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26.
Wiederkommen.

Die Post fuhr von den bewaldeten Hügeln nach der Ebene hinab, passirte den Schlagbaum und hielt im Kirchdorf nicht länger an, als nöthig, um die Brieftasche abzugeben; während dessen bekam der Postillon seinen üblichen »Bittern«, und er goß den kräftigen Trank mit einer raschen kippenden Handbewegung hinab, nachdem der Schenkbursche, der auf das Rad stieg, beim Hinaufreichen des Glases ihm einen lächelnden Blick zugeworfen, der bei dieser heitern Veranlassung niemals fehlen darf.

Dann ging es weiter. Das Land dachte sich nun mehr und mehr ab. Die Felder hörten auf. Große Wiesen, von Gräben durchschnitten, traten an ihre Stelle; schon sah man niedriges Weidengestrüpp, das die Nähe eines Flußufers anzeigte, die Luft wurde feucht und kühler, plötzlich hörte die Kunststraße auf, und die Räder fielen vom festen Boden in den weichen Sand, den sie tief durchmahlen mußten, während der schwerfällige Wagenkasten knarrend in den Federn schwankte. Schon waren die Pferde auf der Anlegebrücke, wie man an dem hohlklingenden Gepolter der aufschlagenden Hufe hörte. Dann hob sich das Kabriolet mit einem Ruck und senkte sich mit einem zweiten Ruck, während der Hinterwagen nachfolgte und eine Dame, welche sich unter den Reisenden befand, den Fensterrahmen anfaßte, als wäre das der sicherste Halt, wenn der Wagen umschlüge. Der zur Hemmung vor die Räder gehaltene massive hölzerne Schlägel wurde wieder weggezogen, der Wagen stand still – und die Ueberfahrt begann, während der Strom mit kleinen plätschernden Wellen vergeblich der Wendung der Fähre entgegenstrebte. Das Sonnenlicht glitzerte hell auf der gelblichen Fluth.

Wäre Karl, der gleichfalls im Postwagen saß, aus einem todesähnlichen Schlummer erwacht, ohne Ahnung, wo er sich befände, die paar gleichgiltigen Worte, welche die Fährleute unter einander im platten Dialekt unserer preußischen Niederungen sprachen, hätten hingereicht, ihn vollkommen zu orientiren. Das Platt klang ihm nur noch etwas platter wie früher, es klang so, als wenn selbst der Sprachgenius dieser fruchtbaren Gegend Buttermilch und »Schmant« wie Wasser tränke, und die Thranstiefeln niemals auszöge. Doch sogleich vernahm Karl noch einen zweiten Heimathsgruß, den er ebenso wenig verkennen konnte. Den Kopf zur Seite geneigt, lauschte er nach dem andern Ufer hinüber, sah dann nach der Uhr und nickte, gleichsam sich selbst zustimmend, daß er recht gehört. Einzelne verhallende Glockenklänge kamen von dorther. Erst in längeren Pausen und zuletzt dreimal rasch hintereinander, wie es Sitte in seiner Vaterstadt, die Mittagsstunde anzuzeigen. Karl hatte inzwischen manches andere berühmte Geläut gehört, es war aber stets etwas Fremdartiges, nicht ganz Befriedigendes in dem Klange gewesen, die eigentliche Muttersprache der Glocken hatten für ihn noch immer nur die im Thurm unserer Domkirche, die nun – mit dem stattlichen alten Schlosse – drüben an dem noch fernen, aber schon deutlich sichtbaren Höhenzuge emporstieg. – Bald war man jenseits angelangt. Der Postillon hatte so lange vorne bei den Pferden gestanden, und die Vorsicht schien nicht überflüssig. Das eine der Pferde rieb seinen Hals an dem des andern. Allein dies, entweder übel aufgelegt, oder überhaupt kein Freund von solchen Zuthulichkeiten, wenigstens nicht von Seiten des braunen Wallachs, kniff die Ohren, stieß einen kurzen wiehernden Ton aus, der halb muthwillig, halb bösartig klang, und war so unkollegialisch, die Liebesbezeugung seines Nebenpferdes mit den Zähnen abzuweisen. »Ha, der Satan! Will Er wol stehen?« schrie der Postillon und riß den Ramskopf, seinen Zügel kurz fassend, so kräftig zurück, daß der Satan den Sinn dieser Andeutung unmöglich mißverstehen konnte. Dann stieg er wieder aus, die Peitsche knallte, die Pferde zogen an, abermals ein schüttelnder Wackelstoß, Schirme und Stöcke oben im grünen Netzgeflecht unter der Wagendecke schlugen abermals hin und her, die Fährleute hielten in Hoffnung eines Trinkgeldes die Mützen auf, und abermals ging es eine kleine Strecke durch den Sand. Sodann wurde der letzte Theil der Fahrt quer durch das Thal aus guter Straße zurückgelegt.

Der Passagier, welcher Karl gegenüber saß, war auf der Station vorher eingestiegen. Von einer Geschäftsreise zurückkehrend, war ihm noch Allerlei im Kopfe herumgegangen. Jetzt, wie er nochmals etwas in fein Notizbuch eingetragen, schien er fertig damit und redete Karl an, dem er gleich bekannt vorgekommen, den es aber doch überraschte, von ihm beim Namen genannt zu werden.

»Sie kennen mich also noch?«

»Was werde ich Sie nicht kennen?«

Und Karl hatte jetzt sogar die Freude, auch seinen richtigen Vornamen zu hören. Ganz rein war diese Freude jedoch nicht – es erinnerte etwas an die Geschichte vom kleinen Töffel.

»Sie kommen wol zum Besuch nach Hause?«

»Ja.«

»Von Berlin?«

»Aus Bonn,« sagte Karl kurz, aber nachdrucksvoll und nicht ohne jenes hohe Selbstgefühl, mit dem Studenten kleinerer Universitätsstädte aus die gänzliche »Nullität der Residenz in burschikoser Beziehung« herabblicken. Die gemeinschaftliche Heimath bot Unterhaltungsstoff genug, und Karl ließ sich gerne Mancherlei aus dem Orte erzählen, was immer Interesse für ihn behielt, obwol die Seinigen es nicht der Mühe werth gehalten, ihm davon zu schreiben. Wenn aber die Rede auf ältere Personen kam, von denen Karl in der ganzen Zeit seiner Abwesenheit nichts gehört, wunderte er sich immer, sie noch unter den Lebenden zu finden. Am Ende wurde das seinem Landsmann doch zu arg, und als er mit sichtbarem Befremden ausrief: »also der lebt auch noch?« entgegnete jener fast ärgerlich: »warum soll der Mann denn nicht leben? er ist in den besten Jahren – von meinem Alter, und er ist auch noch sehr nöthig, die Kinder sind fast alle noch unversorgt.«

Allein was fragen junge Leute nach solchen ernsten Gründen der Familienväter, leben zu bleiben? Sie denken, wenn sie ein paar Jahre fortgewesen sind, muß gleich die halbe Welt ausgestorben und Alles neu und anders geworden sein, weil sie selbst unterdessen so unendlich viel erlebt und sich selbst so sehr verändert zu haben – glauben. Ja Karl empfand während dieser Reise stärker als je, welche Umwandlung mit ihm vorgegangen, den gewaltigen Gegensatz zwischen seinen Anschauungen von damals, als er ein unerfahrener Knabe hinauszog in die Welt, und seiner jetzigen Kenntniß des Lebens. Und wenn seine Gedanken diese Richtung nahmen, zog er die Brauen düster zusammen, und die Stirne legte sich in zwei kleine, aber tiefe Falten, die etwas Byron'sches gehabt haben würden, wenn das ganze übrige frische Gesicht nicht den heitersten Protest dagegen erhoben hätte. Allein nun hatte er nicht mehr Zeit zu so ernster Selbstschau oder – Selbstbespiegelung; denn trotz des melancholischen Anfluges war doch stets ein geheimes Behagen damit verbunden; es konnte nicht ausbleiben, daß eine so reife Weltanschauung sich selber imponirte. – Schon hatten die Reisenden die Stelle erreicht, wo der Weg eine Wendung macht, und wo Karl vor zwei Jahren zum letzten Mal die Vaterstadt sah. Jetzt sah er sie wieder! Hier kannte er jedes Haus, jeden Zaun und jeden Baum. Alles war etwas in's Kleine zusammengezogen – »in die Erde gewachsen«. Aber sonst war wenig anders geworden. »Dort fehlt die große Weide!«

»Der Sturm hat sie im vorigen Herbst umgeworfen.«

Eine aufrichtige Freude hatte Karl bereits früher gehabt, über das erste Haus, das in der Bauart der Niederung aus »Schurzbohlen« aufgerichtet war. Und jetzt fuhren sie in die Stadt selbst ein. Es war ein wunderbares Gefühl, wieder mit leiblichem Auge zu schauen, was er so treu im Bilde der Erinnerung bewahrt zu haben wähnte! Hie und da hatte die Phantasie doch ein wenig geschmückt, hie und da etwas hinzugethan oder weggelassen, was die Wirklichkeit ihm nun vorhielt – prosaischer wie jene, aber exakter! Die alte Anstoßklingel an einer gewissen Ladenthür hatte noch immer den heisern Klang. Auf dem Schilde über einem der Erholung gewidmeten Lokale saßen noch immer die drei Herren, mit den Karten schon in der Hand und mit der einladenden Unterschrift: »hier fehlt der vierte Mann!« Auf den nach außen umgeklappten Laden der Conditorei prangten noch immer die beiden Baumtorten, welche der Pinsel des Anstreichers gar zu verführerisch für die Kinder gemalt, und die Glasthüre hatte noch immer ihre rothe Gardine, die einst Abends, transparent von der innern Beleuchtung, so zauberhaft erschien, und die dann doch grausam den spähenden Schulknaben verhüllte – ob nicht am Ende Jemand d'rin sei, der sie »anzeigen« konnte. Neugierig blickten die Leute aus den Fenstern in den Postwagen, darunter gar manches alte bekannte Gesicht – ein wenig älter und grauer wie früher, und manches junge – mehr aufgeblüht. »Das ist ja ein allerliebstes Mädchen geworden!« Karl's Mitpassagier bestätigte es und stieg gleich darauf aus. Er wurde herzlich von den Seinen begrüßt und kam doch nur von einer kleinen Reise wieder, wie er sie oft machte – Karl aber kam von der Universität!

Noch einmal schwenkte das stattliche Viergespann am die Ecke, die Peitschenschnur, weit ausgeholt, schlängelte in schwungvollem Bogen über dem Verdeck hin, und das Vorderrad streifte bei der kurzen Wendung scharrend den Wagenkasten. Karl machte ein zu lustiges Gesicht! Und doch beklemmte ihm das eigenthümliche Bangen freudiger Erwartung die Brust. Wie es aber beim Einbiegen in diese Straße keinen Stoß gab, daß man in die Höhe flog, mit dem Kopf bis an die Wagendecke, rief er mit komischem Erstaunen: »nun was hat denn das zu bedeuten?« Das war auch eines von den vielen interessanten Dingen, die man ihm zu schreiben unterlassen – daß das Plaster neu gelegt war, und die tiefe Gosse nicht mehr existirte, die sonst die Straße quer durchschnitt und regelmäßig die Ankommenden mit dem nun vermißten energischen Willkomm empfing. Ja, hier kannte Karl einst jeden Stein – und die schönen großen Mittelsteine waren also auch fort, auf denen er als Junge Abends mit den Nägeln im Stiefelabsatz oder mit einem kleinen Säbel Feuer schlug, und die so weit auseinanderlagen, daß die kurzen Kinderbeine kaum reichten, um von einem zum andern zu springen! Es war die Straße, in der Karl's Vaterhaus stand. »Na, Schwager« – Karl bog sich zum Wagenfenster hinaus – »nun blast mal!«

Der hatte den jungen Herrn aber auch gleich erkannt und wußte, daß er ein Stadtkind sei. Er nahm sein Horn, drehte es erst noch um, mit dem Mundstück nach unten, damit er recht rein bliese und dann erklang, so gut es ging auf dem spröden Instrument, die Volksweise:

»Wenn ich komm', wenn ich komm', wenn ich wiederum komm' ...!«

*

 


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