich nur immer mehr und mehr in sich zurück und versank zuletzt vollständig in düsteres Schweigen. Sonst wunderten wir uns immer, wo die Beiden nur all den Stoff hernahmen zu ihrem unablässigen Geplauder. Heute hatten sie sich früh genug ausgesprochen, und kaum schlug die Bürgerstunde, so ging Justus. Doch so früh er ging, so früh kam er Tags darauf auch schon wieder, und so früh er auch wiederkam, schien er doch unterdessen bereits hinreichend Zeit gehabt zu haben, sich die Grillen zu vertreiben. Vielleicht dachte er über Nacht: »der Klügste giebt nach«, und Agathe dachte: »wer nachgiebt, hat den Andern am meisten lieb«, oder umgekehrt. Gleichviel, Verstand und Herz kamen sich halbwegs entgegen, und so konnte es nicht fehlen, daß schnell Alles vergeben und vergessen war. Ein sicheres Symptom der Versöhnung zeigte sich unter Anderm auch in einem scheinbar sehr unbedeutenden Umstande. Am Abend zuvor – Sonntags – war Justus' Hemdekragen doch wahrhaftig so steif und starr, als würden bei Alborns die feinen Oberhemden von der Medusa gekraftmehlt und geplättet, und am Montage sahen wir die eine Hälfte seines Kragens schon wieder so gemüthlich zwanglos umgeklappt, wie es der normale Zustand ist für jeden Hemdekragen eines glücklichen Bräutigams – umgeklappt auf der Seite, nach welcher die Sonnenblume immer den Kopf hindreht, also nicht auf der – Schattenseite.

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