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3.
Auf dem Wirthschaftshofe.

Die obere Hälfte der in der Mitte getheilten Stallthüre stand offen, und man konnte ein Flirren der herausströmenden Luft bemerken, das bisweilen zu förmlichem Dampfen wurde. Auf dem Rand der unteren geschlossenen Hälfte saß die Katze und sonnte sich, räumte aber schnell den Platz, als Tiras und sein Herr kamen; beide waren nicht ihre Gönner. Und doch hatte Ferdinand diesmal ausnahmsweise Gefallen an ihr gefunden. Wie die helle Februarsonne das weiße Fell der Stallkatze beschien, das stach hübsch gegen den dunkeln Hintergrund im Innern des Raumes ab; in der Umrahmung des viereckigen Thürgerüstes wurde ein richtiges Bild daraus. Ehe er über die Schwelle trat, beförderte der eifrige junge Wirth eine todte Ratte, die dort lag, mit sicherm Fußstoß in die nahe Grube, theils der Ordnung wegen, theils damit das Schmarotzerthier wenigstens bei seiner Auflösung, so viel an ihm war, dem Lande ersetzte, was es sich im Leben diebischer Weise vom Futter aus den Krippen angeeignet hatte.

Die Pferde fraßen laut schrotend, und für diesen sichersten Beweis ihres Wohlbefindens erhielt der Sattelgaul vom ersten Gespann einen anerkennenden Schlag mit flacher Hand auf den blank gestriegelten Schenkel. Damit der Sattelgaul sich aber nicht zu viel einbildete, bekam er gleich noch einen zweiten, den ein barsches »Herum!« im Sinne straffer Stalldisciplin erläuterte, um so mehr, als Ferdinand's Stimme auch bereits etwas rauh klang, wie die Sprache fast Aller, welche häufig Befehle auf weite Entfernungen hin im Freien zu ertheilen haben.

Die Rinder im nächsten Stalle lagen in langer Doppelreihe, den aufgetriebenen Leib seitwärts vorgeschoben, mit gemächlich reibenden Kinnladen und mit jenem gemischten Ausdruck von Behagen und Dumpfheit, der dem nachdenklichen Geschäft des Wiederkäuens eigenthümlich. Wenn es daher die jungen Leute zuweilen beschwerte, gleich nach der Mahlzeit wieder auf das Feld hinaus zu müssen – fühlte ihnen der Brennereischreiber den Puls und erklärte das Leiden tröstlich für nichts als »Ochsenfieber«. Nur der Stier, der Patriarch der Heerde, stand trotzig gestemmt auf den eingebogenen Vorderbeinen. Das massive wagerechte Kreuz, der vom Halse lose herabfallende, faltig glänzende Behang, der sogenannte »Kragen«, sprachen für die Trefflichkeit der Race, zu deren Vorzügen jedoch ein menschenfreundlicher Sinn nicht gehören mochte. Etwas Loderndes im Blick, ein halbverhaltenes tiefes Brüllbrummen und eine ducknackig aufgabelnde Kopfbewegung verriethen vielmehr die Neigung, auf die Hörner zu nehmen, was er zu packen kriegte. Dem schwarzbunten Kalb strich Ferdinand um das nasse Maul, und es leckte ihm dankbar mit der scharfen kitzelnden Zunge die Hand; es war von guter Familie, seine Mutter, die Kuh Nummer Acht, hatte beim vorjährige festlichen Milchmessen als ruhmgekrönte Siegerin einen schönen Kranz um die Hörner bekommen.

Das Schweinehaus, gegen das sich Jeder, der vom Schweinestall sprach, einer groben Verbalinjurie schuldig machte, da dieser Zweig der Viehzucht eben einen neuen glänzenden Aufschwung nahm, war gerade von dem lebhaften Treiben erfüllt, mit dem seine etwas materiellen Bewohner sich an die Tröge zu drängen pflegten. Unter so mancherlei Tönen und Mißtönen natürlichen Verlangens und egoistisch abgünstiger Gier klang besonders grell hervor ein mürrisches Grunzen, das mit dem Aufquieken unliebenswürdiger Ueberraschung in jähem Kontrast stand. Es war eine Differenz zwischen dem alten Eber und einem hoffnungsvollen Faselschweine, das bei aller Ehrerbietung vor seinem Erzeuger sich doch nicht von ihm beißen und vom Fressen abdrängen lassen wollte.

Der Speicher hatte Fensterluken mit starken Eisengittern, welche die ländliche Unschuld in der Achtung des herrschaftlichen Eigenthums befestigen halfen; drinnen klapperte und rattelte die Windharfe; das schon von der Spreu gesonderte Getreide wurde noch einmal gründlich gesäubert, während auf einer andern »Schüttung« die Schaufel lustig einstach in die goldreinen aufgehäuften Körner. Glatt strich das Rollholz über den vollen Scheffel, und auf gebücktem breiten Kreuz trugen Arbeiter die schweren Säcke, die alle mit dem Namen des Gutes gezeichnet, hinab vor die Thüre nach dem Wagen, der zur Mühle fahren sollte. Dafür kam immer neuer Vorrath von der großen Scheune her; sie war im Herbste gefüllt hoch auf bis unter die Dachfirste des Mittelfaches, in den Nebenfächern und selbst im äußersten Winkel der schmalen niedrigen Abseiten; außerdem hatten aber doch noch Schober im Freien gesetzt werden müssen. Es war ein gutes Jahr gewesen, und jeder freute sich des Segens, der das Allgemeinwohl zugleich mit dem eignen Besten förderte. In dieser Beziehung war wol alle Welt so ziemlich gleicher Ansicht – vom Gutsherrn, der mit dem Reinertrage sehr zufrieden, und dem Oberverwalter, welchem die Tantieme ein hübsches Sümmchen abwarf, bis zur kleinen Feldmaus, die sich nun auch sorgenfreier ihren hausmütterlichen Pflichten hingeben durfte und redlich Gebrauch machte von ihrem naturgeschichtlich verbürgten Familienrechte, den zärtlichen Gatten alle drei Wochen mit einem ganzen Nest voll kleiner kahler, entzückend scheußlicher junger Mäuschen zu beschenken.

Auf der einen Tenne ging mit metallisch schrillem Klapperton die von Thierkraft bewegte Dreschmaschine, auf der andern erklang in althergebrachter Weise der gemüthlich klopfende Dreitakt. Die Drescher erhielten den zehnten Scheffel und hatten die gesunde Bewegung noch dazu, die gewiß vielen an Appetitmangel Leidenden der höheren Stände besser helfen möchte als große Flaschen Medizin. Schutzbretter waren vorgesetzt auf der Schwelle, und doch sprang manch Körnlein hinaus auf den Hof. Das dreiste Volk der Spatzen aber war auf das genaueste unterrichtet über die günstige Gelegenheit von Ort und Zeit. Sie saßen nicht mehr kugelrund aufgeplustert wie bei der strengen Kälte im vorigen Monat, gar munter hüpften sie hin und her und flogen nur weg, wenn jemand kam – doch nie weit, sondern der Schwarm setzte sich abwartend auf das Strohdach und kehrte sofort zurück an die gute Nahrungsstelle, wenn die Luft wieder rein war. Den Kalender kannten sie nicht, aber sie wußten dennoch: wenn die weiße Tünche der rothgeständerten Fachwerkmauern schon wieder so freundlich leuchtete, wenn die aufgetriebenen Schneewehen an Strauchzäunen und Grabenrändern schon wieder so duftig bläuliche Schatten umspielten, wenn die Eiszapfen immer länger und länger wurden im Wechsel von Frost und Thau, Mittags aber klingend wie Glas abbrachen, und wenn die herableckenden großen Tropfen unten längshin am Fundament der Gebäude, so lustig aufspritzten, als freute sich das bewegliche Element seiner wiedergewonnenen flüssigen Gestalt: dann war das Schlimmste überstanden, das Jahr stieg hoffnungsreich wieder Berg an! Ja, das wußten die Sperlinge auch, und darum waren sie so fröhlich und guter Dinge.

Der Stellmacher in der Geschirrkammer saß rittlings auf einer schmalen Bank, hobelte und schnitzelte an dem eingespannten Holz, das er vor sich hatte und die Späne flogen nur so! Die Arbeit ging dem Manne gut von der Hand, dabei hatte sein Geist doch noch Freiheit genug, dem Zuge höherer Ideen zu folgen. Der Stellmacher dachte wieder an seinen oft ausgesprochenen Lieblingssatz, daß seit Wiederherstellung der reinen Kirchenlehre keine Reform der Menschheit größeren Nutzen gebracht habe, als die Einführung der breitgleisigen Wagen, wogegen er die damals in unserer Gegend den Landleuten noch märchenhaft klingende Nachricht von Dampfwagen und Eisenbahnen mit Mißtrauen aufnahm, theils aus dem unbestimmten Gefühl einer drohenden Konkurrenz mit den soliden Beschlagwagen, die doch so lange gut genug waren, theils weil er sich als frommer Christ, obwol nicht ganz klarer Kopf, einer Stelle aus »der Offenbarung« zu erinnern glaubte, wonach mit den »feurigen Wagen« und »geraden Wegen« die schlechten Zeiten kommen sollten. In Betreff dieses letzten Skrupels hatte ihn der Herr Oberverwalter schon zu beruhigen gesucht: »arbeitet nur vor allen Dingen eure Räder ordentlich – das ist die Hauptsache. Denn wenn jeder seine Sache versteht und wacker seine Pflicht thut, vom Höchsten bis zum Niedrigsten, da brauchen wir uns vor dem Teufel und seiner Großmutter nicht zu fürchten – selbst wenn man uns Chausseen und Eisenbahnen baut, wo jetzt grundlose Landwege sind!« –

Das stattlichste Gebäude des ganzen Wirthschaftshofes war der Schafstall. Die Decke des inneren Raumes trugen Säulen. Niedrige Raufen, ähnlich zusammengestellt wie zur Sommerszeit die Hürden auf der Weide, bildeten Abtheilungen, in denen die Wollthiere edler spanischer Art nach Alter und Geschlecht getrennt waren. Auf die Erzeugung eines möglichst feinen Vließes wurde das größte Gewicht gelegt, alles Andere mußte dagegen zurückstehen; hierin war der Schafsortirer unerbittlich; er sonderte die einzelnen Familiengruppen aus, und die Zusammengehörigen erhielten gleiche Zeichen in's Ohr. Wie Ferdinand über die eine Raufe stieg, drängten sich die Schafe in dichten Haufen vor ihm her, er griff eins, nahm es zwischen seine Beine und legte die fein gekräuselten, wie verfilzt zusammenschließenden Härchen der Wolle mit den Fingern zweitheilig auseinander bis auf die roth durchschimmernde Haut, um seinen Blick in Prüfung des Stapels zu üben. Unter den Thieren aber, die ihn nicht so gut kannten wie den Schäfer, verursachte sein Erscheinen sichtbare Aufregung; sie sahen ihn alle groß an mit stier glänzendem Blick, und durch den ganzen Stall erhob sich in wirrem Durcheinander lautes Geblök in allen Stimmlagen des Schaforgans, vom dröhnenden Baß der gehörnten Widder bis zum feinsten Meckerdiskant der Lämmer. Die allerjüngsten von diesen Thierchen erhielten sich noch ungeschickt auf den langen dünnen Beinen, aber die Kunst zu saugen hatten sie gleich mit auf die Welt gebracht, und wurde eins von ihnen der Mutter unbequem mit gar zu heftigen Stößen, so ertheilte diese – sonst ein Bild unerschütterlicher Langmuth – dem Zudringlichen einen Verweis, der in menschlicher Sprache vielleicht so gelautet haben würde: »Kind, du bekommst ja! Doch wenn du so happig bist, dann warte nur noch etwas!« Im Schafidiom der Mutterliebe ließ sich das leider nicht anders ausdrücken als mit einem abwehrenden Tritt des Hinterfußes.

Und nun wandte sich der Herr Eleve zum Schäfer:

»Na, wie geht's euch denn, Ziegler?« Der Gefragte hatte sich eben erst auf der Stiege vom Dachbodenraum herab entwickelt. Zunächst kamen aus der offenen Fallthüre die Füße zum Vorschein – sie waren mit Staub von getrockneten Kräutern und Grassamen bestreut – darauf zwei blankmarmorirte Pelzhosenbeine und so fort, bis der ganze Mensch sichtbar wurde. Nun unten angelangt, warf er die eine Schulter herum, daß das Bündel Kleeheu, welches er mitbrachte, von seinem Rücken fiel; im weichen Anprall gegen den Boden knisterte es und verbreitete einen gewürzigen Duft.

»Wie's geht? He! Muß gut sein, Herr! – Blos das sakrement'sche Bein! Der Schinder prophezeit schon wieder.«

»Was prophezeit euch denn das lahme Bein? Ihr klettert ja damit wie eine Eichkatze?«

»Ander' Wetter, Herr! Ist auch den Deuker nichts gut – der klare Himmel. Wir haben heute Lichtmeß, und zu Lichtmeß sieht der Schäfer lieber den Wolf, als die Sonne im Stall.«

»Nein, Ziegler, da habe ich doch schon die Sonne noch lieber.« Dabei ging wieder der schelmische Lichtblitz über Ferdinand's Gesicht. Dann klopfte er mit der Reitpeitsche stramm auf die Stiefelstulpen, wie um anzudeuten, daß der vertrauliche Ton ein Ende hätte, und entledigte sich seines Auftrages.

»Hört mal, Ziegler! Wenn der Fleischer kommt, sollt ihr euch auf nichts einlassen. Versteht ihr, auf gar nichts laßt ihr euch ein, sondern schickt ihn in die Schreiberei, wir werden mit dem Manne handeln. Wir wissen ganz gut, was er ausschlachtet von den Merzen, und was er sich für das Pfund Fleisch in der Stadt geben läßt; der Herr Oberverwalter hat mir eben gesagt, wie wir den Preis machen sollen.«

Als Ferdinand hierauf den Stall verließ, gab die Pforte im Thorflügel, die auf einer Anzugtritze ging, nur knapp so viel Raum, daß der Hinaustretende sich durchzwängen konnte, gleichsam eifersüchtig auf die frische kalte Luft, von der nicht zu viel eindringen sollte in die behaglich warme und mit einem specifisch scharfen Arom versetzte Atmosphäre, welche die der Schafzucht geweihten Hallen stets erfüllt. –

Schon vorhin kam ein klappernder Schall vom Waldvorwerk herüber; das Zeichen zur Mittagspause wurde dort noch in der ursprünglichen Weise gegeben, daß man mit Handschlägeln auf ein Brett hämmerte. Jetzt läutete die Glocke, welche in der Nähe des Verwalterhauses an einem hochragenden schmalen Gerüste hing. Und Annka, die Küchenmagd, versah den Glöcknerdienst mit vielem Geschick. Wenn sie glühroth auf beiden Backen vom Herdfeuer, den Strick ergriff und nach dem Takte anzog, bei jedem Zuge mit einer kleinen Verbeugung, dann schlug der Klöppel so kraftvoll und mit so sprechendem Rhythmus an, daß Alle, welchen dieser freundliche Ruf des Lebens galt, die unartikulirten Laute der Metallzunge genau so gut verstanden, als hätte eine menschliche Stimme gerufen fern hin bis zur Grenze: »kommt essen, kommt essen, kommt essen!« Auch unserm Ferdinand war der Klang nicht unwillkommen.

Nach einer Stunde läutete es wieder ebenso, nur – obgleich nach genossener Ruhe – ein klein wenig minder belebt: »zur Arbeit, zur Arbeit, zur Arbeit!«

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